Teil 6: Acht Tage in Westkreta
Copyright puchheim = MartinPUC, November 2009


Eine Nacht und ein halber Tag in Chaniá

Erst kurz vor Mitternacht kommt der Bus in Chaniá an. Da es mein erprobtes Hotel Lató nicht mehr gibt, schau ich mich nach einer anderen busbahnhofsnahen Bleibe um. Gleich bei der Südostecke der Buszentrale fällt mir das recht groß und modern wirkende Hotel Neféli in der Zimvrakakídhon–Straße auf. Es kommt mir sehr gelegen, und ich bin bereit, etwas tiefer als gewohnt in die Tasche zu greifen, angesichts meiner späten Ankunft nach langer Anreise von Santorin her.
Das Zimmer ist tadellos sauber und gepflegt, die Minibar im Kühlschrank überraschend preiswert. Ein großes Frühstücksbuffet ist im Zimmerpreis inbegriffen.

Spätes Abendessen in einer gegenüberliegenden, neu aussehenden, aber gemütlich wirkenden Taverne, wo ich einer der allerletzten Mitternachtsgäste bin und sozusagen die Reste verzehre.
Dann aber mache ich mich auf den Weg zum Café Kríti, dem ich endlich einmal einen Besuch abstatten will.
Es liegt nahe dem Ostende der Kallergón–Straße, einer Parallelgasse der Uferpromenade des Alten Hafens unweit der östlichen Stadtmauern. Weil es bereits Sommer wird, ist auch draußen vor dem Tonnengewölbe des relativ kleinen Musikkneipchens ein Tisch aufgebaut, an dem ich zunächst Platz nehme. Durch die weit geöffneten Türflügel lausche ich mit zunehmender Begeisterung traditionellen kretischen Klängen.
Was die ganz schwarz gekleidete Männerrunde gesanglich schafft, ist beachtlich, wenn ihr auch nur das Laoúto mit gelegentlicher Mandholíno–Unterstützung als Begleitinstrument zur Verfügung steht. Ein Lyraspieler ist heute nicht zugegen, schade, so hängen so manche Instrumente ungenutzt an der Wand.
Die schwarz gewandeten Kerle singen irgendwann einmal von der Liebe und reimen neue Strophen dazu, wenn die alten, allseits bekannten nicht mehr genügen. Einen Teil versteh ich sogar.
Ich gebe einem touristischen Nebentisch im Lokal drinnen etwas von meinem Rakí ab, er wird nicht abgelehnt.
Ein jüngerer Typ mit angenehmer Stimme singt nun solo zu seinem Laoúto, ab und zu fallen andere in den Gesang mit ein. Einiges Bekanntes ist dabei, das umso inbrünstiger vorgetragen wird.
Als ich auf meine Uhr schaue, ist es bereits gut nach zwei. Aber 6 Stunden Schlaf oder wenigstens Ruhe reichen mir aus.
Genau vom Nordende der Straßenschlucht her blinkt mir das rote Licht des Leuchtturms am Venezianischen Hafen entgegen, wenn ich auf meinen Balkon trete.

Morgens um etwa halb zehn stehe ich nach dem Frühstück noch etwas schlaftrunken auf dem Hotelbalkon in einem der höheren Stockwerke fast am Südrand der Etage. Gucke nach Süd und habe bei schönstem Frühsommerwetter einen großen Ausschnitt der Weißen Berge vor mir – es hat sich wirklich gelohnt, einmal hier zu nächtigen, und nicht im Gassengewirr der Altstadt. Faszinierend das Straßengeschehen unter mir, all die beginnende Geschäftigkeit, die kleinen Lädchen, der Bäcker links drüben.

Ich traue meinen Augen nicht, als auf einmal neun knallrote Düsenflugzeuge von den Bergen her genau über meinem Viertel und meiner Straße im Tiefflug daherschießen. Sie schwärmen auseinander und wieder enger zusammen und sprühen als Erstes die Trikolore in den chaniotischen Stadthimmel.
Was für eine Begrüßung! Die Kunstflugstaffel der französischen Luftwaffe lässt es sich nicht nehmen, mich willkommen zu heißen!
Zwanzig Minuten lang entwickelt sich ein wahrer Zauber an Flugkunststücken, der alle Neugierigen an die Fenster und auf die Dachterrassen treibt. Ein riesiges Herz wird in den Himmel gezeichnet, die Form ist perfekt geschlossen – unglaublich. Verschiedenste andere Figuren prägen sich in Weiß oder Rot oder Blau oder einem Gemisch dieser Farben in den Himmel. Zum Schluss noch einmal der drapeau tricolore, er steht in dicken, genau umgrenzten Rauchschwaden wie hingemeißelt minutenlang senkrecht über der Stadt, als selbstbewusster Abschiedsgruß. Ich habe allerdings vom ersten Moment an um die Piloten gezittert, die in jeder Sekunde ihr Leben riskierten, waghalsig aus mehreren Kilometern Entfernung aufeinander zuflogen und sich mit vielleicht 500 Stundenkilometern Geschwindigkeit im 50–m–Abstand alle zusammen kreuzten, voll auf ihre Computer vertrauend.
Noch 1 Stunde nach dem Spektakel war der ganze Himmel über dem sommerlich heißen Chaniá blau–weiß–rot eingefärbt.

