Ein Tag auf Psará
(13. Mai 2004)

Copyright puchheim = MartinPUC, 2004, 2006


So um fünf Uhr früh rum kommt allmählich eine ganz bescheidene Hektik auf, wie ich von meiner Kafeníostuhl–Bettwarte aus mitbekomme. Die ersten Frühaufsteher schlendern ganz bedächtig zur Inselfähre, viel zu früh, aber was soll’s. Schließlich sind wir hier bereits im Norden von GR, wo man möglicherweise alles genauer nimmt und so auch rechtzeitig am Schiff erscheint.

Lange seh ich dem Treiben nicht mehr zu. Es hält mich nichts mehr. Nein, ich reise nicht entrüstet und desillusioniert nach Chios ab, trotz meiner unguten Erfahrung bei der vergeblichen Zimmersuche. War auch selber schuld: hätte doch auf der Inselfähre fragen können, ob ich mich nach Beendigung der dortigen Party um 03:00 da langlegen dürfe. Siehe Klaus Thomas’ Chálki–Bericht auf seiner HP "Griechenlandfaszination". Na, dem wurde allerdings ein Schlafplatz auf einem Boot ANGEBOTEN. Aber was soll's, die paar Stunden machen das Kraut auch nicht fett.

Als ich das hübsche Hafenrund sehe, die Bergumrandung dahinter, das Kap vor mir, da erwacht sogleich mein Bewegungsdrang.

Um halb sechs geht’s hinauf aufs steile Kap neben dem Hafen. Ich verzichte ausnahmsweise darauf, das ablegende Schiff zu beobachten.

Ach, ist das schöööön, so eine frühmorgendliche Wanderung. Erst ein kurzes Stück Feld–, dann weiter auf einem Treppenweg.
Auf halber Höhe begleitet mich ein Riesenschwarm verhalten, aber beständig glucksender, lachender Möwen! Hehehe! Hehehe! Du Depp, du. Nicht vorangemeldet. Willst ein Zimmer mitten in der Nacht bei unseren verbohrten Frühschläfern! Hehehe! Hehehe!

Ich erwidere das „Hehehe!“ und rufe noch „Schämt euch für die rabiaten Kleingeister hier!“ dazu. Hehehe!

Auf der Gipfelplattform steht eine Doppelkapelle, aus groben Steinen errichtet. Etwas weiter eine Denkmals–Stele. Erinnerung an die von den Türken Belagerten, die sich in höchster Bedrängnis freiwillig selbst in die Luft gesprengt haben? Ich erinnere mich jetzt nicht mehr an den Text. Meine Gedanken schweifen zum Kloster Arkadi in der Provinz Réthimno auf Kreta, wo ganz Ähnliches geschah.

Im Osten breitet sich Chios vor mir aus, erstmals sehe ich es, ein langer, nach Süd allmählich abfallender Wall im Meer; in seinem Norden sind hohe Berge zu erkennen.
Im Südwesten ragen Andípsara und ein paar Nebeninselchen aus dem Wasser. Gegen Nord erhebt sich wunderschön eine große Kirche mit blauer Kuppel etwas außerhalb des Dorfes über der Küste, ein tolles Fotomotiv. Ihr zu Füßen das mehrstöckige weiße Gebäude des Xenónas, wo ich hätte Gast sein können.
Darunter der hübsche Ort, die Dorfkirche mittendrin in Ufernähe des Hafens. Ein versöhnlicher Anblick.

Die „Panagía Psarianí“ zieht nun unter mir vorbei. Eine Zeitlang blicke ich ihr und ihrer Schaumschleppe nach.
Hinter dem Ort türmen sich für mich überraschend jäh Berge auf, auch östlich des Hafens.
Wie kommt man denn da so schnell hinter, denke ich? Hat mich die Karte getäuscht? Da ist die Insel doch so flach, klein und unkompliziert dargestellt!
Später sollte sich alles doch als vergleichsweise einfach machbar herausstellen.

Kurz nach sieben hat das erste Kafenío geöffnet, das zugleich Taverne ist. Ich gönne mir zwei Neskafédhes mit viel Milch. Der Wirt versichert mir, dass er abends genug zu essen anbiete. Einige Männer trudeln nach und nach ein, mit Autos, in einem Lieferwagen oder auf Motorrädern, begutachten mich mittels Seitenblick, fahren wieder ab. Als ich mir zwischendrin beim Bäcker, der recht versteckt mitten im Gassengewirr ein gutes Stück hinter der Kirche liegt, eine Milópitta oder Ähnliches holen will, muss ich feststellen, dass der noch nicht so weit ist – das dauert bei ihm noch ne Weile. Bin auch an einem schmalen, sehr kleinen Lebensmittelgeschäft vorbeigekommen. Ein zweites soll es noch weiter hinten und oben geben.

