Alónnisos
Copyright puchheim = MartinPUC, im April 2017


Nach und in Vólos (Magnisías Thessalías)

Es hat mich große Überwindung gekostet – nur gut, dass ich mich trotz der relativ frühen Jahreszeit für das Neue entschieden habe.
Nach drei Tagen Piräus/Athen und regelmäßigen Gängen zu den ablegenden großen Pötten, inklusive sehnsuchtsvoller Erinnerungen allenthalben, geht es also per Express–Bus ab Station Liossíon auf der Autobahn mit zahlreichen, den Verkehrsstrom immer wieder unterbrechenden Mautstellen Richtung Vólos.

Erstmals die große Fáge–Joghurt–Fabrik im nördlichen Industrieviertel Athens gesichtet. Stadteinwärts staut sich alles, stadtauswärts läuft es verkehrsmäßig bald sehr gut.

Also keine Fahrt mit der herrlichen Blue Galaxy nach Soúda oder der Adhamándios Koráis nach Sífnos oder sonstwohin in die Kikládhes. Nein, eine knapp vierstündige Busfahrt für genau 30,– Euro muss es sein, mit einer zwanzigminütigen Pause an einer isoliert nahe einer Autobahnausfahrt ca. 2 km vom Hafenort Ágios Konstantínos entfernt gelegenen großen Taverne. Dort trifft auch schon der Gegenbus Richtung Athína ein.

Bereits kurz hinter Athen hatte ich mich über diese so ausgesprochen grüne, waldreiche Landschaft gewundert. Einem Inselliebhaber oder einer Nissomanin ist so etwas ziemlich fremd, falls er/sie sich freiwillig eher auf die südliche Ägäis beschränkt. Es wird seitlich der großen Schnellstraße grüner und grüner, lauter Wald, und hinter Lamía ziehen sich zudem riesengroße Ölbaumflächen über Meilen dahin. Das tut so gut, diese Farbe Grün. Noch dazu nach drei Tagen stark abgasbelasteter Großstadt (wenn auch mit sehr positiven Überraschungen, sowohl bergsteiger- als auch kulturmäßig).
Im Hintergrund Bergmassive mit Schnee an ihren Flanken. Sie leuchten sogar von Évvia herüber.
Und man wird auf dieser Fahrstrecke auch an so entscheidende Ereignisse wie die Schlacht an den Thermopylen erinnert, wo es den Spartanern und anderen Hilfskräften unter Leonídas gelang, unter Selbstaufopferung die Truppen des Xerxes lange genug aufzuhalten, um den Athenern eine Evakuierung ihrer Stadt und letztlich den Sieg über den Perserkönig zu ermöglichen.

Der Flughafen–Tower des kleinen Airports ca. 35 km südwestlich von Vólos zeigt sich den Busreisenden noch, den Rest müssen sie erahnen. Bald geht es ab auf eine kleine, ziemlich provinziell anmutende Straße zur doch immerhin 145.000 Einwohner zählenden Tsípouro–Metropole vor dem hoch aufragenden Pílio.
Man sagt den Leuten von Vólos ziemlichen Geiz nach, wie mir mein Athener Bekannter später erzählt. Beim Schnapstrinken jedenfalls zeigen sie alles andere als Geiz, und schon zum Mittagsmahl flößt man sich das nun auch im Athener Raum als Modegetränk aufkommende scharfe Tresterprodukt in rauen Mengen ein.
Der KTEL–Busstation direkt gegenüber liegt der städtische Busbahnhof, wo man mich sehr freundlich empfängt und zum richtigen Gefährt weiterleitet. Das Jáson–Hotel ist nur ein paar Schritte von der Bushaltestelle entfernt und zeichnet sich durch seine optimale Lage gegenüber der großen Fährenmole und am Beginn der Paralía, der großen Fress– und Flaniermeile der Stadt, aus. Mein Einzelzimmer ist allerdings geradezu winzig, vom Typ 10 Quadratmeter, trotz des schönen Hafenblicks. 30 Euro (ohne Frühstück) ein angemessener Preis für das modern ausgestattete Zimmer, alles in allem. Größere Räume gibt es bestimmt auch, zur Not eben hintenraus.

In dieser thessalischen Stadt findet der Liebhaber etliche gute Mezé–Lokale (oder auch „Tsipourádhika“, um ortstypisch zu bleiben), eines der besten von ihnen versteckt sich lieber im Karree des alten Hafenviertels ein Stück westlich der Paralía.
Auffallend, wie gähnend leer die meisten – im Internet (auf Google maps) mit teils Dutzenden von positiven Rezensionen groß angepriesenen – Lokale an der Paralía sind, nur eins oder höchstens zwei sind momentan die Favoriten der (noch etwas zahlungskräftigeren) Kundschaft – das gilt aber nicht für die Cafés weiter südöstlich Richtung Universitätsgebäude, wo sich Unmengen junger Leute ihren großen Braunen oder Schwarzen gönnen.
Weiter landeinwärts die Einkaufsstraßen, alle gut besucht an diesem Montagabend, Megáli Dheftéra, zu Beginn der Osterwoche. Vor der Hauptkirche ein Platz mit viel Familienleben, Kleinkinder toben herum, Frauen schieben sich durch zum Abendgottesdienst, alles wirkt recht intim.
Von „Urigkeit“ ist in diesem Stadtviertel aber dennoch nur wenig geblieben, vielleicht noch so was wie der betörend gut duftende Gewürz– und Trockenfrüchteladen (ksirí karpí) in der ersten Parallelstraße zum Hafenufer, wo mich ein alter Mann wohlmeinend bedient. Ich gehe einen kilometerweiten Bogen nordwärts in die Wohnviertel. Ganz nett, einige schöne, pflanzenreiche Ecken, aber nicht die Schönheit einiger Kykladendörfer, klar. Dafür kostet das Wasser am Kiosk hier noch weniger als im Zentrum des Geschehens.


Fahrt nach Alónnisos / Alónissos

Nimmt man um 08:30 Uhr früh die gute alte, nunmehr wunderschön renovierte, sehr dezent in einem Farbton zwischen hellbeige und gelb lackierte und auf Vordermann gebrachte Protéfs (= Protéas, dt. Proteus), eine alte Bekannte aus ihrer Dienstzeit zwischen Kos und Kastellórizo her, zahlt man für die Strecke Vólos – Patitíri (Alónnisos) zurzeit 25 Euro 70. Dafür genießt man eine schöne, langsame Fahrt durch den Pagasitischen Golf mit Blick auf den Haken des Pílio und die vorgelagerte Insel Palió Tríkeri wie auch das westliche, erstaunlich hoch aufragende Küstengebirge mit seinem markanten Bergkegel.
Hoch über Vólos im Grün der Abhänge einige Bergdörfer in Steillage, da käme man zu Fuß ganz gewaltig ins Schwitzen – sieht natürlich grandios aus, wie die Richtung Stadt kaskadenartig herunterfallen.

