Teil 3: Meine ganz persönliche Neuentdeckung:
Das kleine Irakliá
Copyright puchheim = MartinPUC, Juli 2011


Wenn ich von „klein“ spreche, ist das nicht herabmindernd gemeint. Die Insel hat ihren eigenen Charakter, keine Frage, und sie ist auf jeden Fall besuchenswert. Flächenmäßig ist sie bekanntlich sogar die Größte der Kleinen Ostkykladen, laut Auskunft des örtlichen Bäckers ist die Bevölkerung mit zweimal 40 Einwohnern (Stand 2011) gerecht auf zwei Dörfer verteilt, damit ist das Eiland nicht gerade dicht besiedelt.

Heute kann ich mir mein Schiff aussuchen. Da ich lieber vier Stunden als nur eine Stunde Zwischenaufenthalt auf Náxo habe, entscheide ich mich noch einmal für die Ártemis, die an diesem Tag bereits kurz vor neun Uhr morgens von Páros zum merklich wilderen und unerschlosseneren Inselnachbarn aufbricht.

Wo werde ich nach der Ankunft wieder sitzen, auf ein kleines zweites Frühstück? Natürlich, auf dem Balkon des B.! Das Gepäck ist derweilen in einer ruhigen Ecke meiner Tintenfischkneipe schräg unterhalb gut aufgehoben, mein Versprechen, später zum Essen zurückzukehren, gilt.

Als ich mir zuerst einmal die Schiffsfahrkarte in der kleineren Filiale von Zas Travel abhole, gelingt es mir tatsächlich, der netten jungen Frau am PC mit ihrer viel zu großen Skeptikerfalte auf der Stirn ein entspanntes Lächeln abzugewinnen.

Stehe vor meiner Stammunterkunft und schau hoch auf die Balkone. So ziemlich alles belegt, natürlich auch der begehrte, für mich inzwischen unerreichbare zweite Stock. Der Ag.-Geórgios-Stadtstrand füllt sich wieder – ich würde mich in der Menschenmasse recht unwohl fühlen. Ab Juni führen in diesem Viertel alle Wege zum Strand, und das nervt mich etwas.

Soupiá in Weinsoße wird es für mich als kleine Mittagsmahlzeit geben, im To Limanáki. Sie bereiten den Tintenfisch sehr schmackhaft zu. Dazu etwas Weißwein, trotz der mit Rotwein angereicherten Sauce – eben soupiá kokkinistí.
Gleich nach Ankunft der Mittags-Blue-Star von Piräus her hetzen etliche Kykladenfahrer den Kai entlang, wenden sich der zweiten, kleinen stadtnahen Mole zu. Ich hab es nicht so eilig mit meinem Aufbruch die kurze Mole hinaus zur Skopelítis (– ja, der Kahn hat jetzt wieder blau gestrichene Schornsteine). Denn wiederum hat der namengebende Besitzer und Kapitän des Ostkykladen-Schwankers im Kreise einiger Mitglieder seiner Schiffsbesatzung genau vor meiner Stammkneipe Platz genommen und genießt ein beachtliches Gläschen mittelbraunes Roggengebräu. So breche ich erst auf, als Herr Sk. die Rechnung verlangt. Mein Ticket nach Irakliá hat 6 Euro 70 gekostet.

Draußen auf der Mole versucht man hektisch, einen für die Kleinheit der Heckeinfahrt der Skopelítis etwas überbeladenen Laster ins Schiffsinnere zu zwängen. Es muss viel von der Ladefläche runtergeholt werden, bevor das klappt und mit einigen Minuten Verspätung in See gestochen werden kann.
Das hab ich nun von meiner lässigen Warterei in der nahen Uferkneipe: alles ist ziemlich gut besetzt, mit Ausnahme des Innenraums im Schiffsbauch, dessen Eingang mit Bergen von Rollenkoffern halb versperrt ist. Zumindest mein Handgepäck findet neben irgendwelchen Schwedinnen noch Platz auf einer der Sitzbänke auf dem unteren Freideck.

Ich steh dann die ganze Zeit an Deck herum, lehne mich an die Schiffswand, begebe mich immer weiter vor, bis ich schließlich nahe der Brücke angelangt bin, Dauerblick auf Náxos. Das Grüppchen aus dem altem Papás und zwei Leuten von der Besatzung da vorne hinter dem verbotenen Gitter wird laufend abgelichtet, die Motivjäger aus aller Herren Länder strahlen in höchster Zufriedenheit hinter ihren Zoomlinsen. Dabei gibt der Pfarrer dem einen Seemann sehr ernste Ratschläge, aber für Sonnen- und Strandhungrige ist das alles nur ein pittoreskes Knipsmotiv, nichts weiter, wie sollten sie es auch wissen.

