Samothráki, dritter Tag
(22. – 24. Mai 2004)

Copyright puchheim = MartinPUC, 2004, 2007



Geschrieben nur aus der Erinnerung.

Schön wird er werden, der Tag! Alle Busverbindungen (mit lediglich einem von vier Bussen, versteht sich) sind heute, Montag, aktiviert, und was will man mehr?

Eine beschauliche halbe Stunde beim nun anwesenden Kafetzí neben dem Zeitungs– etc. –Laden. Dann die Bougátsa, dann noch ein Kaffeechen im Taxi– und Busfahrerkafenio (Neues ausprobieren), wo ich dem Buslenker sehr nahe bin.

Er erhebt sich, und ich trotte ihm nach. Noch ein Paar, Touristen, und ein griechischer Fahrgast und Bekannter des Odigós beleben die Passage nach Thérma/Loutrá.


IM INSELOSTEN

An der Abzweigung von der Küstenstraße nach dem nahen Loutrá bitte ich um einen Stopp, springe aus dem Bus und mache mich auf den Weg nach Ost. Hinter mir diskutiert das Paar eine Weile mit dem Busfahrer, steigt dann ebenfalls aus und folgt mir. Ich hatte sie offenbar indirekt auf eine Idee gebracht.

Wie anders diese Seite, der Inselnorden, doch erscheint, im Vergleich zum Süden, dem Olivenland, das ich gestern zum Teil erwandert habe. Auf der heutigen Seite stehen völlig andere Pflanzen, die Vegetation ist total verschieden von der jenseits der Berge. Da ich mich hier freiwillig dem Gebirge viel mehr nähere, werde ich sogar unterschiedliche Vegetationsstufen hautnah erleben.
In zügigem Tempo staune ich Kilometer für Kilometer die recht breite und fast gar nicht befahrene Teerstraße entlang. Überall Farne, Platanen und salzliebende Pflanzen in richtigen Dickichten. Immer wieder überquert man Bäche mit fast alpiner Stein– und Kieselszenerie. Wirkt ein bisschen wie einige Stellen der Nordseite von Samos, denke ich.

Zum nahen Meeresufer sind es maximal 100 m, das erste Stück. Kleine Stichwege verleiten hier bestimmt Wohnmobilfahrer zum Dauerparken unter dem Blätterdach. Doch hier hinten bestehen die Strände bestenfalls aus großen, abgeschliffenen Steinen. Nicht unbedingt das Paradies für Strandfreaks. Wenn man mal auf eine grobkiesige Partie triftt, kann man sich wirklich freuen.
Dieselbe Üppigkeit auf der bergwärtigen Seite, zunächst eher noch viel mehr! Eine breite Gebirgsfußfläche liegt hinter dem ersten Busch– und Platanenwald. Die Berge treten stark zurück, sind erst nach etwa einer halben bis Dreiviertelstunde Fußmarsch erreicht. Auf den paar Feldwegen, die ab und zu Richtung Berge führen, geht es bestimmt etwas schneller.

Zwei Militärfahrzeuge zockeln mir entgegen.

Aber der Reihe nach, με τη σειρά! Zuerst, vielleicht 1 km nach dem ersten Abzweig, wo ich den Bus verließ, gehe ich an einer weiteren Abzweigung nach „Thérma“ vorbei – sie ist auf der Inselkarte (Σαμοθράκη – Τουριστικός Χάρτης. Κλίμακα 1:50.000) noch nicht eingetragen, wie auch die weiteren Feldwege. Ich nehme an, die bombastische, breite Teerpiste inmitten der Einöde führt in großem Bogen ebenfalls zu dem Örtchen Loutrá = Thérma. Kann sein, dass ein Hotel vorab den Straßenbau rechtfertigt – ich bin die Strecke nicht gegangen. ((2007: Man vergleiche mit der neuen Karte 1:30.000 von Road Editions.))

Schon zum zweiten Mal fährt dieser weißliche VW–Bus mit südwestdeutschem Kennzeichen an mir vorbei.