Aber Chaniá hat ja noch viel mehr zu bieten: Viele hübsche Straßenzüge und Plätze mit teils alten, teils altmodischen und teils ganz modernen Läden, Kafenía und Geschäften, Kirchenhybride (Mischungen aus Kirche und Moschee), eine tolle, aber deutlich vertouristete Markthalle mit viel Nippes neben Fisch–, Fleisch– und Käseständen und mehr oder weniger alten Gaststätten, und wunderbare Uferpromenaden, auch außerhalb des vom Tourismus heimgesuchten alten (bzw. venezianischen) Hafens. Ich mache einen ausgedehnten Spaziergang durch die Altstadtviertel und darüber hinaus. Sogar das sehr einfache Hotel Fídias hinter der Hauptkirche gibt es noch, die Zimmer werden nun aber an Dauergäste vermietet, wie mir ein Ladenbesitzer im selben Gebäude erklärt.

Dicht vor der langen Außenmole des Hafens mit ihrem kastellartigen Aufbau (der nun ein Café beherbergt, zu dem dauernd ein Schiffchen vom stadtwärtigen Ufer her pendelt) steige ich einige Meter hoch auf eine Freifläche vor der Nordbegrenzung der östlichen Hafenschanze. Passiere ein kapellenartiges Gewölbe, dessen Öffnung nach Süd provisorisch verbarrikadiert ist und das eine zerschlissene Matratze, einen Koffer und andere Utensilien beherbergt. Der arme, hier wohnende Außenseiter ist gerade ausgeflogen. Nicht ungefährlich, so eine exponierte Bleibe ohne festen Verschluss.
Auf der folgenden Hochfläche sogar ein Wiesenstück. Und vor allem diese Aussicht übers Meer und die östlichen und nordöstlichen Stadtviertel bis weit hinaus auf die Akrotíri–Halbinsel mit ihren Kuppen und Bergzacken im Hintergrund. Sogar die Häuser der Küstensiedlung Tersanás sind noch gut erkennbar.

Nun gilt es aber wieder diese herrliche, ganz unscheinbare Taverne im Busbahnhof aufzusuchen, gleich neben der Gepäckaufbewahrung, auf bestes kretisches Essen zu einem sagenhaften Preis: Ein halbes, zartes Hähnchen mit selber geschnittenen Kartoffeln, ein großer Teller mit Artischocken und Bohnen, 1 großes Amstel, 1 großes Glas Hauswein, plus Brot und Wasser – für 10 Euro. Hier wird man bestimmt nicht geneppt. Das alles hätte auf Sífnos gut und gerne so ca. 25 Euro (und mehr) gekostet.

Am frühen Nachmittag geht es weiter per Bus durch grünste Landschaft Richtung Soúgia.


Erneut in Soúgia

In Súja. Wo ich mich nun immer sehr wohlfühle. Hier sollte ich eine langjährige Wanderfreundin treffen, die eine recht originelle befreundete Wienerin dabeihatte. So war ich auch etwas flexibler, den einen oder anderen Halbtag alleine zu verbringen.

Hervorstechendste Neuerung: Tiroler Speck an der kretischen Südwestküste (!), der mir großzügig von der Flughafenfrau aus Ostösterreich überlassen wurde. Etwas fett vielleicht, aber durchaus lecker.
Zu dritt gehen wir abends immer im Polífimos essen, das auch diesen Mai das Gros der anwesenden Urlaubsgäste anzuziehen scheint. Es verwundert einen nicht bei all der Qualität und Fülle der Gerichte und der schon etwas profihaft eingesetzten Gags zur Belustigung der Esser – drei oder vier Männer müssen gleichzeitig versuchen, randvolle Rakígläser ohne Zuhilfenahme der Hände von einem langen Brett mit den Zähnen zu greifen und zu leeren – naja, haha. Das Bedienpersonal ist jedenfalls sehr bemüht, freundlich und spaßig zu sein. Und das kommt gut beim sich schnell entwickelnden Stammpublikum an. Auch meine Bekannten schwärmen von der alle anderen Tavernen ausstechenden Güte des im Polífimo Gebotenen und weigern sich, es einmal anderswo zu versuchen. Gähnende Leere bei den allermeisten Konkurrenten. Nur das Ómikron hat seine Stammkundschaft. Die beiden Fischlokale am Westende der Ortschaft sind abends eher schlecht besucht.