Ab und zu bahne ich mir schon meinen Weg auf die Steuerbordseite, klar. Von dort ist der Westteil Irakliás leichter einzusehen. Doch das meiste spielt sich backbords ab.
Endlich wieder einmal den einen und einzigen Delfin gesichtet!!! Scheint ein Jungtier zu sein, oder ein Exemplar einer besonders kleinen Art. Die jungen Frauen an Bord quieken regelrecht vor Freude, als sie das Tier über die Wellen springen sehen. Spring weiter!, heißt es in verschiedenen Sprachen.
Mir fällt auf, dass es immer die gleiche Stelle ist, wo so ein Delfin gelegentlich auftaucht: kurz nach dem Südende von Náxos, wo vielleicht irgendwelche Meeresströmungen besonders viele (oder wenigstens leidlich viele) Kleinfische als Nahrung für die Tümmler herantreiben (?).
Selbst der Papás und seine Runde werden auf das Glück verheißende Tier aufmerksam.

Links Schinoússa mit den weißen Häusern seines Hauptortes dort oben, aus dieser Distanz noch problemlos zu erkennen. Doch wir machen einen Bogen nach rechts, in die enge Bucht von Ágios Geórgios hinein. Beidrehen, langsam zurück zum Anleger. Ich bin angekommen auf Iraklia.


Erste Eindrücke von der Insel

Von Paros aus hatte ich bereits bei Anna angerufen, um einmal Anna’s Place auszuprobieren. Am Telefon hieß es, es gebe nur mehr ein einziges „Luxusapartment“, sonst sei alles belegt. Nach einigem Schlucken sagte ich dann zu. 35 Euro die Nacht, ein wahrlich stolzer Preis für einen Alleinreisenden, ein Preis, der eher an Athen oder Piräus als an eine kleine Insel unweit von Naxos denken lässt.

Anna als Abholerin am Hafen, zusammen mit mir steigt ein exzellent Griechisch sprechender jüngerer Mann ins Auto. Ich halte ihn für einen Verwandten von Anna, für einen Griechen. Er gibt nichts preis von sich, sagt nur, er komme seit sieben Jahren hierher, deshalb sein gutes Griechisch. Gegen Ende meines Aufenthaltes sollte ich mitbekommen, dass er sehr wohl ein Grieche ist, mit einem Bombenjob in Brüssel bei der Europäischen Kommission. Man muss nur genug Französisch verstehen.
Einen ähnlich eingebildeten, von sich selbst restlos überzeugten Zeitgenossen muss man lange suchen. Er hielt sich für den absoluten Überflieger, demonstrierte allenthalben seine Wichtigkeit, seine Fantasie beim Ablichten von Tischblumen mit teuerster Ausrüstung im Maistráli zwischen all den Essenden, seinen Wohlstand.
So fing das also an, auf Irakliá.

Der Luxus in meinem mir von Anna zugewiesenen luxury apartment besteht in erster Linie aus einem mittelprächtig gemalten Ölgemälde über dem Bett, sehr hübschen Lampen, einer kleinen Sitzgruppe und einer herd- und kochplattenlosen Küche. Gut, ein Wasserkocher und eine Kaffeemaschine waren vorhanden. Die Fernsteuerungen für den kleinen Fernseher und die Klimaanlage dagegen fehlten zur Gänze. Da hab ich, ehrlich gesagt, für nur 20 bis 25 Euro schon mehr bekommen. Insbesondere ein größeres Badezimmer, eines, in dem der Duschvorhang unmittelbar neben dem eingezwängten Klo nicht so verschi…. war, bei genauerem Hinsehen. Die Reinigungskraft bräuchte dringend eine Brille, verdrängt ihre Sehschwäche!
Und die Ermunterung, nach erfolgter Ankunft gleich zusammen einen Kaffee auf der herrlichen Aussichtsterrasse zu trinken, endete in einem Alleingang über einem doppelten métrio, von Anna nichts mehr zu sehen, sie hatte sich in Raketenschnelle zurückgezogen, es blieb nichts als eine leere Floskel im freien Raum.

Ich sag’s gleich: Diese Terrasse, meines Wissens in früheren Jahren Schauplatz einer von Anna geführten Taverne, war echt eine Schau. Gerne saß ich hier und lugte zur Hafenbucht hinunter, sah Schiffe ankommen und ablegen, rauchte nebenbei die eine oder andere Karélia Fíltro. Leider immer ganz alleine.

