In den Süden von Lesbos im Oktober 2005:
Nach Plomári.
Die letzten Tage vor dem Rückflug

Copyright puchheim = MartinPUC 2005, 2007


UNTERWEGS

Ohne mich von meinen alten Wirtsleuten, die sich nach ihrem fast 70–prozentigen Preisaufschlag beim Abkassieren fürs Zimmer abends nicht mehr blicken ließen, verabschiedet zu haben, verlasse ich Pétra mit dem Frühmorgenbus.
Bis 7 Uhr hab ich noch reichlich Zeit, schlendere den Weg zwischen den Gärten zum Meer vor, ein wenig die Stimmung in mir aufzunehmen, den Wellen zu lauschen. Der Abschied aus dieser Gegend fällt mir nicht leicht, trotz einiger unguter Erfahrungen – doch das Schöne hat bei Weitem/weitem überwogen, und das andere nehm ich nicht so tragisch. Ich bin vielmehr gespannt auf die Gegend von Plomári, die ich nur kurz erleben werde, Wiederkommen nicht ausgeschlossen.

Mein Gepäck kommt in eine Ecke der Sitzbank im hölzernen Wartehäuschen, das tatsächlich nach allen Seiten hin gegen Wind und Wetter geschützt ist. Warum ich nur so lange zu warten habe? Den anbrechenden Tag mitzubekommen ist etwas sehr Schönes, hin– und herzuwandern am Ufer, Boote vor den Augen, einzelne Pendlerautos, doch wenn die Warterei schließlich eine Stunde beträgt, allmählich andere dastehen, die ausgerechnet mich nach der Abfahrtszeit fragen, wird es seltsam.
Etwa um fünf vor halb acht trifft das Gros der Reisewilligen ein, die Wissenden. Gleich kommen zwei Busse, die ein undurchschaubares Ritual vollführen; der eine lässt zunächst niemand aussteigen, der andere fährt auf der Uferstraße weiter, um kurz darauf zurückzukehren. Es stellt sich dann heraus, dass wir nach weiterer Wartepause gnädigst in einem der beiden Busse mitfahren dürfen, nachdem sich die beiden Machos am Steuer in ihrer Coolheit ausgetobt haben.
Schade finde ich, wie am Ortsrand draußen selbst alte Leute abgewiesen werden, weil der Bus überfüllt sei. Die müssen wohl den zweiten und letzten um 11 nehmen. Die übliche, hübsche Fahrt über Kalloní und Lámbou Myli nach Mytilíni.

Da mein Anschlussbus erst um Mittag rum gehen wird, hab ich noch Zeit für eine weitere kleine Schiffspeilung. Endlich liegt einmal die große Autofähre von SAOS, die rot und weiß gestrichene Panagía Krimniótissa, vor Anker, wird gerade beladen. Aus der Nähe sieht sie älter aus als ich sie vom letztjährigen Mai her in Erinnerung habe, als ich, auf der Hafenmauer stehend (den Kérkis–Berg des westlichen Samos im Visier), zusah, wie sie den Hafen von Chíos verließ. Jetzt fehlen nur noch die Mitilíni (Mytiléne) von NEL und die Níssos Míkonos (Mykonos) von Hellenic Seaways, auf die ich noch scharf wäre. Nie hab ich übrigens im Hafen von Mitilíni die superschnellen NEL–Flitzer (Aíolos Kendéris etc.) zu Gesicht bekommen. Die waren zum Teil wohl bereits aus dem Verkehr gezogen.

Wieder auf die Höhen im Westen der Stadt hinauf und zum Golf von Jéra hinunter. Nach der Abzweigung Richtung Dípi ist Neuland beschritten. Der Winzort wirkt etwas verlassen und heruntergekommen, verströmt einen gewissen Wildwestcharme. Das Ufer ist teils mit Schilf bestanden, einladende Strände in diesem Abschnitt sind nicht erkennbar. Die gäbe es weiter südöstlich, doch die Busroute folgt der Hauptstraße zu den Dörfern der Großgemeinde Jéra.
Und obschon ich nicht im "Gera"–Bus sitze, macht mein Plomári–Gefährt doch einige aufschlussreiche Abstecher in einige große Siedlungen im Fußbereich der Ostabhänge des Ólimbos–Gebirges.

Spätestens hinter Skópelos (nicht "Skopelós", wie es bei Thomas Schröder betont wird, es handelt sich um eine "Klippe", wie es sie als Insel auch in den Nördlichen Sporaden gibt) tauchen wir ein in ein silbriggrünes Meer von Ölbäumen. Hier wird einem klar, dass es wohl stimmen mag, wenn von etwa 11 Millionen Olivenbäumen auf Lesbos die Rede ist. Ob es nicht doch mehr sind?
Eine derart schmale Hauptstraße hätte fraglos längst eine Verbreiterung verdient, dringend benötigt. Nach Erreichen der Grenze des Bezirks Plomári hat man richtig Angst, wenn einem ein etwas breiteres Fahrzeug entgegenkommt. Ein regelrechter Tunnel durchs Grün, von dem Feldwege abzweigen. Plomári soll doch der zweitgrößte Inselort sein, und dann diese infrastrukturelle Nicht–Erschließung!
Der Süden als das Stiefkind von Mitilíni. Anderswo haben die Politiker die EU–Töpfe mit weit größerem Erfolg angezapft. Die findigen Kreter hätten sich längst eine Fähre angeschafft, die zwischen den beiden Städten pendeln würde, man muss sich halt was einfallen lassen. Räusper, räusper.
Kurz vor Trýgonas wird es besonders eng, das Sträßchen verläuft am Talgrund knapp über einem Fluss. Ganz eigenartig finde ich die beiden Dörfer Trígonas und Plajá beim Vorüberfahren; abgelegen und verloren zwischen den Oliven. Lange zuvor hat man kein Dorf mehr gesehen.
Nun kurven wir südwärts zu einer Straßengabelung, an der ich vormittags darauf wieder vorbeikommen sollte – auf zwei Rädern. Eine Taverne rechter Hand, "Mouriá" (= Maulbeerbaum) hieß sie, glaube ich – außer den Wirtsleuten sehe ich keine Gäste an den hübschen, blau gestrichenen Tischen. Hier würde es mir gefallen. Unweit davon eine Tankstelle, wo sich der Bus irgendwie schräg hineinkeilt, Diesel zu fassen.


