Paleóchora wurde es schließlich.
So weit es auch war.

(24./25. Okt. 2006)

Copyright puchheim = MartinPUC, November 2006


Den Kopf haben sie geschüttelt, vor Jahren in einer Pension an der Uferpromenade von Kastélli Kissámou (offiziell: "Kíssamos", aber die Kreter nennen es nach wie vor Kastélli), weil ich es mir eingebildet hatte. Vom Westen in den Osten wollte ich, an einem Tag, und das will kein Zimmer vermietender Kreter im äußersten Westen seiner nach Ost hin abnehmend vielgeliebten Insel ganz widerspruchslos hinnehmen.
Dauert lange per Bus, man muss SEHR früh aufstehen, kann von Glück sagen, wenn man es wirklich bis Zákros schafft. Das geht nicht, eigentlich, nicht mit dem Bus; Taxi ab Sitía: aber das kostet.
Nach Sitía oder Ierápetra – kein Problem! Von Paleóchora nach Keratókambos (busmäßig endet die Reise in Viánnos, dann per Daumen oder noch bezahlbarem Agoräääo): machbar!
Ich habe Elsässer getroffen, die stolz darauf waren, es an einem einzigen Tag von Réthimno über Anógia bis Kastrí in die Taverne "Kriti" geschafft zu haben, zu Zeiten, als man dort noch Wagemutige antraf; keine Überfliegerleistung, nix Bsúndas (Besonderes)!

Von Mírtos, wenn man nicht gerade den montags und freitags von Ierápetra her kommenden 06:15–Uhr–Frühbus erwischt, kommt man per KTEL garantiert nicht mehr am selben Tag nach Soúgia (Súja, Súdscha). Man käme sehr wohl noch in die Sfakiá (Sfatschá), mit Umsteigen in Vrísses, aber wenn man den 13:45–Uhr–Bus in Chaniá erwischen muss: Fehlversuch auf Dauer, "umsunst!".
Dabei hat man die allererste Verbindung gegen halb acht ab Mírtos über Ierápetra bemüht, mit Anschluss um halb neun nach Heraklion (Iráklio, für kretisch schwarz gekleidete deutsche Puristen mit Mandíli), und von dort weiter mit dem nächstmöglichen gleich in die ferne ehemalige kretische Hauptstadt Chaniá (– sie hatte eine ganz schöne Randlage!). Man kommt wenigstens 20 Minuten zu spät, für Súja.

Aber das macht doch nichts!, es winkt doch eine echt kretische, schmackhafte Mahlzeit im "To Vounáki", der Taverne im Busbahnhof, nur die Busfahrer haben um diese Stunde bereits gegessen, man ist (d.h.: isst) nicht notwendigerweise unter vielen. Aber so isst man / ist es eben, sinnlos, es umbiegen zu wollen: kalí órexi (= Schicksal nimm deinen Lauf!).
Kaum verfliegt die Benommenheit vom großen Gläschen aus dem Holzfass wieder, klettert man schon in ein Zukunftsprodukt der Automobilindustrie Spaniens, Frankreichs oder Deutschlands, irgendwie metallicgrün (und vielleicht auf Restflächen noch mit der traditionellen Beigebeimischung) angestrichen, heutzutage auch ohne das Beige vorstellbar; man bedauert es, keinen "Glíko" mehr bestellt zu haben und richtet sich's auf einem der Sessel, seine auf dem Ticket aufgedruckte Sitzplatznummer nicht beachtend – weil es eh nicht voll wird.

Irre! Warum nur? Warum macht der so was??? Das ist ja GROTESK, gelinde gesagt, einen vollen Tag, gut 10 Stunden Fahrt (eher zehneinhalb), mit aufgezwungenen Pausen an Busbahnhöfen dazwischen. Ohne Mietauto, im Bus! Also, stellt Euch vor, Ihr seid 4 Tage in Mirtos im Südosten gewesen (Tagesausflüge inklusive) und habt dort genug gesehen, wisst seit Langem, dass sich für Euren ganz persönlichen Geschmack das richtige Kreta–Feeling, der fantastische GESAMTEINDRUCK, erst nach einem repräsentativen Querschnitt durch die Großinsel einstellt und zögert deshalb nicht lange. Eine Notwendigkeit, so gesehen. Aus dem Busfenster bekommt man viel mehr mit als am Steuer eines Mietwagens. Im Bus drinnen ebenfalls.