Etwas bitter gewiss auch, durch das riesige Moskitonetz der Annaschen Wohnzimmerfensterfront hindurch eines Abends ihren Ehemann, der üblicherweise den großen Minimarket unten im Dorf betreut, mit seinem vielfältigen Angebot sozusagen der Tod der armen, allzu unbeholfen geführten Mélissa, einmal nicht gerade leise zu seiner Frau sagen zu hören: „Dieser Deutsche zahlt aber viel für sein Zimmer!“.
Da fühlte ich mich gleich in meiner Meinung bestätigt.
Zu dem Zeitpunkt hatte ich allerdings schon meinen Wunsch angemeldet, wenigstens ab der zweiten Nacht nur mehr 30 Euro zu zahlen, wenn nicht eh eines der billigeren Zimmer frei werde. Die Paare in den anderen Zimmer zahlten, soviel ich mitkriegte, 25 Euro. Der reiche Grieche bei der Europäischen Kommission bekam seine Bleibe bestimmt für nicht mehr als 20. Ihr versierten Weltenbummler(innen) werdet jetzt sagen: Stell Dich nicht so an! Was soll das? In London, in Venedig zahlst Du 120 Euro für die Nacht für eine Bruchbude, in Tokio noch mehr, und jetzt machst Du einen Wirbel um mickrige 10 oder 15 Euro! Hatte halt in Parikiá eben erst Bescheidenheit und Entgegenkommen gelernt, liebe Leute.

Mein erster Nachmittagsspaziergang in für meine Begriffe glühender Hitze bringt mich bald erneut ziemlich aus der Fassung. Das schmale geteerte Sträßchen, das, vorbei an Alexandra (einer wohl wesentlich günstigeren Übernachtungsalternative, deshalb hat sie so viele Gäste), bald hügelabwärts zu einer Vereinigung mit der vom Hafen her kommenden Küstenstraße führt, artet in Meeresnähe zu einer überbreiten Teerpiste aus, die das ganze Landschaftsbild versaut.
Auf dieser Route trotte ich, in einigem Abstand vorbei am Livádhi-Strand, fast den ganzen Weg (etwa 3,5 km) hinauf ins obere Dorf, eine kleinere Abkürzung ausgenommen. Ich gewinne zunehmend den Eindruck von Trostlosigkeit und rücksichtslos, brutal asphaltierter Öde. Ein einziges Auto, wieder, warum also dieser Aufwand?


Panagiá, oder Páno Chorió

Kurz nach Passieren eines größeren Rohbaus (neue Rooms?) zweigt eine schmale Straße von der unterhalb der Siedlung bis zur entlegenen, winzigen Bucht von Tourkopígadho weiterführenden, vollständig geteerten Inselhauptstraße ab. Nach 50 oder 100 Metern die ersten alten Häuser von Panagiá (auf der Skái-Karte heißt das Dorf „Páno Chorió“).

Ein sehr ruhiger Flecken. Nichts los. Die südlichen Inselberge als großartige Kulisse schon sehr nahe.
Ein Alter gibt mir Auskunft, diese Taverne in der Ortsmitte nahe der Kirche sei auch das lokale Kafenío. Zusätzlich verkörpert sie noch den Krämerladen der Ortschaft, und in einem nicht öffentlich zugänglichen Nebenraum betätigt sich der Ehegatte auch noch als Inselbäcker. Ich kauf gleich mal was fürs Zimmer ein, schrecke die Frau des Hauses von ihrem Notebook auf, auf dem sie gerade im Internet gesurft hat.

Die Panajiá-Kirche mit ihrer Aussichtsterrasse ist leider verschlossen, so schleich ich halt einmal um sie herum.
Unweit der Kirche zweigt aus dem hinteren Dorfteil der Wanderweg zum Sattel und von dort weiter zu den beiden Höhlen ab.
Auf der Dorfgasse begegnen mir noch eine Katzenfamilie und eine alte Frau. Zu der sag ich, die Katzen warteten schon auf ihr Abendessen, und sie lacht: Später versorg ich sie schon!

Mag sein, dass es abends etwas lebhafter zugeht im oberen Dorf, spätnachmittags ist jedenfalls tote Hose angesagt.


Allmählich wendet sich das Blatt zum Positiven

Etwa 1 km unterhalb der Ortschaft nehm ich wieder die Abkürzung einer weiter ausholenden Kurve, steige steil auf breitem, steinigem Erdweg hinunter, bis ich, kurz vor der Abzweigung eines Feldweges, wieder auf die Teerstraße treffe.
Bei dem kleinen Häuschen (irgendeinem Lager), aus dem eine Stunde zuvor ein Bauer gekommen war, der auf seinen Esel stieg, nehme ich freudig den hübschen Feldweg, endlich erlöst von all der zugepflasterten Hässlichkeit.

