Zwei (nicht ganz freiwillige) herbstliche Wochen auf Kreta
Teil 2: Ierápetra: Besser als sein Ruf!

Copyright puchheim = MartinPUC, November 2011– Januar 2012


Weil ich meinen Wanderteleskopstab unten in Mátala vergessen habe, kann ich den Vormittagsbus nach Iráklio von meiner Wunschliste streichen. Es sollten also viereinhalb Tage in der Gegend werden.
Das Gepäck stelle ich in Soumbouljás ehemaligem Tavernen–Innenraum unter, nehme dann den Bus in die andere Richtung, meerwärts. Eine ganze Weile muss ich warten, bis gegen elf die Wirtsleute des Sunset eintreffen und mir das vergessene Trumm aushändigen.
Erst mit dem nächsten Bus, so um Mittag herum, komme ich ohne Umsteigen nach Iráklio, der kretischen Hauptstadt, die sich übrigens längst ohne „n“ am Schluss schreibt: Ηράκλειο.

Per Stadtbus von der Chanióporta runter zum Hafen–Busbahnhof, die Fahrt geht erst durch die Innenstadt, vorbei an der Ágios–Minás–Kathedrale und über den Eleftheriás–Platz.
Nichts zu machen mit Schiffen, weiß ich bereits von Paleológos Travel. Deshalb will ich mir einmal Ierápetra an der östlichen Südküste zu Gemüte führen, das bei vielen als das hässliche Entlein unter Kretas Städten gilt.

Am Busbahnhof von Ierápetra angekommen (die Busse fahren, die KTEL–Leute streiken nicht, der öffentliche Dienst zeigt sich gnädig!), geh ich gleich rein in den nun modernisierten Café–Teil und frag nach einer bestimmten Unterkunft. Gerne erklärt man mir den kürzesten Weg zur nicht weit entfernten Cretan Villa. Gleich die nächste Straßenecke direkt beim Busbahnhof rechts rein, über eine Querstraße rüber, bei der nächsten Querstraße links hinein, dann sind es nur mehr 50 m.
Mános, langhaarig, freakig und freundlich, sitzt in seiner kleinen dunklen Bürohöhle rechts vom Eingangsportal am PC – seine Lieblingsbeschäftigung. Er gibt mir ein Zimmer im EG für 35 Euro. Es ist geräumig, sauber, nur der Fernseher funktioniert nicht, auch die Klimaanlage lässt sich nur gegen Extra–Gebühr benutzen. Also wieder keine Nachrichten anschaubar! Großartige Aussicht ist auch nicht geboten. Nachts stören trotz der vorbeiführenden Gasse keine unangenehmen Geräusche. Die Lage des Domizils ist für mich ideal, nicht weit vom Stadtzentrum (5 – 10 Gehminuten, je nachdem, wo man hinwill). Also ein guter Tipp von Kreta–Klaus und anderen.

Dennoch werde ich nächstes Mal vielleicht ein Zimmer im Katerína am nordöstlichen Beginn der Uferpromenade nehmen, dessen sehr schmaler Eingang zwischen Souvenir–Verkaufsständen versteckt ist. Das inzwischen renovierte Haus bietet eine wundervolle Aussicht Richtung Afrikí (!). Als es noch etwas heruntergekommener war, im Frühjahr 1984, hab ich dort schon mal in einer schäbigen, zugigen Notunterkunft auf der Dachterrasse übernachtet, mich vor dem auf dem Boden herumliegenden Kondom geekelt. Der Besitzer, dem auch das Großhotel Petra Mare gehörte, konnte mir nur diese Auslagerung nach ganz oben vorschlagen, als ich abends von Mírtos her zurückkam, weil kein Zimmer frei geworden war.

Noch nie hatte ich Berührungsängste vor dieser Stadt. Heute finde ich sie echt interessant und gut geeignet für 2 oder 3 Üs in der Nebensaison. Nimmt man diese südlichste Stadt Europas als Ausgangspunkt für Exkursionen, lässt es sich hier gut längere Zeit aushalten.
Es ist ein von der Meerluft durchwehter Ort, von südlicher Sonne durchstrahlt – natürlich ist es gleichzeitig eine betriebsame Stadt, nicht nur ein Touristenort (das nur entlang der Strandpromenade), und deshalb darf man sich am lebhaften Autoverkehr durch einige Hauptverkehrsadern nicht stören.
Findet man sich damit ab und wählt man seine Unterkunft mit Bedacht und nach Möglichkeit Blick über die Weiten der Libyschen See und zusätzlich die Küste entlang, kriegt man ein echt interessantes, wenigstens tagsüber quirliges kretisches Städtchen geboten, einen „zentralen Ort“ mit allem Drum und Dran, vom Krankenhaus über eine Unzahl von Schulen, Geschäften und Tavernen bis hin zum Lidl–Discounter an der Ausfallstraße Richtung Pachiá Ámmos, dem nördlichen Endpunkt der schmalsten Taille Kretas.