Eine meiner Lieblingsbeschäftigungen: Ein Stündchen vor Roxán(n)as Kafésacharoplastío zu verbringen, einen der ganz wenigen Stühle zu erhaschen, ihn in den Schatten abzuschleppen und eine der neuen, in Lizenz gebrauten Biobiervariationen aus Réthimno oder diese herrlichen Lichnarákia (kleines, dezent gesüßtes Gebäck mit Quarkfüllung, aus Chaniá hergeholt), das Stück für 70 Cent, zu probieren. Die Preise dort sind für unsereiner beschämend niedrig, ganz auf die Einheimischen ausgerichtet.
Inzwischen versteh ich mich recht gut mit der sympathischen Frau und übe mein Griechisch im Dialog mit ihr (– ihr Deutsch ist zehnmal besser als mein Elliniká – sie ist quasi perfekt). Spielend hab ich's geschafft "das Glas" einzufordern, wenn ich Lust auf ein kühles Bierchen hatte und gar keine auf die üblichen Pappbecher. Es ist das Glas einer ihrer Enkelinnen, oder so – das einzige Glas weit und breit. Irgendwie lustig, diese wiederholte Bitte nach "dem Glas".

Über Roxána hab ich wieder mein Zimmer in dem zweistöckigen Bau gegenüber dem Minimarket der Holländerin bekommen, den Rooms eines ziemlich dunkelhäutigen Griechen, der sich noch in Chaniá (vielleicht auch Athen), seiner Winterbleibe, aufhält. Bei 4 Nächten gibt es den Preis vom letzten Mal, ich bin zufrieden.
Als Zimmernachbarn für zwei Tage findet sich bald ein in Deutschland lebendes junges polnisches Paar aus Düsseldorf ein, offenbar Mitglieder einer kleinen Wandergruppe. Wir tauschen Essen und Getränke über den Balkon aus.
In Soúgia sind die Zimmervermieter inzwischen schon zufrieden, wenn mal jemand in der Nebensaison öfter als nur einmal nächtigt – sie haben halt den ganzen "Durchgangsverkehr" aller möglichen Wanderer aufzufangen, und solche Leute zieht es meist gleich weiter.

Gerne geh ich runter und nehme Platz am einzigen Tischchen auf der von den Balkonen des oberen Stockwerks und einer grünen Laube sozusagen überdachten EG–Terrasse meiner Unterkunft an der Zufahrtsstraße zum Strand. Dort paffe ich, umgeben von hübschen Ziersträuchern, in aller Ruhe meine Karélia Fíltro und schau einfach zu. Oder ich nippe an meinem frisch gepressten Orangensaft in einem der beiden zentralen Strandcafés.

Etliche Wohnmobilisten stehen wieder auf den großen platten Kieseln hinter dem östlichen Strandbereich, die meisten Deutsche oder Österreicher. Unter den Salztriefbäumen und weiter hinten am Hang wird gezeltet. Das alte Soúgiapublikum ist immer noch präsent. Aber auch Jüngere drücken nach, es mangelt nicht an Kleinkindern, und man kommt, wenn man will, leicht ins Gespräch mit den Campern.
Ganz hinten stapfen Wagemutige durchs Wasser um eine Felsnase herum, um die Einsamkeit der nächsten Bucht aufzusuchen.


Ausflug nach Lissós– diesmal etwas konsequenter

Jórgos bringt uns vom kleinen Hafenbecken außerhalb der Ortschaft für gutes Geld in seinem Bootstaxi in wenigen Minuten zum Kiesstrand von Lissós.
Es ist nicht etwa so, dass wir den ganz alleine für uns hätten, nein, wir teilen ihn uns mit zwei Paaren, und später kommen noch andere Leute. Ich schwimme an dem Anlegerprovisorium vorbei die westlichen Felsen entlang etwas weiter hinaus, habe gleich ein langes Stück der Küste Richtung Kap Tripití und Ajía Rouméli im Blick.
Nach dem Schwimmen bin ich gerüstet für eine Erkundung des von Oliven bestandenen, teils stark von Gebüsch überwucherten Hinterlandes der wasserreichen Talung mit all ihren (mal mehr, mal weniger) antiken Bebauungsresten.

