Samstag Abend am Bosporus


Der Platz vor dem Ägyptischen Basar beherbergt eine Vielzahl von Tauben. Auch hier werden sie gefüttert. Am liebsten sitzen sie jedoch in Reih und Glied auf einem Mauervorsprung der Neuen Moschee (Yeni Camii), die wir uns anschauen möchten. Das Prozedere kennen wir ja mittlerweile: Schuhe in Plastiktüte und Tuch über den Kopf.
Die Moschee wurde ab 1597 in zwei Bauphasen errichtet. Da sowohl Bauherr als auch Architekt zwischenzeitlich verstarben, blieb die Kirche bis Mitte des 17. Jahrhunderts unvollendet. In wenigen Jahren gelang dann der Abschluss der zweiten Bauphase bis 1663.



Als wir die Moschee betreten, fallen die großflächigen Wandverzierungen aus blau-gemusterten Kacheln ins Auge. Sie wurden in Iznik (das frühere Nicäa) hergestellt. Die Stadt liegt etwa hundert Kilometer südöstlich von Istanbul und ist seit dem Mittelalter ein Zentrum der Keramikkunst.




Bei einer Rast auf dem flauschigen Teppich betrachte ich die Kuppeln. In welch mühevoller Kleinstarbeit und geometrischer Akurresse diese in luftiger Höhe gestaltet worden sind!


Die Kanzel (Minbar) ist ein Prunkstück, das von alten Zeiten kündet.


Wir haben uns Zeit gelassen, die großartigen künstlerischen Ausgestaltungen in dieser Moschee zu bewundern und treten wieder über die Treppe auf den Platz hinaus.
Beim zweiten Blick auf Moschee und den von der Seite aus unscheinbar wirkenden Backstein-Ausgang des Ägyptischen Basars erkennen wir die räumliche Nähe zueinander, die nicht zufällig entstanden ist. Die Mieteinnahmen aus dem Markt dienten dem Erhalt der Kirche.


Hier draußen ist es wieder viel lauter, nicht zuletzt auch wegen des Verkehrs.
Unzählige Taxen säumen die Straßen.


Auf einer Seite des Platzes entdecken wir eine Unterführung, die unter der mehrspurigen Straße augenscheinlich direkt zum Ufer des Goldenen Horns führt.

In dieser Unterführung steppt der Bär. Auf jedem Quadratmillimeter wird gehandelt. Mit Billigware, wie Pumpguns aus Plastik für die Kleinen, aber auch Schuhen und Männerhemden.
Hier wird mit allem, was irgendwie Krach macht, Aufmerksamkeit erregt. Ohrenbetäubende Musik vom Band aus allen Läden und Verkaufsständen, ratterndes Kinderspielzeug, schrilles Hupen, Kreischen. Man klatscht in die Hände, läuft herum und schreit. Nur wer auf sich aufmerksam macht, kommt weiter!
Am Treppenaufgang sitzt eine Frau, die Selbstgestricktes verkauft. Sie ist ganz ruhig, blickt verschämt nach unten. Auch Kinder versuchen, irgendetwas zu verkaufen, manchmal eine Tüte Süßigkeiten; andere aber haben nur eine Packung Papiertaschentücher, die sie dir mit großen Augen entgegenhalten.
Ein Mann sitzt da, eine Personenwaage vor sich. Das Wiegen kostet 0,10 TL, das sind 5 Cent. A R M U T !
(Und nur wenige Tage später, wieder in Deutschland, wieder im vergleichsweise winzigen Saarbrücken, sehen wir eine Frau im Rollstuhl, ihr Äußeres ziemlich verwahrlost, zahnlos, wahrscheinlich obdachlos, wie sie einen Abfallkorb durchwühlt, die gefundenen Essensabfälle prüft und dann einsteckt. Wir geben ihr 5 Euro. Doch was sind 5 Euro, was kann man damit schon kaufen? Sie steckt das Geld erstaunt, dann wieder achselzuckend ein. Später winkt sie uns noch einmal zu, bevor sie davonrollt.
In Saarbrücken kaufen wir regelmäßig bei einer kurdischen Familie ein. Die Konkurrenz ist groß, ein anderes kurdisches Geschäft, hat in der Nachbarschaft neu eröffnet. Da kommt eine Frau in den Laden und möchte Fladenbrot kaufen. Es sei nicht so teuer wie deutsches Brot, habe sie gehört. Sie steht da, kramt ihre Cents heraus und zählt diese sorgfältig ab. Der kurdische Ladeninhaber gibt ihr das Brot und sagt, sie solle ihre Cents einstecken, sie brauche diese sicherlich noch anderweitig. ARMUT IN DEUTSCHLAND!)