Zuerst die West– dann die Südküste des Pílio, letztere schon ausgesprochen detailliert im Blick. Gleichzeitig ließen sich etwas weiter entfernt die Einfahrt in den Sund zwischen dem Festland und dem nördlichen Évvia (Euböa) sowie die Küstenregion von Évvia selbst ohne große Mühe ausmachen. Bei klarer Witterung reicht der Blick hinüber zu den diesen April noch verschneiten Flanken des Dhírfis–Bergstocks hinter der mittleren Nordküste Euböas.

Für mich ist es die Jungfernfahrt auf dieser Strecke und deshalb umso interessanter. Ich bin froh, die ganze Zeit an Deck mit all dieser wohltuenden frischen Fahrtluft stehen oder sitzen zu können und nicht im Inneren des schon bei etwas höherer Dünung Mega–Schwankers Flyingcat 6 für ein hübsches Sümmchen still vor mich hin zu leiden.

Schon tauchen backbord voraus die sanften, vollkommen grünen Hügel der Westhälfte der beliebten Ferien– und Badeinsel Skiáthos auf. Auf ihnen setzt sich die Waldbedeckung des Pílio ganz einfach fort.
Wie schnell das doch vorangeht, selbst auf einer lahmen Ente wie meiner Protéas mit ihren höchstens 14 Knoten Fahrgeschwindigkeit. Einfach, weil Skiáthos eine doch recht überschaubare, relativ kleine Insel ist, die allerkleinste der (vier größeren) Nördlichen Sporaden. Schon sind wir auf Höhe des Akrotíri Kalámi (auch Kalamáki genannt), früher bestimmt eine sehr schilfreiche Gegend, wenn man dem Namen vertrauen darf.
Steuerbord bereits die Tsougriá–Inseln, nur die eine recht groß und mit hell leuchtenden Stränden gesegnet, die andere ein Winzling. Auf Höhe der Stadt dann noch das kleinere Maragós und das größere Arkó ein Stückchen weiter draußen im Meer.

Skiáthos–Stadt ein hübscher Anblick. Ungewöhnlich ein die zentralen Stadtteile abschirmender, voll bebauter „Aussichtshügel“, darauf der bekannte Uhrturm des Ágios–Nikólaos–Kirchleins, ein Wahrzeichen der Insel. Alle Grazerinnen und Grazer werden freudig aufhorchen.
Was für ein intimes, von See aus doch recht klein und zierlich wirkendes Örtchen, und auch sein Hafen ist bescheiden dimensioniert. Weiter nördlich eine Marina. Wirkt alles sehr freundlich und friedlich und sogar angenehm ruhig, zu dieser Frühlingszeit im April. Mit dem Wetter habe ich Glück, es ist auch nicht zu kalt.
Da hinten muss der Flughafen „Aléxandros Papadhiamándis“ (ich schreib mal so, wie man es ausspricht) mit seiner relativ kurzen Piste von nur 1628 m Länge liegen, auf der dennoch etliche Jets aus den Herkunftsländern der Urlauber landen, wenn auch mit einem gewissen Restrisiko. Eine bewaldete Halbinsel schließt die Flughafenbucht nach Osten hin ab.
Auch dieser Airport steht seit Kurzem unter der Kontrolle von Fraport (denen ich ans Herz lege, als Erstes die unverständliche, total verzerrt verstärkende Lautsprecheranlage erneuern zu lassen).

Das mit dem Entladen dauert, es sind ungewöhnlich viele LKWs und PKWs im Bauch des Schiffchens, die gerade hier wieder rauswollen. So schafft es das hübsche Fährschiff locker, gut 7 Stunden bis Alónnisos unterwegs zu sein.

Endlich ab nach Skópelos, der ebenfalls so immens grün erscheinenden größeren Sporade. Den Hafen Loutráki des bekannten Ortes Glóssa hoch darüber lassen wir einfach aus, wir steuern ums NW–Kap mit dem weißen Leuchtturm herum, am bekannten „Mamma–mia–Felsen“ mit dem Kirchlein drauf vorüber gleich der Hauptstadt der Nördlichen Sporaden entgegen. An einer Steilküste entlang, mit einigen kleineren Stränden und vereinzelten Urlauberhäuschen auf den Höhen.

Die Einfahrt in die weite Bucht ist schon ein Spektakel. Linker Hand das waldbestandene Paloúki–Bergland, als zentraler Blickfang die steil ansteigende Altstadt sehr einheitlich gebaut, an ihrem nördlichen Ende vom Ansatz der langen Außenmole aus bergauf die drei übereinander gestaffelten, von Fotos her allseits bekannten schönen Kirchen mit ihren grauen Dachziegeln und typischen zentralen Kuppeln. Nach Süd und Ost hin die große Fähren-Mole, die Neustadt, zu Füßen des Paloúki schließlich das moderne Hotelviertel.
Eine Gruppe junger Amerikanerinnen geht hier an Land.

Auf nach Alónnisos! Wir schalten einen Gang zurück. Alles wird kleiner, entlegener, provinzieller.
Dicht an der unwirtlichen Küste des Paloúki–Berglands entlang geht es ebenso dicht an der Insel Ágios Geórgios und einer kleineren Schwester vorbei auf den Inbegriff von Entlegenheit und Ruhe zu, jedenfalls für Nördliche–Sporaden–Verhältnisse.
Schon jetzt zeigt sich der Häuserkranz um den Gipfel des Chóra–Aussichtshügels. Soll ja der schönste Ort weit und breit sein, wie man liest.
Die Insel selbst, das war schon von der Fahrt die Nordseite von Skópelos entlang zu sehen, ein sehr langgezogenes Gebilde, doch jetzt ist nur der äußerste Südteil erkennbar, wieder alles ziemlich grün.

Bald befinden wir uns vor der fast kreisrunden Hafenbucht von Patitíri, dem Hauptort. Einige km nach Nordost hin stellen sich die im Nachmittagslicht, bei schrägerer Sonneneinstrahlung, wirklich kräftig rot leuchtenden Klippen von Kokkinókastro quer zu unserer Fahrtrichtung. Sieht gut aus!
Der erste Anblick des Neubauortes Patitíri dagegen ist nicht eben berauschend. Besonders hässlich ein gelblich angemalter Hotelkasten etwas oberhalb an der linken Seite, also über dem Westende der Siedlung, der das Ganze noch weiter ins Negative runterzieht. Puuuh, da gibt es aber Schöneres stin Elládha!
Aber es handelt sich halt um Zweckbauten, hier ist wohl alles einfacher, bäuerlicher, ohne ästhetischen Anspruch – es geht ums Leben und Überleben, nicht um unbedingte Schönheit.
(Das kennen wir ja von vielen kretischen Orten auch.)

Trotzdem ein voll grüner Hinter– (der Wald daneben und darüber, auf den Höhen) und Vordergrund (der Kávos–Hügel – auf dem sollte ich dann auch wohnen).