ERSTMALS IN PLOMÁRI

Unsere Straße dreht südwestwärts in den eigentlichen Ort Ájios Isídhoros hinein. Der schönere, bald gartenartige Teil von Ágios Isídoros ist allerdings südöstlich der Hauptstraßensiedlung gelegen – eine wahre Entdeckungsreise!
Unter uns der sehr sandig aussehende, lange und jetzt ruhige Strand. Das Fußballstadion. Und dann, nach wenigen hundert Metern, links die neue Ouzo–Fabrik der weltweit geschätzten Marke "Barbayánnis". Hier darf man auch besichtigen und kosten.
Bald darauf die Ruine einer Ouzo–Brennerei, und schon sind wir in den östlichen Außenvierteln Plomáris. Der Kern der Siedlung zeigt sich auf den Hängen hingebreitet. Dahinter die steileren Abhänge. Höhere Berge ragen hervor.

Die Straße läuft schließlich direkt am Ufer entlang. Schon nähern wir uns dem durch lange Molen eingefassten Hafen, der nur kleinere Boote beherbergt. Landeinwärts eine Tavernen– und Café–Zeile, dazwischen ein paar Geschäfte. An der Ostecke des ins Meer vorspringenden Hauptplatzes am Meer der Kasten des Hotels Oceanis, in dem auch mehrere Lokale Platz gefunden haben, außerdem ein Kfz– und Mountainbikeverleih. Die Osthälfte des Platzes bildet ein kleiner Park mit hohen Bäumen, um ihn herum Straßenflächen. Die Westhälfte stellt einen Parkplatz dar, auch für die höchstens zwei KTEL–Busse, die hier ihren Endhalt haben und von hier starten. An der Westseite des Parks warten die Taxifahrer auf Kundschaft, nehmen gelegentlich einen Schluck aus dem Trinkwasserbrunnen. Alles in allem eine träge Stimmung zu dieser Mittagsstunde – sie hielt aber den ganzen Tag über an.
Als westlicher Abschluss der Platía ein weiterer hässlicher Betonriegel von Verwaltungs–, Bank– und Polizeigebäude. Meerwärts daneben beginnt die Straße Richtung westliche Strände und Bergdörfer wie Paläochóri und Arkási, steigt erst einmal zu einer Brücke empor.

Im rechten Winkel zu dem Betonriegel blickt ein wunderschönes altes Hallenkafenío meerwärts, einige Stufen geht man zu seiner Außenterrasse hoch. Drinnen ein hoher Raum mit Spiegeln, Uhren und einem exponiert angebrachten Porträt–Gemälde und etlichen Simsen mit Ouzoflaschen drauf an den Wänden.
In dem entlegenen Winkel unter dem Fernseher parke ich gleich einmal mein Gepäck, nachdem ich um Erlaubnis gefragt habe.
Der Tresen ganz im Hintergrund rechts, auf der Seite, wo man durch den anderen Ausgang zum lebhaftesten Plätzchen von Plomári hinaustreten kann, sich an einen der weiteren Tische dort zu setzen, um das städtische Treiben zu beobachten. Von dieser Hinterseite des Kafeníos aus überblickt man die kleine Platía Benjamín, direkt gegenüber ein Schreibwaren– und Zeitungsgeschäft, ein Gemüselädchen und zwei Verkaufsstellen berühmter örtlicher Ouzo–Erzeuger, einmal von Barbayánni (der gepflegtere, modernere Laden, erkennbarer Wohlstand), und dann der wohl den meisten unbekannte Giannatsí (Jannatsí), ein einfaches, schmales Lädchen, auf das mich mein Tischnachbar mit unzweideutigen Gesten aufmerksam macht, aber ich weiß ja schon, dass ich von dort was mitnehmen werde.
Schräg links gegenüber meinem Kafeníostuhl das zweite ältere Platz–Kafenío (mehr sind es nicht), das noch beliebter scheint als meines, nach den voll besetzten Tischen zu urteilen. Aber meines hat doch viel mehr Atmosphäre.
Dazwischen eine Verkehrsader, bescheiden aber dennoch lebhaft, allerdings mit nur wenig Autoverkehr. Hier kriegt man wirklich fast alles mit, was im Ort passiert, denn hier kommt jeder durch, der in der lang gezogenen Einkaufsstraße (die bei einem Baum hinter dem anderen Kafenío in ihre geschäftige Fortsetzung mündet, die Odhó Koundouriótou) Besorgungen tätigt oder einfach seinerseits was sehen will, nicht nur gesehen werden.

Guck ich etwas höher, türmen sich die ersten Häuserreihen hügelwärts, eine verwinkelte Treppengasse führt hinauf. Hier irgendwo auch das Schild, das auf die Pension Lida hinweist.
Nachdem "Lida" im Müller–Buch derart angepriesen wird, will ich einem Konkurrenten eine Chance geben. Nachdem ich die ganze Länge der Koundouriótou abgegangen bin, gebe ich auf, denn die bei Th. Schröder (Müller–Verlag: Lesbos) zitierte "Pension Diónysos" ist einfach unauffindbar. Mag sein, dass die schon aufgegeben haben, weil fast alle Individualreisenden das "Lida" bevorzugen.