Links taucht der erste Campingplatz auf. Ein verlassener Sportplatz gegenüber, neben der Staubstraße zu einer Forstverwaltungsstelle und irgendeinem Weiler. Gleich hinter dem Eingangstor wird schon für die Saison geputzt. Eine Telefonkabine sehe ich, einen Minimarket im oder beim Empfangsgebäude, zwei oder drei Arbeiter. Blicke über den Zaun des wirklich lang gezogenen Platzes, der mit reichlich Bäumen, einem richtigen Wald, gesegnet ist.
Zwischengestreute Dusch– und Toilettenbauten gliedern das Waldgebiet. Am Platzende bald eine Lichtung für Wohnmobile – es ist nur keines da. Darf wohl auch nicht, wegen der Brandgefahr, wie man liest.

Einige Häuser linker Hand. Ein neu gebauter „Tempel“ auf offener Wiese, Stolz seiner Eigner, hässlich wie er sein mag. Es ist die Stelle, wo ich an diesem frühen Vormittag noch Tausende dieser kleinen Frösche, wahre Miniaturen, auf der Straße antreffe – zuletzt habe ich so eine Minifrosch–Kongregation auf einem Feldweg im Schilfgebiet des Neusiedler Sees (Nähe Wien) südlich von Illmitz angetroffen, wir trauten uns auf unseren Rädern kaum weiter, um die 2 bis 3 cm großen Geschöpfe nicht zu überfahren.
Eine feuchtere Stelle, jedenfalls, neben der Straße. Auf dem Rückweg würde es bereits zu warm sein für ein erneutes Treffen mit den Quäker–Kids.

Wen aber treffe ich denn da, gleich nebenan und wenig später? Auf einem eingezäunten Grundstück auf der Meerseite mit Bäumen zur Straße hin stehen zwei orangefarbene deutsche Straßenbauwagen der alten Sorte, Modell „unsere Kindheit“, aber neu gestrichen, rundes 25–km–Schildchen drauf, zugehöriger Schlepper fehlt. Daneben der weißliche VW–Bus. Die glücklichen Besitzer halten sich im Freien neben ihren diversen mobilen Bleiben auf. Frau hat gerade geduscht. Mann lässt sich fragen, wie er denn das geschafft habe, gut 1.500 km weit zwei solche Getüme aus BW hierherzuschleppen??? „ADAC“, ist die knappe Antwort. „Tieflader.“ – Statt Hausbau, denke ich. Sieht nicht gut aus, ist jedoch eine praktische, kostensparende Lösung. Diese verrückten Deutschen! Auf Ideen kommen die.
Wieder in unberührteres Gelände, weiterwandern. Der Asphalt stört nicht. Meine beiden Verfolger sind längst nicht mehr zu sehen. Dieselben Natureindrücke wie vorher. Links und rechts. Morgenstille.

Nach einigen Kilometern ist die Parkfläche vor dem Mörder–Fluss erreicht, unweit davon befindet sich der zweite Campingplatz. Endlich am Foniás–Fluss angelangt.

Der Weg den Bach entlang, über ihn rüber, wieder zurück, gestaltet sich nicht ganz unschwierig. Es ist nämlich total schlammig, noch gegen Ende Mai. Wie Januar/Februar in Oberbayern, ähnlichen Bachufern folgend. Eine Überraschung für mich.

Im Schlamm waten. Wenn das so weitergeht! Weiter geht es nach der Kletterei über den Baumstamm, der als Brücke über den Wassern dient, dann bald nur mehr am rechten Ufer, in Fließrichtung, also am linken in Gehrichtung, bergwärts. Die Wegmarkierung ist überdeutlich. Orientierungsstörungen treten auf, als eine zweite Farbe eine Alternative links über dem Ufer signalisiert, die ich nicht gehe.

