Teil 1: Von München nach Frangokástelo
Copyright puchheim = MartinPUC, November 2007


(Leonídhas Kládhos, Λεωνίδας Κλάδος, begleitet diese Ausführungen auf seiner Lyra und gesanglich – etwas sehr Schönes, Genussvolles.)

Pünktlich hebt die B–737 von TUI–fly, noch in hellblauer Hapag–Fly Bemalung mit der pfiffigen roten, geschwungenen TUI–Linie und dem Punkt am oberen Ende auf der Heckflosse im morgenkühlen Erdinger Moos ab.

Wie die das nur machen, diese gestandenen Bilderbuch–Bayern, bestimmt auch Zugezogenen? Bereits in ihrer ersten persönlichen Warteschleife, um halb vier Uhr morgens in einer Airport–Cafeteria herumhängend, picheln sie, schütten sie das erste Weißbier (= Weizen) in sich hinein, zur Beruhigung oder zum Aufwärmen, denn eine Volksweisheit besagt schließlich, mit dem Zeugs, mit dem man aufgehört hat, soll man am Morgen weitermachen, um dem Kopfweh zuvorzukommen. Bei allem Respekt: Das könnte ich nicht, derartig früh; da ist mir mein großer Kaffee lieber, mir mühsam per Taxi und anschließend S–Bahn Angependeltem. Es war zum Glück kein Streiktag.

Abgehoben. Ein Sonnenaufgang dämmert uns entgegen, verwirklicht sich erst so richtig über Kärnten und Slowenien. Zuvor das wundersame Farbenspiel, über einem Gutteil des östlichen Horizonts. Die Mitte, der künftige Sonnenaufstiegspunkt, ist gar nicht so leicht zu erahnen.

Aufgehende Sonnen blenden immer, ein A–Platz mit Flugrichtung SE ist da gar nicht so vorteilhaft, und garantiert nicht immer führt die Flugroute genau so über der Küstenlinie Dalmatiens entlang, dass ein links Sitzender sich in der Königsloge wähnt, opernhausmäßig gesprochen. Das eine Mal funktioniert es, und man sieht genau und gerade noch hinab auf Städte wie Šibenik, Split, Dubrovnik, auf die Bucht von Kotor. Ein andermal verhindern es die Wolken oder eine leicht geänderte Flugroute.

Dass wir zumindest durchs Herz von Albanien, richtig querdurch, fliegen, verkündet nicht nur der Flugkapitän, sondern auch ein Blick auf die Landkarte, die auf meinem Schoß bereitliegt. Wieder diese herrliche Sicht auf den Ochridsee und die von Wolkenfetzen verhangenen Prespaseen.
Das ist zweifellos herrlich, aber es sollte noch viel schöner kommen.

Wie meint er das? Schöner kann es immer mal kommen – doch bestimmt auch schlimmer!
Pessimisten meinen ja, ganz bestimmt nur schlimmer, und es spricht einiges dafür. Doch diesmal, ganz kurzfristig, trifft ihre Prognose nicht zu. Ich gehe von meinem einseitigen, vollkommen ignoranten, viel zu wohlwollenden Blick hinab auf die Welt 11 km tiefer aus, nichts Weltbewegendes, kein umwälzendes Ereignis – oder doch?
Andere haben, leicht ermattet von ihrer Langstrecke, tief reichende und doch oberflächliche Einblicke gewonnen auf die heraufschimmernden West–Ghats, auf das unendliche Sumatra, auf die Spiegelungen des Indischen Ozeans.
Mein bescheidener, so oft wiederholter Anblick ist der Gipfel des Áthos, weit querab links wie eine mystische Erscheinung aus der Umwölkung herausspitzend. Der Heilige Berg ist zufällig in Wolken, wie auch die große Stadt Thessaloníki, aber Thássos nicht, doch leider ein gutes Stück der nördlichen Ägäis.