So steige auch ich die Stufen empor, rechtsrum, linksrum, frage, steh aber fast schon vor dem Eingang zum "Lida 1", einige Schritte weiter, am Ende der Sackgasse, die Terrasse des "Lida 2".
Ein großes, schweres Portal steht offen, es wird da drinnen wohl gerade sauber gemacht. Auf mein Rufen hin erscheint eine Niederländerin, den Putzeimer in der Hand. Sie teilt mir mein Einzelzimmer gleich am Ende des Flurs auf der Eingangsebene des Lida 1 zu, wird ihren Chef fragen, wie viel es kostet, schätzt aber, etwa 23 Euro – es waren dann 20.
Waschbecken ist drin, das Bad jedoch auf dem Flur, ich kann es aber wegen Gästemangels alleine benutzen. Die größeren Zimmer haben wohl ein eigenes Bad. Mein Zimmer hat zwar keinen Schrank, nur Regale hinter einem Vorhang, aber dafür viel Charme. Es ist hoch, hat einen Holzboden und eine Holzdecke und sieht einfach nett aus.
Es ist nicht gerade leicht, das Außenportal zu– bzw. aufzusperren. Denn das uralte Schloss ist groß und unberechenbar und der riesige Schlüssel verliert sich in seinen Tiefen.

Jetzt aber auf zu neuen Taten! Das Mountainbike beim Hotel am Hafen ist bald besorgt, nur Luft haben die Reifen ziemlich wenig. Bevor der Vermieter umständlich über seine Autobatterie eine Luftpumpe startet, komme ich seiner Empfehlung nach, mir doch bitte an der "nur 150 m entfernten" Tankstelle Luft zu holen.
Nach 400 m ein Lädchen mit dazugehörigen ältlichen Zapfsäulen. Aber Benzin gibt es nicht, vielleicht später, am Abend. Nach weiteren 500 m etwas zickzack ostwärts eine respektablere Tankstelle. Hier pumpt man meine Reifen unentgeltlich auf, will nichts dafür haben. So brause ich ins Zentrum zurück, über Platía am Hafen und Platía Benjamín hinein ins K.–Gässchen. Bei der ersten Brücke über den Fluss, und schon hab ich den Platz mit der riesigen Platane erreicht. Da ist aber echt tote Hose, ein paar Kneipchen, der ganze Platz mit Tischen und Stühlen vollgestopft, aber keine Gäste. Und es sieht schon übertrieben touristisch aus, deshalb will ich nicht unbedingt abends hierher zurückkehren, hab ja auch nicht viel Zeit übrig.


AUSFLUG NACH MELÍNDA

Zurück ans Meeresufer, die Brücke rauf und runter. Rechter Hand Ruinen einer Fabrik. Auf den Hängen darüber ärmliche Stadtviertel – ich fühle mich nach Neapel, nach Süditalien versetzt. Bald kommt eine leichte Steigung, die Straße verengt sich. Hier liegt links unten der wirklich hübsch aussehende Ortsstrand mit Bäumen, etwas weiter rechts die erste von zwei Tavernen, die von "Mama Katerina", die norwegische Flagge am Fenster, etliche Mittagsgäste. Die andere Taverne ein kurzes Stück weiter über dem Strand hat bereits zugesperrt.
Rechter Hand noch ein sich den Hang hinauftürmendes Hotelgebilde mit wohl hauptsächlich norwegischen Insassen – sind aber nicht mehr sehr viele.
Eine Kirche, der Ortsausgang. Die Straße wird breit, alles schön geteert, ideal befahrbar. Einige gemäßigte Steigungen, Feldwege zweigen ab, von den Kurven aus die ersten Blicke zu Richtung Meer vorspringenden Bergnasen im Westen. Eine Ahnung des superlangen Strandes von Vaterá dahinter, so weit kann es gar nicht sein. Die geplante Küstenstraße dorthin, nach Vaterá, ist erst kümmerlich angefangen (als Feldweg Richtung der Marienkapelle bei Melínda), wie mir versichert wird, es wird noch lange dauern, bis die fertig ist.
Eine hübsche, leider schattenlose Strecke, zuletzt wieder ein längerer Anstieg. Von oben ist Melínda mit seinem langen Strand bereits sehr gut einsehbar, zumindest sein östlicher Teil. Die ersten Häuser unten am Hang gehören Privatleuten und sind nicht sehr zahlreich.
Dann die lange, steile Abfahrt auf erstaunlich breiter Teerpiste. So eine Straße müsste von Plomári nach Mitilíni führen! Unten geht der Teerwurm weiter, windet sich dann bergauf, meine Karte ist bereits veraltet, hier ist schon bergwärts durchgeteert.

Ich aber bleibe da unten, fahre bei der ersten Abzweigung links und lande, nach insgesamt etwa 6 km Fahrt, bei zwei oder drei Häuschen mit Zimmervermietung gegenüber der Strandtaverne von Maria, vor der nur zwei Griechen sitzen, etwas trinken.
Gleich kehre ich wieder um, biege nach links auf die Hauptstraße zurück, nach der landwärtigen Kurve dann wieder links auf ein Nebensträßchen ein, das an der geschlossenen Taverne "Melínda Paradise" vorbeiführt, alles in Gärten versteckt, große Stille. Ganz hinten an dieser Zufahrt ein weiteres Lokal, das "Psarós" (das "Graue" oder "grau Melierte"), auch wenn ein anderer Name draufsteht (irgendwas mit "Taverna Melínda", oder so ähnlich) – die alte Frau da drin muss es ja wissen.
Direkt daneben der Zugang zum hinteren Strand, bei dem großen Felsen, der ins Wasser ragt, und der gerade von einer skandinavischen Jugendgruppe in Badekleidung beklettert bzw. seitlich umschwommen wird. Wären die nicht zufällig auf Tagesausflug hier – der Leiter sitzt auf der überhöhten Tavernenterrasse –, wäre hier überhaupt kein Leben mehr, an diesem 10. Oktober. Westlich hinter diesem Strandteil noch ein paar bereits geschlossene Häuser mit Zimmervermietung. Ein wenig wandere ich den Strand ostwärts entlang, vorbei an einem jungen Paar, das sich hier sichtlich wohlfühlt – kein Wunder, schönstes Badewetter, auch wenn es weiter östlich, unweit der Inselhauptstadt, die letzten Tage mal geregnet haben soll. Aber die Insel ist groß, hat auch einmal unterschiedliches Wetter, je nach Lage. Hinter und über den Häuptern der sich Sonnenden zugesperrt wirkende Häuschen mit Fremdenzimmern. In Marias Taverne gibt es auch nur mehr gemischten Salat.