So gefällt es mir! Eine karge, dennoch wohltuende Zwergstrauchlandschaft mit Mäuerchen, Weiden und Feldern entfaltet sich beiderseits des Weges. Mit einem Mal fühle ich mich wohl, streife die anfängliche Enttäuschung ab. Was für ein Blick zurück jetzt, hinauf zum Dorf mit seiner blau bekuppelten Kirche und darüber hinaus in die Bergwelt – so ganz ohne das störende Asphaltband.
Bald biege ich in einen kleineren Erdweg nach rechts ein, der nach wenigen hundert Metern zum Pfad wird. Schönes, ruhiges Wandern. Nach ein paar Minuten trifft der Pfad auf den sich vom Hafenort (Ágios Geórgios, oder auch „Káto Chorió“) bis hinauf zum Weiler Ágios Athanássios hinziehenden Feldweg. Nur noch 1 km bis Ágios Geórgios.

Bei einem Haus mit Garten überholt mich eine Touristin, die auf dem hier einmündenden Pfad von der Bucht Voriní Spiliá hergewandert ist. Sie wohnt in einem der ersten Häuser am SW-Rand der Hafensiedlung.
Ja, einige wenige haben in diesem Ortsteil Quartier genommen, die überwiegende Mehrheit jedoch bevölkert die Alexandra Rooms und eben Anna’s Place. Ferner noch die Villa Gláfkos neben dem Restaurant Maistráli sowie eine noch höher oben und weiter draußen als Anná’s Place hingebaute Unterkunft namens Áiolos.
Fast fertiggestellt war Anfang Juni 2011 übrigens eine ganz hübsch aussehende neue Unterkunftsmöglichkeit in derselben Seitenstraße über dem Hafenort wie Anna’s Place. Es wurde bereits eifrig am Haus und in den neuen Zimmern geputzt. Die jungen Frauen, die das Ganze managten, wirkten auf mich sympathisch.

Hübsche Kapelle, sozusagen als Torwächter am Ortseingang, dem südwestlichen Ortsende. Mache einen kleinen Irrweg auf dem Feldweg rechts der Kirche, der nur auf den Schulhof führt. Schule also ganz randlich, wie sonst nur der Friedhof.
Steige dann aus der Ortsmitte erst einmal wieder den ganzen Weg hoch zu meiner Unterkunft gut außerhalb, hoch über dem Ort, und erfrische mich.


Eindrücke von Ágios Geórgios

Geh dann erstmals bewusst ins Dorf runter, hinein in den Hafenort. Hier ein Teil meiner gesammelten Eindrücke und Erfahrungen.

Das (laut Bäcker nur mehr) 40-Seelen-Dorf fällt zu beiden Seiten und auf dem Grund einer Talung zum tamariskenbestandenen Sandstrand seiner Hafenbucht hinab. Dabei wirkt die Südflanke wesentlich stärker bebaut als die Nordflanke.
Relativ steil geht es nach Süd hinauf, und es wird längst über das obere Ortsende hinaus weitergebaut, in einer Randzone von verstreuten Touristenunterkünften, alle mit mehr oder weniger großartigen Ausblicken. In fünf bis zehn Fußminuten sind sämtliche wichtigen Institutionen des Ortes auch von dort oben zu erreichen.
Wer nicht so gerne steil hochsteigt und auf den totalen Überblick verzichten kann, findet im unteren und hinteren Dorfbereich noch genügend andere Unterkünfte.

Zweimal gegessen habe ich im To Perigiáli des Fischers und seiner schwarzkrausigen Frau Agathí. Typ urige Taverne, etwas wild aussehende Besitzerin, nette mollige ausländische Bedienerin und Küchenhilfe. Zwar kein absolutes Highlight, aber doch wesentlich besser als im auf Internetseiten viel gelobten Konkurrenzkneipchen weiter oben am Hang. Das Lamm schmeckte mir sehr gut, auch die vorbestellte Fischsuppe war lecker.

Entgegen den Erfahrungen einiger Webseiten-Macher aus dem Internet hat mir das Essen im Maistráli nicht so besonders geschmeckt – ich war aber nur zweimal dort. Beide Male waren mir die Gerichte zu wenig gewürzt, es schmeckte einfach etwas zu fade. Mag sein, dass ich an anderen Tagen besser gegessen hätte, aber ich hatte eben nur diese kurze Zeit zur Verfügung und die Küche hat immerhin eine zweite Chance gekriegt.

