PALLAS
Theaterkultur vom Feinsten

Bereits beim Betreten der Vorhalle wird der Besucher von einem der jungen Servicekräfte geleitet: Zum Ticketschalter nach links, zum Abholschalter nach rechts.
Ein kartoniertes Programmheft erhalten wir, aus dem hervorgeht, dass 29 Lieder geplant sind. Es sollten doch noch etliche mehr werden. Welche Plätze haben Sie? – und gleich wird man von einer anderen Fachkraft weitergeleitet, bis genau zum Sitzplatz (wir sitzen links vorne in Reihe 3!)
Das Interieur des Odeons erscheint festlich-dezent. Die anthrazitfarbene Decke, ein Quadrat mit abgerundeten Ecken, der Rand mit einem Band aus silberfarbenen Stäben.
Dunkelrot gepolsterte Klappsitze mit Rahmen aus gutem Holz und genügend Platz zwischen den Reihen, sodass auch Menschen mit langen Beinen Stunden musischer Glückseligkeit genießen können. Die Sitzreihen - ein angedeutetes Halbrund, das den Künstler auf der Bühne zu umarmen scheint.
Und immer wieder die Servicekräfte, die die Besucher zu ihren Plätzen geleiten und alle Fragen beantworten. Mittlerweile ist der Gong noch zwei Mal ertönt. Die unteren Reihen, wie auch die Ränge und Logen in der oberen Etage sind nun voll besetzt. Ein würdiger Rahmen für eine großartige Künstlerin, die immerhin 40 Jahre Bühnenerfahrung besitzt und von den Griechen liebevoll Haroúla genannt wird.


Das Konzert

Leise ertönt Musik, während die letzten Besucher Platz nehmen und sich einrichten. Noch wird geredet, mit den Füssen gescharrt, werden Kleider geordnet. Die musikalische Begleitung nimmt langsam Fahrt auf, wird etwas lauter, während auf der Bühnenrückwand ein Videofilm abgespielt wird, der Straßenszenen zeigt. Es ist die Musik zu Μεγάλωσα vom Band, die den Film begleitet. Peu-à-peu wird die Beleuchtung ganz dezent gedimmt, während die sieben Musiker (Key/Piano, E-Gitarre/akustische Gitarre, Mandoline/Bouzouki/ spanische Laute, E-Bass/Kontrabass, Akkordeon, Violine, Schlagzeug) einer nach dem anderen bei ihren Instrumenten Platz nehmen, sich einrichten und ganz locker zu spielen anfangen, die Begleitung zu Μεγάλωσα aufnehmen, sodass schließlich die Musik vom Band ganz verlischt.
Die Besucher in der Raummitte, die die gesamte Szene überblicken können, haben SIE als erste erblickt, denn plötzlich brandet Beifall auf. Mit wenigen Schritten kommt sie nach vorne, in die Mitte der Bühne, zu ihrem Mikrofon: Háris Alexíou. Ein Spot ist auf sie gerichtet, ansonsten ist die Beleuchtung jetzt ganz ausgeschaltet. Ohne Vorwort beginnt ihr Gesangsvortrag. Erst nach dem ersten Song begrüßt sie die Gäste, bedankt sich für ihr Kommen.
Es ist nicht nur die Örtlichkeit, nicht die reife Theatertechnik, sondern vor allem die Künstlerin selbst, ihre Präsenz dort, wenige Meter von uns entfernt, die das Publikum sogleich mitnimmt, auf eine Reise in die Vielschichtigkeit der Liebe.
Das Motto Die Liebe wird dich finden, wo du auch bist (gleichzeitig Titel ihrer im Jahr 2009 veröffentlichten CD) könnte sich als die Wiedergabe, die Aneinanderreihung von banalen Liebesliedchen gestalten, mit denen wir im griechischen Radio täglich überschüttet werden.
Doch allein der Titel spricht ein besonderes Gefühl an: die Beglückung einer tiefen Sehnsucht, das Glück anzukommen, ohne suchen zu müssen, denn die Liebe wird dich finden, wo du auch bist! Und es geht ganz sicher nicht nur um die Liebe in der Zweisamkeit, sondern um die Liebe in all ihren Facetten. Auch um die Liebe des Publikums zu dieser einzigartigen Diva, die ihre Zuhörer nicht nur mit ihrer großartigen, reifen Stimme begeistert, sondern auch zwischen einzelnen Stücken mit Anekdoten und kleinen Geschichten unterhält, den direkten verbalen Kontakt sucht.
Früher habe sie beim Singen immer die Augen geschlossen gehalten. Als man sie einmal nach dem Grund fragte, habe sie geantwortet: „Egal, wie oft ich etwas singe, mache ich die Augen zu, und erlebe es.“ Auch jetzt, beim Singen des ersten Songs hatte sie die Augen geschlossen.
Und weiter singt sie eines ihren neuen Lieder Ο άνθρωπός μου (Mein Mensch) und auch andere, schon seit langem bekannte.
Die Zusammenstellung ihres Programms, so bekennt sie später, sei ihr nicht leicht gefallen: Einerseits wollte sie nicht nur die Lieder ihrer neuen CD wiedergeben - die Jüngeren mögen ihr verzeihen -, andererseits aber auch nicht nur „Altes“ vortragen. Mit der Auswahl ihrer Lieder möchte sie allen ihren tiefen Dank aussprechen.