Diesmal bin ich empfänglich für die wohltuende Atmosphäre der heiligen Stätte, den über allem liegenden tiefen Frieden. Es war gut, einmal wiederzukommen.
Das vielfältige Grün. Der beruhigende Schatten unter den alten Oliven. Das Geräusch des Wassers. Das Rascheln vereinzelter Ziegen. All die sich hochtürmenden Wände ringsum.

Lange dauert es, bis sich die ersten Menschen zeigen. Es sind wild in den Oliven zeltende Frauen, einige wenige Österreicherinnen und Deutsche, sie sind fast zu beneiden – wie großartig hier die Abende, die Nächte und der frühe Morgen sein müssen!
Kein Wächter kümmert sich um die Einhaltung der Bestimmungen, das Wärterhäuschen ist verwaist, allerhand Gebrauchsgegenstände umgeben es, eine Quelle mit Rastplatz gleich nebenan. Für Trinkwasser ist gesorgt. Beim Kirchlein des Heiligen Kiriákos und etwas weiter oben beim Mosaikfußboden des Asklípios–Tempels treffe ich Engländer, die mich nach dem Ausstieg Richtung Soúgia fragen. Da kann ich nur raten.
Schlendere dann einen Pfad ostwärts entlang, der mich etwas höher hinaufführt hin zu weiteren Gemäuern – doch hier vorne (meerwärts) und oben kann der Einstieg nach Soúja nicht sein. Dafür übersieht man von hier aus das Gelände. Nordwestlich am Hang die Straße nach Prodhrómi. Und der weitere Wegverlauf hangaufwärts in Richtung Paleóchora.

Den Weiterweg nach Soúja finde ich erst später, und er ist gar nicht so leicht zu entdecken. Nur gut, dass ich Leute über mir sehe, die bereits in der auch von mir gewollten Richtung unterwegs sind. Der Weg beginnt unweit der Kiriákos–Kapelle. Leider sieht man seinen Verlauf zwischen den Felsen des östlichen Steilhangs von unten nicht ein. Umso besser, wenn er gerade von anderen begangen wird, an denen man sich dann gut orientieren kann.

Es dauert eine lange Weile und man vergießt viele Schweißtropfen, bis man oben an der Hangkante angelangt ist. Nur gut, dass die beiden Damen wieder das Boot zurück nehmen.
Ich freu mich, auf dieser so superschönen kleinen Ebene angekommen zu sein, wo sich ein Gewirr von benachbarten Pfaden durch die Pflanzenpolster und die weißlichen Felsplatten Richtung dem Kiefernwald über der anschließend zu durchwandernden Schlucht zieht und von wo aus man den hohen Bergen so prächtig auf die Flanken blickt – ein besonders hübsches Fleckchen!
Recht schnell erreiche ich den Schluchtgrund und stehe eine halbe Stunde später wieder am alten Fischerhafen westlich von Soúgia.


Spaziergang Richtung Ost

Eines Vormittags überkommt mich große Lust, einmal ein Stück ostwärts aus Soúgia hinauszuwandern, wieder ein wenig dem Verlauf des E–4–Weitwanderwegs zu folgen.
Es herrschen bereits hohe Temperaturen, als ich das trocken gefallene breite Flussbett gleich östlich der Siedlung landeinwärts entlanggehe und es dann auf der rechts abbiegenden Piste durchquere. Dann verlasse ich die Piste gleich wieder und gehe auf ein eingezäuntes Grundstück mit Haus zu, an dessen Nordseite ein Pfad weiterführt. Es geht in engen Kehren hinauf in ein Wäldchen.
Erscheint halblinks ein Viehstall, eine andere Einzäunung, macht man bestimmt wie ich den Fehler, sich nach rechts zu wenden und auf dem durchaus gut ausgetretenen Irrpfad einige Meter weiter in das Wäldchen hochzusteigen, um dann bald im Niemandsland zu enden, immer noch verunsichert, wegen einiger gangbarer Ziegenpfade. Es heißt dann aber umkehren und direkt neben besagter Vieheinzäunung entlangzugehen, bis der Pfad sehr bald auf den Feldweg von unten her trifft, den man auch von Anfang an nehmen können hätte.

Nun trotte ich also einfach diese breite Piste weiter. Sie weist einiges Geröll auf, gutes Schuhwerk ist sehr von Nutzen. Gelegentlich noch erkennbare Wegabkürzungen nehme ich nicht, denn insgesamt komme ich auf meinem Feldweg doch schneller voran und bergauf, wenn er auch einige Kehren macht und immer gerölliger wird.
Kurz vor einer Hochfläche zweigt ein anderer Feldweg nach Nord hin ab. Vielleicht stellt der die Verbindung Richtung Koustojérako her? An der Ostkante der kleinen Hochfläche endet mein Feldweg, und gleich an seinem Ende ginge der gut markierte E–4–Pfad weiter zur Kapelle des Hl. Andónios und zum ferneren Kap Tripití.