Dann gab es da noch ein geöffnetes Tavernchen oberhalb des Hafenstrandes, das heißt Syrma, und das hab ich nicht ausprobiert, auch nicht das To Péfko schräg gegenüber vom Maistráli, das auf mich sehr einladend wirkte – der Duft der Grillgerichte im Schatten der Pinie ließ einem den Mund wässrig werden.

Andere Tavernen im Dorf hatten noch nicht geöffnet. Es gibt wohl eh nur noch eine weitere.

Ganz ausgezeichnet war übrigens das Essen in der Kombi Krämerladen-Taverne-Kafenío-Inselbäckerei oben in Panagiá, also dem etwa 4 km entfernten oberen Dörfchen, geführt von der Schwester der Wirtin des Perigiáli im unteren Dorf. Dort hinauf pilgerte sogar noch bei Einbruch der Dunkelheit eine etwa zehnköpfige französische Gruppe – warum wohl, wenn nicht wegen des guten Essens?

In Ágios Geórgios selbst fiel mir noch das neu wirkende To Ipovríchio (Ypovrýchio, das U-Boot) auf, allerdings eher durch die gute und überlaute, samstagnachts das Dorf beschallende kretische Musik als durch besonders viele Gäste. Ist wohl eher ein Café und Nachtlokal, der junge Wirt spielte die Musik offensichtlich nur für zwei einsam dasitzende weibliche Schönheiten (Lehrerinnen?).
Dann war da noch eine Art Eisdiele, die gerade öffnete. Wirkte sehr nett.

Etwa 50 m leicht hügelabwärts von dieser Eisdiele liegt die/das Mélissa. Auf alle Fälle das urigste Kafenío-Kneipchen auf Irakliá.
Die Auswahl der zugehörigen Krämerladenabteilung in dem Einraumgeschäft lässt ziemlich zu wünschen übrig, man scheint längst resigniert zu haben und dem ungleich besser bestückten konkurrierenden großen Minimarkt weiter unten (der gehört Anna, der Pensionsbesitzerin, und ihrem Mann) das Feld zu überlassen.
Unübersehbar eine gewisse Lethargie und Schicksalsergebenheit – liebenswert für Fremde, doch dem Geschäft extrem abträglich. Hier bestelle ich gerne einen Kaffee oder ein Bíra FIX, das zu meinem Erstaunen selbst hier erhältlich ist. Verlangt man aber Ouzo mit Mezé, ist das leider schon zu viel erwartet. Mezé gebe es hier keine, heißt es dann.
Gelegentlich kommt jemand vorbei, der ein Schiffsticket kauft oder nur auf die draußen ausgehängten Fahrpläne guckt, sei es für die Skopelítis, für die Blue-Star-Fähre, die Ártemis oder die Áiolos Kendéris II.
Die älteren Männer tauschen nur wenige Worte aus, an einem der paar Tische draußen neben dem Eingang. Der braune Cockerspaniel kriegt einmal am Tag vom Herrchen eine Dose Katzenfutter (!) hinter dem Gartentor gegenüber kredenzt, freut sich wie wahnsinnig. Ich sitze als Hindernis vor dem Verschlag, in dem die neuen Kartoffeln aus Náxos verstaut sind.
Die liebe Georgía bemüht sich freundlich um ihre Gäste. Ein ab und zu eintreffender Schub deutscher Familienurlauber, die nur schnell etwas abholen, bringt vorübergehend ein wenig Leben in die Szene. Ansonsten herrscht eine unglaubliche Erstarrung.

Immerhin erfahre ich von meinen Tischnachbarn, dass sie auf der Insel nicht einmal einen Papás hätten, der Priester komme nur an Feiertagen, und zwar vom fernen Kloster Chozoviótissa auf Amorgós. Das Kirchlein da oben vor der großen Kurve mitten im Dorf ist also normalerweise verwaist.
Georgía holt mir noch eine verstaubte Flasche kretischen Rotweins vom obersten Regalboden. Ich hoffe, dass er noch trinkbar ist, nachdem er geduldig Jahr für Jahr in all der Hitze knapp unter der Zimmerdecke zugewartet hat. Man konnte ihn wirklich noch trinken – die Hitze hat ihn eher reifen als verderben lassen. Einen kretischen Tropfen bringt so schnell nichts um!

Da stiefelt er wieder zur Hafenbucht, der Schwarzflossenträger, Monsieur de Bruxelles. Für Schnorchler und Flossenpaddler ist sie bestimmt super geeignet, diese schmale Hafeneinfahrt und ihr unmittelbares Vorgewässer.

