Teil 7: Nach Kárpathos mit Hindernissen
Copyright puchheim = MartinPUC, August/September 2007


Wie freue ich mich, kretischen Boden wieder verlassen zu dürfen (– ausnahmsweise). Nestflüchter der ich bin, hab ich eh nichts anderes gemacht, als auf das nächste Schiff zu warten!
Das mir liebgewonnene Kárpathos gilt es anzusteuern, und dabei bin ich ein weiteres Mal auf die Dienste der L.A.N.E. (Lanäää) angewiesen.

Starten wir das Ganze also euphorisch (ähemm) mit (Blind) Doc Watson, seiner nicht schlecht klingenden Blues–LP (auf meiner Anlage zumindest), einer Südstaaten–Legende, und einem urdeutschen Glas Frankenwein vom Wirsching in Iphofen (dessen Riesling unübertroffen zu sein scheint, obwohl ich seit Kurzem zu einem Fan von Konrad Schwarz und Sohn aus Sommerhausen/Main geworden bin, der einen sagenhaft guten Scheurebe–Kabinett–Tropfen anbietet, das Bukett ist unbeschreiblich, na ja, da ähneln sich die beiden Weinbauern) – lang ist's schließlich her mit der GR–Fahrt, wir haben August, und es geschah im Wonnemonat Mai. Sweet memories? ((Nicht nur!)) Aber Mainfranken liegt nahe, und das will genutzt werden, das Leben ist kurz – vita brevis, ars (sola, sola!) longa.

Wer freut sich schon wirklich, wenn es heißt, Kriti ade zu sagen, nach einem derart kurzen Intermezzo? Zugegeben, nur weil ich mich für annähernd Gleichwertiges entschieden habe, wenn auch Grundverschiedenes, spar ich mir die Tränen. Wohl deshalb der Blues, den ich mir im Nachhinein zu Gemüte führe. Deep River Blues.

Kurz nach dem Ablegen der Ierápetra geschieht das Unerwartete: ein mächtiger (Allmächt’ger! – in the Franconian [idiom]) Ruck geht durch den Schiffskörper, und es "reißt uns", um es auf Bayerisch/Bairisch zu sagen. Tí 'äjinä;;; What happened???

Das Spielzeug von Hafenkran auf seiner Eisenplattform, nur knapp 100 m entfernt, schwankt mit einem Tempo, mit einer Hochfrequenz auf und ab, das/die an mein heißgeliebtes gelbes Plastikentlein mit orangenem Schnabel in der Badewanne aus Kinderzeiten erinnert, als ich noch plan(t)schte, nicht schwamm.
Unser ablegender Ozeankreuzer hat beim Einholen eines seiner Anker das flach und weit in die Bucht hinausführende und in einem sehr flachen Winkel ins Wasser eintauchende Haltekabel des Schwimmbaggers aufgegabelt, worauf die allgemein anerkannten physikalischen Gesetze Wirkung zeigten.

Ein Malheur, wie es nicht alltäglich ist, und folgerichtig ist die Brücke verwirrt, ja geradezu gelähmt. Doch bald fassen sich die Verantwortlichen wieder, in kretischer Schlauheit. Ihre Taktik: eine Entwirrung der Verhaspelung im Millimeterschritt.
Manöver wie dieses sind von Dauer, sie währen eine schiere Ewigkeit. Es erinnert einen an die griechischen Sommerferien, Zeiten, da man einen Bekannten in Athína telefonisch erreichen will, der gerade eben die Flucht vor der unerträglichen Juli–Stadthitze auf irgendeine Insel ergriffen hat und garantiert nicht vor Ende des mittleren Augustwochenendes in die Metropole zurückkehrt. Man muss lange warten (– denn er hat sein Handy abgeschaltet, einmal im Jahr, wenigstens, und zu Recht).