Als besonders wohltuend empfinde ich die Altstadt am Südende des Stadtgebiets gegenüber dem Kastell und dem von einem weit ausholenden Molenhaken umklammerten großen Fischerhafen, in dem auch die Ausflugsboote nach Chríssi Zuflucht finden. Beim Frühstücks–Kaffee vor einer Konditorei schau ich auf das sehr hübsche Aféndis–Christós–Kirchlein. Von einem etwas erhöht gebauten Café über der Straße hätte man ebenfalls schöne Ausblicke, bis hinauf nach Mírtos und weiter zu den östlichen Asteroússia–Bergen.
Das enge Gassengewirr birgt einige weitere hübsche Kirchen, darunter eine Moschee, und zahllose nette kleine Ecken und Winkel, in denen die wirklich „kleinen“ Leute ihr Zuhause haben. Ein ganz anheimelndes, unverdorbenes Viertel.

Gerade diese kleinen Leute sind heutzutage natürlich die Loser in dem Sanierungs–Fake, der in erster Linie den ganz Großen und Wohlhabenden noch Besseres bringt, während den Armen, den nicht durch üppige landwirtschaftliche Subventionen oder einen Posten im öffentlichen Dienst Begünstigten, das letzte Hemd vom Leib gezogen wird.
Vergeblich sucht man in einer der grob geschätzt gut 100 Tavernen, die sich kilometerweit am östlichen Meeresufer bis zur Landspitze beim venezianischen Kastell hinziehen, nach den Habenichtsen.

Ich bin tatsächlich in schwierigen Zeiten in der Stadt, zu Zeiten eines Großstreiks, in denen jeder Grieche mit geschärftem Bewusstsein für alle Unannehmlichkeiten, die da noch kommen, seine abendliche Vólta antritt. An einem Tag streiken auch (fast) alle Ladenbesitzer, Kioske dagegen haben auf.
Abends wirkt auf mich ein Klima von echter Lähmung ein, einer Erschrockenheit und Erstarrung, des baldigen Rückzugs der Einheimischen wenn nicht gleich in ihre eigenen vier Wände, so doch in die besonders preisgünstigen einfacheren Cafés und Kafenía. Man schätzt es ansonsten nach wie vor, falls man es sich leisten kann, in Gesellschaft anderer auf mindestens zwei gleichzeitig laufenden Großbild–Fernsehern in irgendeinem mit dicken Plastikwänden als Kälte– und Windschutz eingeigelten Ufer–Café die aktuellen Horrornachrichten vom drohenden Staatsbankrott mit den neuen (angeblichen) Beleidigungen einer Merkel zu verfolgen.

Umso leerer zeigen sich all die wie an einer Schnur aufgereihten, trotzig weiterhin erleuchteten Tavernen – bei etlichen sind die Innenräume nur ganz schwach erhellt, dunkle Löcher mit einem verborgenen Küchen–Ende, die Gastterrassen jenseits der Straße dagegen voll beleuchtet. Teils bekannte, über die Jahre in Reiseführern empfohlene Gaststätten, jetzt völlig gästelos – wenn es hoch kommt, ein einziger Tisch mit Touris. Sicherlich, die Touristensaison ist fast vorbei, aber eine derartige Leere hätte ich nicht erwartet und bin ich auch von früher nicht gewohnt.
Vereinzelte Touristenpaare steigen unschlüssig und verunsichert angesichts ihrer Einsamkeit auf den Trottoirs herum, begutachten diese und jene zur öffentlichen Einsichtnahme ausliegende Speisekarte, beratschlagen sich: Wohin nur?
Selbst am späteren Abend hat lediglich das Gorgóna, ziemlich weit im Südwesten der Nahrungsmeile am Anfang eines Stadtstrandes mit Tamarisken gelegen, etwas mehr bzw. überhaupt Gäste, immerhin 8 bis 10 Tische sind besetzt, die meisten sogar mit Griechen. Es muss das Überfliegerlokal sein!
In dieser Gegend esse ich auch einmal, kehre bei einem Tavli spielenden Wirt ein, der sich fast demonstrativ wenig Zeit für mich nimmt, so mitten in der Partie. In einem Mezedhopolío oder Ouzerí bin ich gelandet. Die gegrillten Sardinen schmecken köstlich, aber mit ein paar anderen Gästen wäre mein Abendmahl doch wesentlich gemütlicher ausgefallen. Macht nichts, dass der uninteressierte, sichtlich erwartungslose Wirt vom Typ „einfacher Kerl“ oder „Fisherman“ den bestellten Salatteller vergisst. Ein Teller Fischlein, dazu Brot, Wein und Wasser, nicht zu verachten! Hier ist außerdem eine kleinere Zeche nichts Unbekanntes.

