Teil 2: Chaniá eines Oktobersonntagabends
Copyright puchheim = MartinPUC, Dezember 2009


Beim Verlassen des Schiffes in Heraklion nach unserer Rückkunft von Kárpathos setzt sogleich wieder ein Wolkenbruch ein – und was für einer!
Die Taxifahrer wittern ein gutes Geschäft, doch bei uns ist nichts zu holen – das schaffen wir auch so zu Fuß, zugegebenermaßen sehr nassen Fußes.
Gut, dass das längliche flache Gebäude, in dem sich früher ein Café befand und das an seinem Nordende mit Schifffahrtsbüros bestückt ist, nur etwa 300 m von unserer Fähre entfernt liegt. Dort suchen wir vorübergehend Schutz vor der nassen Himmelsentladung.

Sinnlos, lange zu warten. Weiter durch den Regen. Tiefe, riesengroße Lachen, wahre Seen sind zu durchwaten, auf unserem Weg über die weite Teerfläche bis zum Ausgangstor der Hafeneinfahrt. Und es prasselt munter weiter auf uns herunter. Die LKW–Waage eine Seenlandschaft, in die unsere Schuhe eintauchen. Einfach rüber über die große Kreuzung vor dem Hafentor, ein wenig Drängeln beeindruckt die PKW–Fahrer, die ein Einsehen mit uns haben. Noch weitere 300 m sind es bis zum Hafenbusbahnhof. Endlich da, im Trockenen!
Bei den Busfahrern herrscht helle Aufregung. Man befürchtet selbst auf den Hauptstrecken die Nordküste entlang auf die Fahrbahn gespülte Steinbrocken.

Wir fahren zwar um 18:30 Uhr Richtung Chaniá ab, aber es geht nicht nur wie gewohnt zäh aus der Stadt hinaus, sondern draußen auch in gemächlichem Tempo weiter. In dieser völligen Dunkelheit und bei den immer wieder auflebenden Starkregenschauern geht unser junger Fahrer keinerlei Risiko ein, trotz der ständigen Funkkontakte mit den dieselbe Strecke befahrenden Kollegen. So tastet er sich eben im 50–60–Stundenkilometer–Tempo durch die Finsternis. Zumindest bis Balí ist selbst die New Road ja ziemlich kurvig, und mit weißen Mittelstreifen ist es leider nicht immer zum Besten bestellt.

Als wir in Réthimno einfahren, schüttet es wieder so stark, dass die Straße stellenweise überschwemmt ist, die Räder durch aufgestaute tiefe Lachen patschen. Es scheint so, als führen wir dem Gewitter nach. Die schweren Wasser trommeln auf unser Gefährt, die Scheibenwischer arbeiten auf Hochtouren. Kurze Pause am Busbahnhof.

Irgendwann biegen wir nach Soúda hinunter, laden einige Leute direkt vor dem in Kürze abfahrenden ANEK–Fährschiff ab (es war wohl die neue und moderne Éliros), das sich in ihrer Beleuchtung erhaben aus dem Dunkel heraus abhebt.
Zwanzig Minuten später sind wir auf dem Karree des Busbahnhofs mitten in Chaniá angelangt.
Zum Glück sind wir nirgendwo in Steinschlaghaufen gefahren, nirgends in irgendwelchen Fluten versunken, haben alle Gefahren heil überwunden.

Obwohl es preisgünstigere Unterkünfte in der Stadt gibt, hab ich wieder keine Lust, lange zu suchen und wende mich, gefolgt von den beiden Frauen, dem nahe gelegenen und mir bereits bekannten Hotel Neféli zu.
Dort sitzt ein freundlicher jüngerer Herr am Empfang, der mich mit seinem leichten Akzent irgendwie an einen Russen erinnert. Eine der beiden kostenbewussten Begleiterinnen handelt den Zimmerpreis auf ein für das Hotel gerade noch erträgliches Maß herunter, was auch mir zugute kommt, denn auch ich zahle diesmal für mein als EZ genutztes Doppel immerhin 5 Euro weniger als im Mai. Ich hätte selber nicht gehandelt, aber weniger zu zahlen schadet bestimmt nicht.

