Wie es kam, dass ich mich in Griechenland verliebte
II. Auf zu neuen Ufern:   Náxos, 1985   



Es war die „Skopelítis“, die mich in nur wenigen Stunden von Mýkonos nach Náxos brachte. Ich hatte mich extra nach einem kleineren Schiff erkundigt, weil es viel weniger Menschen transportieren würde als die großen Fähren und so auch vielleicht eine Insel ansteuerte, die aus diesem Grund – wie ich mir einredete – nicht so touristisch überfrachtet war.

Das Wahrzeichen der Chóra (Stadt), das 2500 Jahre alte, marmorne Tempeltor auf dem vorgelagerten Halbinselchen, war vom Schiff aus gut zu sehen. Es ist der herausragende Teil eines Apollon-Tempels, der nie fertig gestellt worden war.

Der Fähre entstiegen nahm ich sofort wahr, dass zumindest der Hauptort bei weitem nicht so voller Menschen war, wie Mýkonos-Stadt. Gleich wurde ich gefragt, ob ich ein Zimmer suchte. Nein, auf einen Campingplatz wollte ich wieder. Hier auf Náxos gab es sogar zwei: einen in unmittelbarer Stadtnähe und einen anderen, ein paar Kilometer weiter weg, aber gut mit dem Bus zu erreichen.

Ohne zu zögern entschied ich mich für genau den, der weiter entfernt gelegen war, denn vorerst wollte ich nur noch eines: Ruhe und Schlaf.
Unser Bus fuhr vom Fähranleger am Hafen entlang, stadtauswärts, durch ein Neubaugebiet, auf`s Land hinaus.

Hohe Bambusgräser säumten die Straßen und Felder, die Halme schlugen über dem gemütlich daherschaukelnden, uralten Vehikel zusammen. Manchmal kratzen die Zweige auch am Lack und an den Fenstern entlang, doch niemand schenkte dem Beachtung. Der Fahrer war vielmehr damit beschäftigt, sich vor jeder Kurve die Seele aus dem Leib zu hupen.

Bambus-umsäumte Straßen

Schon bei dieser ersten, kurzen Fahrt erschien mir die Insel sehr grün und wasserreich. Ich sah viele Felder, auf denen - wie ich später erfuhr - insbesondere Kartoffeln angebaut wurden. Landschaftlich auf jeden Fall ein großer Kontrast zur kargen Insel Mýkonos.

Sehr bald schon bog unser Gefährt ab in Richtung Meer. Ab hier rumpelten wir über eine enge Schotterpiste, mit vielen tiefen Kuhlen, sodass es nur noch im Schritttempo vorwärts ging. Einmal noch bogen wir um eine Kurve, und schon waren wir da, am kleinen Fischerhafen von Agia Anna, dem Endziel unserer Reise. Meine diversen Gepäckstücke waren bereits vom Fahrbegleiter aus dem Bauch unseres Vehikels gezogen worden, als ich den Bus verließ.

Kleiner Fischerhafen von Agia Anna

Nun wollte ich zuerst zum Campingplatz, wo ich hoffentlich ein schattiges Fleckchen finden würde, mal eben das Zelt aufklappen und dann ab in die nächste Pinte, etwas trinken und relaxen. Halt ankommen.

Vom Hafen aus konnte man den Strand noch nicht einsehen, sondern lediglich die kleine Bucht bis hin zu einem Felsenhügel, auf dem man eine Kapelle errichtet hatte. Mein Weg führte mich über einen festgebackenen Sandweg. Hinter der nächsten Kurve schon sah ich zum ersten Mal diesen magischen Strand. Wunderschön das Meeresblau, und ganz feiner, heller Sand.

Am verwunderlichsten jedoch fand ich die zahllosen Bambushütten, die man hier, direkt am Strand, aufgebaut hatte: Tipis, kleine "Flachbauten", riesige Gemeinschaftshütten, auch einige Zelte standen zwischen den Dünen oder auch direkt am Strand.