Wo sind die vielen Schlangen, die Wasser– und Landschildkröten, auf die ich so gespannt bin? Nichts zu sehen! Zu schnell will ich weiter, das ist wohl die Erklärung. Höchstens eine knappe Stunde dauert es, bis ich an der Wasserpfanne unterhalb des imposanten Kataraktes angelangt bin, wo man stehen soll, bleiben und betrachten. Sich freuen und die Sondersituation auskosten.
Niemand anders ist da. Ein Warnschild. Zum zweiten Wasserfall irgendwo da oben im Fels, der hier jäh beginnt, sei es wirklich gefährlich! Nichts für Ungeübte.
Ha, erst einmal über das Wasserbecken zu Füßen der Kaskade rüberkommen!

Ach, deshalb die provisorischen Latten auf zwei Steinen im Wasser. Ist aber nicht so einfach, da trockenen Fußes zu passieren. Die hohen Gummiwulste meiner neuen Wanderstiefel tun ihren Dienst. Mein Teleskopstab ist wieder einmal unersetzlich, der Wassergeeignete, wie auch gleich nachher, als es sehr steil durch einen Einschnitt im Fels bergauf geht. Ohne diesen Stock wäre der Aufstieg wirklich mühsam gewesen. So ist es relativ ungefährlich, ohne ihn wäre es ein gewagtes Unterfangen geworden, das man tunlichst nicht alleine auf sich nehmen sollte!

Ein bisschen klettern, dann geht es auf Erde weiter, unter Bäumen, steil, steil. Den Wanderstab reinstemmen ins Erdreich. Oben quer über die Lichtung, den Hang nach links, rein in ein Wäldchen, bald wieder raus und weiter hoch. Wieder links auf einem Pfad auf Felsen zu. Dahinter endet der Weg abrupt. Hinter der Engstelle bei einem großen Felsen kommt ein Steilabfall, von dem aus der obere, zweite Wasserfall da hinten eingermaßen gut sichtbar ist.

Man fühlt sich bereits sehr weit oben, genießt eine superbe Aussicht. Der Hang gegenüber, mit Wald, Portal zu höchsten Höhen. Die Schlucht. Die höheren Berghänge. Gipfelfetzen. Das Bergvorland. Das Meer. Ein Schiff, das sich der Küste nähert.

Bestimmt kann man durch den Wald noch höher steigen, vielleicht findet sich bald ein weiterer Pfad. Doch mir reicht’s erst einmal, ich glaube mich schon im Hochgebirge, klopfe zumindest unten an. Alleine will ich nicht weitersteigen ins Unbekannte.
Irgendwie gut, zum ersten Mal guck ich nicht ständig in einen Reiseführer, ich hab nur einen australischen mit, der überhaupt nicht ins Detail geht, was Wanderungen auf Samothráki betrifft. Wie schön, einfach mal draufloszugehen, frei nach Schnauzrichtung, ohne Vorschriften, Anleitungen, ohne die übliche Bibel!

Was mich fasziniert, sind die eigenartigen Bäume, richtige Wälder aus knallrotstämmigen, sehr kleinbrättigen, 3 bis etwa 5 m hohen (für mich) Exoten. Sie sehen alle aus wie angemalt, doch es ist eine Naturfarbe, ohne menschliches Zutun. Schön, einmal so etwas sehen zu können. Ohne eine Menschenseele rundherum. Es fehlt eigentlich nur ein (kretischer) Bergadler, oder ein herumtorkelnder Geier.

Zurück gehe ich einen anderen Weg. Schon beim Aufstieg hab ich einen Pfad auf den Hang reinkommen sehen, der vielversprechend ein gutes Stück westlich des Foniás–Bachtales ins küstennahe Land zu führen scheint. Ich folge ihm einfach mal.

Nach den Höhenwäldern kommt sehr bald freieres Gelände. Sanfter geht es bergab. Dann ist eine Weidelandschaft erreicht, durchsetzt mit vielen Eichen, teils Wäldchen, meist aber nach wie vor offenes Land. Viele ehemalige, zusammengefallene Mäuerchen werden immer wieder von den sich vielfältig verzweigenden Pfadarmen als Stolperschwellen überquert. Man überlegt, ob es besser ist, sich näher an der Kante zum Flusstal zu halten oder sich weiter nach West driften zu lassen, nimmt meterweise irgendeine der sich anbietenden Wegalternativen.