Die Protéfs legt an, mittendrin zwischen den beiden Außenarmen des äußeren Fährenanlegers. Die Flyingcat 6 und die Erató (der alte Flying Dolphin) machen weiter drin, am landwärtigen Ende der Hafenbucht, am kleinen Anleger fest und übernachten dort in der Regel.
Gleich gegenüber das Häuschen des Hafen–Kafeníos, meine morgendliche Heimstatt bei sympathischen Wirtsleuten.


Auf Alónnisos

Patitíri

Außer mir verlassen nur Einheimische das Schiff. Kein Zimmervermieter auf Kundensuche am Kai.
Auf dem bewaldeten Kávos–Hügel gleich oberhalb des Anlegers ein Haus, das erste oder zweite einer Reihe, vom Balkon schauen einige Griechen runter. Also werde ich dorthin aufbrechen.
Es geht über Stufen hoch. Das Haus mit den Ausguckern ist zwar weiter oben eine (noch geschlossene) Pension, weiter unten aber das Reich der Hafenpolizei – das waren also die Zuschauer von oben.
Ich stell meinen Rucksack auf einer Sitzbank neben einem OTE–Telefon ab und steig die Stufen weiter hoch. Im Gebäude zur Linken höre ich Stimmen, Leute weißeln hier zu dritt oder viert. Ja, sie hätten ein Zimmer, wenn mir das Weißeln draußen nichts ausmache. Gleich wird die Frau des Hauses, Elisávet (man achte auf die Betonung, darauf legt sie sehr großen Wert), hergerufen. Die nette Anfangs– oder Mittvierzigerin gibt mir ein großes DoZi im ersten Stock (von der rückwärtigen Straße aus gesehen) bzw. im zweiten Stock vom hangparallelen Weg über der Hafenbucht aus betrachtet. Für angemessene 30,– Euro hab ich auch noch eine riesengroße eigene Terrasse (andere Zimmer haben lediglich kleine Balkone) mit Tisch und Stühlen und auskurbelbarer Markise gegen die Abendsonne zur Verfügung. Fernseher, Kühlschrank, 1 große Flasche Wasser etc. gehören zur Standardeinrichtung. So lässt es sich sehr gut aushalten im gar nicht so kleinen Familienhotel Kávos – es wird weiter angebaut. Zur Saison gäbe es da unten eine geräumige Frühstücksterrasse und eine eigene Rezeption. Was für ein toller Blick, sowohl auf die Hafenbucht bis zu ihrem Ende als auch Richtung Fährenanleger vor dieser Bucht. Ganz nach meinem Geschmack. Die Wirtsfamilie entschuldigt sich mehrmals für die Malerarbeiten, es ist ihnen wirklich peinlich, ihren Gast damit zu belästigen. Na, Hauptsache, mein Zimmer und der Gang davor sind bereits mit neuem Anstrich versehen.

Wenn man 7 Stunden auf einer Fähre geschaukelt und sich nur von einem Sandwich ernährt hat, stellt sich bald der Appetit ein. Ich geh also den hangparallelen Aussichtsweg an weiteren Unterkünften entlang, diese ganz ohne Gäste, bis der Weg sich senkt und einen Linkshaken zur Hauptstraße runter macht.
Was seh ich da schräg gegenüber!? Ein Ouzerí–Tavernchen! Es heißt Kamáki, ein sehr doppeldeutiger Name – zeugt von Ironie des Besitzers dieses Fischlokals („Harpune“) oder auch seiner Einstellung Touristinnen gegenüber. Kein Gast in Sicht, aber der Wirt unterhält sich mit einem Freund vor der speisenreichen Warmhaltetheke mit pampig aussehenden Gerichten. Ich brauch jetzt kein Mahl „tis óras“ (à la carte), die fertigen Sachen kommen mir gerade recht.
Es wird eine sehr positive Überraschung, der nachmittägliche Gästemangel ist eher Ausdruck der Mittellosigkeit vieler Einheimischer als ein Zeichen minderer Qualität.
Die kleinen, in scharfer Soße eingelegten Fischchen sind genau das, was mir in anderen Tavernen immer fehlt. Sie sind superlecker gewürzt und schmecken himmlisch.
Auch das Chtapódhi–Stifádho (das nicht nur mir geschmeckt hat) ist nicht zu verachten, wenn auch deutlich hochpreisiger und in meinem Fall schon ein wenig abgestanden. Der Wirt meint, alles mit Oktopus drin sei heutzutage in GR eben teuer – ganz anders als etwa Soupiés oder Kalamarákia. Ich erzähl ihm daraufhin von Inseln, wo auch der Krake noch bezahlbar ist und denke mir, man schneidet sich als Gastronom eben auch seine Scheibe vom Touristenkuchen ab, wenn schon kaum noch einheimische EsserInnen kommen.
(Mit Abstand am günstigsten isst man auf Kríti, das ist klar. Oder in Einheimischen–Kafenía in der südlichen Neustadt von Rhódos–Stadt, also weg vom Tourismus. Oder vielleicht in etlichen Einheimischen–Kafenía auch anderswo, wenn man es in der Landessprache versucht.)

Durch die beiden von der Hafenfront aus Richtung hintere bzw. obere Stadt wegführenden „Hauptstraßen“ und den dazwischen liegenden Hügel gliedert sich Patitíri auf natürliche Weise in zwei Großhälften. Die westliche dieser Straßen reicht tief hinein ins Land und steigt in Form einer Serpentine ganz hinten in den oberen Ortsteil an, um sich, an der Kirche vorbeilaufend, am nordöstlichen Ortsende mit der anderen Hauptstraße zu vereinigen, wo es dann Richtung Alte Chóra bzw. Vótsi und dem nordwestlichen Inselinneren weitergeht. An den Straßenkreuzungen da oben befinden sich viele Geschäfte, beispielsweise zwei Supermärkte und eine beliebte Bäckerei, in der ich auch mal die ziemlich süße Bougátsa probiere.
Etwas weiter hangab das moderne Dhimarchío und das Health Center der Insel. Über eine ruhige Nebenstraße am Rathaus und dem Jimnásio–Líkio der Insel vorbei trotte ich des Öfteren zu meiner Unterkunft zurück. In dieser im April äußerst friedlichen Ecke gibt es einige hübsche Hotels, die sich mit vielen Hotel–Buchungs–Portal–Punkten brüsten.

Unten am inneren Hafen um den kleineren Anleger und Übernachtungsplatz für die Erató und den Flyingcat 6 gruppieren sich die meisten Lokale und Cafés des Städtchens. Es sollte sich ergeben, dass ich kleines von ihnen besuche, denn ich bin mit anderen sehr zufrieden.