Wird bestimmt wieder mal anders werden, besser, wenn die Russen und andere, neue Gästepotenziale auf den Geschmack eines Oktoberurlaubs an der Südküste Kretas gekommen sind, kann ich da nur hoffen. Es war auch kein Wochenende in meinem Beobachtungszeitraum. Wer geht schließlich unter der Woche aus? Es sind Euro–Zeiten, da ist das Geld nur mehr die Hälfte wert! Man schaltet um auf Sparflamme. Wenn man Grieche ist, hat man zudem eh ein Drittel weniger vom Gehalt als noch vor Kurzem. Oder gar keins mehr. Und was da nicht noch so alles kommen mag, se lígo ...

Aber wir sind doch Touristen, wir können uns noch was leisten. Zumindest das Wegfahren zwei– oder drei– oder viermal (fünfmal) im Jahr. Grund genug für viele, uns darum zu beneiden. Aaah, wenn nur dieser Arbeitsstress nicht wär! Burn–out at 45 > early retirement, Pension mit Weihnachtsgeld! > Hoffnung für GR, wir kommen!
Hab mal auf Kreta einen Frühpensionisten aus Österreich getroffen, der aus gesundheitlichen Gründen in Pension gehen musste. Was macht man da? Einen 6–wöchigen Tauch–Urlaub in Káto Rodhákino natürlich. Tu felix Austria – Hauptsache, das Geld ist da.
Will niemandem zu nahe treten, aber so eine Glückssituation würde nicht zuletzt ein durchschnittlich veranlagter Grieche ausnutzen – oder??? Nachtigall, ick hör dir trapsen.

Scherzle beiseite: Sehr sympathische Wiener liefen mir in Ierápetra noch einmal über den Weg, kurz nachdem wir uns in Mátala beim Mittagessen kennengelernt hatten. Fast hätten wir uns gegenseitig umgerannt, so zielgenau trafen wir uns, ganz ungeplant. Groß war sie, die Freude, denn so nette Leute trifft man gern.
Die beiden hatten sich, unlike me, im Katerína einquartiert, ein Prachtzimmer im obersten Stock bekommen, ein durchaus bezahlbares. Kein Wunder, dass sie länger bleiben wollten. Sie waren echt begeistert von der Stadt und ihren Ausflugsmöglichkeiten.
Klar, dass wir uns zusammen vor ein zumindest drinnen leidlich gut besuchtes Ouzerí setzten und ausgiebig zechten!

Anderntags ein Morgenspaziergang Richtung Ostende der Stadt. Der meeresnahe Teil des Viertels scheint aus lauter Schulen zu bestehen. Selbst der üppig dimensionierte Sportplatz mit dem länglichen Bau in der Mitte wird gerade genutzt. Einige dicke Möpse absolvieren den 50–Meter–Lauf so gemütlich, dass sich ihr Lehrer zu der Äußerung veranlasst sieht: „Ihr seid ja gar nicht gelaufen!“.
Der Großkasten des Hotel Pétra Máre sieht in seiner verwelkten Betonarchitektur inzwischen recht mitgenommen aus. Unvorstellbar, dass etwa ein Royal hier absteigen würde. Eine Jeep–Safari formiert sich soeben. Ich drücke mich eine Weile an der unendlich langen, unschönen Mauer die Ausfallstraße entlang, bis ich doch umkehre und den Durchlass an der westlichen Hotel–Schmalseite dazu nutze, zu einem steinigen Strand und zur dort beginnenden städtischen Uferpromenade zu gelangen.