Ich kehre um und suche das Restaurant "Psarós" auf. Alles verlassen, auch der Gruppenleiter ist von seinem schattigen Sitz verschwunden. Nur eine Alte mit Kopftuch sehe ich drinnen, die putzt gerade Gemüse. Es gebe aber nicht mehr viel zu essen, meint sie und zeigt mir einen kümmerlichen Rest von Rindfleisch in Soße. Ich möchte von den Nudeln in einem Topf dazu, die kriegen aber die Hunde. Und Fritten will ich nicht, so verzichte ich, auch auf den angebotenen "choriátiki saláta". Da auch kein Bier mehr da ist, bestelle ich ein Viertel offenen Wein, der so scheußlich schmeckt, dass ich nur davon nippe (– einen Frankeinwein aus Iphofen, aus Sommerach an der Mainschleife, einen Silvaner oder Bacchus, einen Ruster Weißen vom Neusiedlersee, meinetwegen auch den lieblichen "Ausbruch" oder einen Sämling vom "Klua Hoada" in Illmitz, das wünschte ich mir jetzt!).
"War zu viel", sage ich beim Gehen, als gerade ein Mann mit einem Bierträger ankommt. Zwei Euro für mein Viertel Gesöff waren wirklich zu viel, einfach unangemessen, denke ich. Gleich erzählt die Alte einer eintreffenden Freundin, dass er dem Fremden zu viel war, DER WEIN, mengenmäßig – gibt ja ansonsten kaum Gesprächsstoff. Ach ja, die Staubstraße gegenüber dem Haus kürze nur die Teerstraße etwas ab, antworten sie mir. Oben abbiegen, da ginge es zur Panajía Kriftí (zur Höhlenkirche der "Versteckten Muttergottes").
Die Gegend ist nicht ohne, sie gefällt mir durchaus. Nur, wenn man sich hier ganz alleine zum Saisonende einmietet, kriegt man wohl bald die Krise. Da ist Plomári empfehlenswerter. Im Sommer ist bestimmt alles anders.

So schwinge ich mich aufs Rad und strample den Feldweg hoch, zwischen Oliven und bellenden kleinen Wachhunden durch, bis ich auf die breite neue Teerstraße treffe. Gleich drüberhalb führt ein weiterer breiter Feldweg zur Marienkirche weiter, es sind etwa 3 km.
Das hebe ich mir aber für das nächste Mal auf Lesbos auf, wollte nur etwas "anschnuppern", den Einstieg erkunden.
Zurück also nach Melínda runter auf der Teerstraße, deren Seiten schon vorausschauend gegen Sturzbachfluten gesichert sind, mit Durchlässen für das Wasser. Da ginge es also hoch nach Paläochóri.


BEI MAMA KATERÍNA

Auf der Rückfahrt erst der steile Anstieg, dann wird es leichter. Entspannt rolle ich ins Strandviertel von Plomári ein, halte vor "Mama Katerina", wo jetzt nur mehr ein einziger Herr aus Norvijía (Norwegen) bei Tisch sitzt – immerhin ist noch geöffnet, nicht erst wieder abends.
Ein Xifías soll es sein, mit Salat und etwas Kartoffeln. Die Scheibe Schwertfisch alleine sollte schon 10 Euro kosten (sie hatte mich vorgewarnt – und Norweger sind durchaus höhere Preise von ihrer Heimat her gewohnt), hat aber sehr gut geschmeckt.
Der Retsína aus Limnos war köstlich. Und die Chefin im Lokal, offenbar nicht "Mama Katerina", hatte ein sonniges, freundliches Gemüt und sprach einen irren Dialekt, der mich ein wenig ans Süditalienische erinnerte, es klang annähernd so wie eine Gruppe Napoletaner, die in der Stazione Términi in Rom ins Zugabteil steigt. Fast eine eigene Sprache haben die hier in Plomári, wenn sie alle untereinander so sprechen, denke ich. Oder war das vielleicht wieder eine "Thrákissa", eine Frau thrakischer Herkunft?
Mit den eintreffenden älteren Griechen entwickelt sich eine nette kleine Unterhaltung, an der sich die Wirtin lebhaft beteiligt. Sind ganz einfache, ehrliche Leute.


DURCH DIE GASSEN VON PLOMÁRI

Nun gibt es erst einmal einen Ellinikó im Hallenkafenío beim Hafen. Dann durchstreife ich die Gassen des westlichen Ortes auf dem Rad. Weiter hinten in der Koundouriótou frage ich eine Frau nach dem ursprünglichen Laden des Ouzobrenners Jannatsí, denn ich bin noch der Meinung, der vorne sei nur ein Ableger, was aber nicht stimmt. Die Frau um die Fünfzig ist überrascht, gibt sich als Enkelin des alten Jannatsí zu erkennen – er war ihr Großvater, so ein Zufall. Die Pension Diónysos suche ich weiterhin vergeblich – ich geb's bald auf. Dafür lerne ich die hinteren Viertel des Ortes ein wenig kennen, die zweite Brücke, das Ausfallsträßchen hoch in die Berge nach Megalochóri.
Noch einmal hin zur Platía Plátanos, wo es später hoffentlich voller wird, denn die zwei Touristen machen das Kraut auch nicht fett. Vorbei an einer Kirche radle ich die engen Gassen im Zickzack hoch. Schäbigere Häuser als die im Osten der Stadt. Überall Hundekot auf dem Pflaster. Überall Anzeichen von Verfall und zu geringen finanziellen Mitteln. Hinunter schiebe ich dann lieber. Unten die gewohnten würzigen Ouzodüfte aus irgendeiner Brennerei.