Einige der Hafen–Cafés und –Restaurants sind abends ganz gut frequentiert. Recht schnell erkennt man die ausländischen Häuslebesitzer, die sich das eigene Kochen ersparen möchten. Alle beliebteren Essensstätten sind abwechselnd mal besser, mal weniger gut oder gar nicht besucht – ein seltsamer Zufallsrhythmus.
Sämtliche Lokale ganz im Westen der Bucht sind im April noch zugesperrt, das einzig geöffnete Restaurant auf dieser Straßenseite gleich am Beginn der westlichen Hauptstraße ist das „Archipélagos“, sein Hauptkonkurrent jenseits der Straße das „Tzitzifiá“. Dann folgen noch eine meist gut besuchte Mischung aus Ouzerí und Café und ein anderes Café mit relativ vielen Gästen. Die anderen haben es schwer, es herrscht ein Überangebot zu dieser vortouristischen Jahreszeit. Wäre es nicht die Osterwoche mit etlichen Familientreffs und Vorfreude auf das Fest, sähe man in den Lokalen bestimmt viel weniger Leute.
Oben auf dem Kávos–Hügel hat übrigens kein Aussichts–Restaurant im April geöffnet.

Aber unten am äußeren Fährenanleger, wo alles reinkommt, was die Insel so braucht und sich an bestimmten Tagen tonnenweise stapelt, bis es stundenlang auf LKWs und Lieferwagen verladen wird.
Da liegt ein täglich (wohl auch die Wintermonate) geöffnetes kleines Hafen–Café, das ich bald sehr schätze. Der Treff aller Neugierigen, Rentner wie Motorrad–Protzer oder LKW–Fahrer, ebenso der inselansässigen Albaner. Man möchte alle Fährenankünfte miterleben, alle Beladungsvorgänge, und es ist einfach auch ein Treffpunkt für viele Einheimische, weil man sich an diesem Plätzchen wohlfühlt.
Vormittags bedient eine jüngere, unaufdringlich nette, charmante dünne Frau aus Saloníki, die sich hier zusammen mit ihrem Nachmittags– und Abendpartner ihren Lebensunterhalt erwirtschaftet. In Saloníki hätte sie einfach keine Arbeit gefunden, hier auf Alónnisos sei sie ganz zufrieden.
Mein bevorzugter Frühstücksplatz, das heißt aber nicht, dass ich abends nicht auch vorbeischaue.

Während ich das jetzt alles schreibe, überkommt mich eine große, unwiderstehliche Lust, die Insel wieder mal aufzusuchen, obwohl mir auf Anhieb ihre beiden westlichen Nachbarn besser gefallen haben.
Alónnisos ist zumindest „nicht ohne“, bei all seinen durch Schneebruch stark geschädigten Wäldern. Im Januar 2017 hatten sie hier 1 m Neuschnee (!). Wälder, deren Kiefern–Anteil (es gibt nirgends „Pinien“, der MM–Verlags–Autor hat sich hier mit den Begriffen vertan) durch einen tierischen Schädling, irgendeinen „…..–Spinner“ obendrein noch dezimiert wird.
Man erkennt die befallenen Kiefern an den dicken weißlichen Wulsten an ihrer Rinde, an den schwarz gefärbten Stämmen – man ist verleitet, zunächst an einen Waldbrand zu denken – und den zum Teil bereits abgestorbenen Baumkronen. Ich denke da sofort an die Sfakiá im Südwesten Kretas, wo um Anópoli herum und westwärts seit vielen Jahren dasselbe Insekt sein Unwesen treibt.
Leider habe ich auch auf Skópelos viele bereits befallene Kiefern gesehen ... .
Nein, der Inselbus, brav beim Rathaus geparkt, fährt wohl erst so irgendwann im Juni oder gar Juli, teilt mit eine Rathausangestellte mit. Und ich komme im April !!!
Machen wir halt das Beste draus. Ein Auto werde ich mir jedenfalls nicht mieten. Die Mietwagen sind alle noch brav in Reih und Glied in Höfen und Gärten versteckt, ist ja noch lange hin, bis man sie braucht. Und die Taxifahrer werden bei mir auch leer ausgehen. Ich hab vor, alles zu Fuß zu machen.

Alles zu Fuß. Also gleich mal raufgefragt Richtung Paliá Chóra. Ich sei schon auf der falschen Ortsseite, der Monopáti viel weiter drüben. Egal, dann eben auf dem nächsten Weg durch die Nebensträßchen und oberen Wohnquartiere. Bald trifft mein Weg auf die breite Teerstraße, die ich noch etwa 2 km zu gehen habe. Schöne Aussicht. Herrliche Pflanzen zu beiden Seiten. Kaum Autoverkehr. So kann ich mich gut „eingehen“ für künftige, längere Strecken.
Nicht mehr weit, die alte Chóra. Ich geh ein paar Schritte rein zu einem Plateau mit einem hübschen Ekklisáki, davor bereits eine weite Aussicht hinunter zu einer Bucht und über die Insel hinaus.
An dieser Stelle biegt eine weitere Teerstraße ab hin zu Bergeshöhen über der Westküste.
Jetzt noch ein Anstieg, einige hundert Meter vor der Ortschaft zweigt der alte Weg schräg von der Straße zum Hafenort hinunter ab – den werde ich zurückgehen.


Sti Paliá Chóra

Nun das „Neubauviertel“ der alten Chóra, sozusagen ihr unterer Teil. Autos mit Kennzeichen GB, auch eins oder zwei aus Norddeutschland. Sind also schon Touristen hier, allerdings solche, die sich hier länger eingemietet oder ein Haus erworben haben.
Der Parkplatz mit dem kleinen Park und einem OTE–Telefon, wo gerade ein Engländer telefoniert – einer von zweien, die ich in dieser oberen Chóra treffen sollte. Sonst nur mehr einige Bauarbeiter, ebenfalls hier unten beim Ortseingang.

Ich steige die Hauptgasse ins Kástro–Viertel hinauf, vorbei an einem Denkmal am „Platz des Widerstands“. Kleine Platías, zahlreiche Restaurants und Geschäfte säumen die Hauptgasse, eigentlich irre viele, fast jedes zweite Haus beherbergt so eine Geldbeschaffungsmaschine – leider alle zu. Ein Geisterdorf ist das. Im Hochsommer sollen hier um die 1.000 Leute wohnen (wenn’s stimmt), die meisten haben sich ein eigenes Häuschen gekauft und renovieren lassen, und es gibt natürlich auch viele mietbare Zimmer oder Häuser für KurzzeiturlauberInnen.