Es geht die Küstenstraße entlang, nicht über die Schnellstraße. Ajía Marína, Plataniás, Jeráni, Máleme. Zwei alte Militärmaschinen sind auf dem Provinzflugplatz abgestellt, auf den zu 1941 unsere Vorfahren mit Fallschirmen absprangen und im Sperrfeuer des bestens informierten britischen Gegners ihr Leben ließen. Gekreuzte Landepisten, eine kurze senkrecht zum Meer, fast bis zur Straße her, die längere parallel zur Küste.

Ab Tavronítis fahren wir südwärts, erreichen in vielen Kehren und Windungen irgendwann Kándanos (wo ich an einen netten Tavernenwirt im Norden von Kálimnos denke), und kurz hinter diesem Ort das erste unfertige Neubaustück der Landstraße, die ab hier gerade besonders breit ausgebaut wird. Da musste so manche alte Olive ihren Standort für immer aufgeben, wird in Kanonenöfen oder beim Rakíbrennen verheizt. Allenthalben staubt es, aber die meisten Erdbewegungen rühren wohl von den geplanten Baumaßnahmen her, nicht von den großen Unwettern, die unlängst in der Provinz Chaniá hereinbrachen.

Von den landschaftlichen Schönheiten dieser Strecke von der Nord– an die westliche Südküste erzähle ich diesmal nicht, hab das schon so oft getan, mehrmals sogar den/die Peloponnes gesichtet, bei klarem Wetter.

Ab Kallithéa verläuft die Straße immer über einem tief eingefurchten Flusstal mit Blick auf die Siedlungen auf der anderen, westlichen Talflanke, urkretisches Bauernland, das wir da durchfahren, mit einem Ziel, das den alten Kretern nicht so ganz ins Konzept passt, war es aus ihrer Sicht zumindest früher doch ein Zentrum der ganz "Gspinnerten", der Aussteiger auf Zeit und der Freaks aus aller Herren Länder.
Dem halte ich gerade den Θανάσης Σκορδαλός entgegen, 60 Χρόνια Λύρα, einen der ganz großen Alten des kretischen Lyraspiels und Gesangs, und das würde allen Bauern im Umland von Paläóchora fraglos supergut gefallen. Das zweite Stück auf dieser CD ist einfach umwerfend gut, extrem exotisch im Gesang und Spiel, fremdartig und für einige von Euch wohl nicht so ohne Weiteres zu ertragen.

Jedes Mal hüpft mir das Herz höher, beim Einlaufen, beim Einrollen auf die Landzunge von Paleóchora, den ins Meer vorspringenden Landzipfel mit seinem Olivenwald an der Wurzel.
Skeptiker werden sagen: Er hat schon mehrmals überdeutlich gelästert, fast kein gutes Haar mehr gelassen an P., "unserem Pále"!
Denen antworte ich: ich hab aber auch schon vielfach geschwärmt, öfter vielleicht als Ihr wahrgenommen habt, sogar schon bei Erno auf seiner Sfakiá–Website einen englischen, völlig spontan und direkt in einem Internet–Café in P. über P. niedergeschriebenen November–Artikel hinterlassen (gez. "Martin, Germany").
Meine Hassliebe zu P. gründet in den frühen Achtzigerjahren. Vorher war ich zu schüchtern für solche Reisen, ja werggla! – το πιστεύετε δεν το πιστεύετε!

Das Busterminal von Paleóchora ist seit Jahren ein Kafenío nahe dem nördlichen Ortseingang, früher wechselte es öfter seine Adresse, war eher in der Ortsmitte angesiedelt.

Manólis hat seine Drohung wahr gemacht und das ehemals wirklich GUTE ALTE "Lissós" in eine hübsche, gepflegte Nobelherberge verwandelt. Als ich mich nach einem Zimmer erkundige, heißt es aus dem Mund einer jungen Frau, wohl Hilfskraft: "35 Euro bei Einzelbelegung, aber wir sind sowieso voll besetzt". Verstehe, nichts mehr mit 20 € für einen allein. Ende Oktober nehmen sie nun 35 Euro fürs EZ, o Gott, das kann sich wirklich "sehen lassen", im griechischen Vergleich der betuchten Vermieter außerhalb Athens. Das Doppel kostet entsprechend mehr.
Kein Wunder, wenn die Leute (politisch: "die Menschen"; ihr lieben Menschen!) abwandern, Wohlhabendere nachrücken.