Ziegen, wie ich sie in ihren typischen Farben im Foniás–Tal laufen sah, sind nun hochgeklettert und ziehen etwas rechts von mir durch die Gegend. Ich bleibe in Nähe der Abbruchkante, vielleicht maximal 300 m von ihr entfernt.

Fast habe ich vergessen zu erwähnen, wie unglaublich schön es hier ist, in diesem Zwischenlandstrich. Hinten Hochgebirge, vorne gut abgeschottete Küste. Kargheit, eine Herde Schafe oder Ziegen in der Ferne vor einem Wald. Absolute Stille. Kein anderer Mensch irgendwo. Und ich befinde mich so nahe an der Küstenstraße! Steinige Ebene, Bäume, Naturwiesen, Grün, Wildheit. Trotz Weide eine ungezähmte Gegend, für meine Begriffe.

Hatte der Grieche hinter der Theke auf der Nissos Limnos, der so lange mit einer Deutschen verbunden war – und deshalb so gut unsere Muttersprache spricht –, doch (teilweise) recht? Es gebe nur EINE allerschönste Insel in Griechenland, seine Heimatinsel: Samothráki! Sympathischer Chauvi, hatte ich zuerst gedacht.
Aber Kreta ist doch alles in allem noch viel großartiger. Hat viel länger mehr zu bieten. Jedoch nur für den, der sich hinaus– und vor allem ein Stückchen hinaufwagt in die Berge und ihre Hochebenen. In die entlegeneren Gegenden, wo man noch autofrei wandern kann.

Lichtes Gehölz, eine Feldwegkreuzung taucht auf. Um zur Straße zu gelangen, gehe ich den Weg geradeaus weiter. Ob es wohl einen Durchlass durch den Zaun gibt? Ja, bald finde ich das offen stehende Tor und bin schon auf dem Rückweg nach Thérma.

Kleine Trinkpause unter Baumriesen neben einem die Straße unterquerenden Fluss. Überall die großen, abgerundeten, zurechtgeschliffenen Steine. Richtige Becken, Wasserpfannen in solchen Bächen.
Kleintümpel neben der Straße, aufgestautes Wasser mit Kaulquappen, kleinen Fröschen.

Am Campingplatz wieder die in aller Ruhe vorangehenden Reinigungsarbeiten. Eine Arbeitsidylle, man hat noch lange Zeit.


THERMA/LOUTRA

Vorne an der Abzweigung, wo ich aus dem Bus gestiegen bin, biege ich in die Stichstraße nach Loutrá ein. Auf dem überflüssigen Gehsteig der einen Straßenseite ebenso überflüssige hohe Straßenlampen, deren Pfosten jeden Fußgänger zu Ausweichmanövern zwingen.
Noch vor dem Örtchen liegt rechter Hand das Badehaus, klein, bescheiden und ungenutzt, davor fließt ein gurgelnder Gebirgsbach.

Das Bächlein begrenzt die Freiterrasse des Platanen–Kafeníos vor dem Ort. Es wurde inzwischen stark ausgebaut, alte Fotos zeigen es noch wesentlich kleiner. Heute ist wenig los. Ein neues britisches Paar, sie in ihrer leichten Seidenbekleidung und den kurzen Hosen allmählich frierend, wartet beim Bier auf den nächsten Bus, der hier wendet und in den Hafenort K. zurückkehrt und den auch ich nehmen werde. Weiter in den Osten fährt im Mai noch kein öffentliches Verkehrsmittel.