Aber halt ein abweisendes Geisterdorf, jetzt im April und zu allen Zeiten, da keine Touristen auf der Insel sind. Beklemmend leblos, schlichtweg tot. Man ist bald geneigt zu glauben: Ein hochsommerlicher und frühherbstlicher Touri–Fake – man gaukelt ihnen gekonnt den perfekten, den tollsten Aussichtsort vor. Das geht aber höchstens über vier Monate.
Ich steige durch zahllose pittoreske, enge und völlig autofreie Seitengässchen, Treppenwege, Panorama–Plätze, habe Einblick in tolle Mini–Gärtchen, auf wunderschöne Aussichtsterrassen, viele Gebäude wurden ausgesprochen hübsch und dezent restauriert.
Alle im Reiseführer empfohlenen Lokale sind verwaist, verhaute alte Möbelstücke auf im Juli/August so gut besuchten und schnell Geld bringenden Tavernenflächen mit teils super Aussicht auf kleinere und größere Inseln bis hinüber nach Évvia. Skíros liegt die ganze Zeit im Dunst, ich hab es nie und von keiner Insel aus gesehen.
Irgendwo kauert ein einsamer, langhaariger alter Engländer vor seinem Haus und versichert mir, dass hier oben wirklich nichts geöffnet habe. Da täuscht er sich aber, denn unten, ganz dicht über dem Park und Parkplatz mit der Bushaltestelle (ohne Busverkehr), seh ich tatsächlich eine offen stehende Kafenío–Tür – nur keine Gäste drin. Da ist abends vielleicht ein bisschen was los. Aber die richtige (immer noch eher bescheidene) Sause geht auch abends um den vergleichsweise geradezu vor Leben strotzenden Hafen herum ab. Das Leben ereignet sich unten in Patitíri. Hier oben würde ich echt seelisch verkümmern, müsste ich da zusammen mit vielleicht 10 oder 15 mehr oder weniger bereits im Frühjahr ansässigen Ausländern meine Tage verbringen. Trotz Internet. Brrrrrrrrrrr!
Schnell weg!!!

Was für eine Freude, den alten Fußweg hinunterzugehen! Durch Grün und „blühende Landschaften“ (Zitat H. Kohl). Die obere Partie fast ländlich, ein Gehöft mit Mauleseln, einer flüchtet aus meinem Weg. Der Bauer schaut mir ungläubig hinterher.
Der erste umgestürzte Baum, seine Krone versperrt den Weg, ich schlüpfe seitlich durch und merke nicht, dass meine Haare, mein Tagesrucksack und mein Rücken vollkommen mit gelbem Blütenstaub eingepudert sind. Da werden sich einige Leute was gedacht haben bei meinem Anblick.

Mein Weg quert ein Sträßchen, ein aus seiner Bodenverankerung herausgehobener Wegweiser zeigt diese Straße nach rechts entlang. Absolut die falsche Richtung, das spürt man. Ja, ein paar Meter weiter links setzt sich der Fußweg fort, eben da, wo der entwurzelte Wegweiser (eher: Missweiser) herumsteht.
Man gelangt weiter unten in einen kühlen, schattenreichen Bachgrund, der Pfad stellenweise etwas verkommen und nicht gerade gut gepflegt, teils weitere Hindernisse.
Endlich mehr Häuser, das ist bereits der Ortsrand von Patitíri. Man kommt schließlich weit hinten im Ort, einer fast noch hausfreien Gegend, in Nähe der Serpentine auf die westliche der beiden „Hauptstraßen“. Etwas weiter hafenwärts eine Tankstelle, unweit davon das Haus eines Ausländers aus unseren Breiten, der mag es zentrumsnah, verzichtet auf weite Ausblicke und bekommt gerade Besuch von Landsleuten.

Rechts ein kleiner Supermarkt mit zwei Frauen als Personal. Hier kaufe ich schon mal Obst und Getränke und werde, kaum bin ich wieder draußen, sicher von den beiden ausgelacht, so gelbbestäubt wie ich aussehe. Zum Glück merke ich es endlich, beim Verstauen meiner Einkäufe vor dem Laden. Notdürftige Trockensäuberung.
Nun kommt wieder die Zone mit den kleineren Cafés, echt winzigen, die auch was vom Touristenstrom abfangen wollen, einer Konditorei usw. Rechts geht die kaum als solche identifizierbare Straße nach Marpoúnda ab – wenn man sie wie ich (abends) wandert, kommt man wieder in Waldbereiche mit vielen allmählich absterbenden Kiefern, in der Gegend des verlassenen, ziemlich groß wirkenden Campingplatzes.

Ach wie schön, dass ich in Patitíri wohne, und nicht in der Paliá Chóra! Man fühlt sich, hier unten angekommen, wie befreit, wie erlöst von einer großen Melancholie.
Wie ich mich freue auf ein Bierchen in meinem Hafen–Café!


Zu Fuß zu den „Heiligen Geldlosen“ (stous Ajíous Anarjírous)

Wenn ein Arzt oder Apotheker kein Geld von seinen armen Patienten nimmt, bleibt er relativ geldlos, klar (– oder er holt sich sein Geld von den Reichen).
Aber es gibt halt so was wie Nächstenliebe. Kosmás und Damianós, die alten Syrer, haben sie gelebt.
Ein altes und ein viel neueres ihnen geweihtes Kirchlein stehen in braver Zwei– und ausgesprochener Einsamkeit an einem idyllischen Aussichtspunkt über der südlichen Westküste von Alónnisos. Manche InselbewohnerInnen, so auch meine dünne Kafenío–Bedienerin, finden diesen Ort einen der allerschönsten auf ihrer Insel. Wegen des weiten Blicks die Küste entlang und übers Meer hin zum Pílio.

Ich lege also den ersten großen Grundstein zum allgemeinen Inseltratsch. Eine kleine, etwas abgelegene Insel, umso mehr Tratsch über die Besucher. Über diesen allein reisenden (sehr schlimm!) deutschen Maláka, der den ganzen Weg zu Fuß gegangen ist (schlimm, aber nicht ganz so schlimm!). Alles zusammen genommen: Unglaublich! Unerhört!
Für mich ist die Weglänge ein Witz, das ist nichts, die paar Kilometer. OK, gut einmal um Donoússa rum vielleicht – und das ist für Donoussioten dann ein verdammt weiter Weg.

Bis dicht oberhalb von Vótsi gehe ich auf der Inselhauptstraße – wenig Verkehr, noch dazu am Morgen. Die ersten gehunwilligen, Zäune streichenden oder Eingangswege fegenden InsulanerInnen gucken mir skeptisch bis entgeistert nach.
Eine große Kurve, bald kommt die Stelle, wo es links abgeht.

Schon hier eine paradiesische Landschaft. Garten– und Olivenland, das schmale Teersträßchen lässt sich ungestört und schön gehen. Ein Genuss. Dann die Gabelung, den linken Weg nehmen. Man durchquert nun ziemlich heruntergekommene Waldbereiche mit viel Stapelholz, da wurde stellenweise kräftig abgeholzt. Ist zwar ein ungeteerter Waldweg, aber schön ist er nicht gerade. Bei einem Haus mit großem Garten dahinter ändert sich das. Die Erdstraße wird zum Wanderpfad und das Abenteuer beginnt.

