Erster Besuch auf Kálimnos/Kálymnos
(στη Κάλυμνο)

Copyright puchheim = MartinPUC, März 2004, August 2006


Was bleibt vom steinernen, kahlen, auf See und im Tourismus um sein Brot kämpfenden, gebirgigen Kálimnos nach dem ersten Besuch im Mai 1998 in meiner Erinnerung?
Das Glitzern seiner zerfurchten Berghänge. Die unerschöpfliche Lebendigkeit seines Haupt- und Hafenortes Póthia! Vollendete, fast brachiale Realität, die keiner Philosophie bedarf. Ziemlich das Gegenteil von Skála, Pátmos, trotz dessen Größe.

Die den Taxlern aufgezwungene Ordnung, auf Bestellungen hinten an der landein gelegenen Hauptplatía zu warten. Der eine oder andere wendet Tricks und Kniffe an, fährt los in Nebengassen, hält kurz vor dem Obstladen, oder der Metzgerei, nimmt den Gast auf – die Reihenfolge umgangen, den Konkurrenten ausgetrickst. Verwandte haben mitgeholfen.
Sonderpreis, angeblich. Der reinste Orient, wie sonst nirgendwo im südlichen Griechenland je erlebt. Nicht nur diese kleine Erfahrung, sondern der erste Gesamteindruck.
Kurz nach dem Start zur Fahrt ins Tal von Vathí die Aufforderung, doch einen neuen Mercedes nach hierher zu importieren, ich könne das als Deutscher doch leicht bewerkstelligen.
Die Händlernatur von Taxifahrer setzt mich, nachdem wir ziemlich unansehnliche, stark verschmutzte Strandabschnitte der Südküste passiert haben, wohlmeinend und Benzin sparend irgendwo in der Mitte des Tals vor Vathí ab, ich könne zwischen den Zitrusplantagen wandern, mich etwas umsehen, mich ganz gemächlich dem Fjord nähern, rät er mir zu.

Das quirlige Póthia vor den Bergen, weit hinter uns, dem Meer ausgesetzt, Blick nach Kos, großer Hafen, ausgedehntes Fischerviertel in Terrassenlage, rechterhand, von See aus gesehen. Einstige Wahlheimat von Robert Lax, dem stillen Dichter, aufmerksamen Beobachter, der Jahre später nach Patmos umzog, endlich Spiritualität von Seiten der Umgebung, der Mitmenschen zu suchen. Eindrücke von ihm, der häufig in der Nähe des Hafens von Póthia schwimmen ging:


"our contact with life, with the flow of life, is a physical contact: spiritual, too – but physical none the less.

to touch life, to know life, we must somehow bang into it; though if we stand off it, it will come, and grasp us.

i swam again today. clear water, slow-moving shadows over the rocks. the rocks themselves not white or grey: more pink & white; blue & grey. a strange man, gardener, comes and swims too: scrambles lithely over the rocks and undresses behind one. naked swimmer, washing the dust of the garden, he says, from a thin & muscular brown and white body.
looks amphibious, even on land, and most at home in the water.

the undersea vision, even at shallow depths, is almost narcotic. whatever is seen is seen with such peace, such composure. to look thus wide-eyed at all phenomena would surely be a kind of joy, a kind of psychic nourishment. we glide above objects, seeing them through glass, through the heavy, light-charged water: fallen rocks are the walls of a valley: below them a sleeping plain of smooth, white sand.

sea calls to the blood, waking those members farthest removed from the heart to a new circulation: the blood within, the brine without, calling to each other as day to night. as night to day."


aus: robert lax, "journal C", pendo Verlag, Zürich, 1990


Ein Häusermeer füllt den weit landeinwärts ansteigenden Talboden. Eine Kirche droben auf der Bergkante über dem Meer. Kaum öffentliche Busse. Unmengen anderer Vehikel. Unglaublicher Lärm, Gehupe, Verkehr und eine Menge Leute auf den engen Straßenschläuchen irgendwo hinter ins Gewirr.

Die unscheinbaren, wenig spektakulären Kneipen, Fischtavernen, Kafenía zu Füßen des Fischerviertels.
Eine Unzahl kleinerer Kutter und Ausflugsboote am Kai. Der Fährenanleger weit draußen. Große Pötte kommen herein, gleiten in die Nacht hinaus. Liefern sich Wettrennen bis Piräus. D.A.N.E. ((inzwischen pleite)) gegen GA Ferries.