Ich werde aber hierbleiben und längere Zeit Ausschau halten. Zuerst nach Osten hin über all die langen Abhänge zum klotzigen Vorberg des "durchlöcherten Kaps".
Dann geh ich weiter meerwärts vor und staune nicht schlecht. Soúgia von schräg oben, nicht weit, aber auch nicht mehr ganz so nah. Natürlich wieder all die hohen Berge und Gipfel im Westen. Und senkrecht unter mir eine hübsche Nachbarbucht des Strandes von Soúgia, eine, zu der ein paar Schwimmer hingefunden haben und sich jetzt in der Sonne aalen – absolut steinschlaggefährdet, allerdings.
Ein idealer Platz, um in aller Ruhe seinen Blick übers Land schweifen zu lassen. In einer Dreiviertelstunde ist man wieder zurück in der Zivilisation.


Zum Abschluss in Loutró

Um Zeit und einen eventuell längeren mittäglichen Aufenthalt in Agía Rouméli zu sparen, nehme ich nicht das vormittägliche Fährschiff, sondern lieber den 7–Uhr–Frühbus nach Chaniá, um von dort am frühen Nachmittag per anderem Bus in die Sfakiá zu gelangen. Ich geb's ja zu: Ich wollte noch einmal einige Stunden in der schönen Stadt verbringen, wieder einkehren in meinem Lieblingslokal vor den Bussen, noch einmal auf die Hafenbastion steigen und einen deutschen Charterflieger über der Akrotírihalbinsel aufsteigen sehen.

Frühnachmittags sitze ich gesättigt und zufrieden im Bus nach Chóra Sfakíon, den nun, auf der Rückfahrt, der junge Mann fährt, der am frühen Morgen, auf der Hinfahrt nach Chaniá erst kurz vor Vrísses zusteigt und den Schaffner spielt.
Erstmals sehe ich die drei neuen, kurzen Tunnels (zwei ganz kurz, einer etwas länger, vielleicht 200 m) auf dem Straßenstück hoch über der Ímbros–Schlucht. Die übrig gebliebene ältere enge Straßenführung neben den Röhren dient nun als Parkplatz für Schluchteinblicke.

In Chóra Sfakíon angekommen, bleibe ich im Bus sitzen, entschließe mich, mit nach Anópoli hochzufahren.
Auf der Platía des mittleren Ortsteils der weit gestreuten Siedlung steige ich aus und gehe auf das Plátanos zu, wo soeben eine große französische Wandergruppe eingetroffen ist und ihre Quartiere zugewiesen bekommt. Die hatten vorbestellt, und ich nicht, und es ist partout kein Zimmer mehr für mich übrig.
Enttäuscht nehme ich an einem Tisch drinnen Platz, denn draußen ist alles besetzt von den Zuvorkömmlingen, deren Gepäck sich neben mir stapelt.

Ein Sohn des Hauses entpuppt sich als besonders nett, ein wirklich erfrischend natürlicher und hilfsbereiter junger Mann. Ich solle doch erst einmal weitersuchen im Dorf, zur Not bis zum Ortseingang kurz vor den Serpentinen gehen, dort gebe es noch zwei Unterkünfte. Wenn ich dort was fände, könne ich ihn anrufen, und er würde mich jedes Mal dort abholen und dorthin zurückbringen, sollte ich bei ihnen in der Taverne essen oder was trinken. Donnerwetter! Alleine deshalb werde ich es nächstes Mal wieder bei ihnen versuchen mit einem Zimmer. Außerdem wegen des guten Essens, der Kulisse der Weißen Berge von Nord her und der oft überraschenden Neuankömmlinge von irgendwoher aus den Bergen, die sich unten in Loutró nie sehen lassen. Ich hab ja schon einschlägige Erfahrungen gesammelt.

Die komfortable Bleibe des Bäckers, die Studios gegenüber der Bäckerei sind natürlich auch voll besetzt. So greif ich mir einen Stock und stiefle erst einmal einen guten Kilometer die Straße zurück. Nur zwei Hunde, aber gut, dass ich bewaffnet war – Abschreckung. Vor dem ganz isoliert gelegenen Minimarket sitzt die Verwandtschaft und lächelt mir zu. Die nächste potenzielle Unterkunft, ehemals mit Taverne, rechts meines Weges ist vollständig zugesperrt. Weiter raus will ich gar nicht gehen, möchte nicht derart isoliert wohnen.
So kehre ich um und besuche die Konkurrenz, ein Kafenío unweit der Platía, bei dem der Bus über Nacht abgestellt ist. Die jüngere Frau, die gerade am Tresen steht, ist eine ganz Nette, und ihren Bruder kenne ich von früher: er betätigt sich im Nebenberuf als Taxifahrer. Erst muss ich was trinken und warten, bis dieser X von der Arbeit zurückkommt. Dann vereinbaren wir die Fahrt hinunter in den Hauptort der Sfakiá.