Dafür zeigt sich das überflogene Festland umso deutlicher. Mindestens vier große Wärmekraftwerke (mit nordgriechischer Braunkohle befeuert?) mit ihren genormt aussehenden hohen Kühltürmen habe ich im Blick. Ihre zugehörigen Rauchfahnen erstrecken sich weit himmelwärts. Sie stellen richtige landmarks dar, Orientierungspunkte bei klarer Sicht.
Der Olymp etwas verschleiert. Ganz prägnant die Krümmung der Pilio–Halbinsel, dann ein Großteil Évvias, ein östlicher Ausschnitt Athens.

Nun aber die Inseln!
Der Kérkis–Berg von Samos ist noch gut erkennbar. Und alles dazwischen ganz deutlich. Immer aufs Neue gefällt mir das je nach Vorbeiflugzeit so unterschiedlich beleuchtete "Anhängsel" von Anáfi, der heute gelblich schimmernde Marmorberg, die Schwanzflosse.
So viel anderes noch, ich erwähne es nicht.

Eine breite, so scheinbar niedrige Wand im Meer vor uns: Kreta, der letzte Riegel vor den Weiten der Libyschen See. Seine reich gegliederten Bergstöcke.
Wie fast immer landen wir aus Richtung Ost, bei Chersónissos eindrehend. Witzigerweise vollführt der Flugverantwortliche im Cockpit den "Samos–Dreher" (eine Wortbildung von mir selber, ich kenne das Manöver insbesondere von früheren Anflügen auf die Insel Samos her): Um rasch Höhe zu verlieren, schraubt sich der Flieger in einer engen, langen Kurvenbewegung in die Tiefe, um dann schnell und geschickt auf Geradeausflug zur Landebahn hin einzuschwenken.

Wir setzen recht früh auf, sind vorzeitig angelangt, rollen gut vor 10 Uhr Ortszeit aus, eher halb zehn. Es ist nicht gerade heiß, etwas Kühles scheint vorangegangen zu sein, wenn auch drinnen in der Gepäckhalle schon 25 Grad Celsius angezeigt werden.
Das erste Händewaschen im Flughafengebäude, noch bevor das Gepäck ankommt, und es kommt sehr bald, weil nur noch ein weiterer Flieger auf dem Vorfeld steht. So bald, dass ich frühzeitig einen Stadtbus vom Airport aus nehmen kann und nach kurzem Fußmarsch noch rechtzeitig den 10–Uhr–30–Bus vom Hafenbusbahnhof Richtung Chaniá erreiche. Ich hatte damit gerechnet, erst eine Stunde später abfahren zu können, und dann wäre es nicht sicher gewesen, dass ich den Bus ab Vrísses in die Sfakiá erreichen würde.

Es stand auf des Messers Schneide: Hätte ich den 10:30–Uhr–Bus nicht erreicht, wäre ich wohl Richtung Ost gefahren, das Schiff ab Sitía nach Kárpathos gerade noch zu erwischen, oder knapp zwei Stunden später den Propellerflieger, ein Erlebnis für sich mit Zwischenlandung auf Kássos.
So aber finde ich mich damit ab, diesmal die ganze Zeit auf Kreta zu bleiben – fast schon ungewöhnlich für mich.

In Réthimno angekommen, nutze ich die 5 Minuten Pause, mir die aktuellen Busfahrpläne zu holen, die zu dieser Jahreszeit im Wochenrhythmus erneuert werden. Erstaunlicherweise fahren nun nach Plakiás und Agía Galíni im Herbst auch nach 14 Uhr nachmittags noch mehrere Busse – eine Verbesserung im Vergleich zu früher.

