Von Kavála nach Kálimnos.
Quer durch den hohen ägäischen Norden. Ein Loblied auf das Hotel Samos in Vathý. Eindrücke vom Dodekanes Ende Mai 2004.

Copyright puchheim = MartinPUC, Juni 2004, Januar 2007


Freitag Morgen, 04:30 Uhr. Die Miléna von GA Ferries ist zeitlich gewaltig im Rückstand, kommt erst gegen acht, wird auf ihrer Fahrt vom makedonischen Hafen Kavála nach Ágios Kírikos, Ikaría (und später wieder zurück) mit fast 5 Stunden Verspätung in Vathý ankommen.

Es war eine interessante Route, Blicke auf den Áthos mit den Klöstern seiner Ostflanke, die nahe Westseite der Insel Thássos, zurück auf die höchsten Rhodopenberge hinter D(h)ráma, zwischen drei zu dieser Zeit inaktiven Ölbohrplattformen hindurch Richtung Límnos, dem paradiesischen, weiter nach Lésbos, die Nord– und Ostseite im Abendlicht halbkreisförmig umrundet, den Kunstort Mólivos aus der Nähe von See aus fixiert, das reinste Olivenmeer (!), diese Insel, um Mitternacht Chíos, die Lebhafte.
Man wird müde auf dieser langen Seefahrt (seit 08:45 Uhr morgens), das ohrenbetäubende Rütteln der Deckenverkleidung im Pullmannsitzraum ist nervtötend, man versucht einzudösen, geht dann wieder mal gucken an Deck, erlebt die faszinierenden Lichter türkischer Städte an der Gegenküste, ärgert sich über den so unbarmherzig langsamen Pott und die riesige Verspätung (mit der er schon oben in Kavála ankam).

Erschöpft torkelt man mit vollem, schwerem Gepäck von Bord, auf den Lichtblick, das nahe Hotel Samos, zu.
Am Empfang steht schon ein schlaftrunkenes Grüppchen Griechen Schlange. Ich bekomme ohne Vorbestellung völlig problemlos ein Einzelzimmer – unaufgefordert hinten raus (die wissen, was ein müder Seefahrer braucht!) – für 35 Euro, zunächst einmal, Überraschung später.

Endlich duschen können, sogar ein Fö(h)n ist im Badezimmer, dann dreieinhalb Stündchen Bettschlaf, nach der notdürftigen Herumdöserei in allen möglichen Streck– und Zusammenziehpositionen über mehrere Pullmannsessel mit ihren leider starr fixierten Armlehnen hinweg – ein echter Genuss, so ein Hotelbett.

Dann steh ich aber gerne auf, denn einen halben Tag lang wenigstens will ich ein Stückchen Samos genießen, bevor es so um 14:30 Uhr herum auf der Níssos Kálymnos weitergeht bis zu deren Endhafen: Póthia, sti Kálymno.

Gleich fühle ich mich wie zu Hause, bin wieder im "Süden" angekommen, grob gesagt.
Erst einmal aber noch zum erstaunlich gut bestückten (für griech. Stadthotelverhältnisse) Frühstücksbuffet. Da gibt es Kuchen, Ei, Cornflakes mit Milch, Orangensaft, Toast usw. und viel Kaffee. Der Frühstücksraum ist geschmackvoll ausstaffiert und bietet schöne Ausblicke auf den Hafen.

Dann geht es ans Zusammenpacken und Bezahlen. Ich wundere mich, wie lange die beiden netten Leute an der Rezeption auf dem PC herumsuchen. Da sage ich sicherheitshalber, ich sei erst vor etwa 4 Stunden eingetroffen, und das Computerproblem klärt sich auf diese Weise urplötzlich. Die Dame lächelt, der junge Mann meint freundlich: "Ach so, wenn Sie nur Tagesgast waren, zahlen Sie selbstverständlich auch nur 18 Euro!".
Ich bin wirklich verblüfft, gebe gerne einen Zwanziger und sage, der Rest sei für ihn. Er freut sich sichtlich.
So etwas ist mir in einem Viersternehotel noch nie passiert. Die Leute dort haben ein gesundes Verhältnis zum ehrlichen Geldverdienen. Eine wahrhaft faire Einstellung einem Xénos gegenüber.

Glücklich ziehe ich von dannen, wandere mit meinem Rucksack uferparallel, aber ein gutes Stück landeinwärts, durch die allmählich erwachende, schön herausgeputzte Stadt, mache mehrere versteckte Pensiönchen ausfindig. Als ich dann wieder ans Ufer gerate, erkenne ich die Mileéna, die soeben von Ikaría zurückgekehrt ist und an der Mole andockt. Tschüss, du liebe Alte, Klapprige!