Kaum bin ich zurückgegangen, um im "Plátano" mein Bier zu Ende zu trinken und zu bezahlen, taucht mein selbsternannter Taxilenker auch schon auf.
Drei Euro vom üblichen offiziellen Taxipreis werden mir großzügig erlassen, ich bezahle für den Spaß nur 20 Euro – eine teure Irrfahrt hab ich mir da geleistet, inzwischen muss man sogar in Anópoli sein Zimmer vorbestellen! Ohne schweres Gepäck wäre ich hinuntergetrampt, aber so ...

Immerhin bin ich noch gut in der Zeit, um die letzte Fähre so um 18:45 Uhr nach Loutró zu erwischen. Wieder diese so tolle 20–minütige Küstenschifffahrt mit grandioser Bergkulisse.
Nach der Ankunft weiß ich schon, wohin ich mich wenden muss/will. Ich hab mich für die aussichtsreichen Rooms von Pandelítsa Manoussoudákis über dem Dorfkirchlein hinter der Palme und dem Hotel Porto Loutro entschieden, will sie endlich wieder einmal beehren, voller Skepsis allerdings, was ihre vor einigen Jahren errichtete Erdgeschosstaverne betrifft – hab keine Lust auf diesbezügliche Verpflichtungen.

Pandelítsa, wie seit Urzeiten ganz in Schwarz (allerdings immer in langer Hose), reicht mir ihre schlaffe Hand in sogleich ermattender Begrüßungsgeste – sie hat sich nicht verändert. Ein müder Seufzer, als ich meine Preisvorstellung auf 25 Euro begrenze ((– dabei ist das doch wahrlich kein schlechter Preis auch für sie, bei Einzelbelegung)). Aber gut, ich krieg ein schönes Zimmer mit großer Terrasse und dem legendären Sonnenschirm, der wie von Geisterhand zusammengefaltet ist, kehrt man nachmittags zurück – zu groß die Angst vor einem Stoffriss oder gar einem Blitzstart des Objektes Richtung Bucht aufgrund plötzlichen Windeinfalles. Und mittlerweile hat tatsächlich JEDES Zimmer auch einen Kleiderschrank, ich hab umsonst danach gefragt, bin schon zu lange fremdgegangen in Lík(k)o und Anópoli und Frangokástelo, um das zu wissen.

Erst einmal im Laden von Stélios, nur 50 m entfernt von meiner Bleibe, Wasser und Obstvorräte fürs Zimmer eingekauft. Ach, was für eine herrliche Ecke, dieser Laden! Und überhaupt die ganze "zweite Reihe", die Parallelgasse zur Uferpromenade. Einfach schön. So verwinkelt. Eine Bananenstaude weiter hinten, dann ein riesiger Zierbusch an Pavlos' Hotel. Und die uralten, aufgerissenen und verzweigten Olivenbäume am Steilhang. Wahnsinn, im Vergleich zu bei uns zu Hause.
Ich erinnere mich noch sehr gut an die beiden eben angekommenen Berlinerinnen, die einst aus purer Freude einen gewaltigen Luftsprung auf ihrer Terrasse tätigten und selbst die matte, abgearbeitete Pandelítsa damit zum Lachen brachten. Endlich wieder bei unserer Pandelítsa! Endlich wieder dieser Blick durch die Palme aufs Meer, endlich wieder Loutró!!!!!
Es ist auch was, inmitten der glühend roten Blüten einer Bougainvillea vor der strahlend weißen Wand in dem schmalen Durchgang gegenüber den Zimmereingängen seine Wäsche aufzuleinen. Der hübsche Blick durchs kleine, unverglaste Badezimmerfenster mit dem reizend in der Mitte zusammengeschnürtem Vorhängelchen. Paradiesisch schön hier. Fast unwirklich schön. Wir wissen schon, warum wir immer wiederkommen.