Alle Strandbewohner waren nackt. Man saß zusammen, redete, einige badeten oder schnorchelten, andere werkelten gerade an ihrer Hütte herum, wiederum andere köchelten über offenem Feuer. Eine Frau stand mit einer brennenden Zigarette bis zur Hüfte im Meer und rauchte. Ein paar Tavernen boten Ess- und Trinkbares an.

Auf dieses Programm war ich nicht gefasst. Sollte ich etwa auch am Strand......war das überhaupt erlaubt?? Schließlich quartierte ich mich auf dem Campingplatz ein, auf dem ansonsten nur noch drei andere Zelte standen. Ich fand ein wunderschönes, schattiges Plätzchen. Ruhe pur. Es handelte sich hier nicht um den modernen Campingplatz, den es heutzutage dort am Strand gibt, der existierte damals zum Glück noch nicht. Nein, dieser hier hatte nur ein paar kleine Plätzchen, ganz gemütlich, doch die meisten Leute campierten ja eh draußen.

Alles schien erlaubt. So etwas hatte ich noch nicht erlebt.

Magisch zog es mich an diesen Strand. Es war so einfach, mit den Leuten in Kontakt zu kommen. Man begegnete sich freundlich. Auch viele jüngere Athener verbrachten ihren Sommerurlaub hier an diesem Magic Beach. Einer war ein Architekt, der natürlich die ausgefallensten Hütten baute. Er kam mit seinem Boot jeden Sommer für einige Monate hierher und verkaufte die Fische, die er täglich fing, an eine Taverne, mehr brauchte er ja nicht zum Leben am Strand. Da waren auch einige Leute aus Israel, die hier mit Kind und Kegel ebenfalls den ganzen Sommer verbrachten und etwas weiter oberhalb wohnten. Menschen aus Europa und Australien, aus Südafrika und den USA. Große und Mini-Gruppen, Paare, Familien mit Kindern und, was mir sehr gut gefiel: Viele Einzelreisende, so wie ich.

Nach gerade mal drei Nächten auf dem Campingplatz hielt mich nichts mehr, und ich baute mein Zelt schließlich in der Senke zwischen zwei Sanddünen, direkt am Strand, auf, mit freier Sicht auf die nur wenige Meter entfernte Uferlinie. Was für ein verschwenderischer Luxus: das Baden im warmen Wasser, der feine Sand, die „Náxos-Augen“, die an den Strand gespült wurden (Türen von Schneckenmuschelhäuschen, die auf der weißen Seite eine Spirale zeigen und auf der anderen schön orange bis dunkelbraun gefärbt sind).

Die internationale Gemeinschaft mit vielen anderen Strandbewohnern. Geteilt wurde, was man hatte. Zu sehen, was man alles aus Bambus fertigen kann. Wasser zum Abduschen gab es aus Zisternen oder Schläuchen in einem Verschlag auf den Grundstücken der Tavernenbesitzer, vor denen man mit dem Rest der Strandbevölkerung am frühen Abend Schlange stand, schwatzte und sich verabredete.

Paradiesisch schöne Sonnenuntergänge über Páros, als allabendliches Highlight zelebriert.

Das gemeinsame Essen und Trinken, selbst gemachte Musik am abendlichen Feuer, später noch mal in die Open-Air-Disko "Mílos" zum Abrocken auf dem Betonfußboden. Nachts das Sternenzelt und den klaren Blick auf die Billionen Sterne der Milchstraße. Eine Vollmondparty mit großem Strandfeuer.

Es hätte ewig so weitergehen können. Ganz tief glitt ich in ein Leben hinein, das ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht vorgestellt hatte, auch wenn es nur drei Wochen lang währte. Ich schwor mir, im darauf folgenden Jahr zurückzukommen, mit genügend Zeit im Gepäck, so viel Zeit wie ich nur brauchte, um satt zu werden.


Kaló taxí(di)