Den Rucksack parke ich bis drei Uhr nachmittags auf einer provisorischen Holzbank am Rand der Platía, an der eine Bankfiliale (zwar ein pompöses Haus, aber wohl nur mit Geldautomat drin) steht, gleich bei dem Segeltuchstuhl–Kafenio, wo ich übernachtet habe. Die alten Männer, die hier zu sitzen pflegen, lassen das fremde Gepäckstück natürlich den ganzen Tag unbehelligt.

Unrasiert und nur notdürftig gewaschen begebe ich mich erst zum Bäcker auf eine Tirópitta (leider hat er keine Milópitta), dann auf Wanderschaft ins Inselinnere.
Erst am Hafenbecken, in dem sich schon die Fische fangbereit drängen, entlang nordwärts hinter, dann einen großen Haken durchs Dorf, das auf mich zwar einen verschlafenen, aber netten Eindruck macht. Nachdem ich merke, dass der eine Weg aus dem Dorf nicht in meine gewünschte Richtung führt, wandere ich wieder hügelab und gehe irgendwann in Ufernähe an einer Hügelvilla, dem Friedhof und an einer Schule dorfauswärts vorbei, wo sich ständig, auch noch bei meiner Rückkehr, die Lehrer im höchsten Stimmregister gegenseitig anbrüllen.

Vorbei am ersten Ortsstrand mit Fremdenzimmern in einem Reihenhäuschen aus Naturstein (auf einer Landspitze ein paar Meter dahinter) folge ich der Teerstraße etwas hügelan. Der erste Garten taucht rechterhand auf. An einer Weggabelung halte ich mich rechts. Links ginge es in weitem Schwung hinauf zu etwa acht Windrotoren, dem Inselkraftwerk, und weiter hinter bis zum Kloster auf der Rückseite des höchsten Inselberges mit den Sendeantennen.

Auch mein Weg ist eine, wenn auch schmale Teerstraße, zunächst seitlich von teils mannshohen Sträuchern zugewachsen. Was für ein Pflanzenreichtum mir hier entgegenleuchtet! Alles ist grün, wenn auch außerhalb der Gärten Bäume eher selten sind. Nur Oliven sehe ich nirgends. Von Jannis erfahre ich später, dass es hier überhaupt keine Schlangen gibt, das müsse an der Erde liegen.
Bei einer Kapelle dreht die Straße nach Ost und führt sanft hinunter in eine große Ebene. Insbesondere in ihrem Nordteil befinden sich im Hintergrund etliche Gärten mit kleinen Zufahrtswegen, ein Weiler, kleine Felder, und Wiesen.
Überall durchziehen nah und fern Feldwege die Landschaft, was auf der Inselkarte (Chios und zusätzlich Psará) nicht annähernd eingetragen ist; dort ist vielmehr nur eine einzige Piste in den Norden bis zum Kloster verzeichnet.
Einige Feldwege führen zum nächstgelegenen Strand, der sich vielleicht 2 km vom Hafenort entfernt in ruhiger Umgebung hinstreckt, mit ein paar Häuschen dahinter.
Es sieht ganz so aus, als ob bereits eine Ringstraße um die ganze Insel herumgehe, was mir später von Einheimischen auch bestätigt wird.

Im Norden und Osten die Bergumrahmung, hinter der es mit der Insel schon zu Ende ist. Von meinem Standpunkt aus wirkt sie noch recht groß, jedenfalls größer als ich es mir vorgestellt hatte. In Wirklichkeit ist man aber bestimmt schnell ganz hinten, etwa am Nordende und auch auf der Kuppe, wo das Kloster thront.

Ich selber bin nur etwa den halben Weg gegangen, als ich zurück bei der Weggabelung war zu den Windkraftwerken, weiter an einem Strand vorbei bis auf Höhe einiger Häuser, immer die kaum befahrene Teerstraße Richtung Norden entlang. Es war mir nicht wichtig, an dem einen Tag, den ich bleiben wollte, noch zu einem stets zugesperrten Kloster zu stiefeln, hinter in Gegenden, wo eh kaum jemand mehr anzutreffen wäre. Begegnet sind mir insgesamt etwa 4 Autos und vielleicht 3 Mopeds/Motorräder.
Bei mehr eingeplanter Zeit hätte ich gerne die Insel umrundet, was sich in einem halben Tag wohl gut machen lässt.

