Im Berberland


Möglicherweise hatten auch die Künstler während der Unterbrechung über den Vorfall gesprochen, vielleicht hatte es sich auch Athiná Labíri gut überlegt, ob sie dem Zuschauer, der so gar nichts über Rembétiko zu verstehen schien und nur auf Daláras fixiert war, überhaupt mit einer Soloeinlage gegenübertreten wollte. Ich hätte es verstanden, wenn sie darauf verzichtet hätte. Doch letztendlich war wohl allen klar, dass die Stimmung, abgesehen von diesem einen oder einigen wenigen, absolut klasse war und man unbedingt einen schönen, gemeinsamen Abend feiern wollte. Und so trat sie dann auf, und zwar alleine.
Es erklang Γίνομαι άντρας (Ghínomai Andras – Ich werde ein Mann) - das auch schon die unsterbliche Rembetissa Róza Eskenási dargebracht hatte. Welch' erhabene Fortführung der Tradition!


Wie mich Kokette gab es keine andere in Athen,
ich werde ein Mann, erste Ware, mit Pistole und Dolch.
Und ich habe eine Sklavin als Geliebte, der ich alles weggenommen habe.
Wenn ich in die Haschischbude gehe, schaue ich alle schräg an.
Und dann sagen sie mir, herzlich willkommen, Bruder,
nimm einen Zug für die gute Laune.
Und die Kerlchen beginnen zu feiern mit Baglamadákia.

Aber eines Abends haben sie sich zusammen getan und sind alle über mich hergefallen.
Und sie fingen an, mir in ihrem einheimischen Dialekt Honig ums Maul zu schmieren.
Und voller Sehnsucht riefen sie: Ach, du Range!

Der Applaus für diese überraschende und einzigartige Darbietung gebührte Athiná Labíri ganz alleine!




So wie Daláras einst von Musikpersönlichkeiten, wie Tsitsánis, Theodorákis und anderen Meistern gefördert wurde, so findet er Gefallen daran, junge Künstler, von deren Können er selbst überzeugt ist, zu unterstützen, indem er sie einlädt, mit ihm zusammen aufzutreten. Das bedeutet aber nicht, dass diese in Griechenland unbekannt wären. Es bedeutet, dass man an einem Rembétiko-Abend, an dem es eigentlich keinen Star geben kann, das gemeinsame Gefühl, das durch die Musik und insbesondere durch die Texte hervorgerufen wird, mit einer tollen Kapelle zusammen genießen kann.
Dafür sorgte auch Evdokías Zeïbékiko von Mános Loízos, ein Stück, das jeder Bouzoúki-Schüler als allererstes lernt! Wer kennt es nicht?


Als wir uns einmal kurz umdrehten, sahen wir, wie weiter hinten, zwischen den Stuhlreihen, bereits getanzt wurde. Das Publikum unterstützte weiter durch rhythmisches Klatschen. Unsere Nachbarn sangen lautstark mit, und so taten wir es auch.


Die weitere Reise führte uns zu Legenden wie Panayiótis Toúntas, Vangélis Papázoglou, Apóstolos Kaldáras, Akis Panoú und erneut zu Vamvakáris.
















Am Ende schloss sich der Kreis wieder mit Liedern von Tsitsánis. Die Sehnsucht nach der Fremde wurde zum Thema mit Stücken wie Ta Limánia xená (Die fremden Häfen), und Sto Toúnezi sti Barbariá (In Tunesien, im Berberland) und Ai Nikóla (hier mit einer anderen Besetzung).


Bei diesem Tempo hatte es kaum noch jemanden auf den Sitzen gehalten. Giórgos rief nun den im hinteren Bereich der Halle Tanzenden zu, sie mögen doch besser nach vorne kommen. Und so belebte sich der schmale Streifen vor der Bühne mit den Tänzern, die zu immer schnelleren Rhythmen, zu denen Giórgos seine Band lachend antrieb, eine schweißtreibende Sohle auf das Parkett legten.




Der Höhepunkt war allerdings der Zeïbékiko einer schon ziemlich betagten Lady, für die alle anderen Platz machten und ihr im Rhythmus zuklatschten. Danach brachen eigentlich alle Dämme. Es gab viel Beifall, und es war klar, dass man den Abend noch nicht als zu Ende betrachtete. Daher blieb die Band auch sitzen. Eine Minute später waren alle wieder komplett. Für die Zugaben hatte man sich zwei langsamere und sehr ernste Stücke ausgedacht:
Zum einen Stin Alána, das von einer Exekution während der Diktatur handelt.
Das andere war SEIN Lied, ohne das er niemals vom Publikum entlassen worden wäre, das gefordert wurde und den musikalischen Schlusspunkt setzte. Und so war es genau auch das Lied, bei dem wir uns versunken und mit feuchten Augen in den Armen lagen, die Fans ihm anschließend die Hände entgegenreckten und schüttelten und ihn wieder mit tosendem Beifall überhäuften.

Mi mou thimónis, mátia mou
(hier in Amsterdam)

Sei nicht böse mit mir, mein Herz,
dass ich in die Fremde ziehe.
Ein Vogel werde ich und werde wieder
zu dir zurückkommen.

Öffne dein Fenster,
mein blonder Basilikum,
und mit einem süßen Lächeln,
sag mir ‚Gute Nacht’.
Sei nicht böse mit mir, mein Herz,
dass ich dich lasse.
Und komm’ kurz, damit ich dich sehe,
um mich von dir zu verabschieden.

Öffne dein Fenster,
mein blonder Basilikum,
und mit einem süßen Lächeln,
sag mir ‚Gute Nacht’.


Ach, Mensch, was war das rührend und traurig und sentimental und schön zugleich. Aber leider war die musikalische Darbietung dann doch zu Ende. Was wir danach überhaupt nicht konnten, war, sofort nach draußen zu gehen. Wir schauten noch zu, wie zwei junge Männer ihre Kameraeinstellung ausprobierten und warteten, bis Athiná zu ihnen kam und sich mit einem der beiden Hocherfreuten fotografieren ließ. Am Ende waren wir die Allerletzten, die den Saal verließen. Doch wohin jetzt?

After the show