Abends ist es Zeit für Einkäufe. In der hübschen Bäckerei neben dem Hallenkafenío, ihrerseits eher Halle als Laden, haben sie sogar noch frisches Brot, neben einer Vielfalt an Gebäck, Kuchen und Süßigkeiten. Im Supermarkt in der Koundouriótou–Gasse erstehe ich wieder eine leckere Wurst und etwas Gemüse. Meinen wichtigsten Einkauf tätige ich aber bei "Jannatsí", dem Oúzo–Lädchen am Benjamín–Platz, in dem es auch andere Spirituosen und Getränke zu kaufen gibt. Der junge Bedienerix ist sehr freundlich, ja freut sich aufrichtig, dass wieder mal einer da ist, der es auf Griechisch versucht. Da strahlt er gleich, natürlich auch ob des guten Ouzo–Geschmacks des Fremdlings, der bei dieser übermächtigen Konkurrenz (Barbayánnis, die bekannte Marke, ist nur zwei Häuschen weiter recht beeindruckend vertreten) doch zu IHM gefunden hat.
Zwei große Flaschen erstehe ich – und zwei kleine krieg ich dazugeschenkt. Mit Handschlag und guten Wünschen werde ich verabschiedet. Was für eine Herzlichkeit. Kein Wunder, dass ich wiederkommen will.

Besonders schön ist es, nachts auf den Holzplanken des Balkons im "Lida" zu sitzen. Mein einfaches Mahl hab ich im Zimmer eingenommen. Mein Balkon bietet trotz seiner Lage relativ weit unten im Haus schon hübsche Ausblicke um die Ecke auf eine fast sizilianisch (oder spanisch) anmutende Dach– und Häuserlandschaft mit exotisch anmutendem Kirchturm – im milden Licht der Straßenbeleuchtung wirkt das alles äußerst stimmungsvoll. Wäre nicht das große weiße Gebäude direkt vor mir, aus dem immer wieder irgendwelche griechisch sprechende Vereinsleute herauskommen, würde ich mich für Momente gar nicht mehr in GR wähnen.

Tags darauf bin ich über den Ouzoduft überrascht, der bereits am frühen Morgen durch die Gassen der unteren westlichen Stadt zieht. Des Rätsels Lösung ist die Arvanítis–Brennerei, die nur unweit westlich der beiden Hauptplätze in einem Sträßchen versteckt liegt. Ich komme direkt an ihr vorbei, sehe Apparaturen und gestapelte Kartons und einen einzigen Aufpasser in Eingangsnähe.
Später erkunde ich noch ein bisschen die nach Norden aus der Stadt hinausführende Talung.
Ein schier endlos langes Flusstälchen ist das, Häuschen, Villen im Grünen, teils Palmen daneben, eine recht üppige Gegend. Allseits steil ansteigende grüne Bergflanken. Der Wegweiser, der von dem Sträßchen wegzeigt, das hintenrum wieder auf die Hauptstraße Richtung Mitilíni trifft, trägt die Aufschrift eines Heiligen. Am Ende oder zumindest irgendwo abseits müsste man also auf eine Kapelle treffen. Leider muss ich bald umkehren.


EINE ERSTE ERKUNDUNG VON ÁGIOS ISÍDOROS

Kaum habe ich mein Mountainbike am Morgen wieder abgeholt, radle ich schon zielstrebig nach Osten aus der Stadt hinaus. Ich möchte meinen letzten halben Tag hier gut nutzen, Eindrücke für das nächste Mal sammeln, auf denen es sich aufbauen lässt.

Selbst der Durchgangsstraßenteil von Ájio Isídhoro liegt um halb zehn noch quasi im Tiefschlaf. Der Weg zum Strand ist bald gefunden. Ein sehr schöner, sandiger Strand ist es in der Tat. Zu dieser Stunde noch völlig leer.

Mich zieht es aber weiter ostwärts.
Als ich, schon außerhalb der Ortschaft, die hübsche Taverne Mouriá passiert habe, fahre ich rein neugierdehalber noch 500 m weiter, kehre dann aber um und biege kurz vor der Taverne auf das gepflasterte Sträßchen Richtung der östlichen Strände von Ájio Isídhoro ab.

Vorbei ist aller Straßentrubel und –verkehr. Man taucht ein in eine verklärte Stille, holpert zwischen Olivenhainen und Privatgärten die mit Schieferplatten belegte Piste hügelauf und wieder hügelab (– jeweils nur einmal).
Erstaunlich finde ich die vielen Villen in durchaus ausgefallenem, modernem Stil. Ich tippe auf etliche Nordländer, die sich hier einen friedlichen Zweitwohnsitz geschaffen haben. Mag sein, dass sich zusätzlich einige aus dem europäischen Norden zurückgekehrte Griechen niedergelassen haben. Und die restlichen Einheimischen wurden von dieser Bauweise angesteckt. War nur so eine Idee. Überall diese einzigartige spätvormittägliche Ruhe. Ein kleiner Touristenort im Vorstadium des Winterschlafs. Erste Erstarrung macht sich bemerkbar.
Hölzerne Wegweiser. Man könnte schon bald hügelan nach Ost auf ein Feldwegsystem abbiegen. Ich radle aber geradeaus weiter, Richtung "Ajía/Ájia Varvára" (Agia Barbara). Rechts wäre es zu dem westlichen Strand weitergegangen.
Ein Bündel Mountainbikes im Garten eines modernen Hauses in den Oliven, gegen einen der Bäume gelehnt. Auf der Freiterrasse sitzt eine Kleingruppe Touristen.