Wenn man die erste Straße, die nördlich (also ortsauswärts) des Bus–Kafeníos nach Ost abbiegt, hineingeht, stößt man nach 100 m, nach Passieren eines Schmuck–, Ikonen– etc. –Ladens auf eine Nebenstraßenkreuzung, und bevor man die überqueren kann, meldet sich bereits eine lebhafte ältere Dame, ihres Zeichens Zimmervermieterin. Diese Art spezieller Aufdringlichkeit kommt mir gerade gelegen, denn ich hab nicht vor, lange mit der Zimmersuche rumzumachen. Die Rooms sind ganz nahe, gleich links am Beginn der Sackgasse, die in einem nun leblosen Appartementhaushof endet. Die Zimmer der alten Dame kündigen sich ganz hübsch, in grüner Schrift auf gelbem Grund, an: Rooms for Rent.
Kein Meerblick, aber wenn man oben im ersten Stock wohnt, mit Bergblick und Balkon nach West oder Ost, dann ist es richtig schön und gemütlich. Ab zwei Nächten kostet es für einen allein 15 Euro pro Nacht. Für nur eine Nacht sind es 20 Euro.

Der Bergblick nach West ist teils verstellt durch den gelblichen, ruinösen, hohen und altehrwürdigen Kasten eines noch in den Achtzigerjahren geöffneten Einfachsthotels (sweet memories!), davor eine Art Bauhof, ganz ruhig, abends.

Gleich bringt man mir Gebäck und wahlweise Kaffee oder einen Schluck Ratschí, auf den ich mehr stehe, so kurz vor der blauen Stunde.
Die Tochter oder Schwiegertochter des Hauses, sie wohnen alle nebenan in einem einstöckigen Bau zu meinen Füßen, ist gleichermaßen nett wie die Vermieterin (eine weitere "Sophía", wenn ich mich nicht irre).

Heute Abend gehe ich NICHT an den Weststrand, den sandigen, felsplattigen. Ich geh erst ein bisschen vor zum anderen Hotelkasten, einem ganz unauffälligen, auch ortsgebundenen (also kein ausländischer Investor) und –typischen, älteren, dem des Oriental Bay (in 3 Zimmern ist Licht), kurzer Blick in den Ortsfriedhof. Der Olivenwald dahinter dunkelt wie eh und je. Der Hades überschritten? Wohliges beginnendes Halbdunkel, jedenfalls.

Man löst sich davon. Am Oststrand entlangschlendernd endet man, immer noch auf der asphaltierten, nun leider durchgehenden Uferstraße, zu Füßen des ehemaligen "Chaniá" und steigt die Stufen hinauf zum Salzbaum, setzt sich, nur noch ein anderer Deutscher ist da, er zerbricht kurz darauf sein Glas, ist irritiert, zahlt, geht. Gleich nebenan die andere, neuere Kneipe, aber ich bleib meiner alten treu, die sich seit Jahren neu "Almyrída" nennt und wo ich – pardon – auch gelegentlich mal vorbeischaue, ohne den eingefleischten Dauergästen auf die Füße treten zu wollen.
Anfang der Achtzigerjahre war's noch uriger, hier, aber es ist immer noch ein Hort echt einheimischen Lebens – allerdings nur von der Besitzerseite her, einer Familie mit Verbindungen zur Insel Gávdos, einheimische Gäste sind eher selten. Heute ist einer im Innenraum, führt mit dem Stellvertreter des Wirts (Stélios oder seine deutsche Partnerin Katharina sind jedenfalls nicht anwesend) eine angeregte Unterhaltung. Nach dem Bezahlen dreh ich mich noch einmal auf der Gasse um, lese auf dem Kneipenschild "Tsirintánis"; – Tsirindánis!?, rufe ich hinein und geh noch einmal ein paar Schritte zurück. Das hat er deutlich gehört, der Barmann, und er bejaht meine Feststellung. Der gleichnamige Kapitän der "Sophía", Bürgermeister von Gávdos, der vor ein paar Jahren überraschend starb, sei sein "Cousin" gewesen, antwortet er mir. So schließt sich ein Kreis für mich.