Eine Runde drehe ich nun durch die schattige Ortschaft. Sie wirkt fast ausgestorben, es ist Nachmittagsruhezeit. Am unteren Ende, wo es hintergeht zum geschlossenen Hotel, haben ein Schnellimbiss mit Tischen unter den Bäumen und nebenan ein Minimarket geöffnet. Im rechten Winkel davor gehe ich erst einmal hügelaufwärts, passiere lauter kleinere und größere Pensionen. Nur auf einem, vielleicht zwei Balkonen sehe ich Handtücher und Wäsche von Gästen. Auch hier tote Hose, von der Atmosphäre her noch viel schlimmer als in Kamariótissa.

Hier herrscht zusätzlich eine himmlische Ruhe, leider gepaart mit einer typischen Am–Ende–der–Welt–Stimmung. Auf der waldwärtigen Seite dieser randlichen Dorfstraße eine Unterkunft quasi im Wald, wohl eher ein Restaurant, in der Saison – wirkt ein bisschen wie ein Jugendlager. Oben drehe ich nach links, bis es in einer Sackgasse nicht mehr weitergeht. Schöne Zierpflanzen säumen meinen Weg, und einige verfallende Bauten.
Irgendwo schräg weiter, quer durch die verschlafene Siedlung. Einmal ist jemand zu sehen, der in aller Ruhe einen Zaun streicht. Die Tavernen wirken alle dicht. Es sind auch keine Kunden da. Vor einem der Häuser mit Fremdenzimmern traut sich eine Frau mich anzusprechen, ob ich eine Bleibe suche.

Ich hab die Lust verloren, hier alleine im Schnellimbiss zu speisen und begebe mich auf ein Bierchen ins Kafenío, freu mich auf den Moment, wo es zurückgeht per Leoforío. Es ist noch etwas Zeit, den Feldweg am Badehaus vorbei auf einen Aussichtshügel mit Sitzbank zu nehmen, von der aus die Straße gut einsehbar ist. Aber schon nähert er sich, mein Bus.


DAS ABENDGEWITTER

Zurück in Kamariótissa, beehre ich nach einer Dusche das Ecklokal meiner Zimmerwirtin. Es ist zu dieser nachmittäglichen Stunde ganz gut gefüllt. Ich ordere Garídhes, krieg eine Menge frischer Meeresleichen.
Die Art, wie ich die Chitinschalen mit den Fingern entferne, bevor ich das weiße Fleisch essen kann, amüsiert einen griechischen Nachbartisch, der sich kurz und diskret darüber auslässt, dass der Fremde nicht wisse, wie man Garídhes isst! – Die haben noch nie was von der italienischen Art gehört oder gesehen, solches Meeresgetier aufzuknacken. Hier in Greece isst man die ganz anders, nämlich GANZ. Ganz pragmatisch natürlich, ohne große Mühe. Das Chitin schadet nicht, verdaut sich schon irgendwie, oder?! Also lasst es zwischen den Beißerchen knacken, Leute.

Herumhängen im Kafenío, sich erneut etwas die Füße vertreten. Abends kommt auf einmal ein starker Wind auf. Das macht mir unheimlich Lust, mich hinaus zum knapp 2 km entfernten Westzipfel der Insel mit den Windkraftwerken treiben zu lassen.

Dieser erfrischende „Windgeruch“, es riecht gleichzeitig nach Meer und nach Pflanzen. Der Himmel im Südwesten verdüstert sich hin zu einem drohenden Unwetter.
So recht nach dem Geschmack eines Luftwesens wie mir. Lehn dich in den Wind, stürz dich in den Sturm, Zwilling!
Hinaus aus dem Ort, immer am Ufer entlang. Auf das Betonmäuerchen neben der Straße rauf, da geht es sich gut. Der letzte Wanderer kommt gerade noch rechtzeitig nach Hause / nachhause.