Weiter bergab treffe ich bald auf den sehr langen, schmalen, nicht uneinladend aussehenden Ost–Strand der weit auseinandergezogenen Siedlung. Viel angeschwemmtes Seegras auf den Kieseln.
Rechts die Zufahrt zu einem nicht allzu großen Hotel, das wohl nicht mehr aufhat. Das lange Sträßchen dreht hier ostwärts, verläuft kilometerweit immer dicht am Wasser. Nur zwei Zulieferautos überholen mich. Die hohen Berge im Norden der Insel Chíos heben sich als grüne Buckel gegen den Horizont ab. An klaren Tagen wäre auch Psará zu sehen, die kleinere westliche Nachbarin von Chío.
Auf einem flachen Landvorsprung ins Meer eine Kapelle, es ist bestimmt die der Heiligen Barbara (obwohl sie eigentlich dem Heiligen Nikólaos geweiht sein müsste), gleich davor ein winziger Hafen für einige wenige Kleinst–Fischerboote. Gegenüber eine geschlossene Taverne, dann eine zweite, deren Tür offen steht. Es ist einfach herrlich, gerade hier am Meer entlangzuradeln, in dieser wohltuenden Stille, diesem ersehnten Abseits, dieser sanften Brise, der nicht zu aggressiven Sonne. Man kommt ganz zur Ruhe, während man nebenbei schlichte Eindrücke in sich aufnimmt.

Hinter dem Kirchlein eine nur leicht gebogene Bucht, sie schwingt ganz sanft an einem Weg (oder trockengefallenen Flussbett) mit riesenhohem Schilf vorbei, an ein paar Häuschen, bis ganz östlich ein weiteres Hotelchen erreicht ist, das auch nicht gerade belebt wirkt.
Hier geht es im rechten Winkel wieder landein und bergauf. Linker Hand eine weitere Taverne, zumindest NOCH zu. An der Feldwegkreuzung mit einem oder zwei Gehöften radle ich nach rechts, ostwärts und bergauf, der Geröllweg ist durchaus noch befahrbar. Vielleicht komme ich zu einer weiteren Bucht?
Kurz darauf dreht der Weg um eine Talung herum, deren Ende schon die Evangelístria–Bucht markiert. So weit will ich nicht mehr fahren, denn ich muss allmählich auf die Uhr schauen, möchte den 13–Uhr–Bus von Plomári aus erwischen. Also wende ich und nehme denselben angenehmen Weg zurück. Ich zweifle nicht daran, dass es unter all den vielen, nicht vollständig auf der Karte (1:70.000) eingezeichneten Feldwegen auch einen gegeben hätte, der mich nach längerer Fahrt zumindest in die Nähe von Tarti gebracht hätte – einem recht entlegenen Badeörtchen an der östlichen Südküste.

Von Ost her tuckert ein Minifischerboot mit einem Alten drauf auf den Winzhafen bei der Heiligen Barbara zu. Vielleicht gibt es abends in der letzten geöffneten Taverne noch einmal eine Fischmahlzeit für die übrig gebliebenen paar Fremden, die Dauerwiederkehrer?


LETZTE EINDRÜCKE IN PLOMÁRI. ZURÜCK NACH UND IN MYTILÍNI

Ein gutes "Bíra Fix" (2 €) sei mir noch gegönnt, vor meinem alten Hallenkafenío in Plomári, diesmal auf der hafenwärtigen Terrasse. Schmeckt vorzüglich, und wo kriegt man das schon.

Hab mit der netten Holländerin vom "Lida" noch ein paar Abschiedsworte getauscht. Sie lebt hier, ist mit einem Skandinavier verheiratet, der sich ebenfalls mit einem Job durchschlägt, allerdings einem akademischen. Der Besitzer der beiden "Lidas" – man kann sich mit ihm auch gut auf Deutsch unterhalten – drückt mir noch einen Prospekt in die Hand, meint, die paar zurzeit anwesenden Deutschsprachigen wohnten alle bei ihm.

Wohnen wäre jetzt im Oktober ja relativ preisgünstig, denke ich mir; bei ihm 20 Euro für ein EZ, unten am Hafen, im Hotel Oceanis, hab ich bei der Rückgabe des Fahrrads ein Angebot über 15 – 20 Euro fürs EZ erhalten, sie hätten auch schöne Studios weiter östlich. Muss ich mir vormerken, denn da unten war es zu dieser späten Jahreszeit keineswegs so laut, wie man es hätte erwarten können, und nicht alle Zimmer des Hotels gehen zur Straße raus, in einigen fühlt man sich eher wie auf der Kommandobrücke eines Vapóri (Dampfers), so dicht am Wasser.
Der Mann vom Fahrzeugverleih erzählt mir von seiner deutschen Frau aus Weilheim (in Oberbayern, wenn ich ihn richtig verstanden habe – eine Landsmännin!), die letzte Woche mit LTU nach München geflogen sei. Ich solle doch noch eine Nacht in Plomári verbringen und den 7–Uhr–Bus nehmen. Dann ein Taxi vom Busterminal aus. Aber bei einem Abflug kurz nach 10 ist mir das doch zu riskant. Da wäre ein teures Taxi direkt zum Flughafen schon angemessener.
Obwohl ich schon die irrsten Sachen gemacht habe, z. B. für (Austria: um) 140 Mark um 5 Uhr früh ein Taxi von Zákros im östlichsten Kreta zum Airport in Heraklion genommen, Schliddern über gefährliche, von der Salzluft angefeuchtete Straßen, der Taxitsís ist sich des Risikos bewusst und macht uns Mut, indem er sich entsprechend äußert, nur um die schöne Dorfatmosphäre noch einen langen Abend genießen zu können, will ich das Geld diesmal für den nächsten Urlaub sparen – es wird ja eher weniger als mehr, in diesen arbeitnehmerfeindlichen Zeiten. Muss ja nicht sein, und die Stadt Mitilíni ist für mich kein Problem, sie gefällt mir inzwischen ganz gut. Hab zudem wieder Lust auf Fährschiffe, einige davon zu beobachten.