Inmitten von Orangen- und Mandarinenplantagen stiefle ich auf schmaler Asphaltstraße die letzten vielleicht 1,5 Kilometer auf Vathí zu, zu beiden Seiten des weiten Tals eine etwa 500 Meter hoch ansteigende Bergumrandung. Schön anzusehen und vielversprechend. Am Ziel angekommen, bin ich ein bisschen enttäuscht, denn es handelt sich doch wieder um eine Tavernensiedlung mit Jachthafen. Die Jachten sind allerdings eher kleinere Segelboote und der „Fjord“, der sich in voller Länge vor mir auftut, ist durchaus beeindruckend. Eine Stimmung allerdings wie Sonntag Nachmittag in einer deutschen Kleinstadt. Leblos.

Also vor, Richtung Ende des Fjords, an der Südseite entlang. Ein Stück nur komm ich vor, dann ist Schluss, ich guck von einem Steg runter ins klare Wasser, während sich ein ganzer Schwarm von Segelbooten in die Bucht hineinschiebt, offensichtlich ein organisierter Segeltrip – Segelschule oder so ähnlich.

Zurück ans Ende der Hafenbucht und den kurzen Anstieg zu einer schon zuvor beim Reinwandern gesichteten, interessant oben am Hang gelegenen Pension hinauf. Eine steile Zufahrt, ein Garten zieht sich ums Haus herum, niemand ist zu sehen, aber dem Auge bietet sich eine wirklich wunderschöne Aussicht. Ein Ort der Ruhe. Hier würde ich gerne den ganzen Gardiner - IDOMENEO am Stück hören, sonntags ab 9 Uhr morgens, oder noch lieber den Fricsay - DON GIOVANNI.

Eindringen in eine Gemeinschaftsküche im Erdgeschoss und kurzes Innehalten, da nähert sich schon jemand von weiter drinnen im Haus. Es ist die Hausherrin ((war wohl Manolis’ Schwester)), der ich mein Erscheinen mit purer Neugier plausibel mache. Sie spendiert mir ein Bier und ich bitte um die Karte. Es muss sich um die Pension Manolis gehandelt haben, die schon im alten Müller-Verlag-Rhodos-+-Dodekanesbuch aufgelistet ist. In besagtem "Manolis" herrschte eine sichtlich entspannte Atmosphäre, ein Eindruck, der sich beim Erscheinen einer würdevollen, bescheidenen (sehr) alten Dame, einer zierlichen Wienerin, ganz bestimmt Jüdin (vielleicht aus der Leopoldstadt?), noch verstärkte.

Ich kam mit ihr ins Gespräch, wir schlenderten zur ersten, schmalen Kneipe unten an der Ecke zum Hafen runter. Was kriegt man da bei einem Glas Frappé zu Ohren?
Die Dame, schon Anfang 90, geistig vollkommen frisch, ist schon etwas gelangweilt an diesem schönen Ort! Würde gerne einmal von hier ausbrechen. Als ich ihr schildere, dass ich gerade auf eigene Faust per 20-Meter-Ausflugsboot (das britische Laskarina-Touristen nach Lipsí gebracht hatte und mit mir als einzigem Sonderpassagier zurückkehrte) von Lipsí komme und vorher Agathoníssi, Foúrni und Patmos besucht habe, stutzt sie kurz, murmelt etwas von „Lipsós“, der Hauptinsel des kleinen Archipels, in der Einzahl, richtig profihaft, bravo (- was für eine GR-Vergangenheit sie wohl haben mag?), traut sich dann aber doch nicht so etwas zu unternehmen. Richtig gerne mitgenommen hätte ich sie, wenn ich noch wenigstens eine Woche länger zur Verfügung gehabt hätte, so sympathisch war sie mir.

Einmal, wie ansonsten nur auf dem Flying Dolphin ((στο δελφίνι, und neuerdings auf den beiden Katamaranen)), an der Ostseite von Leros vorbeizuschippern, mit Blick auf die großartige Festung über Pandéli, dann durch den Engpass vor Kálimnos durch und an dessen Westküste entlang, wieder auf der Hauptschifffahrtsroute, auf kleinem, aber recht schnellem Boot vorbei am steil emporragenden Télendos und weiteren, kleineren Inseln zum Haupthafen zu gleiten – wie schön war das doch noch einmal gewesen.