Jeder Fan weiß, welches Lied nun kommt, als Háris folgende Geschichte erzählt: „Früher haben wir lange Wochen mit dem Proben verbracht, bis ein Lied stand. So war es auch mit Thános, dem großen Mikroútzikos (Wortspiel: der große Kleine). Bei ihm zu Hause, mitten in einem Raum, stand ein Klavier riesigen Ausmaßes.“ Zur Betonung beschreibt sie mit beiden Armen in einer ausholenden Bewegung die Größe des Instruments.
„Er hatte die Angewohnheit, sich jeden Abend an einem bestimmten Punkt der Proben, eine dicke Zigarre anzuzünden. Nach einer Woche fragte er mich, ob die Zigarre mich störte. Ich entgegnete: ‚Nein, nein, überhaupt nicht!’ und dachte dabei: ‚Wenn ich jetzt ja sage, wird vielleicht Mitsiás das Lied bekommen!“Ich habe also weiter viele Zigarren geraucht...“ räusper, räusper... und die Musiker stimmen die ersten Töne von Η Αγάπι είναι ζάλη (Die Liebe ist ein Rausch) an.

Nicht nur wir haben mitgesungen, sondern fast alle Besucher haben sie begleitet. Als das Lied zu Ende ist, steht sie da, schaut ins Publikum und genießt den Applaus. „Jetzt habt ihr mich!“


Ganz gelöst und doch energisch die Musiker mit knappen Handbewegungen anweisend bezaubert sie ihre Zuhörer. Oft wird mitgesungen. Wir haben sie wirklich, und sie hat uns auch!
Nach der Pause erzählt sie von einer Zeit, als Frauennamen als Liedtitel gut angekamen: Δημητρούλα μου oder Η Ρόζα η ναζιάρα (Rosa, die Kokette). Im Programmheft lesen wir auch den einfachen Titel Rósa, und ich denke an das Lied, das von Mitropános gesungen wird. Doch hier geht es um eine Widmung an die große Rembétissa Rósa Eskenási.
Im Programmheft nachzuschauen, welches Stück als nächstes kommt, lohnt die Mühe nicht, denn sie singt auch viele Lieder außerhalb des Programms. So auch das nächste.
Háris sei einmal in Thessaloníki in einem Rembetádhiko gewesen. Ein paar Jungs hätten Musik gemacht, und ein Mädchen habe dazu gesungen, und zwar IHR Lied. Dabei sang sie Merída kai tirí statt Márida kai tirí. Der größte Teil des Publikums weiß anhand dieser Zeile, was jetzt kommt: Η Γκαρσόνα, ein Lied, das die Bedienkunst einer Kellnerin beschreibt, die die Gäste tüddelig macht: Einen gibt sie aus, zwei schreibt sie auf. Háris singt, und alle singen mit.
Immer wieder gibt es auch humorvolle Kommentare: „Wie schön sie war, die gute alte Zeit. Ach, wie schön es war, in der Plaka zusammenzusitzen und zu singen!“ Pause ..... und selbstironisch fügt sie hinzu: „Und wie schlank wir waren!“ und streicht sich dabei über die Hüften. „Heute ist es anders.“