Unterhalb des Burgbergs wandere ich durch die "Altstadt" zurück bis in die Nähe der Kirche, werde vorher wie jedes Mal angemacht von dem Alten, der per Fotodisplay auf einer Schautafel für die Ufertaverne seines Sohnes wirbt. Über ein Seitengässchen und ein kleines Tor gelange ich unverhofft auf den eingefriedeten Kirchenvorplatz. Eine Menge Kleiner spielt auf ihm herum, urplötzlich ist eine Mutter da, ruft alle nach Hause, und binnen zwei Minuten ist es ganz still. So hab ich den hübschen Platz eine Weile für mich allein. Wo sie es nur herhaben, dieses Prachtexemplar von Kirchturm, das mich ziemlich an die vielfach gestuften und einzeln, deutlich abgetrennt von der zugehörigen Kirche stehenden Campanili des Dodekanes erinnert?
Eine sehr heimelige Ecke ist es , wenn die Nacht hereinbricht, auch noch die Stufen bis zum Eingang der Festung hinauf haben etwas von dieser Stimmung.

Ein beglückt lächelndes Freundinnenpaar kommt mir (wie eigentlich immer, weil ich so spät komme) entgegen, überwältigt vom Ausblickserlebnis. In der stets begehrtesten Ecke der Festungsmauer hat es sich eine englische Paréa gemütlich gemacht, man hat Rotwein dabei, kostet den Sonnenuntergang aus, bis zur Neige. Auf den Grundmauern von Ausgrabungen balancierend, entferne ich mich wieder von ihnen, gehe langsam am Ostrand des Festungsplateaus entlang, über den Häusern des alten Ortskerns.
Ich bin weiß Gott nicht das erste Mal da, aber jedes Mal aufs Neue überraschen mich die vielen, auf dem steinigen Erdweg herumhüpfenden Miniaturfrösche, die wohl in den Mauerresten genug Feuchtigkeit zum Überleben finden. Eine wunderbare "Hochebene" ist es, gegen Sonnenuntergang, die ideale, fast totenstille Aussichtsplattform, auf der man sich wohlfühlt, unter einem der hingebreitete, abendlich beleuchtete Ort, das stille Meer, im Norden eine fantastische Kulisse kleinerer, aber markanter Bergstöcke, über einem der blauschwarze Nachthimmel, über den ein Jet dahinzieht, mit blinkenden roten Pünktchen.
Beim Runtersteigen lädt mich ein Tisch mit einem einzigen Stuhl auf der riesigen, geländerlosen Betonterrasse einer früheren Bar noch einmal zu einer kurzen Aussichtsrast ein.

Zwei Minuten später taucht man ein in den frühabendlichen Trubel des Ortszentrums um die berühmte Kreuzung herum.
Die Tische wurden wieder auf die Straße gestellt, eine Mischung aus Einheimischen und Fremden bemächtigt sich ihrer laufend, bis alles besetzt ist, wenigstens die beiden Cafés und der "Grill", so etwas wie ein Schnellimbiss (vor lauter Leuten kaum mehr als solcher zu erkennen), direkt an bzw. bei der Kreuzung.
Das Nachfolgelokal des alten, äußerst beliebten Kafeníos des Herrn Lambakákis (des "Schlürfers"), ist nun nicht mehr existent, kein Mensch trauert dieser dunklen Grotte nach, aber eine APOTHEKE hätten sie nicht gerade dafür hinstellen brauchen.
Als ich die beiden Whisky trinkenden Herren neben mir frage, wie denn das gekommen sei, heißt es nur kurz: "Der Schwiegersohn" (ο γαμπρός) des vor etwa einem Jahr verstorbenen alten Lambakátschis habe die hingestellt.
Ein echtes Original des westlichen Kreta ist nun also auch nicht mehr: er ruhe in Frieden. An der hinteren Innenwand des Farmakío ist der Schwiegervater selig auf einem Gemälde verewigt, immerhin. Und Paleóchora ist überreichlich mit Apotheken versorgt – eine weitere gleich schräg gegenüber, noch eine wenige hundert Meter nördlich an der "Hauptstraße", und vielleicht sogar noch eine vierte.

Also, vor zehn, geschweige denn zwanzig Jährchen war's schon noch deutlich gemütlicher, auf einem der Straßenstühle bei der Kreuzung in P., ganz besonders beim Lambakákis, denke ich mir.
Aus der Kneipe, vor der ich Platz genommen habe, dringt laute Diskomusik, die drinnen an einem von vielleicht acht Internet–PCs Sitzenden scheint das nicht zu stören. Von gegenüber dasselbe Getöse. Nicht wenige Einheimische sind zu Wístschi–Konsumenten geworden, vielleicht eine Prestigesache, das Malzgetränk aus Schottland oder USA. Als Fremder zahle ich für mein kleines Gläschen Rotwein zwei Euro – da hat sich verdammt viel geändert. Die Touristenpaare sind ganz erpicht auf freie Plätze in der Lärmzone.
Bevor ich Kopfweh bekomme, verlasse ich den lärmenden Ort – genug der Nostalgie.
Etwas Obst ist schnell erstanden, im netten, angenehmen Manáviko rechts an der Straße zum Sandstrand.