Die irre Gewitterstimmung tags zuvor auf Lipsí noch im Gedächtnis – Wahnsinnshimmelsfarben in Richtung südlichem Dodekanes, von drohendem Braungelb bis dunklem Violett. Vor Weizenfeldern stehend, eine Weite in halber Rundumsicht übers Meer, die man gesehen haben muss wie die über den Horizont zuckenden Blitze, die nicht einfach soooo zu schildern ist. Im Regenguss unter Strandgebüsch Schutz suchend, voller Bewunderung des Besonderen, mit staunenden Augen.

Im Anschluss an die Konversation mit der "grand old lady" unternehme ich einen sisyphushaften Versuch, die Bergflanke gleich nördlich neben der Hafenbucht zu bezwingen und vielleicht sogar bis zum nächsten Fjord mit hakenförmigem Ende ein paar Kilometer weiter vorzudringen. Zu weit und zu anstrengend. Nach einer mühevollen Stunde auf Geröll und im Gestrüpp und vor verschlossenen Gattern gebe ich auf und kehre um. Ich will schließlich mit dem öffentlichen Bus zurück nach Póthia, und der kommt am späten Nachmittag.

Im Bus, der einen Abstecher bis Dásos (zum „Wald“, vor Urzeiten wohl) macht, wo er wendet, erkenne ich eine Straße nach Nord, wohl in die Berge, hinüber nach Arginónda? Hoffentlich! Die böte sich für eine Wanderung an, schmal und unbefahren wie sie ist. In Gedanken bin ich schon beim Wiederkommen. Irgendwann einmal. Trotz der Schlitzohrigkeit, dem orientalischen Geschäftssinn, auch des Hoteliers in dem Kasten von Hafenhotel mit 100 Dezibel tags wie nachts.

Traurig und melancholisch die Augen des Alkoholikers von Ticketagenten für die "Níssos Kálymnos", die am kommenden Morgen um 07:00 Uhr ablegen soll. Desolatheit in seinem kleinen Laden wie in seinem Gesicht, trotz der Zigarette, die Souveränität vorgaukelt. Immer wieder dieselben Akte zu vollführen, Tickets nach Rhodos, Kos, Patmos, vielleicht einmal Astypálea; dafür ein paar Drachmen Verdienst.

Die Uferstraße entlang zu Füßen des Fischerviertels. Ich tu mich wirklich schwer, eine passende Taverne ausfindig zu machen. Zwei Fehlversuche. Nur kleine Happen erhältlich. Ich lande schließlich in einem echt mickrigen 08/15-Grill unweit der großen Hafenmole. Nachher ist mir schlecht. Anlass für ein Karafátschi Ratschí, leider hier nicht erhältlich. Schon auf dem relativ nahen Tilos, jenseits von Ko, würde ich fündig: bei Micháli, dem Kreter aus Kroussónas am Psilorítis - doch Tilos sollte ich mir erst das Jahr darauf erwandern.

Die Chora oben hinter der Stadt, die Westküste und der gesamte Inselnorden freuen sich auf einen Besuch das nächste Mal. (Kreta ist halt doch immer wieder attraktiver, landschaftlich noch viel spektakulärer, so kann es eine Weile dauern, bis ich hierher zurückkehre, meine ich damals.)
Mittlerweile hab ich Lust darauf. Auf diese Schiffspassagen, die nicht enden wollenden Strecken und doch so schnell vergehenden Tage auf See, das Verschwinden der Zeit.

Die Krönung der Reise ganz zum Abschluss. Auf der kleinen Níssos Kálymnos zurück ins ferne Rhodos. Warum die Krönung? Wegen der Ankünfte auf und vorher der Fahrt Richtung diverse(n) Inseln, ganz einfach. Dem Anblick aus dem Sich-Nähern. Nicht unbedingt Kos ist gemeint, aber sehr wohl Níssiros, Tilos und Sími/Sými. Der dauernde Kontakt mit der viel grüneren türkischen Küste, ihren überlangen Halbinseln, Vorposten ins Meer. Gleißen des Lichts und ein Dauerwirbel von Salzluft.

Copyright puchheim = MartinPUC, März 2004, August 2006

Póthia auf Kálimnos