Im Maistráli spielt sich am frühen Nachmittag die Lehrerinnen- und Lehrerszene ab, und zwar geradezu idealtypisch.
Da stehen und sitzen sie herum, die vom Unterricht entkräfteten Jungkräfte. Wer sitzt, erhebt sich reihum abwechselnd alle paar Minuten für ein Handytelefonat (man kann darauf wetten!), entfernt sich symbolisch von der Gruppe, bespricht mit gewichtiger Miene etwas Bedeutendes – Wichtigeres wohl als es sich auf dieser Insel weg von Schuss je abspielen könnte, als sie sich gegenseitig noch zu sagen haben. Das Handy als Brücke zur Außenwelt. Anschließend Weiternuckeln am frisch gepressten O-Saft oder am Frappé, mit ausgesprochener Verzögerungstaktik.
Abends verirre ich mich einmal in den hinteren Bereich der Terrasse desselben Lokals. Finde zwar keine Toilette, sichte dagegen in der Dunkelheit aus ihren Appartements herausglänzende Lehrerinnenaugen – hier also haben sie sich eingemietet.

Hab ein Säckchen mit Habseligkeiten im Minimarket vergessen. Annas Mann schließt gerade, hängt ganz klug meine Plastiktasche außen an den Türknauf, lacht, als ich ihn dafür lobe.

Eine deutsche Immerwiederkehrerin, eingeschworene Irakliá-Frau namens (auf Griechisch) Birgitta oder Brigitta ist bei Anna schon länger Gast. Sie meidet den Kontakt zu anderen Touristen in den Rooms, lässt sich lieber auf Einheimische wie Anna und Familie ein. Abends eine lange Einladung zum Essen mit ebendieser. Anna meint später, B. spreche relativ gut Griechisch. Ich sitze draußen auf der Terrasse, Gesprächsfetzen der Essenden dringen zu mir aus dem Hausinneren herüber.
Das amerikanische Ehepaar, das seinen Wohnsitz auf einer anderen griechischen Insel hat, kommt derweilen vom Nachtmahl zurück. Morgen werden sie nach Koufoníssi weiterreisen, dort ist das Gelände flacher, besser geeignet für eine beleibte Arthrosegeplagte. Gibt eine Menge Kriterien bei der Inselauswahl, auch ganz ungeahnte.

Man lernt schon Mittouristen kennen bei Anna, wenn man es darauf anlegt. So steig ich eines Morgens, vorbei an den Rohbauten neuer Zimmer in getrennten Häuschen (mit Ziegeln gebaut!), zu einer etwas zurückversetzt hingestellten gesonderten Frühstücksterrasse mit angegliederter Gemeinschaftsküche hoch. Ein deutsches Paar nimmt dort gerade sein Frühstück ein, blickt zufrieden übers Land. Wir kommen ins Gespräch. Nette Leute aus Rheinhessen, die ich auch auf Náxos wiedersehen sollte. Der Mann, ein Weinkenner, raucht gerne mal eine dicke Zigarre, was ihn zu einem Original macht, denn wer raucht sonst noch Zigarre auf Irakliá? Spricht etwas sehr laut, ist aber ein netter Kerl.
Man wird eh toleranter, wenn man älter wird, ist eher bereit, seine Vorurteile von früher zu überdenken.

Nachts mache ich in voller Dunkelheit einen Verdauungsspaziergang, vorbei an der Mélissa. Auf einem Nebensträßchen überschreite ich die Ortsgrenze, es geht leicht und in sanfter Kurve bergauf. Links in einiger Entfernung das letzte, noch erleuchtete Haus. Ich kehre bald um. Mache denselben Spaziergang noch einmal nachmittags, dann aber bis zu einem vermüllten Felsstrand beim Kap Kaví. Náxos und Páros vor mir, ansonsten nichts Besonderes.
Den bestimmt lohnenswerteren Weg zum Strand Voriní Spiliá nehm ich mir für nächstes Mal auf der Insel vor.

Solche kleinen Spaziergänge waren natürlich nichts im Vergleich zu meiner großen, sehr interessanten Halbtageswanderung in den bergigen Inselsüden.