Der Busbahnhof ist ein gutes Stück Weges vom Hafen entfernt. Einige Busse kommen gerade an, stehen für neue Taten bereit. Auskunft im Büro, die dortige Besatzung lacht schon, denn JEDER will dasselbe wissen: „Wann fährt der nächste Bus nach P.?“. Ich hab noch gut Zeit für einen Nes mit viel Milch. Erstaunlich viele Touristen trudeln nach und nach ein, holen sich wie ich einen Busfahrplan, als sie meinen sehen. Der Bus nach Pythagório ist proppenvoll – da hat sich also in über zwanzig Jahren nichts geändert. „Ab Samos beginnt der Tourismus“, denke ich. Aber ich hab bei Einbruch der vergangenen Nacht ja schon auf der wirklich langen Landebahn des Flughafens von Lesbos beim Vorüberfahren von der Miléna aus einen italienischen Charterflieger aufsetzen sehen ...

Es ist eine Freude, diesen Weg auf die Südseite der Insel wieder einmal zu fahren. Eine herrliche Landschaft, grün, sonnig, heiter. Ich bin wieder fast im Süden angekommen, befinde mich am Eingangstor zur südlichen Ägäis.

Haltestelle beim Kafenío O Stathmós, dem letzten alten in Pithagório. Ich genieße die Stunde dort, schau mir Anwesende und Passanten an, kaufe gegenüber ein paar hübsche Ansichtskarten, lausche deutschen und skandinavischen Zungen und freue mich einfach, dass ich da bin.

Dann diese wunderhübsche, so heiter wirkende Straße zum Hafen entlang, Blicke in den unteren Supermarkt und Fragen nach dem besten Samos–Ouzo, der leider nur in großen Flaschen zu haben ist.

In den Ufercafés sitzen etliche Leute, aber auch hier fällt der Rückgang im Tourismus auf. Hinüber zum Ortsstrand mit den einfacheren, aber so guten Tavernen. In der ersten nehme ich (schon traditionellerweise) Platz und lasse mich mit einem herrlichen Moschári–Stifádho, Maroúli–Saláta und einem guten roten Hauswein und viel Wasser verwöhnen. Vor mir – total ungewohnt, von der bisherigen Reise her – hüpfen Halbnackte im Wasser herum, bräunen Brüste, Schenkel, Körper. Echte Lebensfreude breitet sich aus. Grelle Mittagssonne, Wärme.

Nachdem der Wirt mit einem Zauberspray noch einen Fettfleck von meinem Hemd entfernt hat („Den weißen Fleck dann einfach nur abwischen!“), schlendere ich zurück zu meinem Lieblingskafenío und bestelle noch Weiteres, auch einen süßen griechischen Kaffee. Seit Stunden hab ich hier schon mein Gepäck parken dürfen. Die Gäste, auch nebenan in der Kleingaststätte, die offenbar von einer Deutschen mit geleitet wird, werden immer interessanter, aber irgendwann heißt es aufbrechen zur Mole an der südlichen Hafenseite.

Durch herrliche, ruhige Gässchen mit hübschen kleinen Pensionen und richtig wohltuender Atmosphäre wandere ich auf Umwegen meerwärts und lehne schließlich meine Sachen gegen die Ostwand der Apothíki, des Lagerraums der letzten Taverne am Beginn der langen Mole. Ein paar Meter weiter, an der Wand Richtung Hafenbecken, stehen zwei Stühle, die mich einladen, im Schatten Platz zu nehmen.
Griechische Kinder laufen vorbei, fragen, ob ich auch die „große“ Fähre nehme, auf die sie sich schon so freuten. Ja, klar! Bis Kálimnos!

Die brave Níssos Kálymnos hat etwa 40 Minuten Verspätung. Ihr seit einigen Jahren angebrachter breiter blauer und schmaler gelber Seitenstreifen geben ihr ein frischeres Aussehen. Recht viele Leute, in erster Linie Griechen, gehen an Bord. Später, in Lipsí und Léros, steigen ganze Schulklassen zu.

Der Zickzackkurs durch die Inselwelt der nördlichen Dodekánissa kann beginnen. In Agathoníssi frag ich die Besatzung, ob ich 5 min Zeit habe und gehe an Land, zusammen mit einem Engländer, der für 2 Nächte von Samos rübergekommen ist und mir glaubt, dass die Zimmer ziemlich alle denselben Standard aufweisen. Meine „alte“ Zimmerwirtin, Maria K., will mich gleich wieder unter ihre Fittiche nehmen, ich muss aber abwinken. Die deutsche Ehefrau des Wirtes der ersten Taverne, vom Anleger her gesehen, kann ich leider nicht ausfindig machen.

Wunderschön gleiten wir zwischen kleineren Inselfetzen zum „Hafen“ von Arkí, der weniger gut besuchten Insel unweit von Pátmos. Der Ort im Hintergrund besteht aus vielleicht 10 Häusern.
Das niederländische Frauenpaar, das ich kennengelernt habe, ist entzückt. Ein Mountainbiker kommt aus dem Inselinneren neugierig zur Anlegestelle geschossen, verpasst uns aber um Minuten – wir sind schon weg.

