Teil 5: Von Naxos nach Kreta
Copyright puchheim = MartinPUC, Juli 2007


Viele Wege führen nach Kreta! Einer der direktesten von Náxos aus, der Großkyklade.
Bereits Anfang Mai konnte man dieses Jahr fünfmal die Woche per Katamaran an den Südrand der Ägäis flitzen, und dreimal mit den konventionellen Schiffen von GA Ferries südwärts zuckeln, einmal in einer nächtlichen Überfahrt.

Gleich den Katamaran zu nehmen ist mir zu teuer. Wegen der häufigen täglichen Schiffsverbindungen nach Santorin bietet sich als preisgünstigere Variante erst ein Trip von Naxos nach Thíra mit einer Blue–Star–Fähre an, die das Ganze in etwa 2 Std 20 min schafft, mit all den Vorteilen einer echten Fähre, insbesondere der freien Bewegung (fast) rund ums Schiff, von einem Deck zum andern, steifer Brise, Seeluft en masse und all den herrlichen Impressionen von Meer und vorbeiziehenden Inseln.

Man muss erst kurz vor ein Uhr mittags antreten zu dieser Schiffspassage, den von seiner Endstation Mykonos her auch auf Naxos vorbeikommenden und haltenden Katamaran Superjet erreicht man dann locker, denn er kommt nicht vor 17 Uhr, meist sogar mit etwas Verspätung, auf Sandoríni an um die dort Wartenden aufzupicken. Noch etwas später träfe ein zweiter Katamaran von Paros her auf Santorin zur Weiterfahrt nach Kríti ein, einer aus der Serie Flying Cat von Hellenic Seaways.

Im Schatten der überdachten Warteschläuche auf der großen Mole von Naxos wartet seit kurz nach Mittag eine beträchtliche Menge Leute auf drei verschiedene Schiffe, eines davon nach Piräus. Die Hafenpolizei kriegt ein bisschen was zu tun, muss für Ordnung sorgen. Eine große amerikanische Gruppe schifft sich wohl nach Mykonos ein, auf einer der beiden "Panajías" von NEL Lines.
Mein Schiff, die Blue Star Naxos trifft mit leichter Verspätung von Piräus her ein. Sie ist bereits gut gefüllt und füllt sich weiter mit Santorin–Fahrern. Man muss eine Zeit lang suchen, bis man ein geeignetes Sitzplätzchen gefunden hat, möglichst hoch droben und vorne, in einigem Abstand zur Brücke. Ich ziehe einen beweglichen Stuhl den wenigen starren seitlichen Sitzbänken vor.

Bei derart gutem Wetter ist das Schiffsreisen eine wahre Freude, Die erstmals hier Durchkommenden können sich gar nicht sattsehen an all den Küsten der beiden sich gegenüberliegenden großen Inseln. Als optische Fortsetzung von Paros bietet sich der südliche Schwanz von Andíparos unseren Blicken dar.
Auf halbem Weg nach Íos taucht hinter dem Heck ein Schwarm großer "fliegender Fische" auf, es sind bestimmt keine aus den Fluten hüpfende Delphine. Da gibt es genug zu staunen. Warum nur folgen uns gar keine Möwen?
Von überallher, von Land wie Wasser, gleißt es einem entgegen. Schön, die durch die beiden Schiffsschrauben aufgewirbelten, hinter uns sich herziehenden langen Schaumschleppen zu beobachten. Es gleitet ungewohnt schnell voran, dieses immer noch nagelneu aussehende Schiff. Man kann sich das teure Eingesperrtsein in eines der inzwischen so zahlreich verkehrenden Schnellboote wirklich sparen.

Alle möglichen Nationalitäten befinden sich um mich herum hinter den schützenden Glasscheiben ganz vorne am obersten zugänglichen Deck. Franzosen, Briten, Spanier, Osteuropäer, Holländer, auch viele Deutschsprachige. Ein beträchtlicher Anteil der Passagiere besteht aus Amerikanern mit dem erklärten Ziel Santorin, und es sind nicht nur gut betuchte Leute.
Längst ist Sífnos erkennbar, sind Kímolos und dahinter Mílos zu erahnen. Und Íos ist ganz nah, entfaltet seinen herben, kargen Charme. Nach Südwest hin zieht sich der Riegel des kleinen Síkinos, einige weiße Häuser seines dem Steilabfall nächsten Dorfes (Chorió?) grüßen zu und herüber. Das im Hintergrund zu der Insel senkrecht stehende Folégandhros erscheint aus unserem Blickwinkel wie eine Fortsetzung der uns näheren Inselnachbarin. Viel wird herumgerätselt und herumdiskutiert, was aus all der nahen und ferneren Fülle wohl welche Insel sei.