Eine oder zwei Etagen des Hauses werden gerade umgebaut, aber wir kriegen auf meinen Wunsch hin doch zwei Zimmer in einem höheren Stockwerk über der Baustelle. Morgendlicher Blick vom Balkon auf die Berge garantiert. Und nächtlicher Blick auf den blinkenden Leuchtturm der Hafeneinfahrt.

Groß essen ist nicht mehr angesagt, aber Kleinigkeiten wären wir nicht abgeneigt. Zielsicher lenke ich unsere Schritte Richtung dieser einen kleinen Musikkneipe hinter dem alten Hafen. Ihr wisst schon, es ist die vom vergangenen Mai, es ist das Café Kríti! Was sonst sollte es auch sein. Es hat aufgehört zu regnen, tröpfelt nur mehr dann und wann.
Heute Abend heißt es natürlich drinnen Platz nehmen.

An den jüngeren Hauptsänger und Laoútospieler kann ich mich noch gut erinnern, er und einige seiner Freunde stellen auch jetzt das Hauptkontingent der Musikmacher. Das heißt, einige Sänger, aber nur ein Instrumentalist (und gleichzeitig Sänger). Zwei Einheimischen–Paréas sind zugegen, neben der Sängerclique. Später noch einige wenige weitere Touristen – nur ein Tisch.

Erst einmal eine Bestellung aufgeben. Die Mezé entpuppen sich als eine Art Salatplatte, aber meine Loukánika sind echte Überflieger: schwarze Riesenwürste mit köstlicher Senfbeilage (!). Später wird noch Rakí bestellt, klar, doch zunächst begnügen wir uns mit milderen Getränken und viel Wasser.
Ganz nett, ein wenig Stimmung kommt auf, aber die große Sause wird es nicht, zu wenig Leute sind zugegen. So verabschieden wir uns zu einer durchaus noch sozialen Zeit.

Den folgenden Morgen sind die Gipfel der Weißen Berge weiterhin in Wolken verborgen, doch ihre nördlichen Hänge zeigen sich ganz gut. Ich mag diesen Balkonblick südwärts durch die Gasse.

Eine wahre Großaktion, die Suche nach dem einzigen in der Innenstadt verbliebenen Postamt! Wir haben zuerst eine falsche Straße abgegangen, trotz aller Fragerei, und dann dauert es eben, bis wir fündig werden. Sogar über den Stadtpark mit seinem Minizoo sind wir hinausgelangt. Zurück geht es in kleinen Frageschritten, als sehr hilfreich erweist sich dabei ein Wachmann vor einer Bank, der unbedingt sein makelloses Deutsch loswerden will. Das verfluchte Postamt befindet sich in der Apokorónou–Straße, nahe der Einmündung der Kydoniás–Straße.
Die arme Frau wartet eine Ewigkeit, bis sie drankommt. Hatte keine Ahnung von der Notwendigkeit einer zu ziehenden Nummer. Stellt sich dann auch noch am falschen Schalter an. Wir anderen beiden verflüchtigen uns einstweilen in die nahe Markthalle, nehmen die Mischung aus Alt und ganz Neu wahr.

Nach Ankunft der glücklosen Postamtbesucherin kann ich mich endlich abseilen, zurückziehen, meine eigenen Wege gehen.
Sie führen mich durchs Gassengewirr zum Hafen, und ich guck von der Schanzenhöhe wieder in Richtung Akrotíri.

Später finde ich mich wie gewohnt zum Mittagsmahl bei den Vounáki–Brüdern im Busbahnhof ein und lass es mir schmecken. Die Schwärmerei spare ich mir diesmal – siehe frühere Ausführungen über Chaniá.
Wo mag nur der Pávlos sein, der Busfahrer aus Anópoli? Andere Gesichter erkenne ich wieder, doch seines fehlt.

Copyright puchheim = MartinPUC, Dezember 2009

Drei Tage Sfakiá