Wir wissen natürlich, dass der touristische Teil Istanbuls – so wie in allen touristischen Ecken der Welt – herausgeputzt und „lackiert“ ist, da der gemeine Tourist keine Störungen oder Probleme im Urlaub wünscht. Touristisches Geld gegen eine Scheinwelt, lautet das Tauschgeschäft. Das wissen wir und genießen es trotzdem, vom eigenen Alltag abzuschalten und uns den schönen Künsten und purpurnen Sonnenuntergängen hinzugeben. Doch Armut, insbesondere Kinderarmut, berührt uns zutiefst. Egal wo.

Der Weg durch die Unterführung ist zwar nur kurz, nimmt aber aufgrund der Menschenmenge, die sich aneinander vorbeizwängt, einige Zeit in Anspruch. Überall liegen Berge von Verpackungsmüll herum, ganz im Gegensatz zum sauberen und aufgeräumten Großen oder Ägyptischen Basar.
Bald steigen wir wieder die Treppe hoch und stehen direkt am Wasser, den Geruch von gebratenem Fisch in der Nase. Alex erkennt plötzlich, dass wir hier an einer Stelle angelangt sind, die ihm von türkischen Freunden aus Bremen empfohlen worden ist: Es ist die Verbindungsstelle von Goldenem Horn und Bosporus. Einmalig schön ist es hier! Eine lebendige und friedliche Stimmung unter den Menschen, an der wir gerne teilhaben.

Auf heftig schaukelnden Schiffen, die am Ufer vertäut sind, werden Fische gebraten und in Brötchen mit Salat und Zwiebeln gesteckt. Musik dröhnt aus den Lautsprechern. Am Ufer kann man an niedrigen Tischchen und auf kleinen Stühlchen sitzen und diese Köstlichkeiten zu sich nehmen. Getränke gibt’s im Kühlschrank nebenan.


Das Angebot wird reichlich wahrgenommen. Es ist Samstagabend, und viele Familien sind hierhergekommen, um sich zu vergnügen. Auch hier ein kleiner Junge, der immer wieder um uns herumwuselt, um ein Päckchen Süßigkeiten zu verkaufen. So erleben wir diesen (touristischen) Teil der Stadt zwiespältig.

Langsam werden die Temperaturen etwas moderater, das heißt kühler. Wir spüren die Lebensfreude der Besucher und lassen uns davon anstecken. Kurzfristig beschließen wir, Tickets für eines der Ausflugsschiffe, die hier ankern, zu erstehen, um eine Abendfahrt auf dem Bosporus zu unternehmen. Ganze 8 TL kostet das Vergnügen. Unser Schiff ist etwas kleiner als viele andere, hat nur ein Besucherdeck.
Jedes Mal, wenn ein anderes Schiff vorbeifährt (und das passiert im Zweiminutentakt), fängt es auch hier heftig zu schaukeln an. Macht nichts. Noch ist unser Schiff vertäut; das Besucherdeck wird sich innerhalb der nächsten halben Stunde noch füllen.
Ein Servicemann bietet frisch gepressten Orangensaft an, der mundet hervorragend und treibt mich wenig später in Richtung Toilette. Hat schon einmal jemand versucht, in einem engen Bretterverschlag, auf einem heftig schaukelnden Schiff, mit einer weißen Hose auf einem Plumpsklo Platz zu nehmen? Schweißgebadet von der Anstrengung, aber erleichtert, eile ich wieder zurück.