Eine Morgenwanderung tief hinunter und hoch hinauf

Mein Highlight war eine Morgenwanderung zur Höhle und anschließend rauf auf den Pápas.
Bin um 06:30 Uhr früh von Anna’s Place aus gestartet, erst runter ins Dorf, um den markierten und ausgeschilderten Wanderweg rauf nach Ágios Athanássios zu nehmen. Ihr könnt Euch vielleicht nicht alle vorstellen, wie wunderschön so eine Strecke am frühen Morgen sein kann, in der noch relativ kühlen, frischen würzigen Luft. Hab mir vorgenommen, so etwas öfter zu machen.
Nahe dem Weiler Ágios Athanássios ist ein Stück des Feldweges sogar betoniert. Man geht an dem wohl einzig noch bewohnten Haus vorbei. Ich hatte Glück mit dem Hund, der machte sich beim Passieren überhaupt nicht bemerkbar.
Man geht durch ein zu schließendes Gatter. Als ich einige hundert Meter auf dem nach dem Weiler beginnenden hübschen Pfad weitergewandert war, meldete sich das Hundegetier dafür umso lauter, hörte erst auf, als ich außer Sichtweite war.

Vom Sattel (Seládhi) zwischen dem Pápas und der auf der anderen Seite nur ein paar Meter höheren flachen Hügelkuppe (als solche kaum zu erkennen), gleich bei der Einmündung des sehr gepflegten Wanderweges von Panagiá her, hatte ich einen traumhaften Ausblick über die nach NO hin abfallende Insel bis hin zur engen Hafenbucht.
Die Krönung war die soeben einlaufende, von Amorgós her kommende Blue-Star-Fähre (ob es die Náxos oder die Páros war, das konnte ich von dort oben nicht ausmachen). Sagenhaft auch der Fernblick bis nach Dhonoússa, Amorgós und natürlich Richtung Naxos und Paros. Am frühen Morgen wirkt das alles doppelt so schön als unter brütender Tageshitze – es war ein Traum!

Dann der etwas mühsame Abstieg zu den beiden Höhlen. Man muss an vielen Stellen aufpassen, nicht auf dem Geröll auszurutschen. Der Weg ist nicht sehr weit, doch er zieht sich schon deshalb, weil man hinter jeder neuen Biegung sein Ziel vermutet, das dann doch länger auf sich warten lässt. Man kommt dem Wasser der Bucht von Vourkariá recht nahe, in höchstens weiteren 10 min wäre man unten.
Dann geht es links hoch zum letzten kurzen Stück vor den beiden Höhlen.

Geradeaus weiter, dann einen Hang hoch, ein anderer, neuerer Pfad. Würde man diesen letzten kleinen Höhenzug überqueren, könnte man den kurzen Abstieg querfeldein zur hübschen Bucht von Alimniá mit ihrem Sandstrand wagen.

Dann steht man endlich vor der Felswand. Links, oder eher geradeaus, das große, torbogenartige Loch der Polífimos-Höhle, einem besseren Ziegenstall mit etwas landwirtschaftlichem Gerät Rechts eine weiß umkalkte Fläche mit dem sehr niedrigen Kriecheingang zur Höhle des Heiligen Ioánnis.
Die Eintragung der beiden Höhlen auf der Skái-Map, Ausgabe 2009, ist fehlerhaft, die beiden Namen wurden vertauscht.
Hab keine Lust, in die Ioánnis-Höhle reinzukriechen und mache mich bald wieder auf den Rückweg.

Wieder auf dem Sattel angekommen, konnte ich der Verlockung nicht widerstehen, mich durch die hohen Wacholderbüsche im Zickzack auf das von hier so nahe Gipfelplateau des 420 m hohen Pápas hochzuarbeiten. Geht übrigens vom Sattel aus, also von W her, viel einfacher und schneller als auf dem Wanderweg Nr. 1, der in seinem ersten Teil äußerst steil und anstrengend zu gehen ist.
Es brauchte allerdings einige Geduld, bis ich endlich den auf jedem derartigen Gipfel zu erwartenden Betonsäulenstumpf fand. Ich folgte nur meiner Hoffnung, in dem Bewusstsein, dass es so einen trigonometrischen Messpunkt auf dem höchsten Gipfel geben musste, denn der Blick ist total verstellt vom ziemlich dichten, teils übermannshohen Wacholderwald, der einem die Weitsicht auf dem sehr flachen, ausgedehnten Plateau dort oben versperrt.
Doch irgendwann fand ich es dann, das Säulchen, und punktgenau bei der dicken Betonnadel endet ein schön ausgetretener Wanderpfad von Ost her, was für eine Freude, nach all dem Herumirren durch die ungastlichen Sträucher - Luftsprung!!!
Andererseits: Ich wäre wieder Richtung West abgestiegen, wenn ich das Ende des Wanderwegs Nr. 1 nicht entdeckt hätte.