Vor der Einfahrt in die zunächst schmale Hafenbucht von Íos spielt sich ein seltsames Spektakel vor den Augen aller Zuschauer ab. Ein mir wohlbekanntes schmales Schiff fährt ständig langsam im Kreis herum. Zuerst denke ich, die liebe Romílda von GA Ferries würde gerade wenden, aus irgendeinem Grund wieder umkehren! Doch die neuerdings unvorteilhaft gestreift Bemalte vollführt ein reines Höflichkeitsritual, wohl um ihre beschränkte Reisegeschwindigkeit wissend: sie lässt der schnelleren Náxos galant den Vortritt, wartet schon in beträchtlicher Entfernung auf die letztlich doch Schnellere.

So hab ich nun wieder einmal, lang lang ist's her, das zweifellos wundervolle Erlebnis, langsam in die Bilderbuch–Hafenbucht einer von den meisten nicht so geliebten, weil als Jugendbesäufnisstätte verschrieenen Insel einlaufen zu dürfen.
Zwei lang vorspringende Kaps umarmen den Ankömmling regelrecht, eine bildhübsche weiße Kapelle direkt über den Klippen begrüßt ihn rechter Hand. Die wohltuend schmale und doch nicht zu enge Bucht von Jalós nimmt ihn wohlwollend auf. Hinter dem nach wie vor erstaunlich schmalen Anleger breitet sich der Kern des Hafenörtchens aus, die neueren Unterkünfte gruppieren sich um das Bucht–Ende, recht tief in die dahinterliegende Ebene. Von oben blinkt es weiß herunter: die legendäre Chóra von Íos!

Ich denke auf einmal, viele haben der Insel mit ihrer Ablehnung etwas Unrecht getan, jetzt, da ich so hautnah ihre Schönheit vor Augen habe. Es ist eine ganz spezielle Großartigkeit, die einen hier ins Entzücken verfallen lässt. Auch die geografische Lage, mit den Blicken hinaus auf die nahen, keilförmigen Nachbarn (Síkinos) und auf die Meeresweite daneben tut das Ihrige dazu. Man braucht ja nicht im Juli und August zu kommen, im Mai ist es hier ruhig, man sieht kaum Leute im Hafen – ein zur Hochsaison am frühen Nachmittag vielleicht auch inseltypisches Touriverhalten, nach durchzechten Nächten ...
Jedenfalls eine wiederum ganz eigene Schönheit, die sich einem hier zeigt.

Die Romílda hat sich inzwischen hereingetraut in die Bucht. Der schmale Anleger hat auch im Mai 2007 nur für EIN Schiff Platz. Als die Blue Star Naxos wieder ablegt, läuft die wartende Konkurrenz schon flugs auf die Anlegestelle zu. Von relativ hoch oben beobachte ich, wie der aus dem Innenraum seiner Kommandozentrale herausgekommene Kapitän der vergleichsweise kleinen Romílda äußerst freundlich zu unserer Brücke heraufblickt, lächelnd und mit tutendem Schornstein einen alten Freund begrüßt.

Ein dermaßen pittoresker Anblick wie dieser von der Bucht aus auf Gialós und die Chóra verstärkt gleich die Vorfreude auf das nicht mehr weit entfernte Santorin. Man spürt es irgendwie, wie das Gemurmel zunimmt, wie die Mitreisenden erwartungsvoller werden, sich recken, strecken, Ausschau halten, obwohl doch noch die Flanken, Buchten und Berge von Íos unsere Wegbegleiter sind.
Andererseits haben natürlich alle "Vorausschauenden" längst die Gestade der Vulkaninsel erspäht, grau und erdig ihre nördlichen Hänge.

Als wir dem Naturwunder nahe sind, fixiere ich im Gegensatz zu denen, die es das erste Mal staunend erleben, ausnahmsweise einmal das die Caldera westlich begrenzende Eiland namens Thirassía, das ich bisher immer vernachlässigt habe. Östlich um seine Nordspitze herum der erste Anleger, dahinter recht viele Neubauten, die Hänge hinauf, es ist eine Menge hinzugekommen.