Auch wir Passagiere müssen warten. Es dunkelt in der Ferne. Unheil droht am südlichen Himmel. Wird es eintreten? Niemand weiß es zu sagen oder äußert es explizit. Vieles wird verschwiegen, auf den Schiffen.
Soeben grollt auch ein Gewitterdonner an der Münchner Peripherie, spät im August (man sollte allmählich Beethovens Sechste auflegen, die kurz und heftig Sturmgepeitschte). Damals, im fernen Mai, kündigte sich ein anderer, ein südlicher, libyscher, ägyptischer Sturm an, unzweideutig und Angst einflößend.
Dabei liegen wir immer noch nur vielleicht 500 m bis 1 km außerhalb der Bucht von Sitía, Ostkreta und warten. Quasi im Schritttempo driftet die Ierápetra Richtung offene See, ganz langsam, zieht den verwickelten Anker raus.
Nach etwa 1 Stunde nähert sich ein größeres Kaiki, mindestens 10 Leute drauf, Ergebnis langer Funk– und Telefonkontakte, wie es scheint. Die sich über die Reling Beugenden sehen es kaum, so weit vorne um den Bugknick herum, und man schreit sich was zu durch die hohlen Hände, von Boot zu Brücke und zurück – in Zeiten des Mobilfunks?!? Nein, von Mensch zu Mensch ging das jetzt, Ratschläge von Fischer zu Seebär, sozusagen, wie in alten Zeiten, ja!

Waren es anderthalb, waren es zwei volle Stunden? Ich habe übers Schiffs–Kartentelefon zu Hause angerufen, ein leises, nicht ernst gemeintes privates SOS gefunkt, doch nun die Durchsage, endlich eine Durchsage, dass es volle Kraft weitergeht. Problem offensichtlich gelöst. Doch die Leute auf Kássos, auf Kárpathos, auf Chálki und letztendlich Rhódos sollten Stunden auf den Ankömmling warten müssen. Am Ende der Fahrt sollte Rhódos–Stadt gar nicht so ohne Weiteres erreicht werden, ein Nothalt in Triánda war geboten, die Nacht über, Warten auf das Ende der hohen Dünung.

Schon vor Kássos beginnt unser Schiff erneut heftig zu schwanken, auf natürliche Art und Weise, wie es zur See vorkommt, vor dem Aufkommen eines Unwetters, da genügt eben schon die vorauseilende Dünung.
Auf Kásso(s) legen wir noch relativ problemlos an. Geschäftigkeit. Wenige Fremde steigen zu und viele Einheimische und etliche LKW–Kapitäne von weit her. Kássos in seiner Einsamkeit schön wie eh und je, aber nichts für Gesellschaftstypen und Touris, die unterhalten werden wollen.

Die weißen Dörfer auf kahlem, glitzerndem Fels driften vorbei, schon eingedüstert. Der eine, irre gefährliche Fels im Meer, ein kleines Leuchtfeuer drauf, wird umschifft. Kárpathos' Westseite in voller Sicht. Dann beginnt das Inferno, immer noch ein vergleichsweise gelindes, nicht danteskes, doch ich wünsche mir keine Steigerung!

Es ist gar nicht so weit, ap' ti Kásso sti Kárpatho, doch das Schifflein wendet sich südwärts, den tosenden Elementen ausgeliefert, dreht dann seine Flanke wieder voll gen Süd, diesmal ohne den Wind– und Wellenschatten einer Insel, and there we are, me boy/gal!
Was soll's, ich bin die Route relativ oft gefahren, aber, ehrlich gesagt, nie unter solchen Umständen.

Die Kinder an Deck, die mir zuvor zugelächelt haben, werden ruhiger, plötzlich übergibt sich der eine Junge in vollem Bogen; seine Mutter sucht sogleich nach einem Besen der Schiffsreinigung, mit dem sie das Erbrochene irgendwie wegwischt.
Die sich irgendwo Anklammernden oder breitbeinig und lässig den Irregularitäten der Gleichgewichtsorientiertheit Trotzenden rufen sich Infos zu. Ich frage auf Griechisch und bekomme die Antwort, dass Verwandte übers Handy mitgeteilt hätten, das Anlegen selbst in Pigádhia, dem Haupthafen von Kárpathos, sei nicht gewiss, die anstürmenden Wellen im Hafen verdammt hoch.