Bald also verlassen wir den herrlich am Meer gelegenen Busbahnhof wieder und bewegen uns auf die Weißen Berge zu, und auf das zwar in eine wunderschöne Umgebung eingebettete, aber als Ort nicht mehr so schöne Jorjoúpoli.
Nun will ich es doch wissen und geh zum Busfahrer vor, um ihn zu fragen, ob er durch Vrísses fährt. Der Herr am Fahrkartenschalter in Iráklio hatte mir noch versichert, mein Bus werde Vrísses durchqueren, doch denkste! Mein Bus, der zufällig der Sektion der Busgesellschaft KTEL gehört, welche die östliche Inselhälfte repräsentiert, saust souverän auf der New Road an Vrísses vorbei. Unter einer diese überquerenden Brücke werde ich ausgespuckt, mit dem gut gemeinten Rat, doch den kurzen Trampelpfad da drüben zu benutzen.
Auf der Website von KTEL Westkreta (Chaníon–Rethímou/Rethímnis) hatte ich schon gelesen, man solle sicherheitshalber, von Heraklion kommend, nur bis Réthimno lösen, wenn man nach Vrísses wolle, sonst könne es einem passieren, dass man 2,5 km Fußmarsch in den Ort hinein auf sich nehmen müsse. Doch obwohl ich den "falschen" Bus erwischt habe, sind es dann doch nur allerhöchstens 500 m zu Fuß bis zum Bus–Kafenío, an einem Sportplatz vorbei, dann am Schulzentrum und dann einfach der Nase nach in die Ortsmitte. Da hat jemand wieder mal riesig übertrieben.

Neugierige kretische Augenpaare verfolgen mich von Kaffeehausstühlen aus, als ich die schmale Hauptstraße zum Buskafenío vortrotte.
Spíros ist seit Längerem nicht mehr der Wirt hier, ein junger Typ hat jetzt das Sagen. Ich hol mir bei ihm erst einmal eine Fahrkarte in die Sfakiá (er hatte mich schon darauf angesprochen, waches Kerlchen), dann einen Frappé mit Milch und Sáchari métrio.
Ein gerade unbeschäftigter Taxifahrer unterhält sich mit dem eigentlichen Wirt, dem Vater meines Jünglings draußen an einem der Tische. Unmengen PKWs, LKWs und gelegentlich auch Busse dröhnen vorbei, dazu Betonmischer und knatternde kleinere bäuerliche Altfahrzeuge, komplizierte Rangiermanöver sind erforderlich, Fremde steigen aus ihren Wagen, solche, die ein Häuschen in der Nähe besitzen, um ihre Einkäufe zu erledigen.
Nach einer halben Stunde hab ich von der geräuschvollen Straßenkulisse die Nase voll, so schön das Beobachten auch sein mag, und beschließe einen kleinen Spaziergang zu machen.

Ein paar Souvenirläden passierend, bin ich gleich bei der Brücke über das gerade eher spärliche Rinnsal von Fluss, das von etlichen Tavernen und hohen, schattigen Bäumen gesäumt wird – DER Platz, um den berühmten Joghurt mit Honig zu verkosten. Ein paar Jungs pfeifen spöttelnd zu mir herüber (vielleicht hat mich auch einer aus der Sfakiá erkannt?), als ich in das erste Sträßchen rechts hinter der Brücke und dem Denkmal einschwenke.
Ins Sonnenland trete ich ein, ins Grün, in eine Welt der Bergpanoramen, je weiter ich mich ortsauswärts bewege. Eine erste, heftige Prise Herbstsonne ergießt sich über mich.
Noch ein paar Ortssträßchen erkunde ich anschließend, bevor ich mich sicherheitshalber wieder beim Buskafenío einfinde. Doch der Bus von Chaniá her wird frühestens um Viertel vor drei eintreffen.
Draußen unterhält sich der alte Herr nun mit einer mittelalten Touristin, die auch wartet. Holländerin, Britin? Nein: Oberbayerin aus der Gegend von Rottenbuch, wie sie mir etwas später erklärt. Sie ist auf dem Weg nach Loutró.

Wir tauschen im Bus Kretaerfahrungen aus. U. hat 1 Wo. Urlaub von ihrer Familie, kann neue Kräfte sammeln, wird bei Pávlo wohnen, hinter seiner Taverne. Pávlos (ein anderer Pávlos), der ältere Buslenker aus Anópoli, sitzt in einer vorderen Stuhlreihe, hat das Steuer seinem jungen Kollegen überlassen. Wegen meiner Unterhaltung krieg ich nicht so viel von der Gegend mit, nehme aber zumindest die neue Umgehungsstraße am unteren Ortsrand von Ammoudhári in der Askífou–Ebene wahr. Ein schöner Tag, gutes Wetter, es sollte sich bald ändern. Von den Serpentinen hinunter zur Südküste aus zeigt sich östlich in aller Deutlichkeit mein Reiseziel für heute, über die ferne Ebene hingestreckt. Gávdhos und Gavdhopoúla direkt vor unseren Augen. Ein leichter Dunst über den Weiten der südlichen See.