Jetzt ist die Zeit der Tippgeber, der die Fragenden Beratenden, gibt es doch außer der Zweijahresvorplanung (mit Flugbuchung für übernächstes Jahr!) verstärkt sicherheitsbedürftiger Deutschsprachiger auch noch so etwas wie Spontan(e)ität, Augenblicksentscheidungen, Nicht–Vorbuchungen (!), Wagemut (wir befinden uns ja nicht gerade in der Hauptsaison), der in diesem beschützten Teil der Erde nichts mit Blödheit gemein hat, aber vielleicht bedeutet, dass man dem Schicksal ohne vorhergehende Befragung des Internet–Orakels (mit seinen sich widersprechenden Auskünften) ein paar zusätzliche Euro opfert – sei's drum!, oder ein paar Einheimische im Kafenío befragen muss. Vorwiegend die jüngeren Amerikaner sind es, die sich von Griechen und auf Zeit heimkehrenden Exilierten den einen oder anderen Rat einholen, der ihnen eh aufgedrängt wird. Man erfährt so z. B., wo sich die Jugendherberge oder irgendeine Jugendunterkunft im Hauptort Firá befindet, wo man überhaupt günstig unterkommt (es gibt nicht nur die eine Bleibe!) und wo man UNBEDINGT (!) hinmuss. Währenddessen leuchtet Ía herunter, dann die restlichen Kraterranddörfer. Schon ein Spektakel, zugegeben.

Bald sind die Vulkanwülste, die breiigen, die verdrehten Strukturen der noch aktiven Calderainsel Néa Kaiméni (der "Neuen Verbrannten") wahnsinnig dicht neben uns, kaum von einem Passagier wahrgenommen, denn alle starren voller Hingebung hinauf auf die Calderakante mit ihren weißen Siedlungen über den steil abfallenden Wänden. Dabei driftet selbst eine Blue Star Naxos fast auf Tuchfühlung vorbei am aktiven sandorinischen Vulkanismus. Pechschwarz, dunkel bis mittelbraun, gelblich, mal rötlich glitzert das Eruptivgestein. Jedesmal bin ich desorientiert, wo genau denn nun der Hafen Sandorínis platziert ist. Aber ein Linienschiff verfehlt ihn bestimmt nicht. Von der kürzlich hier entstandenen Ölpest bemerke ich nichts mehr.

Also hier ist es nun wieder, das Häfelchen Athiniós. Groß ist es geworden, das Wartegebäude für abreisende Schiffspassagiere. Absperrungen, trillerpfeifende Polizisten, LKWs, die haarscharf an uns das Schiff Verlassenden vorbeimanövrieren, ihnen wird ein kleiner Durchlass geschaffen, darin haben die Hafenpolizisten Übung. Cafés, Agenturen für Schiffsfahrscheine, Autovermietungen, aber noch immer keine einzige Unterkunft, hier unten im Hafenbereich. Wartende Touristenbusse, auch ein örtlicher Linienbus.
Und zu meiner Freude eine alte Bekannte aus der nördlichsten Ägäis: die Arsinói, die Ex–Fähre zwischen Alexandhroúpoli und der Insel Samothráki, die seit Kurzem um Santorin herum Dienst tut, nur ihren Namen hat sie behalten, nicht ihre angestammte Route.

Für kurze Zeit schwanke ich zwischen Anáfi und Kreta (und letztendlich einer viel östlicher gelegenen Insel), entscheide mich aber für ein Katamaran–Ticket nach Kríti, Krítimou, der schönen Wilden ganz im Süden.
Ganz knapp über 30 Euro kostet mich der "Spaß" bei Spontanbuchung mit der Superjet, und wehmütig denke ich an die nur 7 Euro mit der Skopelítis von Dhonoússa nach Náxo zurück.
Meinen großen Rucksack darf ich in der Agentur unterstellen, wenn's nicht zu lange dauert, denn sie schließen in gut anderthalb Stunden.

Wenn man so zuschaut im Hafenbereich, denkt man, die allermeisten gerade Anwesenden sind Pauschaltouristen, die von einem Bus abgeholt bzw. hergebracht werden und dann eine Weile ratlos rumstehen, bevor man sie kurzerhand wegschafft. Viele von ihnen warten bereits auf einen der beiden Katamarane zurück nach Kreta, stellen sich wie ich in dem überdachten Betongerüst mit Sitzbänken unter, dem idealen Sonnenschutz ganz nah am Kai, werden erst später in die neue Wartehalle weiter vorne gegangen.

Kurz nach vier sticht die Arsinói in See, mit Ziel Anáfi. Nur zwei Passagiere stehen auf dem Achterdeck. Eine hoffentlich bezuschusste Route, ansonsten wäre sie ein großes Verlustgeschäft.