Strandfans kann ich ermutigen. Zwar ist bei den Wassertemperaturen Mitte Mai vom Baden im Meer eher abzuraten, aber ab Mitte Juni müsste sich Psará mit einigen hübsch anzusehenden Stränden für bestimmte Kleine–Inseln–Liebhaber(innen) zu einem bescheidenen Badeparadies entwickeln.

Auch über das Essen, zu üblichen Preisen, kann man nicht klagen. Meine Frühstückstaverne war abends gut besucht, die Gerichte sahen alle lecker aus. Noch viel besser besucht war die Taverne von Jánnis, einem sehr freundlichen Zeitgenossen, gleich beim Flachbau der Hafenpolizei etwa 200 m nördlich vom Hafen entfernt gelegen. Um die Ecke, noch ein paar Schritte weiter, findet man übrigens das unauffällige Büro, das die Schiffstickets ausstellt, ebenfalls ein sehr netter junger Mann drin.
Schon meine mittägliche Fischsuppe bei Jánnis hat mir gut geschmeckt. Doch abends war hier der Teufel los, alles knallvoll mit einheimischen Essern und Zechern.

Bei Jannis hab ich auch erfahren, dass sich noch ein deutsches Paar auf der Insel aufhalte (die hab ich ganz zum Schluss noch kurz erblickt – das war’s dann mit Fremden), und eine sehr lehrreiche Unterhaltung mit einem der örtlichen Zimmervermieter geführt.
Hier verlangten alle Vermieter 40 Euro ((– ich bitte das nicht für die absolute Wahrheit zu halten)), meint der Herr, auch von Einzelreisenden. Nur wenn man länger bleibe, gebe es Nachlässe. Als er erfährt, dass ich auf Kreta und Kárpathos auch die letzten Male oft nur 15 Euro bezahlt habe, wird er wütend. Er habe alle Baumaterialien aus Athen herschaffen lassen, habe Luxusstudios mit Küche errichtet, die ja nur im Juli und August belegt seien, und wolle nun auch Geld sehen. Italienische Familien kämen gerne zu ihm, eine schon seit über 20 Jahren. Die fragten nicht nach den Kosten. Eine Diskussion stellte sich als sinnlos heraus. Auch das Argument mit Ferien auf dem Bauernhof bei uns zu Hause, die preisgünstiger zu haben sind als eine Unterkunft auf Psará, zündet nicht. Ebenso wenig die leise Drohung mit Kreta. Auf dieser Insel denkt man halt erst einmal an sich selbst, an das teure Geld, das man in Bauten investiert hat. Wie verschreckt erstmals eintreffende Single–Gäste auf die Unterkunftspreise reagieren könnten, das scheint absolut uninteressant! Dass die Ü–Preise auf dieser Insel für die Nebensaison besonders hoch sind, dessen ist sich anscheinend keiner der Vermieter bewusst.

Im Nachhinein sehe ich allmählich, dass es auf manchen kleineren nördlichen Inseln wohl nur einen, nämlich den „Saisonpreis“ gibt, dazu keine Alternativpreise, da im Mai/Juni oder im Herbst sowieso kaum jemand kommt. Die Leute dort können sich eine "Vor–" oder "Nachsaison" wohl gar nicht vorstellen. Nicht zu vergleichen mit Inseln wie Kreta, wo es, je nach Lage unseres Osterfestes und der betreffenden Schulferien, schon Ende März losgeht und erst Anfang November touristenmäßig endet.
Auf Psará dagegen dauert die Saison nur 6 bis höchstens 8 Wochen. Wenn man das bedenkt, kommen einem die Preise für große Familien–Studios nicht mehr so hoch vor. Man wünschte sich dann nur ganz dringend auch ein Angebot an kleineren Zimmern ohne eigene Küche zu einem günstigeren Preis.