Ein ungewolltes Abenteuer, ich hätte darauf verzichten können. An etwa vier Stellen komme ich erst mal nicht weiter. Mehrere umgestürzte Baumstämme an einer einzigen Stelle empfinde ich bald als kein großes Problem mehr, da kommt man schon irgendwie drüber oder durch. Den Weg blockierende Baumkronen stellen für mich allerdings ein ganz anderes Kaliber dar. Da kommt man nicht so ungeschoren davon. Wenn es nur ein paar Kratzer und Schürfwunden werden, ist das in Ordnung. Wenn es auf der Seite, wo man am ehesten noch durchkommt, steil bergab geht, ist das einfach gefährlich.
Ich hoffe für alle, die dieses Jahr noch auf eine ähnliche Wanderschaft gehen, dass irgendwelche Lohnsklaven (meist Albaner) demnächst genug Motorsägen in die Hand gedrückt bekommen, um für absehbare Zeit dort so aufzuräumen, dass es wieder ein kinderleicht begehbarer Fußweg wird. Zurzeit ist Alleingehen dort schon etwas riskant.
Aber ich hab’s geschafft, bin durchgekommen, weil ich’s unbedingt wollte.

Nur das neue Kirchlein war aufgesperrt, das viel interessantere alte dagegen solide verschlossen. Selbst für einen geübten Schlüsselfinder eine unlösbare Aufgabe – nichts zu machen.
Doch auch von außen beeindruckt der Steinbau mit dem grauen Plattendach und seiner gestauchten, etwas zu niedrig wirkenden Rundkuppel. Vielleicht ist er im Inneren gar nicht mehr so gut erhalten? Es handelt sich laut Reiseführer aber um die älteste Inselkirche.
Grandioser Blick von der ebenen Fläche vor den beiden Kirchen. Leider sind es schon zu viele neue Häuser, die da drüben an den Hängen über Megáli Ámmos in die Landschaft gestellt wurden.

Denselben Weg geh ich definitiv nicht zurück! Ich geh aber auch nicht den total zugewachsenen und mit Schneebruch verbarrikadierten Pfad (meine Anávassi–Karte von 2009 ist da nicht so aufschlussreich) zum Tourkonéri–Strand runter.
Nein, ich finde etwa 30 m den normalen Weg zurück zu meiner Linken einen erkennbar ausgetretenen anderen Pfad.
Der ist deutlich einfacher zu gehen als der normale, kürzeste Weg. Nur an einem Punkt im Wald kommt wieder ein großes Baumkronenereignis, das mir zu schaffen macht. Kurz darauf gehe ich oberhalb des Hauses mit großer, eingezäunter Gartenfläche am Zaun entlang. Wieder eine ausgedehnte, abgeholzte Lichtung. Nicht weit von hier mündet der Pfad in die von Tourkonéri und weiter hinten herkommende breite Erdstraße, die bald zur Asphaltautobahn ausartet – das hätte es hier aber nicht gebraucht.
Leider wieder irreführende, ausgegrabene Wegweiser, irgendwie noch lieblos hingeknallt, nicht unbedingt die richtige Richtung für die Wegalternative zu den Ag. Anarjírous anzeigend.
Da muss möglichst bald und noch vor Wandersaisonbeginn (das wäre ja schon diesen Mai) noch eine Menge getan werden. Ob man all die Aufräumarbeiten inkl. Wegtransport der kleingeschnittenen Baumriesen bis dahin schaffen wird? Bestimmt nicht.

Auf dem Rückweg komme ich der „Internationalen Akademie für Klassische Homöopathie“ (oder so in etwa) nahe. Passt irgendwie auf diese abgelegene, derart pflanzenreiche Insel.
Zuletzt noch ein kleiner Abstecher zu einem ausgeschilderten Brunnenhaus, „Méga Neró“, eine überdachte Rastfläche mit Tisch und Bänken gegenüber. Leider ist von dem kühlen Nass nichts mehr übrig. Alles restlos ausgetrocknet! Vielleicht für Bewässerungszwecke umgeleitet?

Vollends ungläubig und an der Menschheit verzweifelnd starrt das Einwohnertum von Vótsi dem eigenwilligen Fremdling, der so anders ist, entgegen und nach. Endlich Futter für die häufig ins abgrundtief Belanglose abgleitenden (stunden)langen Telefonate (z. B. auf Fährpassagen) mit Freundinnen und Freunden! Man sollte mir eigentlich dankbar sein.

Was mich betrifft, bin ich etwas enttäuscht. Ich hatte mir besser erhaltene Waldgebiete erwartet. Nicht derartige Folgen der riesigen Schneelast bzw. des Insektenbefalls. Nicht diese schlimme „Baumkrankheit“, speziell und ausschließlich der Kiefern. Und vor allem nicht diese verbarrikadierten, noch nicht wieder gesäuberten Wanderwege. Nicht gerade zuträglich für die kommende Touristensaison. Aber wie sollte man angesichts der Folgen des starken Schneefals auch alles in so kurzer Zeit bewältigen? Geht eben nicht.


Zu Großfuß 2.000 km nach Stení Vála – in ein paar Stunden!

Es gibt immer mehr Irre auf dieser Welt. Da kann man kaum was machen. Einfach mal zuhören. Wenn’s unerträglich wird: abschalten.

Mir tun nur die armen Griechen leid. Die können einem auch leidtun. Was die sich alles ansehen und später übers Smartphone oder per Zuruf eines Bekannten, kurz gebremst, Fenster auf, anhören müssen! Da kann die geschmähte Person auch ruhig gerade vorbeigehen und mithören.
Der verrückte Deutsche hat vorgestern im Hafen–Café ein Sandwich gefrühstückt. Dazu einen Nes mit viel Milch getrunken. Gespeist hat er wieder beim Vanggéli, wo sonst kaum einer hingeht. Er ist die ganze Strecke auf einem Umweg über die Asphaltstraße hochgelaufen in die alte Chóra, dann da oben eine Stunde ununterbrochen weitergelaufen und ohne Pause den ganzen langen, schwierigen Fußweg runtergestiefelt. Am Abend ist er dann, als sei’s nichts gewesen, wieder zweimal rund durch den ganzen Ort gelaufen. Hat der noch alle beisammen?!
Tags darauf ist er den ganzen Weg bis zu den zurzeit eh unerreichbaren Ájii–Anárjiri–Kirchlein zu Fuß gegangen, zurück einen noch viel weiteren, die Frau von dem einzeln stehenden Waldhaus mit dem Hund hat es gerade erzählt.
Alle wahnsinnig, aber so sind sie, die Deutschen. (Gut, dass wir anders sind, wir Griechen!)

Ich zieh ja schon meinen Kopf ein wie eine Schildkröte, wenn ich am Haus, wo der Zaun heute fertig gestrichen wird, vorbeikomme und bei der Frau, die morgens immer um die gleiche Zeit den Zugangsweg zu ihrer Bleibe kehrt. Wo der Deutsche nun schon wieder hingeht? Kein Michanáki gemietet, kein Taxi genommen, der Geizhals! Aber so sind sie eben, die Deutschen. (Gut, dass wir Griechen anders sind!)