Nach dem offiziellen Programm gibt es eine Zugabe. Sie fragt ihr Publikum nach Wünschen. Alex ruft ihr zu: „Es hat Zeiten gegeben, da hast du Λένγκω gesungen!“ Ihre Antwort: “Markópoulos (der Komponist) erlaubt es nicht“, verzieht das Gesicht, biegt ihre Finger zu Krallen und haut dabei in die imaginären Tasten eines Klaviers.
Zunächst kann man sich nicht auf einen Wunsch einigen, bis von hinten eine Frau ruft: „Das was DU dir wünschst!“ Háris: „Das, was ich will, das sind so um die 800.“ Schließlich kristallisiert sich der Wunsch nach To Tángo tis Nefélis heraus.

Das Konzert dauerte insgesamt zweieinhalb Stunden. Stücke ihrer neuen CD wie Το Μυστικό oder Πως να πω πως δεν σ' αγάπησα wechselten sich ab mit den älteren Liedern wie Aπόψε θέλω να πιώ und natürlich Πανσέλινος. Die griechischen Lieder werden durch spanische wie Piensa en mi ergänzt, die sie, wie sie sagt, schon immer gern als ihre eigenen gehabt hätte.
Neben den meist humorvollen verbalen Liedübergängen gibt es auch kritisch-ironische Töne: „Ein Glück, dass die Krise jetzt vorbei ist!“ (2 Tage nach dem EU-Beschluss, im Notfall doch ein Hilfspaket für Elláda schnüren zu wollen).
Die exzellenten Musiker, die sie begleitet haben, erhalten sehr viel Applaus, als sie gegen Ende namentlich vorgestellt werden und jeder eine Kostprobe seines Könnens als Solist geben kann.
„Kommt zu Marinella“, ruft sie in Anspielung auf die bevorstehende Premiere von Marinella’s Musical (die musikalische Beschreibung ihrer Biografie). „Aber kommt auch zu mir nach Thessaloniki!“

Nach der zweiten Zugabe verbeugt sie sich ganz tief. Die Theaterbesucher haben sich von ihren Plätzen erhoben, zeugen ihrer Haroúla damit größte Achtung und Zuneigung. Mit einer weit ausholenden, ganz langsamen Bewegung (zum Genießen) umarmt sie die Menschen und verharrt für eine lange Weile in dieser Geste, während immer weiter applaudiert wird.

Unser Dank geht an eine Künstlerin, die uns an diesem unvergesslichen Abend wahrlich bezaubert hat.
Ihre Liebe hat ihr Publikum schon seit langem gefunden und umgekehrt auch.



Wir hoffen, dass die Veröffentlichung der drei von uns aufgenommenen Fotos als Ausdruck unserer Liebe zu der Künstlerin verstanden wird. Es werden dabei keinerlei finanziellen Ziele verfolgt, da Kritimou eine reine Hobbyseite ist. Falls die Veröffentlichung bei Kritimou von der Künstlerin nicht gewünscht wird, so bitten wir, uns zu informieren, die Fotos werden dann umgehend von uns entfernt. Es wäre aber sehr schade!

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