Eine gute Tat bringe ich noch hinter mich, bevor der 13–Uhr–Bus mit zwei Touristen weniger losführe.
Die beiden deutschen älteren Damen, die zuvor durch den Ort gestreift waren, stehen nun vor dem zweiten anwesenden Bus. Der ist zwar aufgesperrt, aber leer und ohne Fahrer. Sie wollen den anderen gar nicht richtig wahrhaben, der 30 m weiter mit geöffneten Gepäckluken und schon halb voll dasteht. Was für eine schreckliche Unsicherheit, sich nicht einmal fragen zu trauen. Meinem Winken und Rufen aus der Bustür misstrauen sie erst noch, bis sie sich endlich herwagen.

Im Bus gleich hinter mir ein bestimmt griechischstämmiger (sehr wahrscheinlich) Wiener neben einem älteren Einheimischen. Die wienerblütige jüngere Freundin des ausländischen Gastes muss auf der anderen Busseite in der Sonne sitzen. Die beiden Männer unterhalten sich die ganze Zeit angeregt auf Griechisch über die Insel, die Oliven, seine weitere Reiseroute. Schließlich erfährt das Paar, dass es an der Ostseite des Golfs von Jéra eine Kapelle geben soll, die der Namenspatronin des Mädchens geweiht ist: Melanie = Melanía, offenbar (?). Der Greco–Viennese muss übersetzen.

In MYTILÌNI stelle ich mein Gepäck in eine Ecke des Flurs der Pension "Alkäos" (Alkaíos) nahe der Therápon–Kirche. Bis etwa 15 Uhr ist sie wegen Mittagspause nicht "empfangsbereit", wie ich am Telefon erfahre; die Handynummer prangte am Empfang und die Haustür stand zumindest offen.
Im Schatten der Bäume des Cafés im nahen öffentlichen Park am Beginn der Odhós Ermoú entspanne ich mich erst einmal ein Weilchen.
Von dem prächtigen, mir eigentlich doch zu neuen, dabei preisgünstigen Zimmer mit dem modischen großen Eisenbettgestell habe ich ja schon berichtet. Nur 25 Euro für ein EZ in der Inselhauptstadt, ein guter Preis.

Noch einmal Gelegenheit, die lange Fischer–Mole hinaus zum "Fanári" zu schlendern, dem sehr einfachen Kafenío an ihrem Ende.
Da liegt sie nun, dort drüben: die Mytilíni, die hübsche ältere Großfähre der NEL Lines. Steuerbord vorne ist ein zweites Tor zur Beladung aufgeknickt. Endlich seh ich sie einmal wieder. Sie hatte mich vor anderthalb Jahren von Chios–Stadt nach Mýrina auf Limnos gebracht, eine großartige Seefahrt war das – der erste Anblick von Limnos, flach und weit hingebreitet mit einigen Bergen, ging mir so nahe. Vorbei waren wir geglitten an dem weiß herüberleuchtenden Badehäuschen von Eftaloú im Norden von Lesbos, kurz darauf an Mólyvos, über das ich in meinem Bericht damals so gelästert habe. Und nun hab ich meine Vorurteile bezüglich Lesbos und sogar Mólyvos abgelegt. Insofern hat sich diese Reise gelohnt, hat meine Vorstellung geradegerückt, entpuppte sich sozusagen als ein philosophisch notwendiges Unterfangen. Die Suche nach der "Wahrheit". Dabei gibt es doch so viele Wahrheiten.

Abends, vor Einbruch der Dämmerung, kehre ich wieder zum Fanári zurück und bleibe lange, schätze neben dem inzwischen (hoch)dramatisch gesunkenen Getränkepreis (von jetzt 1.20 für ein Amstel; zur Erinnerung: in Beba's Corner auf der Platía von Pétra 2.70 für ein Mytho) die netten Schnurfischer in einer Ecke der Terrasse (man kennt sich inzwischen vom Sehen her), das Original–Einheimischen–Klima mit Hund, Kartenspiel und Távli–Partien, während sich eine jüngere, in einen dicken Pullover gehüllte Fremde ein paar Meter von mir niederlässt, die wie ich auf eintreffende Fähren wartet und das milde Dämmerlicht und die abendlich dunkelnden Hänge hinter den südlichen Vororten beglückt in sich aufnimmt. Sie könnte gut eine "Gastarbeiterin" sein, die sich in dem preiswerten Lokälchen mal was gönnt. Wie es der Zufall so will, nimmt sie dann am nächsten Morgen auf einem A–Sitz unmittelbar vor mir im Flugzeug Platz. Manchmal ist es wirklich nicht einfach, Deutsche als solche zu erkennen.

Überraschend wenig Leute habe ich in den Restaurants in Hafennähe gesehen. Ich denke, unter der Woche geht man nicht mehr so ohne Weiteres/weiteres essen, wie bei uns zu Hause auch. Die Preise auf den Speisekarten sind ziemlich gesalzen, die meisten Griechen holten sich was in den preisgünstigeren Psistaríen (Grill–Schnellgaststätten), während ich mit wenig und einfachem Essen in der Taverne eine hohe Zeche mache.

Als Abschiedsgeschenk Poseidons darf ich später die Ankunft des neuen, schnellen Schiffes Níssos Mýkonos von Hellenic Seaways von meiner Warte im Fanári aus miterleben. Es hat einen blauen Rumpf, irgendwas Rotes ziert sie auch. Nach spätestens 20 min legt die flinke Fähre schon wieder Richtung Chios und Piräus ab. Wenn ich da an die trägen NEL–Dampfer denke, verstehe ich, warum die eine derartige neue Konkurrenz fürchten müssen, die preislich möglicherweise unter den futuristisch aussehenden Schnellfähren von NEL liegt – wenn es die alle überhaupt noch gibt.