Wenn man sich was Größeres vornimmt, zieht man’s eben durch, ohne lange zu überlegen. Ich wollte gerne wandern. Die Wanderwege sind häufig durch abgebrochene Bäume blockiert. Dann geh ich heute eben auf der Insel–Magistrale, der Hauptstraße, eh nur bis etwa zur Mitte der gesamten Insellänge, dorthin, wo’s in Spitzkehren nach Stení Vála ans Meer gegenüber der unbewohnten Nachbarinsel Peristéra runtergeht.
Hätte ein Insulaner angehalten, wär ich gleich hinter Vótsi auch mitgefahren. Es hat aber keiner angehalten, auch, weil ich da voller Tatendrang lieber noch ein Stück gehen wollte in dieser erfrischenden Landschaft mit der so guten Luft, an diesem bilderbuchschönen Sonnentag kurz vor sowohl unserem als auch dem orthodoxen Ostern.

Gebongt, Stení Vála ist zwar, wie jeder Alonníssiote weiß, annähernd 2.000 km von Patitíri entfernt, deshalb unmöglich zu Fuß erreichbar, aber aus meiner Perspektive betrachtet beginnt doch jede Reise mit dem ersten Schritt – nicht?
Ist der erst einmal getan, geht’s rasch weiter, voran, voran, im Sauseschritt dem zierlichen, petiten Ziel entgegen. Dort wartet auch schon Happi–Happi! Hab in Erfahrung gebracht, dass zumindest 1 Taverne in Betrieb ist.
Und zurück möchte ich trampen. Was??? Ich meine, zurück mach ich dann Autostopp – ehrlich!!!

Es ist eine schöne Straßenwanderung durch frühlingshaftes Land, die paar Autos stören nicht, höchstens die 4 oder 5 LKWs mit Baumaterial, die schweren Brummis, immer wieder die gleichen ziehen an mir vorbei oder kommen mir auf der Rückfahrt entgegen. Doch auf dieser Insel verliert sich der Verkehr insgesamt, dünnt außerhalb des Siedlungskonglomerats ganz im Süden schnell aus.

Ständig Abzweige zu irgendwelchen Stränden. Wasser zu kalt für ein Bad, deshalb nicht wichtig für mich, alle Strände zu sehen.
Hätte ich noch einen Tag auf Alónnisos eingeplant, würde ich evtl. nach Kokkinókastro wandern oder trampen, schon Kókkinos Vráchos zu Ehren, dem wanderfreudigen, energiegeladenen MM–Forschungsmitglied von der Waterkant. Aber der nimmt doch auch lieber einen fahrbaren Untersatz, wo’s eben geht bzw. wo ich jetzt gehe.
So also schau ich nur bei der besonders verzweigten Straßenstelle unweit von Tzórtzi Jalós kurz auf meiner Inselkarte nach, bemitleide die um den Abfallcontainer in freier Wildbahn herum lagernden, teils ins Unterholz flüchtenden Katzenelende, und weiter geht’s bergan.

Vielsagende, verständnislos grinsende Gesichter hinter so manchem Autofenster. Die Nachricht vom bald eintreffenden Spinner aus Jermanía eilt mir sozusagen per Eilboten voraus, und sie eilt gleichzeitig in entgegengesetzter Richtung dem Hauptort zu – ein perfektioniertes System der Nachrichtenübermittlung.

Erste Blicke hinüber zur hübschen Insel Peristéra, endlich. Dann das Wegstück zwischen westlichen Bergen und dem östlich der Straße liegenden Vígla.
Als ich mich gerade mental auf den Abstieg von der zentralen Inselstraße auf dem Abzweig tief hinunter zu meinem Ziel einstelle, bremst es neben mir. Eine ältere Dame möchte mich unaufgefordert mitnehmen. Sie weiß es längst, wohin mich meine Füße tragen sollen.
Hat eine Taverne unten geöffnet? Ja, eine einzige richtige Taverne, und die gehört meiner Transporteurin.
Wunderbare Ausblicke von den Serpentinen aus, der Nachbarort Ájios Pétros ist größer als ich es erwartet hatte, und Stení Vála selbst ein richtiges kleines Dorf – viel netter als man es zu hoffen wagt, wenn man sich an den nicht so aussagekräftigen Fotos in meinem Reiseführer orientiert.

Ein Bombenwetter heute, doch unser Gespräch verläuft eher traurig. Die Griechen blieben aus, könnten sich einen Ausflug in ein Restaurant immer seltener leisten. Sie rechne nicht einmal an Ostern mit bemerkenswert zahlreichen Besuchern in ihrer Taverne.
Es stehe schlimm um Elládha. Die Stimmung bei den Leuten sei miserabel. Der Großteil der jungen Leute ohne Arbeit und ohne Perspektive. Den Alten, den Rentnern, kürze man nicht jährlich (wie ich vorsichtig einwarf), sondern „monatlich“ die Rente. (Seitenbemerkung: Es steht jetzt gerade, nach Billigung der neuen Großkredite für GR, eine erneute beträchtliche Rentenkürzung ins Haus.) Dieser verdammte Euro habe GR ruiniert, man sei der Eurozone viel zu übereilt beigetreten, höre ich sie klagen.

Wir passieren im weißen Kleinwagen das neue Hotel ihrer Tochter, ab Mai würden hier Zimmer vermietet. Viele andere Neubauten, inkl. Hotels, am Ortsrand bzw. im Hinterland. Kein unbedingt schöner Anblick – der kleine Ortskern am Kai hat mehr Atmosphäre.
Unser Wagen wird ein gutes Stück oberhalb der Uferpromenade geparkt. Ich gehe an der Bushaltestelle vorbei, d. h. an dem „Busversprechen“ für den Hochsommer.
Nahe dieser Ecke liegt das Restaurant Tassía‘s Cooking mit seiner weitläufigen, überdachten Terrasse.
Man speist dort nicht schlecht, z. B. Kalamária. Tassias Mann ist gerade mit seinem Boot draußen auf Lobster–Fang, momentan sei Fangsaison für den Astakós. Ihre schlanke Tochter mit der coolen Frisur bedient.

Irgendwelche deutschsprachigen Mitteleuropäer treffen mit dem Auto ein, sogleich braust ein Schlauchboot heran und nimmt sie auf, zusammen mit einem gewaltig großen Alukarton mit Wein, so sagt es zumindest der Aufdruck (– oder ist da vielleicht Trinkwasser drin?), den sie wohl auf eine andere Insel mitnehmen – vielleicht Peristéra, vielleicht auch das fernere, aber von hier aus in Sichtweite gelegene Kirá Panajá mit seinem einsamen Kloster, im Sommer Ausflugsziel von Bootstouren.