Ein Nordoststurm braust aus der Ukraine heran, die Gewitterfront aber nähert sich aus der entgegengesetzten Richtung: aus Südwest!!! Zum ersten Mal erlebe ich so ein Phänomen. Ich traue meinen Sinnen nicht. Bei uns zu Hause kommt der Wind immer aus der Richtung der Gewitterfront ... Hier auf Samothráki befinde ich mich, wie es scheint, genau in einer der Aufgleitzone entgegengesetzten Unterströmung, die aus Südwest einströmende Luft schiebt sich in größerer Höhe über mich hinweg. Es ist eindeutig ein Frontengewitter.

Ich lasse mich also vom Wind hinaustreiben, die ersten leichten Tropfen fallen, die Sinti oder Roma (Zigeuner) bauen in Windeseile ihr Lager ab und fahren ihre Autos weg.
Bald hinter der Kapelle komme ich zu einer Land–Engstelle, schau mal runter zu dem seichten See, der als flache Bucht bis fast zur Nebenstraße reicht, während es auf der Nordseite auch nur wenige Meter sind zu den heranpeitschenden Wellen.

Der Regen wird zum Gießen, und ich muss Schutz suchen, es bleibt nur das kleine Häuschen bei den Windrotoren, das einen überdachten Eingangsbereich von ein paar Quadratmetern Größe hat. Im starken Regen komme ich dort an. Wie gut, einen Unterstand gefunden zu haben. Mein Thermokissen ist mir jetzt von Nutzen. Ich breite es auf den Betonboden, setze mich dicht gegen eine Tür, gerade noch außerhalb der heranpeitschenden Nässe.

Die Quasi-Idylle währt leider nicht sehr lange, der Sturm treibt den Regen bis zu meiner Sitzecke vor, Blitze zucken rund um mich ins Meer runter, und ich bekomme allmählich Angst, mich so dicht an den eisernen Windrotoren aufzuhalten. Als ich aufstehe, wird mein Sitzkisten sofort in die Landschaft gefegt. Ich stürze hinaus, finde es zum Glück irgendwo eingeklemmt, werde ganz nass.
Eine Ortsveränderung tut Not, trotz und zugleich wegen der Blitzgefahr. Ich wage es, eile die Straße vor zur Kapelle auf einer Anhöhe am Wegesrand. Unter dem Vordach der Kirche pausiere ich, fröstle, bevor ich mich hineintraue. Endlich zischt ein Auto mit jungen Leuten an mir vorüber. Die wollen vielleicht auch einen Kitzel erleben, da vorne. Kurze Zeit später sehe ich, dass die Windrotoren stillstehen, soeben abgeschaltet wurden.
Draußen hat es gewaltig abgekühlt, drinnen finde ich die nötige Wärme, versaue jedoch den schön geputzten Boden hinter der Eingangstür total. Die Erdstraße hat sich in eine Abfolge von Seen verwandelt. Matsch und Schlamm sind die prägenden Elemente im Gelände. Seit 45 min regnet es.

Noch eine gute Stunde sollte ich mich beim Heiligen Nikólaos aufhalten, es gewitterte und schüttete unaufhörlich weiter.
Auf Schuhabsatzspitzen stake ich zum Fensterchen hinter dem Altarraum vor, auch einmal einen Blick Richtung Berge und Ort zu werfen.

Als es endlich heller wird, fällt mir ein, dass es doch einen REGENBOGEN geben könnte!
In der Tat, meine Erfahrung gibt mir recht. Durch das Fenster beim Altar tut sich mir das Lichtphänomen in all seiner Großartigkeit auf. Ein Riesenregenbogen spannt sich aus meinem Blickwinkel gleichmäßig über die ganzen westlichen Berge, rahmt sie sozusagen ein. Ein göttliches Geschenk. Das Abendlicht mild, es ist immer noch hell.

Durch den Schlamm und die Großpfützen suche ich mir einen Weg zum Ort zurück. Meine Gedanken sind bei der armen Frau, die den kommenden Morgen meine erdigen Fußspuren in der Kapelle aufputzen müssen wird.

Da werde ich mich schon an Bord der Arsinói befinden, mit Kurs auf Alexandroúpoli.

Copyright puchheim = MartinPUC, 2004, 2007