ABREISE

In der morgendlichen Dunkelheit gehe ich am bereits geöffneten Bougátsa–Lokal an der westlichen Hafenfront vorbei Richtung nördlichem Hafenende, zum Startpunkt der Stadt– und Umlandbusse, kaufe mir gleich eine Fahrkarte zum Flughafen für 1 Euro.
Dann setze ich mich auf eine Bank in der Anlage, die Hundemeute macht mich sofort aus, kommt betteln. Als sie zu bellen beginnen, mir auf Zentimeter nahekommen, wird es mir zu dumm. Aber keines der Groß–Cafés hinter meinem Rücken hat schon auf. So ziehe ich mich 50 m in die nächste Gasse zurück, dorthin, in der Nähe einer Eisdiele, wo ein kleinerer Platz hinter der großen Platía Sápphous die Häuserfront zurückdrängt.
Links hat ein uraltes, nur schwach beleuchtetes Kafenío bereits zwei einheimische Gäste, die sich zusammen mit dem alten Wirt über mein Eintreffen wundern. Rucksack wieder in die Ecke, draußen Platz genommen, einen Nes bestellt.
Als ich mich etwas genauer umsehe, bemerke ich Kopien (im Halbdunkel wirken sie zumindest so) einiger hübscher Großwerke im langen Querformat des Laienmalers Theóphilos an den Wänden des Innenraums. Die einfachen Leute unterhalten sich leise, mit wenigen Worten. Im engen Kiosk, nur 5 m von mir, eine grauhaarige Dame mit ihrer Tochter oder etwas jüngeren Verwandten, die wie gebannt auf einen kleinen Schwarzweißfernseher 60 oder 70 cm vor ihnen starren, der bei aller Beengtheit da drin auch noch Platz hat. Neben dem Häuschen ein Telefon– oder Strommast mit geradezu poetischem Leitungsverhau. Links an der Gassenecke öffnet ein weiteres jener einfachen alten Kafenía, ein Stammgast setzt sich. Ab und zu knattert ein rostiges Moped irgendeines ärmeren Frühaufstehers vorbei, ein vereinzeltes Auto. Hundenasen drehen sich schnell weg. Es wird Tag.
Diese Morgenstimmung ist echtes altes, aussterbendes Griechenland, das ich Gott sei Dank noch ausgiebigst erfahren durfte/darf.

Um viertel nach sieben steige ich als einziger Fahrgast in die Nummer 14, den Flughafenbus.
Direkt vor dem Terminal steige ich aus, schau kurz rein, es ist aber noch nichts angesagt, nur eine Handvoll Deutscher hat ihre Koffer bereits positioniert. Beim Studieren der Plakate von "Sky Express", einer neuen kleinen kretischen Fluglinie, freue ich mich über die Möglichkeit, nun theoretisch zweimal die Woche mit einer zweimotorigen Propellermaschine zwischen Heraklion und Mytilíni pendeln zu können. Ob ich sie einmal nutzen werde?
Die schwarze Flughafenkatze miaut die im Eincheckbereich Frühstückenden an, will was von den Sandwiches abkriegen.

Rüber zur Kapelle am Meeresufer, mit Gepäck. Der dort stationierte mollige Tigerkater umschmust meine Beine, hüpft auf das weiße umlaufende Mäuerchen, wartet auf sein Frühstück.
Idyllischer Abschied mit Strand– und Türkeiblick. Vor zwei Wochen erst hatte ich dort am Kapellchen als Ankömmling mein Gepäck abgestellt, die Abreisenden trauern sehen, die Katzen betteln – nun trauere ich selber. Mitreisende finden ihren Weg herüber, sehen sich wie ich den Strand ein Stück südwärts an.
Nicht mehr geöffnet haben die beiden Tavernen neben dem Airport. Es hätte sich dort so gut frühstücken lassen.
Mitten auf der Straße picken Krähen auf einer zusammengefahrenen Katzenleiche herum.
Immer mehr Touristen treffen per Taxi ein, so manchen herzlichen Händedruck sehe ich sie strahlenden Auges mit den Lenkern austauschen. Alte Bekannte, oder neue Freunde. Nur ein einziger Reisebus wartet.

Von Südwest her schwebt eine A–320 ein, vorher ist sie mitten zwischen Elládha und Tourkía vorbeigezogen. Es ist nicht mehr die "BORUSSIA MÖNCHENGLADBACH" (auf ganzer Rumpflänge), die mich hergebracht hatte, sondern eine dezenter bemalte Nichtfußballerin.

Im netten kleinen Duty–Free–Shop erstehen die LTU–Flugbegleiterinnen Unmengen von griechischen Zigaretten. Ich bin mit einer Flasche Olivenöl von der Insel zufrieden.

Nach dem Abheben ein letzter Blick auf Teile der Stadt gleich westlich des Hafens.
Bevor Bewölkung aufkommt, blickt mich der römische Aquädukt von Mória noch fragend an: Wieso hast du mich nicht besucht? – – Weil ich wusste, dass ich dich so oder so noch sehen würde!

Rechtzeitig vor Límnos wieder Durchblick nach unten. So lange schon wollte ich den Haupthafen Mýrina und den Westen der Insel einmal aus der Luft sehen, nicht nur die äußersten Ostspitzen.
Erstmals glitzern mir aus meiner Hohen Warte die Mauern des Kastells über dem Hafen in aller Deutlichkeit entgegen, von dem aus man den Berg Áthos aus dem Dunst auftauchen sieht, ein überwältigender Anblick für den Betrachter. Hätte ich ein Fernglas gezückt, wäre mir das Rudel Rotwild innerhalb des äußeren Mauergürtels auch aus der Flugperspektive bestimmt nicht entgangen.

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