Ausflug nach
Chalkío und Moutsoúna


Nach sage und schreibe zehn Stunden ununterbrochenem Schlaf sitzen wir am späten Vormittag auf unserer Terrasse und kommen bei einem starken Kaffee wieder zu uns.
Wie sehr wir den gestrigen Abend genossen haben, als wir nach unserer Rückkehr, kurz vor Einbruch der Dunkelheit, noch an der Pláka schwimmen waren! Recht kühl empfanden wir das Wasser, doch nach diesem heißen Tag kamen uns die Temperaturen gerade recht.
Als wir nach dem Bad im Meer wieder aus dem Wasser stiegen, wickelten wir uns fest in unsere Handtücher ein, saßen noch eine ganze Weile im Sand und schauten auf Paros, sahen zu, wie das letzte Tageslicht verschwand und genossen unsere Entspannung und die Ruhe in diesem einzigartigen purpurnen Licht. Nur gedämpft waren Stimmen zu hören.
In einer der Tavernen hatten wir später noch etwas Fisch zu uns genommen, doch waren wir so müde, dass wir nach unserem obligatorischen Strandspaziergang schon recht früh in die Kissen sanken.

Heute wollen wir auf jeden Fall Kräuter ernten. Der gestrige Duftflash hat uns dazu animiert. Man hat uns empfohlen, dafür in Richtung Moutsoúna zu fahren. Was für ein Zufall, denn es war ziemlich genau beim Abzweig in der Nähe von Apírathos in Richtung Moutsoúna, wo uns gestern Abend der Kräuterduft so begeistert hat.

Vollkommen entspannt und leer im Kopf, so wie ich es mir für den Urlaub gewünscht habe, rollen wir dahin, zunächst über Agios Arsénios, und halten bei einer restaurierten Mühle, an der ein Schild angebracht ist mit der Aufschrift: „Dieses Haus ist der Sonne geöffnet, den Freunden und dem Wind“.


Bei Ano Sangrí, an einem kleinen Pinienwäldchen, legen wir eine weitere Pause ein und atmen den trockenen Duft der Bäume ein (aber ohne Zigarette, das wäre doch etwas zu gewagt). In der Nähe erblicken wir eine lange Reihe von Feigenbäumen, einer üppiger als der andere.



Eine Quad-Fahrer-Gruppe überholt uns. Es muss einen Heidenspaß machen, auf den vierrädrigen Gefährten über die Insel zu düsen, den Fahrtwind im Haar (unter dem Helm, versteht sich).


Über eine Nebenstraße gelangen wir schließlich wieder zur Haupttrasse der Insel, der Verbindung Chóra – Apóllona. Die Einfahrt in den nächsten Ort Chalkío führt über eine kleine Brücke. Eigentlich will ich nur die Apotheke knipsen. Das an der Hauptstraße gelegene Gebäude ist mir schon am Vortag aufgefallen. Und auch der Blumenladen daneben.



Aus einem Fotostopp wird ein ausgedehnter Bummel durch den alten Teil von Chalkío, dem (früheren) Zentrum der Region. Während Alex sich noch ausgiebig mit dem Apothekerpaar austauscht, lasse ich mich tiefer in den alten Ortsteil hineinziehen.




Unversehens gerate in ein Gespräch mit einem älteren Mann, der im Schatten auf einem Stuhl sitzt, und mir das Geschäft zeigt, in dem seine Frau von klein auf der Weberei nachgegangen ist und die Produkte ausgestellt sind, die zum Teil aus ganz feinen Fäden gewebt wurden, Stoffe mit geometrischen oder Blumenmustern.
Er fragt mich, wie es uns in Deutschland geht. „Ganz gut“, antworte ich ihm. In Griechenland ginge es den Leuten zur Zeit nicht so gut, meint er, doch auf den Inseln habe sich überhaupt nichts verändert. Auf Naxos habe man seine Landwirtschaft, und einige lebten auch vom Tourismus. Das einzige, was störe, sei, dass die Jugend in die Chóra oder auf das Festland auswandere, doch wer weiß, vielleicht änderten sich die Zeiten auch mal wieder.
Chalkío ist trotzdem sehr lebendig, verfügt über viel Wasser, die Landwirtschaft blüht, und Touristen kommen auch hierher und können in einigen gemütlichen Lädchen selbst Produziertes erwerben.
Mittlerweile ist auch Alex dazu gekommen; gemeinsam tauschen wir uns noch ein wenig aus über das Heute und Gestern. Nach einer Verabschiedung mit Handschlag streifen weiter, gelangen schließlich auf eine schattige Platía, die zur Gänze von einem Restaurant eingenommen wird. Hier findet man die Leckereien!