Gut, dass es in P. eine ganze Palette ruhigerer Verweil–, Trink– und Speisetempel gibt.
Einen von ihnen sollte ich zufällig entdecken, als ich, zurück auf der Hauptmeile, mich über diverse Fahrrad–Mietmöglichkeiten gefreut hatte, ein bisschen Zickzack gegangen war, schließlich, schon nördlich des Rathauses, bei zwei gegenüberliegenden Bankfilialen angelangt war, gleich neben einer der Banken, an einer Straßenecke, die ruhige Kneipe.
Einen ungewohnten Namen hat das Lokal: Odhés (Ωδές = Lieder, Oden).

Der zurückhaltende, unaufdringliche Wirt, ein alter Kreter, heißt Jórgos. Drinnen sitzen zwei Deutsche in einer Mischung aus gebannt und gelangweilt vor dem Fernseher, wegen Fußball, eine deutsche Mannschaft ist träge aktiv. Draußen hat sich eine auf Englisch parlierende lustige Tischrunde versammelt. Der relativ auffallendste Mann dieser Runde ist schon ziemlich angeheitert, umso unterhaltsamer.
Das Angeheitertsein hat einen gewichtigen Grund: fünf mächtige Fässer, die nebeneinander aufgereiht an der Nordwand drinnen vor dem Tresen locken. Es sind Holzfässer, und ich verspreche mir viel von ihnen, von einem der fünf, genauer gesagt.
"Weißen oder Roten?", das reicht mir nicht, so darf ich gleich kosten. Das erste Fass scheidet aus, es beinhaltet Rakí, im Überfluss. Im zweiten und dritten ist junger bzw. älterer Weißer, im vierten und fünften sind die Roten beheimatet, Jung und Alt. Ich nehme vom jungen Weißen.
Er bekommt mir gut, wenn er mir zu Hause auch bestimmt nicht annähernd so gut munden würde, im nationalen und internationalen Vergleich. Aber auf Kreta trinkt man eben einen Landwein aus dem Fass, den vollmundigen, leicht bis stark likörigen. Wenn ich mich recht erinnere, hat der halbe Liter 1.50 Euro gekostet, fast beschämend, ich dachte jedenfalls gleich an mein Mikroglas bei der Kreuzung, für das allein ich 2 € hinlegen musste, und war irgendwie wieder mit dem Ort versöhnt.
Die witzigen Sprüche des Engländers erheitern auch die beiden Deutschsprachigen am Tisch, nicht nur seine Lebensgefährtin, der er seine weiteren Pläne für den erst angebrochenen Abend ausbreitet. Dabei wollte man doch das Boot nach Súja nehmen, tags darauf.
Da bin ich gespannt, ob ich die beiden morgen wiedersehen werde, auf dem Küstenschiff.

Nach einem derart beruhigenden Schlaftrunk begibt man sich am besten ins Bett. Unvermeidliche Turnübungen in meinem überklein bemessenen Badezimmer nehme ich nun einfach so hin. Zum Zähneputzen reicht's jedenfalls, der Weg zur Dusche ist schon schwieriger.
Von Mírtos nach Paleóchora: ein langer Tag!

Nichts geht über die hereinbrechende Nacht, und nichts über den möglichst frühen Morgen!
Ein früher Morgen auf der Halbinsel von Paleóchora ist etwas durch und durch Außergewöhnliches, etwas Wundervolles, ein Geschenk des Himmels.

Schlendern ist angesagt, ganz langsam an den noch lange geschlossenen Tavernen hinter dem Oststrand vorüber, auf dem Gehweg vor der kleinen Mauer, dahinter die Felsen, die als Wellenbrecher dienen. Ab und zu eine Sitzbank, eine Möwe, ein verlorener Einheimischer. Gegen die Sonne anblinzeln, die wohlige Wärme spüren. Vorne im kleinen inneren Ortshafen schon erste Geschäftigkeit erahnen.
Aber erst noch mal einen Schlenker in die Seitengassen. Als ich fast wieder an der Uferpromenade angelangt bin, vom ehemaligen "Hotel Paleóchora" herkommend, lächle ich eine alte Frau an, grüße, und sie grüßt zurück. Ich erfahre von ihrer Knieoperation, es habe aber nichts geholfen, die Schmerzen seien immer noch da. Trotzdem lächelt auch sie mich an. Eine Stunde darauf sitzt sie, ihren Stock umklammernd, vor Jorgos' Lokal, dem Odhés – vielleicht seine Frau?