Ich steige vor Einbruch der Dunkelheit noch hoch auf das Kap und schrecke eine Schafherde auf, die noch im Schatten einer Eiche (oder war es ein Johannisbrotbaum?) Schutz vor den Sonnenstrahlen sucht. Hier oben fühlt man sich ganz alleine, man kann weit umhersteigen, am Westrand des Plateaus auf die Bucht von Fínix runtergucken, am Südrand vielleicht auf ein paar wild aufgestellte Zelte (– es werden jedes Jahr weniger). Die Abendstimmung mit dem Gebimmel der Schafglocken ist vom Feinsten.
Zum letzten Mal gehe ich abends essen in einer Taverne, die ich immer für so gut hielt. Der Salat ist dermaßen grausam, dass es mir endgültig reicht.
An der Hangkante über dem Ort zeichnet sich die Kulisse eines Schäfers mit Hund gegen den Abendhimmel ab – was für ein Anblick.

Meine Terrassennachbarn links sind zwei Kärntner. Wortkarge, aber ganz nette Männer. Einer von ihnen betrachtet stundenlang den Sternenhimmel – ein echter Genießer, meine Sympathie ist ihm sicher.

Versteht sich, dass es mich tags darauf gleich nach Líko(s) (Lýkos) zieht, auf die Terrasse von Nikos' Small Paradise. Theo's Schäferhund führt sich neben dem Privathaus oberhalb der Taverne und Gästehäuser ziemlich auf, der eigentlich gutmütige Kerl, und Jórgos vom benachbarten Akrogiáli steht auf einmal neben mir und schwingt seinen Hirtenstock zielsicher nach dem Vierbeiner, der sofort flüchtet. Wir haben uns aber nicht gleich wiedererkannt, und das ist wohl gut so, denn ich hätte mich dann wieder spalten müssen und beiden Gaststätten meine Aufwartung machen.
So beschränke ich mich auf die erste am Weg gelegene Taverne. Wie sich doch Kinder freuen können über einfachstes Essen. Die drei Sprösslinge eines deutschen Paares rufen vollkommen synchron "lecker!!!" aus, als ihnen die Spaghetti mit Tomatensoße serviert werden. Ein Einsatz, der den Berliner Philharmonikern nicht besser hätte gelingen können. Und Eidheen versteht gerade noch so viel Deutsch und lacht mir zu.

Tags darauf komme ich noch einmal her, verzichte dafür auf Livanianá und einen Besuch in dem Kneipchen des dort ansässigen Deutschen. Höhepunkt meiner Muße– und Schlemmerstunden sollte der Auftritt eines gerade anwesenden deutschen Singkurses werden – nach Salsa, Tango, Yoga und Schreibwerkstätten gibt es jetzt also auch Singkurse auf Kreta. Schon am Vortag hatten die mich damit irritiert, dass sie aus ihrem Probenraum (– dem neuen Gastraum seitwärts –) hervorspitzten. Da zwitscherten auf einmal drei hübsche Frauen ein "always look on the bright side of life!" aus einer Türöffnung heraus werbewirksam in die Gegend, was bei mir zunächst eine ablehnende Haltung hervorrief, bin ich doch ein Muffel, der sich der traurigen Tatsachen des Lebens voll bewusst und geneigt ist, gegen solche Schönfärber(innen) erst einmal innerlich zu Felde zu ziehen.

Aber heute ist ihr Auftritt, und jeder auf der Terrasse Anwesende wird eingeladen, doch reinzukommen in den Nebenraum. Einzig Níkos bleibt standhaft draußen, hält wohl wenig von dem internationalen Singsang. Aber selbst eine gerade durchkommende französische Wandergruppe nimmt sich Zeit für den großen Auftritt der Deutschen.
Mittelprächtig bis richtig gut wird es, und vielsprachig, auch ein Theodorákis–Lied ist darunter, viele Anwesende singen mit. Mir wird erst jetzt bewusst, wie nett diese Performerinnen doch sind. Auch eine Mutter mit Tochter ist unter ihnen.
Ganz am Ende erbietet sich Theo, selber etwas beizusteuern. A capella, ohne Instrumentalbegleitung (leider), singt er ganz urtümliche kretische Weisen, beide von Kóstas Moundákis, dem genialen Sänger und Lyraspieler, den er wohl sehr verehrt. Er sagt aber nicht, von wem die Lieder stammen. Ein toller Abschluss des Ganzen, jedenfalls.
Auch Ítalo, der lange in München gearbeitet hat, in seinen Ferien meist als (Berg)Wanderführer oder Bedienerix in SW–Kreta tätig war und nun als bestens erhaltener Rentner ebenfalls im winzigen Bergdorf Livanianá oberhalb von Líkos wohnt, war zu dem Konzert erschienen.