Ganz auffallend der riesige Komplex des Pfarrgemeindehauses und Bischofssitzes der Diözese Ierápetra und Sitía, wenn ich mich richtig an die große Aufschrift erinnere. Zwei Kirchen, eine große und eine kleine, gehören ebenfalls dazu. Was für eine tolle Aussicht die geistlichen Herren und ihre Zöglinge von hier aus doch genießen mögen.

An verlassenen großkieseligen Stränden, an einer altmodischen Café–Zeile mit Schülern drin (schwänzen die???), an Sitzbänken und Strandbäumen entlang nähere ich mich wieder der inneren Stadt. Einmal passiere ich das Nachtlager eines armen Stadtstreichers. Ein einzelner Radfahrer rastet auf einer Bank. Dann wieder der große Sportplatz mit Tartan–Laufbahn, auf der sich eine Lehrerin ihrem Jogging widmet. Noch eine Runde zum und um das örtliche Krankenhaus herum, nicht weit von der Busstation. Eine für die Stadt bestimmt sehr wichtige medizinische Institution, die von der Schließung bedroht ist. Randlich, aber noch auf dem Klinikgelände, die übliche Kapelle mit Fahne davor.


Ein paar Stunden Mírtos

Später steht ein Ausflug nach Mírtos auf meinem Programm. Er reißt mich, ehrlich gesagt, nicht gerade von den Socken. Ich hätte länger dortbleiben sollen, denn erst abends entwickelt sich die einzigartig schöne Stimmung.

Am Busbahnhof herrscht eine unaufhörliche Schülerschwemme. Legionen von Bussen bringen die von den Qualen der Klassenzimmer und Leibesertüchtigung Befreiten in ihre Dörfer zurück.
Mein Bus ist übervoll, einige Schüler müssen auf der Strecke sogar wieder raus, weil sie sich trotz ausgesprochener Warnungen in den falschen, aber für sie noch akzeptablen Transporter geschmuggelt haben.

Irgendwann um die Mittagsruhezeit treffe ich in dem netten Touriörtchen ein, nachdem mir die inzwischen gut ausgebaute, verbreiterte Küstenstraße dorthin aufgefallen war – sehr angenehm, dass die Baustellen endlich der Vergangenheit angehören. Es handelt sich sowieso um eine unter ästhetischen Gesichtspunkten nicht eben unproblematische, also hässliche Aneinanderreihung von staubigen Tomaten– und Gurkenbauernsiedlungen. Da hilft nur der Blick darüber hinweg in die gezackte Bergwelt um Anatolí oder rüber zur Küste, die auch erst näher bei Mírtos an Schönheit gewinnt.

Die Bushaltestelle wurde längst ans östliche Dorfende verlegt, nahe dem Hotel Esperídes.
Man betritt das in den Mittagsschlaf versunkene hübsche Dorf jetzt von einer ungewohnten Seite (als alter Mírtos–Freak), kommt nicht einmal mehr an Dhéspinas Billigunterkunft vorbei, keine herrlichen Zierbäume leuchten einem mit ihren exotischen Blüten auf dem langen Weg ins Zentrum von links und rechts mehr entgegen.
Nein, jetzt ist man schneller drin im Geschehen, nun zeigt sich nach wenigen Schritten die Abfolge zweier Souvenirläden gegenüber dem Eck–Café Plátanos, das wie andere in den Dornröschenschlaf gedriftet ist, vielleicht abends wachgeküsst wird – nicht von mir, da bin ich wieder weg.

Als ich fast beim Mírtos Hotel angelangt bin, mich über den noch geöffneten Kiosk freue, sehe ich gerade noch den Manólis Petsagourákis auf dem Moped wegfahren, er freut sich sicher auf die lange Pause. Ein sehr selbstsicherer junger Albaner oder Bulgare hat sogleich übernommen, bringt mir mit heiterer Miene mein Getränk.
Wieder einmal an dieser legendären Engstelle sitzen, auf dem schmalen Betonsims vor der Hoteltaverne, an einem der Straßentische zwischen Kiosk und Hauptkreuzung. Ein strategisch günstiger Ort!
Ältere Engländer treffen sich, scheinen bald abzureisen. Mirtos ist im Juni nicht mehr hauptsächlich in deutscher Hand, war schon immer eine Hochburg der Holländer. Deshalb auch das Plakat mit einer vielköpfigen holländischen Musikgruppe drauf, die kretische und griechische Weisen intoniert.