Das morgendlich schimmernde Bergland, nach Osten hin, die markanteren Landschaftszüge im Westen, weil schon direkter beleuchtet. Erste Café–Gäste, auch Touristen, alle dicht beim kleinen Hafen. Als ob sie auf etwas warteten. So schnuppere ich auch dort vorbei, hin zur "Samariá", den paar auf der Mole abgestellten Fahrzeugen, den sich versammelnden Leutchen, lauter Einheimischen.
Als ich mich wieder entfernen will, höre ich ein größeres Schiff herantuckern, und schau mal einer an: es ist eine alte Bekannte, die da vom großen Außenhafen an der Südspitze der Halbinsel heranwogt und gemächlich einkurvt. Die "Sél(l)ino", also der "Sellerie" (so heißt auch ein Bezirk in SW–Kreta), wird erst einmal hinter der "Samariá", also am äußeren Molenrand, vertäut, was einige Zuschauer anzieht. So gegen neun, fast eine Stunde vor meinem Küstenschiff, soll sie Richtung Insel Gávdos ablegen. Ich freu mich das mitzubekommen, einen Touch Hafenatmosphäre, die kleine "weite Welt", für die jeder so dankbar ist, der sich länger in einem (wenn auch großen) Dorf herumtreibt. Was mich wundert: es wollen heute auch zwei jüngere Touristenpaare mit an Bord – obwohl das Saisonende auf Gávdos schon gut überschritten ist. Mag ja sein, dass wenigstens eines der Paare wieder zurückkommt, am selben Tag, doch die anderen haben ihre großen Rucksäcke mit.

Nun heißt es für mich aber erst einmal packen! Der Abschied von meinen netten Wirtsleuten ist kurz und herzlich, ich werde bestimmt wiederkommen. Schon entfernt sich das Gávdos–Schiff, ich krieg den Ablegevorgang nicht mehr mit. Auf geht's zum Bäcker, in voller Reiserüstung, diesmal zum größeren der beiden unweit voneinanderliegenden, dem mit der üppigeren Auswahl. Der Rucksack bleibt draußen, an einen Strommasten gelehnt. Leckere Sachen bieten sie hier an, da freuen sich bestimmt auch die Gavdioten.

Immer nur bei meinen Abreisen, oder wenigsten meist dann, suche ich das Eckcafé bei der Mole auf, eigentlich völlig zu Unrecht, denn hier kriegt man echt gute Kaffeekreationen plus Snacks serviert.

Das Ticket hab ich wieder in der nächsten Agentur bei der Ablegestelle erstanden, obwohl ich dauernd bei der Konkurrenz weiter drinnen im Ort frage, wann die Schiffe gehen. Ich weiß nun, dass auch das Winterhalbjahr über noch ZWEI Schiffe die Woche ab Paleóchora nach Gávdos auslaufen, nicht etwa nur eines; zunächst einmal dienstags und donnerstags, die Sélino von ANENDYK. Ab November dann eine andere Gesellschaft, wohl die, die während der Saison nach Elafoníssi exkursiert. Auf das Internet ist hinsichtlich dieser Verbindungen leider gar kein Verlass, bei gtp.gr ist den Winter über Schluss mit lustig, in der Libyschen See, mit Ausnahme der abgespeckten Küstenlinie.

Fünf Minuten vor dem Ablegen trotte ich an Bord meiner Küstenfähre, lehne meinen Rucksack gegen eine Seitenwand des Autodecks und gehe hoch zu den Aussichtsdecks.

Paleóchora liegt weit ausgestreckt da, ganz beeindruckend, verschwindet erst hinter dem Hafenkap von Soúgia zur Gänze. Wer eine Streckenbeschreibung vermisst, der/die lese andere Berichte von Christina oder mir!
Der Einzige bin ich diesmal, der in Soúgia von Bord geht. Aber zusteigen tun doch einige, Richtung Ost, hin zu Neuem oder längst Bekanntem und Geliebtem.

Copyright puchheim = MartinPUC, November 2006

Soúgia herbstlich