Eigentlich wollen wir ja essensmäßig nicht so üppig zulangen wie sonst; das Abtrainieren der Kilos hinterher fällt schon schwer. Doch wieder einmal verführen uns die Düfte, und so können wir uns einem cremigen Tsatsíki und einer himmlisch lecker zubereiteten Moussaká nicht entziehen.
Der Wirt könnte mit seiner Pepita-Kappe auch als Klischee-Franzose durchgehen. Allerdings trägt er ein Basilikumsträußchen hinter einem Ohr, das er immer wieder zurechtzupft, während er sich mit den Gästen unterhält oder Bestellungen in die Küche hineinruft.
Als wir den Platz später wieder verlassen, gelangen wir in eine schmale Gasse mit leider teilweise im Verfall begriffenen Herrenhäusern (Archontiká).



Wieder auf der Hauptstraße unterhalb der Apotheke angelangt, lassen wir auf der gegenüberliegenden Straßenseite, unter der riesigen Platane, das Chalkío-Leben ein wenig vorbeiziehen, bevor wir wieder aufbrechen.



Bis nach Apírathos fahren wir, den Ort wollen wir unbedingt noch während unseres Aufenthaltes besichtigen, vielleicht sogar später am Tag. Doch zunächst steht Moutsoúna (umgangssprachlich „Schnute“) auf dem Programm bzw. die avisierten Kräuterbüsche auf dem Weg dorthin.
Schon bald hinter dem Abzweig, unweit der Straße, braucht man einfach nur der Nase nach zu gehen, und gleich entdecken wir nicht nur Orgeano, sondern auch blühende Thymian-Sträucher, die man leicht abernten kann, und so machen wir uns daran, uns Vorräte für zu Hause anzulegen. Die Kräuter sind so harzig, dass die Finger aneinanderpappen. Allerdings sollte man aufpassen, wo man hintritt. Ganze Hügel sind von stacheligen Disteln übersät, und auch unsere Kräuter befinden sich häufig in deren unmittelbarer Nähe. In Sichtweite unseres ersten Pflückortes hängt auch ein toter, halb verwester Ziegenbock an einem Baumast. Egal, wir bringen gerne Opfer für diesen Erntereichtum.
Zufrieden steigen wir nach einer guten Stunde wieder ins Auto und freuen uns über die beiden vollen Tüten. Jetzt müssen wir einfach nur immer für gute Belüftung sorgen, damit unterwegs nichts verschimmelt. Unser Auto verströmt ab jetzt jedoch den betörenden Duft von einem frischen Oregano-Thymian-Mix.
Nach unserer so ertragreichen Ernte wollen wir auf jeden Fall noch hinunter ans Meer, nach Moutsoúna, den früheren Verladehafen für die Schmirgelsteine. Die Grubenarbeit in der Nähe von Apírathos, in den Bergen, hat damals über einen langen Zeitraum Menschen Lohn und Brot gegeben, heute ist der Betrieb eingestellt.
Die Seilbahn aus den Bergen sieht irgendwie surrealistisch aus, mit den starr in der Luft hängenden Loren, die wohl so lange vor sich hinrosten werden, bis sie schließlich abfallen (Da fällt mir doch Alexis Zorbas ein: „Hey Boss, hast du jemals etwas so bildschön zusammenkrachen sehen?“). Auch einige ausrangierte Fahrzeuge kann man am Wegesrand bestaunen.




Nur wenige Fahrzeuge, darunter auch ein Linienbus, begegnen uns auf der Straße bergab. Während Alex nicht widerstehen kann und noch ein paar Kräuter aufliest, bleibe ich im Auto, genieße den überwältigenden Blick auf die naxiotische Landschaft bei der sanften Musik von Pantelís Thalassinós mit seiner Kalandári. Die ägäische Landschaft, die intensiv blaue Farbe des Meeres und der Blick auf die Inseln östlich von Naxos sind eine Freude für das Auge. Dies ist die Ägäis! Was für ein betörender Urlaub! Uns geht es richtig gut.



Die schmale Straße windet sich in Serpentinen durch nicht ganz so dicht bestandene Oliven- und andere Felder, die von Steinmäuerchen voneinander getrennt sind.
Schließlich erreichen wir den kleinen Ort Moutsoúna mit einigen Unterkünften und Tavernen, jedoch nur mäßig frequentiert.
Im März 1987 waren wir einmal hier, damals standen noch beladene Loren mit Schmirgelsteinen im Hafen.


Seit meinen früheren Besuchen ist eine Asphaltstraße entstanden, die von hier in Richtung Süden führt, und auf dieser fahren wir direkt am Meer entlang noch ein wenig dahin. Einige Privathäuser und Pensionen (?) säumen die Strecke. Ein junges griechisches Paar auf einem Motorrad kommt uns entgegen, auf der Suche nach einer Tankstelle. Wir glauben nicht, dass es hier eine gibt, doch es entwickelt sich noch ein nettes Geplauder, einfach so, mitten auf der Straße.
Nach einer Weile entschließen wir uns zur Umkehr. Diese Strecke werden wir ein anderes Mal nach Süden erkunden. Bevor wir jedoch wieder bergan fahren, freuen wir uns auf einen Kaffee in einer der kleinen Tavernen am Strand von Moutsoúna, wo ein paar Kinder ausgelassene Wasserschlachten im Meer veranstalten. Hier kann man die Seele baumeln lassen, für Ruhesuchende ein Paradies. Hinter uns wird amerikanisch gequasselt, wir vermuten Griechen, die in Amerika leben und hier mit ihren amerikanischen Freunden Urlaub machen.