Ich dreh meine Runden, auch übers Westende der Siedlung hinaus und bis zum Ostende der Uferpromenade (wo doch einige Leute speisen) zum kleinen neuen „Hafen“, dann hoch zu Susannas Pension, der grün umrankten, zugewachsenen. Nirgends begegnen mir merklich viele Passanten. Dafür klingen Lyratöne aus irgendeinem Garten mittendrin, so angenehme, wohltuende Laute.
Still liegt er da, der überhöhte eingesäumte viereckige Platz bei der alten kleinen Ortskirche und dem Museum. Nur ein einziger Tourist auf einem nahen Balkon. Eine Katze sucht nach Essbarem.
Das Katerína, die allseits beliebte Taverne, hat erst abends geöffnet. Der Winzkiosk daneben hat wohl für immer geschlossen, wenn er nicht doch des Abends aufgeklappt wird.

Nach einem kleinen Mittagessen vor dem Mirtos Hotel begeb ich mich auf Kaffee und später noch mehr zu einer meiner Lieblingsecken gegenüber dem Katerina, nahe dem Metzgerlädchen und der Telefonkabine. Das Vorzeige–Kafenío I Ermióni (Tochter des Menélaos und der Hélena!) mit seinen gemütlichen Straßentischen wird im aktuellen „Fohrer“ (18. Auflage 2009) seltsamerweise gar nicht mehr erwähnt. Die Frau sitzt immer noch in stoischer Ruhe drin, in unaufdringlicher Wartepose wie eh und je, scheint kaum gealtert und wirkt so, als erkenne sie mich wieder. Ein paar wunderschöne Maulbeerbäume mit ihren dunkelgrün glänzenden Blattriesen stehen nach wie vor in einer Geraden, schier unverwüstlich – wie oft ich sie schon arg gestutzt gesehen habe! An der nahen Kreuzung nun ein Ungetüm von modernem Supermarkt, ein Stück Gemütlichkeit weniger.

Aber irgendwie das Schlimmste ist, dass Jórgos, der leicht geistig behinderte, stets mit gesenktem Kopf in Nachdenkhaltung durch die Straßen vor sich hinmurmelnde leise Dorf–Superstar mit gelegentlichen philosophischen Forte–Ausbrüchen, absoluter Kenner sämtlicher verwirrender Bus–Abfahrtszeiten wochenends wie wochenüber, nun die Bühne verlassen hat, für immer. Mit ihm ging ein gutes Stück des (aus meiner Sicht) alten Mírtos verloren. Ich denke gern an ihn zurück.

Eine mollige jüngere Niederländerin mit buschigem Haar unterhält sich am Nebentisch mit ihrem Freund. Sonst keine Gäste. Neugierige Blicke einiger Ladenbesitzer auf der anderen Straßenseite treffen mich ab und zu.
Als ich wieder zur Uferpromenade runtersteige, seh ich die zahme, prächtige kleine Ziege an der Kordel vor einem Häuschen angebunden. Eine echte Bereicherung des Ortsbildes!
Noch einmal beim Mirtos Hotel Platz nehmen. Nun reisen die Brits wirklich ab. Eine etwas steife und irgendwie dennoch auch lockere Szene, halt very British.

Zuletzt sitze ich noch ein Weilchen platanenbeschattet vor dem noch dicht verriegelten Plátanos (die nahe Toilette ist dankenswerterweise geöffnet) und schau den Damen von den Souvenir Shops beim Sich–Langweilen zu, beim frühzeitigen Zusperren wegen Kundenmangels, lass meinen Blick die lange Allee zum Meer hinunterschweifen. Das Grill–Lokal ganz unten links scheint recht beliebt zu sein, die Taverne in der Mitte rechts weniger.

Etwa fünf Leute warten zusammen mit mir im Spätnachmittagslicht auf den letzten Bus nach Ierápetra, blinzeln hinauf in die Ausläufer der Dhíkti–Berge Richtung Míthi und Máles. Ein Bilderbuch–Hinterland jedenfalls. Mit ungeahnten Möglichkeiten für Ausflügler wie Bergwanderer.

Copyright puchheim = MartinPUC, November 2011– Januar 2012

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