Von höchster Inselhöhe aus offenbaren sich endlich auch das ansonsten verdeckte Íos und ein Teil von Santoríni. Klar, im Herbst wäre alles viel deutlicher zu sehen als im sich allmählich sammelnden sommerlichen Dunst.

Dann den Wanderweg runter. Das erste flache Stück oben ein echter Gehgenuss, man kommt sogar an einem leibhaftigen Mitáto vorbei, einer Hirtenunterkunft in Form eines Lesesteinhäuschens. Der bald folgende größere Abschnitt relativ steil, nichts für kranke Knie. Hab’s gerade noch geschafft, hatte zur Entlastung meinen Wanderstab dabei.

Unten eine Ziegenherde aufgescheucht, die bei der eingefassten Quelle am Beginn des Einstiegs in den Wanderpfad lagerte, treibe eines der Tiere ungewollt vor mir her, die anderen haben sich bei der ersten Gelegenheit nach links unten aus dem Staub gemacht, sind in die Halbkugelbuschlandschaft ausgewichen.
Anschließend links vorbei an einem großen ockergelben Bau, im Inneren bestimmt ein Wassersammelbecken. Bald darauf mündet der Feldweg in die Asphaltstraße aus dem oberen Dorf heraus nach Tourkopígadho. Nur noch ein Katzensprung ins Dorf.

Bereits um 10:30 Uhr gibt es ein herrliches Mittagessen für mich in dem Unikum von Pandopolío-Foúrnos-Kafenío-Tavérna, wo die Frau so einmalig gut kocht (kein Vergleich etwa zum Maistráli im unteren Dorf!). So ein leckeres Pastítsio mit Salat hatte ich selten, nur gut, dass es gerade fertig geworden war.

Runtergefahren wurde ich dann schließlich vom Ehemann, nebenberuflich der Inselbäcker. Super, dass es überhaupt einen gibt, doch sein Brot ist alles andere als lecker – da vermisst man dann schmerzlich NAXOS.
Aber zu improvisieren versteht er. Mangels destillierten Wassers schüttet er, nachdem wir zusammen 9 bis 12 Brotsäcke aus dem Laden geschleppt und auf dem Auto verstaut haben, kurzerhand eine Flasche Mineralwasser in den Kühler. Dann zockeln wir runter nach Ágios Geórgios, ich erfahre dabei ein wenig Wissenswertes über die Insel.

Noch etwas: Seit es das Blatt 312 Mikrés Kikládhes (Minor Cyclades) im Maßstab 1:25.000 von Skái Maps gibt, bleibt eigentlich kein Wunsch mehr offen. Aber die öffentlich aushängende Karte mit den Inselwanderwegen tut’s auch, und eigentlich braucht man gar keine Karte, denn die Insel ist klein und die Wege sind, wie gesagt, alles in allem gut ausgeschildert.

Nachmittags vertrete ich mir dann noch einmal die Beine. Ist ja alles so nah auf Irakliaaa.


Abschied

Trinkgeld im Zimmer hinterlassen. Meine Sachen zum Auto bringen, noch einen Blick durch die Tür unterhalb Annas Terrasse in die „Souterrainwohnung“ der kosmetikbegeisterten jungen Reinemachefrau und ihres Ehemannes (der ist ein stämmiger, fleißiger Bauarbeiter) werfen.
Mein Gepäck wird von Anna im Auto zum Hafen gefahren, ich selber geh erst noch auf einen Kaffee in die Mélissa. Lass die versammelten einheimischen Besucher ein letztes Mal auf mich wirken, verabschiede mich.

Die beiden Rheinhessen werden schon nervös, da ich noch im Abseits an meinem Rucksack rummache, als die Skopelítis bereits beidreht.
Noch ein paar Worte mit Anna gewechselt. Sie glaubt wie ich, dass es diesen Sommer weniger Griechen auf die Inseln ziehen wird, wegen Geldmangels. Doch sie sei relativ unabhängig von dieser Entwicklung, mache ihr Hauptgeschäft mit ausländischen Touristen, die bestimmt wiederkämen. Und es steigen ja auch schon wieder welche aus der Fähre.

Es wird eine schöne, kurze Fahrt auf dem diesen Dienstagvormittag weniger vollen Ostkykladenkreuzer. Delfin zeigt sich diesmal keiner. Mit an Bord das amerikanische Paar, das nur eine Nacht auf Koufoníssi zugebracht hat. Gegen 11 Uhr treffen wir in der Chóra von Náxo ein.

Copyright puchheim = MartinPUC, Juli 2011

Neue Erfahrungen auf Náxos