Am Kai wäscht und glättet eine alte Frau von bilderbuchartigem Aussehen – „alte Griechin“ – mit Kopftuch und dunklem Gewand einen großen Kalmar oder dergleichen. Sie zeigt mir Tassías Taverne, wo man sehr gut esse, obwohl sie selber zur Nachbarkneipe gehöre, einer Mischung aus Café und Snackbar mit schöner Außensitzfläche. Die Eignerfamilie lächelt zu uns herüber.
Daneben dann ein schon jetzt, im April (und wohl das ganze Jahr über) geöffneter Mini Market – gut zu wissen. Dann käme noch eine Fischtaverne, die öffnet erst später im Jahr.
Am fernen Ende der Uferstraße beginnen ein Feldweg und ein Trampelpfad durch eine Art Garten oder kleines Wäldchen. Um die Ecke rum ein Kirchlein, daran vorbei weiter zum nahen Strand, der gar nicht so schlecht aussieht.

Ich könnte mir vorstellen, dass man es zusammen mit anderen Mitreisenden hier im Mai/Juni sehr gut aushalten kann – noch dazu, wenn man sich einen Leihwagen nimmt und den Aktionsradius an der Küste entlang bis hinauf nach Ájios Dimítrios erweitert – das könnte man auch locker zu Fuß bewältigen. Jetzt im April wäre es mir viel zu einsam, noch dazu als Einzelreisender.
Aber ich bleib dabei: Dieses Fischerörtchen hat was!

Beim Essen gesellt sich ein britisches Paar an einem Nebentisch dazu. So bin ich wenigstens nicht der einzige Geldbringer.
Und dann tauchen auch noch die 3 französisch sprechenden Neuankömmlinge mit ihren Mountainbikes auf, die sich gestern neben mir im „Kávos“ einquartiert haben. Ihre einzige Kleidung scheinen die Radler–Trikots zu sein, viel mehr haben sie nicht eingepackt.

Ich bin allerdings bereits am Aufbrechen, geh zur völlig unbefahrenen „Ausfallstraße“ (haha) hinter und nehme die erste Kurve bergauf.
Hinter mir plötzlich ein Autogeräusch. Was für ein Glück. Schnell den Daumen rausgestreckt!
Die Dame hält sofort an. Rechtssteuerung, ich nehme hinten im großen, nicht gerade billig aussehenden SUV Platz. Eine waschechte Britin, eher obere Mittelschicht (oder noch höher). Ihre Bedingung: Ich spreche doch zumindest Englisch, oder? Yes, of course, madam.
Die Lady hat ein Haus weiter nördlich bei Kalamákia oder Mourteró. Sie ist letzten Januar ausnahmsweise aus GB hergeflogen, um nach ihrem Haus zu schauen, ob das Dach möglicherweise vom Schnee eingedrückt wurde, wie der Garten aussehe. Der Schnee habe sich einen Meter hoch am Straßenrand aufgetürmt – unglaublich.
Ich habe also einen „lift“ bis Patitíri, wo ich an der oberen Kreuzung aussteige, da die Dame Freunde oben in der alten Chóra besucht.

Das war ein wirklich schöner Tag, wofür ich dem Schicksal danke. Und abends noch einmal auf ein Bier in mein inzwischen geliebtes Hafenkneipchen da draußen, ganz nah an meiner Unterkunft.


Auf der Mirtidiótissa nach Skópelos

Weil die „Mirtidiótissa“, die frühere „Ánemos“ von Nomicos Lines, die einst die weite Route von Thessaloníki bis Iráklio, Kreta mit Zwischenstopp auf Skiáthos befuhr, ein wenig eher eintrifft als die „Protéfs“, werde ich sie nehmen, kostet 5 Euro 30. Abfahrt – immer, wenn es nicht gerade stürmt, wenigstens auf 5 Minuten genau – um 15:45 Uhr.
Die beiden Schnellboote wären nach ihrer „Übernachtung“ in Patitíri kurz hintereinander (sehr) frühmorgens losgefahren – das muss diesmal nicht sein.

Dann hab ich noch ausgiebig Zeit für den Ort selbst, keine weiteren Ausflüge. Auch die ziemlich verbauten Nachbarbuchten Rousoúm Jalós und Vótsi lasse ich gerne aus.

Karfreitag (Megáli Paraskjeví). Es herrscht eine aufgekratzte Stimmung, man freut sich über die angereisten bzw. auf die noch eintreffenden Verwandten.
Nachmittags schau ich mir noch einmal den fertiggestellten Epitáphios in der Hauptkirche im oberen Ortsteil an. Den Abend werde ich bereits in Skópelos–Stadt verbringen.
Noch einmal die leckeren, scharf gewürzten Fische im Kamáki. Eine ganz große Portion diesmal, der Schnitt von um die oder besser ein bisschen über 20,– Euro muss irgendwie erreicht werden, und das ohne Beilagen, außer Brot. Aber wo sonst krieg ich noch so was Köstliches?

Vom meiner Zimmerwirtin, Elisávet, bekomme ich als Abschiedsgeschenk eine Klarsichtpackung mit inseltypischen Gebäck, viel Puderzucker drauf, von der Frauenkooperative „IKOS“. Das hab ich kurz vorher auch in den Händen der drei Franzosen (Belgier, französischsprachigen Schweizer, …) gesichtet – kriegt also jeder Gast beim Bezahlen.

Am Ende ein Abschiedsbesuch im Hafen-Kafenío Jeder Abschied tut weh.

Die Mirtidiótissa legt nicht wie die Protéfs/Protéas im Bereich der großen Parkfläche vor dem Anleger an, nein, sie braucht eine Extrawurst. Für sie muss man sich nach ganz draußen auf die östliche Anlege-Mole bemühen. Dafür ist sie pünktlich wie eine Blue Star Fähre. Man empfängt mich sehr freundlich, ist bemüht mir zu helfen, damit ich mit meinem schweren Rucksack nicht über die tückischen Mini-Schwellen im Eingangsbereich stolpere. Irgendwie hab ich den Eindruck, die Crew fühlt sich jener der „provinziellen“ kleineren Protéfs schon gewaltig überlegen, auf ihrem ehemaligen Ägäis-Durchquerer von ganz Nord nach ganz Süd.

Dauert nicht lange, die Überfahrt. Ein letzter Blick hoch zur leblosen oberen Chóra – sieht nicht schlecht aus, aus der Distanz. Wie auch die lange Inselflanke, die sich wieder erst viel später zeigt.
Besser Blick voraus! Auf dem oberen Achterdeck steh ich zusammen mit einer sehr gut gekleideten jungen griechischen Familie und staune dem Paloúki-Bergland und der Einfahrt in die Bucht der Hauptstadt entgegen. Schon schön, natürlich eine viel schönere Stadt als etwa Patitíri, wenn auch nicht so intim.

Skópelos