Vor der Einfahrt in den Ort Chóra Sfakíon ist rechts oben wieder das alte byzantinische Kirchlein zu erkennen, zu dem sich die wenigsten hochbemühen. Und die ortseigene Schlucht, eine von so vielen in diesem "Land der Schluchten".

Irgendwie schlägt das Herz höher, bei der Ankunft. Doch ich muss gleich umsteigen, nach wenigen Minuten taucht der Bus auf, der bis zum Ostrand der Sfakiá fährt, über alle Dörfer bis Frangokástelo und weiter nach Skalotí und Argoulés, dem letzten Ort der Provinz Chaniá, von dort zurück über die beiden nördlich von Frangokástelo gelegenen Dörfer Kapsodhásos und Patsianós, wiederum bis Ch. Sfakíon, dann weiter nach Chaniá.

Ich finde das Umland von Komitádhes schon herrlich, die doppelschiffige Kapelle unterhalb der Straße, das Olivenland um die Ortschaft herum. Die Taverne mit Rent Rooms von Jórgos und seiner deutschen Frau, überhaupt die ganze Ortsdurchfahrt, in der hinteren Ortshälfte ist sie extraschmal.
Vouvás, Nomikianá, Ágios Nektários, lauter ganz nette, ursprünglich gebliebene Dörfer am Gebirgsfuß der östlichen Sfakiá.

Abzweig zur Küstenstreusiedlung Frangokástelo. Bei der großen Linkskurve Blicke auf Neubauten weiter westlich. Meerwärts hinter hochgewachsenen Bäumen das große Haus der Studios Stávris, das einem der 3 Brüder vom Hotel Stávris in Ch. Sfakíon gehört.
Busfahrer und Schaffner kommen diesmal aus Chaniá, deshalb kennen sie die Taverne Babis & Popi nicht. Wir suchen gemeinsam, doch sie muss gleich rechts an der ruhigen "Durchgangsstraße" liegen. Nach weiteren 300 Metern sind wir da, und ein paar Leute steigen aus. Die Ruine des Kastells vielleicht weitere 350 m östlich. Nicht so weit, wie ich es mir gedacht hatte.

Vor dem kleinen Häuserkomplex (Taverne, Rooms, Studios) befindet sich direkt an der Straße noch der zugehörige Minimarket. Davor steht ein braungebrannter, schlanker Mann. Es ist Kóstas, einer der 3 Brüder, die alle mit einer Deutschen verheiratet sind (!).

Ich rede erst einmal Griechisch, das übliche einfache Griechisch bei der Zimmersuche. Für 20 Euro krieg ich eines der schönsten Zimmer mit Balkon zur Seeseite hin, nur noch ein weiteres in meinem (oberen) Stockwerk ist belegt. Unter mir ein Meer im Wind wogenden Bambusschilfs, gut 5 – 6 Meter hoch, großartig anzusehn, dahinter erst der Badestrand. An der westlichen Ecke meines Balkons schirmt mich ein Baum gegen die Strahlen der Spätnachmittagssonne ab. Blicke ich nach NW, landein und die Küste entlang. stehe ich nur noch staunend: Dutzende kleinerer und größerer Schluchten springen mir ins Auge, die in die Ebene abfallenden Bergflanken sind überreich gegliedert, noch gut erkennbar das weiße Dörfchen Patsianós, das einen Schwemmkegel herunterfällt. Eine wahrhaft fantastische Gegend, in der ich endlich einmal nächtigen werde, nicht nur für ein paar Stunden vorbeischauen! Sfakiá, Land der Schluchten, sag ich leise vor mich hin.
Wie lange ich bleibe? Ein, zwei Tage, sage ich. Es sollten 6 Nächtigungen werden.

Copyright puchheim = MartinPUC, November 2007

Eindrücke aus Frangokástelo