Nächtliche Anreise


Nach knapp dreistündigem Flug kommen wir mitten in der Nacht (Zeitverschiebung um eine Stunde), am Flughafen Sabiha Gökçen (gespr.: Sabihá Gökzén) an.
Noch im Flugzeug mussten wir ein sehr ausführliches Schweinegrippenformular ausfüllen, mit persönlichen Angaben sowie Aufenthaltsort in der Türkei und Personen, die im Fall der Fälle zu benachrichten wären.

Zu einer Einreise in ein Nicht-EU-Land gehören Passformalitäten. Als EU-Bürger kann man sich ohne Visum mit einem gültigen Pass für drei Monate in der Türkei aufhalten. Einreisebestimmungen kann man auf der Seite des Auswärtigen Amtes nachlesen.
Mit unseren neuen 60-€-Reisepässen mit biometrischem Foto und elektronischem Fingerabdruck sollte nichts schief gehen. Unser Passbeamter schaut sich jedoch sehr genau immer wieder Alex’ Papiere an und fragt ihn nach seinem Namen. Ein Grieche, der ausschaut wie ...? Mal sehen, welche Nationalität man ihm dieses Jahr andichtet.
Nach einer langen Weile passieren wir endlich das Kontrollhäuschen. Die Gepäck-Abfertigung erfolgt problemlos und zügig, Rauchen verboten.

Der Flughafen ist sehr überschaubar, mitten in der Nacht sowieso: Wir scheinen um diese Uhrzeit die einzigen Fluggäste zu sein. Von der Größe vergleichbar in etwa mit dem von Iráklio auf Kreta.
Gegenüber dem Eingang stehen zwei Havas-Busse, Tickets gibt es am Kiosk. 12 TL (ca. 6 €) kostet die knapp einstündige Fahrt zum zentralen Taksım-Platz, in der Nähe von Sultanahmed, auf der anderen Seite des Goldenen Horns. Dort sollen wir uns ein Taxi zum Hotel nehmen.

Unser hypermoderner Havas-Reisebus wartet noch auf eine Maschine aus Zypern, die jedoch nicht ankommt. Gegen zwei Uhr in der Früh wird der Motor gestartet und plötzlich kommen von allen Seiten noch jede Menge Fahrgäste.

Mit ordentlichem Speed brettert der Fahrer über das Autobahnnetz, das sich für uns unüberschaubar und in großer Ausdehnung in Richtung Bosporus zieht. Gewerbe- und Industriegebiete zu beiden Seiten der Straßen.
Kurz aus einer Ausfahrt hinaus zu einem Halt, an dem einige Taxifahrer zusammen stehen und rauchen. Gleich nach dem Stopp geht es wieder auf die Bahn.

Wir sitzen ganz vorne, rechts neben dem Fahrer. Dieser erzählt, dass er bald fünfundvierzig Jahre gearbeitet hat und aufgrund eines alten Gesetzes bald in Rente geht (keine Alters-, sondern eine Berufsrente). So alt sieht er aber noch gar nicht aus. Wann er wohl zu arbeiten begonnen hat?
Er erzählt weiterhin, dass seine Vorfahren aus Griechenland kommen, aber türkischer Abstammung sind. Seine Mutter und deren Vorfahren hätten in Drama (Makedonía) gelebt, die Familie seines Vater in Thessaloniki; sie seien im Zuge des „Bevölkerungsaustausches“ 1923 in die Türkei emigriert.
Alex und der Fahrer freuen sich, das man heute in Friedenszeiten leben kann. Diese Gewissheit und Alex’ gute Türkischkenntnisse sorgen für ein sehr freundliches Gesprächsklima. Man könnte meinen, die beiden würden sich seit langer Zeit kennen.

Mit unvermittelt hoher Geschwindigkeit nähern wir uns der Bosporusbrücke. Alex wird etwas einsilbig, denn der Fahrer fährt, als hätte er Zahnschmerzen und wäre auf dem schnellsten Weg zum Arzt, wobei er sich zwischenzeitlich immer wieder zum Plaudern umdreht.
Alex, was ist los? – Man fährt doch nicht mit einem solchen Tempo über den Bosporus! Seine Müdigkeit (immerhin sind wir seit halb 5 Uhr morgens auf den Beinen und hatten noch einen Arbeitstag zu erledigen) ist verflogen, so genau „bremst“ er in jeder Kurve mit, nur etwas länger und intensiver als der Fahrer.

Mit Karacho verlassen wir die Brücke und sind wieder in Europa. Auf dem Halteplatz sehen wir ein Meer von Yellow-Cabs, gefühlte eine Million. Es ist laut und stickig, überall hupt es, Fahrer wuseln herum; einer stellt seinen Wagen quer, Millimeterarbeit.
Gleich, nachdem wir den Bus verlassen haben, gibt es ein kurzes Gedränge, der am nächsten stehende Taxler kriegt unsere Tour. Höflich wird unser Gepäck von mehreren Männern zu seinem Taxi gebracht und eingeladen. Im Vergleich zum Busfahrer legt der Taxifahrer bei der Fahrt aber noch ein paar Zähne zu. Zunächst mit Vollgas nach rechts ab, aber nur zum Wenden, dann in entgegengesetzter Richtung eine Hauptstraße hinauf.

Nachdem er hört, dass Alex Grieche ist, hört dieser plötzlich seine eigenen Worte wieder, die er vorher mit dem Busfahrer ausgetauscht hat: „Mensch, was bin ich froh, dass wir in Friedenszeiten leben!“ Wir sind richtig gerührt. Ein schöneres Willkommen in einem fremden Land kann es doch gar nicht geben!


Im Hotel angekommen ist unser Durst groß. Die Hotelbar ist jedoch längst geschlossen. Die Frage, wo man zu dieser Zeit ein kühles Bier herbekommt, beantwortet der Rezeptionist: Um die Ecke gibt es einen Lebensmittelladen. Efes-Bier , gebrannte Mandeln und Pistazien runden unsere glückliche Ankunft kurz vor Sonnenaufgang ab. Zufrieden sinken wir in die Betten unseres schönen Zimmers im Laleli-Gönen-Hotel und entschwinden ziemlich plötzlich in einen bleischweren Schlaf.


Beyazid und die Märkte



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