In der Abenddämmerung legen wir endlich ab in Richtung Schwarzes Meer. Das Schiff ist jetzt voll besetzt. Unser Kapitän gibt dermaßen Gas, dass die Sehenswürdigkeiten nur so an uns vorbeifliegen. Außerdem schaukelt das Schiff zwischendurch enorm; das Fotografieren will genau ausbalanciert sein, ein guter Stand ist wichtig.


Die Aufhängung der Bosporusbrücke vor uns erstrahlt in kobaltblauem Licht. Das Schiff fährt kreuz und quer über die Meerenge, von Europa nach Asien und wieder zurück, vorbei an Moscheen und an den mittlerweile hell erleuchteten Palästen der Sultane. Hin und wieder legen wir an, doch nur wenige Passagiere steigen zu oder verlassen das Schiff.


Auf dem Besucherdeck wird viel geplaudert. Kinder tollen herum, Handys klingeln. „Rauchen verboten“ – ganz eindeutig auf dem Schild. Doch wer hält sich schon daran? Eine kurze Diskussion mit dem Servicemann, und schon gibt er nach.

Der junger Sitznachbar erzählt Alex von seinem Leben in Istanbul und den Träumen von einem besseren Verdienst als den 500 € als Schneider, die er monatlich nach Hause bringt. 200 € kostet ihn allein die Miete, vom Rest muss er leben. In Deutschland ist alles besser!? – Vielleicht WAR das einmal, zumindest was die Arbeitsmöglichkeiten anging.
Verwandte des Mannes, die von der syrischen Grenze auf einen Besuch angegreist sind, erstehen vom Servicemann große, runde, in Zellophan eingeschweißte Waffeln. Ob wir wollen oder nicht, unsere Sitznachbarn schenken jedem von uns eine davon. Ich will aber gerne, çok téşekkürler!


Mittlerweile ist es gänzlich dunkel geworden und wir sind wieder auf dem Rückweg. Die Streben der Bosporusbrücke wechseln alle paar Minuten ihr grelles Licht: von Blau über Pink zu Grün. Schon fast ein nächtliches Wahrzeichen in diesem Teil Istanbuls. Irgendwo über Europa leuchtet ein Feuerwerk auf.

Nach etwa zweistündiger Fahrt legen wir wieder am Goldenen Horn an. Ein Fischbrötchen aus einer der Schiffsbratereien kommt jetzt gerade richtig. Wir setzen uns an eines der Tischchen. Die großen Gräten und eine Flosse pule ich mir zwischen den Zähnen heraus, der Rest schmeckt super! Das wird nicht der letzte Fisch sein, den wir hier gegessen haben!

Auf dem Rückweg zum Hotel (wir erahnen eine grobe Richtung) kommen wir an einem Lokal vorbei, in dem man Derwisch-Zeremonien beiwohnen kann. Und DAS wollte ich in Istanbul auf jeden Fall erleben.
Wir erstehen für den darauffolgenden Abend direkt zwei Tickets oben auf dem geräumigen Flachdach, wo man im Schatten der Agia Sofía um ein Podest herum an Tischen sitzt. Ich freue mich schon sehr auf das Ereignis.

Ein paar Efes-Biere runden diesen schönen, erlebnisreichen Tag ab. Als wir im Hotel ankommen, ist es doch schon wieder zwei Uhr morgens geworden. Und dabei wollten wir an unserem ersten Tag in Istanbul doch nur unsere Umgebung ein wenig erkunden.
Onira gliká!


Auf Umwegen zur Agia Sofia



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