Das Bekannte zieht vorüber. Der Flughafen in all seiner Kargheit und Weite. Afiártis mit seinem Starkwind (jetzt völlig irrelevant), Lakkí, Amoopí, die ferneren Bergdörfer – egal bei diesem Geschaukel; man ist froh, wenn man's irgendwie übersteht.
Wir drehen schließlich um Kap Patélla herum, und das ist schon mal eine Etappe auf dem Weg zur Rettung vor der Bedrohung aus Alexándria – nur allmählich Windschatten gewinnen!
All das wird gerade noch einmal gut gehen, wie sich herausstellt, denn es gelingt dem Kapitän, dem Tosen zum Trotz in Pigádhia anzulegen.

Hab ich den beiden Schweizer Mädels da drin, wo mein Gepäck lagert, einen guten Tipp gegeben? Ihre Frage war einzig, ob es auf dieser Insel eine Flugverbindung nach Rhodos gebe. Ja, sage ich, und sie sind erleichtert, die aus dem Lot geratene Wirklichkeit möglichst bald gegen eine stabilere eintauschen zu können.

Was hat sich alles abgespielt, vor dem erfolgreichen Anlegen? Meine konkreten Fragen am Informationsschalter des Schiffes blieben unbeantwortet. Werden wir in Diafáni, im Inselnorden, haltmachen können? Soll ich besser schon in Pigádhia aussteigen, weit vor meinem Ziel? Sie wissen es längst, dass in Diafáni der Sturm tobt und nicht im Entferntesten an ein Anlegen dort zu denken ist, sagen es mir aber nicht explizit, sondern drucksen umständlich herum. Einer meint wagemutig, entgegen aller Instruktionen (("Besser, alle Passagiere fahren durch bis Rhodos und von dort zu ihren eigentlichen Zielen zurück, für gutes Geld.")): wird vielleicht besser sein, wenn du hier aussteigst((, Phíle!)). Ich versuche den Wink mit dem Zaunpfahl zu verstehen und steige aus; nicht so ein mir von einem vorausgehenden Urlaub bekanntes mitteleuropäisches Paar, das ich gewarnt habe. Wie recht ich getan habe! ((Längst hat Níkos Orfanós, der "Hafenmeister" aus Diafáni, den Kapitän der Ierápetra angerufen um ihm mitzuteilen, dass die Uferstraße bereits unter Wasserzungen steht, die Kartenspieler drinnen in Annas Kafenío ob der überschwappenden Fluten allmählich ihre Fußspitzen höherstellen, zwischen Re und Kontra, und das Anlegen einer Fähre an der wetterexponierten, weit ins Meer hinaus gebauten Außenmole anerkanntermaßen ein Ding der Unmöglichkeit ist.))

Es ist eine unerwartete Erfahrung, aber ich habe sie zu akzeptieren. Dabei freu ich mich, wenn ich ehrlich sein soll, eine kurze Zeit hier im Inselsüdosten verbringen zu können, in der "Großstadt".

Raus aus der Fähre und hin zum Hotel Kárpathos, gleich beim großen Taxistandplatz, etwas erhöht darüber. Zuschauer auf dem Weg scheinen mich wiederzuerkennen. Ja, ich bin wiedergekommen, zurückgekehrt. Das Gepäck in den Vorraum reingestellt, Spaziergang, denn niemand ist da. Aber später ist die Kiría anwesend: klar, ich hab mein Zimmer; Zimmer, wie immer, hätt sein können schlimmer!

Copyright puchheim = MartinPUC, August/September 2007

Auf Kárpathos