Ein Trost bei all den überteuerten Essens– und Trinkstätten am Hafen ist die kleine Kioskecke hinter dem Eingang zum Passagierterminal, wo man zu zivilen Preisen Getränke und Snacks ersteht. Der Raum ist mit gut 100 Wartenden randlich besetzt.
Hunde betteln in der Menge, klar, drinnen im Saal: Hafenspezialisten! Mit vielleicht 15 min Verspätung trifft die Superjet von Míkonos und Náxos her ein. Eine Großgruppe wird vorgelassen.

Als ich drin bin, ist immer noch sehr viel Platzauswahl, nur die meisten Fensterplätze sind besetzt.
Der flache Doppeldecker tuckert los, und es dauert noch eine ganze Weile, bis wir den schwarz–roten vulkanischen Küsten entkommen, am Akrotíri–Kap vorbeidüsen, schon in voller Geschwindigkeit über die Wellen bretternd. Irgendwo noch eine Klippe, ein Inselzwerg. Etliche Seemeilen östlich schippert die brave Arsinói dem ruhigen Anáfi entgegen, sie ist immer noch gut auszumachen.
Vor uns die Kretische See, das Kritikó Pélagos.

Keine Probleme mit der Dünung, auch der Wind ist nicht sehr ausgeprägt, so haben wir eine ruhige Überfahrt. Man liest immer von 1 Std. 45 min oder einer noch kürzeren Dauer, aber glaubt mir, es dauert doch immer mehr als zwei Stunden von Santorin bis Heraklion (Iráklio) auf Kreta.
Leider darf man nicht rausgehen aufs kleine Achterdeck, so kann ich nur einmal in die obere Etage steigen, auf der sich wie bei uns unten eine Theke mit Getränkeverkauf befindet.
Die Sicht ist begrenzt, der Horizont verbirgt die kretischen Küsten noch, wie später der Dunst.

Man setzt sich also, wenigstens fensternah. Spritzwasser. Schlafende. Eine russische Familie, auch andere Osteuropäer bevölkern den Passagierraum, zusammen mit den vielen Deutschen und Konsorten. Es wird für sie ein großes Erlebnis gewesen sein, dieser kostspielige Abstecher von ihrer Urlaubsinsel aus. Nun wirken sie alle ziemlich müde, zu viel gesehen in zu kurzer Zeit. Ist ihnen nicht zu verdenken.

Hoffen auf einen baldigen ersten Anblick kretischer Bergstöcke. Doch unsere Warte ist zu niedrig, den Wellen zu nahe, wir fliegen nicht etwa hoch über Mílos, von wo aus spätestens Kreta sich deutlich zu erkennen gibt – wir fliegen vielmehr über die Wellen eines sanft wogenden Meeres.
Wenigstens wird einem nicht so schnell schlecht, auf dem Katamaran. Ganz im Gegensatz zu den ebenfalls doppelstöckigen "Flying Dolphins", die in früheren Jahren dieselbe Route befuhren, den Tragflächenbooten mit ihrem hohen Speiübel–Faktor, je nach Seegang (– ich spreche als einst Leidgeprüfter!).

Auch bei Dunst kommt zumindest 20 bis 25 min vor Ankunft die gebirgige Silhouette des "kretischen Kontinents" in Sicht, am ehesten natürlich seines Mittelteils. Und man kann sich die Nord–, West– und Partien der Südseite der vorgelagerten, reich gegliederten, recht großen Insel Día (Dhía) zu Gemüte führen, ihr leicht rötliches Ocker, das eine weißliche Häuschen in den Felsen. An Wochenenden und Feiertagen leisten sich die Städter aus Iráklio wenigstens ab und zu einen Schiffsausflug dorthin, die kleinen Boote sind dann oft brechend voll.

Vor der mehrere Kilometer langen nördlichen Außenmole des Zielhafens bremst die Superjet ab. So langsam wie eine konventionelle Fähre, die ebenfalls ihre Geschwindigkeit deutlich verringert, gleitet sie in das Hafenbecken. Es dauert noch einmal eine Viertelstunde, bis sie an der Kaimauer festmacht, nicht weit von der ANEK–Piräus–Fähre.

Die Kykladen habe ich hinter mir gelassen, ich trete ein in eine ganz andere, ganz neue Welt.

Copyright puchheim = MartinPUC, Juli 2007

Zwischenspiel auf Kreta