Selbst Jannis, der Wirt, hielt 40 Euro für eine Einzelperson für übertrieben. Er vermittelte mir deshalb auf der anderen Straßenseite etwas Günstigeres. Für „nur“ 30 Euro gab ich mich mit einem nicht gerade toll gereinigten Studio inkl. Küche und Fernseher zufrieden. Aber nach einer fast schlaflosen Nacht im Freien zog ich da um halb vier nachmittags sehr sehr gerne ein, auf eine Rasur und Dusche und kurzes Dösen im Bett.

Der späte Nachmittag und Abend sollte dann dem Inselort gewidmet sein, den ich mir ein wenig genauer ansehen wollte.

Einige weitere Kafenía bzw. Bars bereichern das Angebot. Ich bedanke mich bei meinem "Übernachtungs–Café" durch eine Bestellung, und der Besitzer bietet mir gleich ein Zimmer an – hab nun aber schon eins.
Auch hatte an jenem Donnerstagabend bald eine dritte Taverne geöffnet – als zweite an der Hafenfront.
Im Ort verstreut weitere Unterkünfte, die nicht alle als solche gekennzeichnet sind. Es empfiehlt sich wohl, sich in den Tavernen und Kafenía danach zu erkundigen. Dann liegt alles am persönlichen Verhandlungsgeschick, nehme ich mal an. Denn bei mehrtägigem Aufenthalt hätte ich es schon etwas billiger haben wollen.

Der Bäcker erschien mir recht ursprünglich, auch das kleine Pandopolío, der schmale Strich von Lebensmittelgeschäft, dessen Eingang stets von Neuigkeiten austauschenden Frauen blockiert war.

Von der Terrasse hinter der großen, zugesperrten Kirche beim Xenónas (Gästehaus) aus bietet sich ein schöner Ausblick aufs Meer und auf Teile der Insel. Zu sehen war im und um das Gästehaus herum zu dieser Jahreszeit kein Mensch.

Zu Füßen des Vorkaps, auf das ich noch einmal halb hochsteige, entdecke ich eine Gedenktafel. An dieser Stelle hätten die letzten Psarioten gegen die Türken gekämpft. Hier am südlichen Ortsrand steht noch ein weiteres Haus mit Fremdenzimmern.
Eine seltsame Ruhe und Melancholie empfinde ich hier. Sie dehnt sich über die ganze Insel aus. Abhilfe gibt es nur abends, wenn sich einige Kneipen füllen.

Ein Fischer meint, ihnen schwämmen tatsächlich die Fische direkt in den Hafen – man sieht es auch.

Bestimmt schön, einige kleinere Wanderungen ins Hinterland zu unternehmen. Etwas für Leute, die nichts Großes vorhaben. Ausprobieren lohnt sich bestimmt, wenn man die vergleichsweise hohen Übernachtungspreise (für Einzelreisende, nicht für Familien) in Kauf nimmt. Auch Psará könnte sich durchaus als ein Inselwinzling zum Verlieben entpuppen.

Zudem sind die Verbindungen nach Chios ganz gut, im Mai 2004 immerhin sechsmal wöchentlich (Mo. – Fr.), bei mir wurde um 06:00 Uhr abgelegt, nicht, wie es bei www.gtp.gr zu lesen war, um 07:00., davon freitags gleich zweimal (auch am frühen Abend), samstags und sonntags keine Überfahrt. Von Chios her geht dagegen die kleine Fähre zumindest auch am Sonntagabend nach Psará, ansonsten nachmittags. Nur samstags nicht. Na ja, und von Kavála aus geht es mit Stopp auf Limnos und Südwest–Lesbos (Hafen Sígri) auch einmal pro Woche hierher (Ankunft allerdings um 02:00 Uhr morgens, Tavernenstühle zum Übernachten stehen bereit!) und weiter nach Lávrio. Aber diese Verbindungen ändern sich wohl ständig.

Etwas verstört und aufgelegt zu neuen Taten verlasse ich tags darauf die Insel. Bestelle als einziger Fremder an Bord zur Verwunderung der noch ganz unaufgetaut um einen Tisch herum versammelten, gerade nicht beschäftigten Crewmitglieder gleich einen Kaffee.
Jetzt, von See aus, zeigt sich, wie unvermittelt die Insel hinter den Bergen endet.
Noch lange grüßt mich die Senderanlage des Profítis Ilías, als wir schon längst an Chios' frühlingsgrüner Nordküste entlangfahren. Drei Stunden sollte sie dauern, diese Fahrt.

Copyright puchheim = MartinPUC, 2004, 2006

Nach Chios. Ein Tag in der Stadt