An der Nordseite des kleinen Inselfleckens Maráthi mit seinen beiden Tavernen (auf der anderen Seite) vorbei nehmen wir Kurs auf Pátmos. Schön, in diese riesige Bucht, die sich immer weiter verengt, einzulaufen und den ausgedehnten, weißen Hafenort Skála und die Chóra mit ihrer Klosterkastellkrone aus der Nähe zu begutachten. Nirgendwo sehe ich die „Strandfee“ (eine Internetbekanntschaft), die bestimmt auf Inseltour ist. Kann ja nicht jedes ankommende Schiff begrüßen kommen.

Lipsí ist in einer knappen Stunde erreicht. Erinnerungen steigen auf, an die Wanderung zur Einsiedelei, an der wir vorbeigeglitten sind, und die jetzt vom Hügel über dem Meer an einen Strand verlegt wurde, zu dem eine gute Asphaltstraße führt – das war's dann mit der Einsiedelei. Erinnerungen auch an die hinteren, urigen Strände, Richtung Léros und dem damit verschmelzenden Kálimnos. An ein Frühsommergewitter über den Weizenfeldern mit Schutz unter einem Feigenstrauch. Welche irren Farbtöne damals der Himmel hatte.

Es wird Nacht. Als wir in Lákki, Léros einlaufen, ist es stockdunkel. Die beiden Niederländerinnen sind enttäuscht, dass es nicht Agía Marína ist, denn sie haben sich in Alínda angemeldet, wo nur die schnellen Katamarane und die Flying Dolphins halten. Ich kann sie leicht trösten, es sind mit dem Taxi nur 5 oder 6 km, und das ist noch gut bezahlbar.

Schulklassen toben an Deck und unter Deck herum. Allmählich kommt schemenhaft der Riesenfelsen der Insel Télendos in vage Sicht. Später ein entgegenkommendes Fährschiff, und schließlich die Lichter der Nordküste von Kos.

Schon drehen wir nach Ost, und der Hafen von Póthia wird endlich sichtbar. Von Süden her schiebt sich noch vor unserer Ankunft die letzte Fähre von Mastichári, Kos, her in den Hafen.

Es ist etwa 23:30 Uhr, als die Klappe runtergeht, also etwa 45 min Verspätung, das geht ja noch.

Draußen empfangen mich etwa vier Zimmervermieter. Einem davon gebe ich nach. Erst noch ins Limenarchío, nach den morgigen Schiffen nach Rhódos fragen. Ich werde den Katamaran nehmen müssen, um mehr als drei Stunden schlafen zu können, bevor die Frühmorgenfähre nach Kárpathos ausläuft. Also hier auf Kálymnos nicht ins bestimmt teurere Hotel Archontikó, sondern in eine kleine Pension namens Niki, bei der „Volksschule Nummer 3“ mitten im Hafenort, aber sehr ruhig gelegen. Nur die Badewanne ist schäbig, aber sonst ist das Zimmer OK.

Aber Kálymnos, die Nacht und der darauf folgende Tag, das wäre einen eigenen Bericht wert! Denn es war irgendwie faszinierend, diesmal. Ich will noch nicht schlafen gehen und wandere vorbei an einer dampfenden, duftenden Backstube Richtung Platía am Hafen, wo noch einige Lokale geöffnet sind. Vor einer kleinen Ouzéri in der Nähe der Kirche und des Rathauses nehme ich Platz und lasse mir einen halben Liter köstlichen Weißweins munden – wieder, wie es sich gehört, mit viel Wasser dazu.
Einige urige Typen laufen zu dieser nächtlichen Stunde noch herum, ich bin keineswegs allein.

Bald werde ich auf Kárpathos sein, einige Tage noch meinen Freunden und Bekannten widmen, nach zwingend erforderlichem Umweg über Rhódos. Später, nach Anlegen in Sitía und Ágios Nikólaos, Kreta und ganz kurzem Landgang (kretischen Boden unter den Füßen!), nach Piräus schippern. Durch den Dunst des nächtlichen Kretischen Meeres. Begegnung mit einem Frachter, mit dem großartigen Lichterglanz der Calderarand-Siedlungen Sandorínis. Kurz vor Folégandhros werde ich mich in meine Kabine zurückziehen und erst eine Stunde vor Ankunft im Piréa aufwachen, die attischen Berge vor Augen.

Das wird es dann gewesen sein: eine ungewöhnliche, fast vierwöchige Rundreise von Lávrio aus über verschiedene Inseln in den äußersten Nordosten der Ägäis und des griechischen Festlands, bis kurz vor die bulgarische Grenze. Von dort quer durch Thrákien und das östliche Makedonien nach Kavála. Weiter über Sámos durch den Dodekanés, über Rhódos nach Kreta und von dort zurück nach Attika – alles auf Schiffsplanken und ein gutes Stück in öffentlichen Bussen. Lang gehegte Wünsche gingen schließlich in Erfüllung!

Copyright puchheim = MartinPUC, Juni 2004, Januar 2007