Zweimal hab ich auch Pandelítsa's Haustaverne zum Abendessen aufgesucht. Sie ist sehr wohl zu empfehlen, kann ich jetzt sagen.
Eigenes Fleisch, eigener Joghurt, eigener Rakí usw. Der Mann von Pandelítsa sieht ziemlich urig aus, mit wallendem Bart und langem, buschigem Haar. Es ist schon was, ihn ein aufgehängtes gehäutetes Schaf zerteilen und später am rußigen großen Grill mit dem langen silbrigen Rauchrohr stehen zu sehen. Die ganze Familie ist in Schwarz gekleidet. Man hört die Laute von Ziegen und Schafen, von Tauben und manchmal auch von Käuzchen, ab und zu das leise Gegackere der pechschwarzen, frei laufenden Hühner und ist umgeben von uralten Oliven mit dicken, knorrigen Stämmen, gleich am südwestlichen Beginn des E-4-Wanderweges aus dem Ort hinaus.
Vielleicht sollte man hier nicht gerade Chtapódhi essen, denn es sind bestimmt keine talentierten Achtfüßlerzubereiter, doch sobald man sich für Ziege entscheidet, liegt man goldrichtig und wird vollkommen zufrieden sein. Zum Abschluss als Geschenk Joghurt mit Honig oder etwas anderes Süßes, dann noch eine Portion Rakí aus Anópoli, und der ist von allererster Qualität, nicht einfach scharf, sondern fruchtig, aromatisch und charaktervoll, kann sich selbst mit teuren italienischen Grappas messen. Ein dickes Lob den Wirtsleuten und ihrem Sohn dafür.

Kulturelles hab ich nicht zu berichten, doch weiteres Kulinarisches. Eines Mittags verschlägt es mich in die Taverne des Blue House in Loutró. Bei dieser Familie hatte ich früher schon öfters gewohnt, aber selten gespeist, hatte damals das "Ílios" vorgezogen.
Ich kann nur sagen, ich war von den Socken. Das hier Gebotene ist von allerfeinster Qualität, kostet etwas mehr als der Durchschnitt im Ort, ist es aber fraglos auch wert. Sie haben eine begnadete Köchin, und man muss schon weit gehen auf Kreta und anderswo, um derart hervorragend bekocht zu werden. Man kann praktisch jedes Gericht empfehlen, insbesondere die in der Auslage feilgebotenen Speisen, darunter köstliche sfakiotische Spezialitäten. Und hier sprechen gerade die Jüngeren ausgezeichnet Englisch, das macht eben die Verwandtschaft, in die vor langen Jahren eine Britin eingeheiratet hat. Rule Britannia, .....!

Abreisetag, zurück in Chóra Sfakíon. Loutró und Umgebung zu verlassen, das tut immer weh.
Wieder schau ich beim Stávris vorbei, treffe dort zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage Erno und Emma aus Utrecht und einen Vorplatz voller (hauptsächlich deutscher) Immerwiederkehrer, die mich erwartungsvoll anstarren und es gar nicht glauben wollen, dass hier einer mit Griechisch allein zurechtzukommen versucht. Mit den Holländern sprech ich lieber Englisch. Ist alles keine große Kunst, nur eine gewisse Vorstufe des Entspanntseins und der Gelassenheit, nach all der vorausgegangenen Mühe.

Über Vrísses und Réthimno erreiche ich schon am späten Vormittag Iráklio (Ηράκλειο, ganz ohne ein "n" am Schluss, ehrlich!).
Lagere mein Gepäck im Hafenbusbahnhof ein. Mittagessen im gemeindeeigenen Restaurant Vardhiá direkt am Hafen, genauer: am Ansatz der breiten Mole zwischen venezianischem Hafen und Fährhafen, direkt im Gebäude des Limenarchío, der Hafenbehörde (– den darauffolgenden Oktober war da leider schon wieder alles dicht, hoffen wir, dass die Taverne 2010 wieder geöffnet ist).
Hab als Henkersmahlzeit vor dem Rückflug für vergleichsweise wenig Geld die kleinen Fische bestellt, dazu Salat und Retsína Krítis – leckere Kost mit Brötchen, die sehr an eine deutsche Backstube erinnerten. Um mich herum Einheimische und einige wenige Mittouristen. Man erlebt jedes über dem Hafen gegen den Westwind startende Flugzeug fast hautnah, und natürlich jedes ankommende Schiff. Ein zu Recht sehr beliebtes Lokal an einer wunderbaren Stelle.

Aus dem Fenster der TUI-fly–Boeing glücklicherweise noch einmal Sífnos gesehen, in voller Länge und mit allen Details – so schloss sich der Kreis!

Es war diesmal erneut fast zu viel für mich, aus der Rückschau. Irgendwie ist doch jeder neue Griechenland–Urlaub der schönste, nicht wahr?

Copyright puchheim = MartinPUC, November 2009