Uns ist so wohl, dass wir anfangen, Gedanken zu spinnen. Wenn wir es uns leisten könnten und nicht mehr zu arbeiten bräuchten, könnten wir uns gut vorstellen, viel Zeit auf den griechischen Inseln und auf dem Festland zu verbringen, um alles Gute, was wir an Griechenland lieben, zu genießen: die Wahnsinnsnatur und ihre Düfte, die Unterschiedlichkeit der einzelnen Inseln und die Kontraste des Festlandes, die Freundlichkeit der Menschen mit ihren kleinen liebevollen Gesten gegenüber uns Gästen, das überirdische Licht und das ewige Tiefblau des ägäischen Meeres.
Wie meinte Giórgos Daláras anlässlich seines letztjährigen Konzertes in Frankfurt: “Wir laden euch ein, einzusteigen, die Segeltüchlein zu setzen, um in Richtung Süden zu fahren, in eine Heimat, so wie wir sie kennen: Mit Licht und Kraft!
Das ist unser Griechenland, und nicht das, was andere in der heutigen Zeit daraus zu machen versuchen (bei aller vielleicht berechtigter Kritik).
Vor 25 Jahren war ich das erste Mal hier, und insbesondere durch Naxos habe ich meine Griechenlandliebe entdeckt. Auch wenn viel Neues entstanden ist und das Leben sich in vielerlei Hinsicht wie überall auf der Welt geändert hat, auch wenn die Pláka in der Saison so überfüllt von Menschen und Autos ist, dass man ständig ausweichen muss: Egal! Der Strand, der Sand, das Wasser, die Sterne und die Liebenswürdigkeit der Menschen für uns Gäste sind dieselben geblieben.
Kommt alle her, lasst euch einfangen und betören, ohne Geschäfte, ohne ehrgeizige Bauvorhaben, ohne selbst produzierten Stress und unerfüllbare Erwartungen. Lasst euch verführen von der Schönheit, die Griechenland zu bieten hat! Erlebt das Licht! Breitet die Arme aus im Wind und schließt die Augen! Tanzt! Atmet den Duft der jeweiligen Landschaft ein! Seid bei euch selbst!
Und wenn ihr die Augen wieder öffnet, werdet ihr sehen, dass alles so zuverlässig da ist wie immer, das Meer mit derselben Farbe und die Milchstraße mit ihren unendlich vielen Sternen, die Unendlichkeit, aus der wir kommen und in die wir zurückkehren. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Griechenland wird niemals untergehen. Wir wissen, warum wir immer wieder hierher zurückkommen, und sei es nur für den Duft eines blühenden Basilikumstrauches oder einen gemeinsamen Kafedáki unter einer schattigen Platane.

Nach der kleinen Pause brechen wir auf in Richtung Agia Anna. Wieder wird es nichts mit einer Besichtigung von Apírathos. Vielleicht kommen wir ja noch einmal hierher, und zwar so früh, dass der Ort noch von der Sonne beschienen wird (der Fotos wegen).
Die Strecke über Filóti und Chalkío kennen wir ja schon, rollen durch die schöne, weiche Landschaft. Jetzt erinnere ich nach der langen Zeit wieder genau, was mir die Insel alles gegeben hat, und wie glücklich ich damals hier war. Auch jetzt ist es nicht anders.





Zurück in unserer Unterkunft werden zunächst die Kräuter ausgebreitet, bevor wir im Sonnenuntergang zum Schwimmen gehen. Wieder sind wir die Einzigen, die jetzt noch baden. Das Wasser ist so herrlich erfrischend, der Sand noch warm. Die Pláka – so wie ich sie kenne und liebe und mich erinnere.

Später entdecken wir das Familienrestaurant Vlássis, zu Fuß von unserer Unterkunft aus in kurzer Zeit erreichbar. Die Speisen sind so lecker zubereitet, dass wir fortan jeden Abend dort speisen. Göttlichen Stockfisch (Bakaliáros, μπακαλιάρος) gibt es und Makrele (Kolios, κολιός) mit frisch zubereiteten Vlíta und selbst gemachtem Hauswein. (Im Griechischen gibt es eine Redewendung: „Káthe prágma ston keró tou, kai ston Avgusto koliós.“ – Jedes Ding zu seiner Zeit, und im August Koliós. Gemeint ist: „Alles der Reihe nach.“)
Viele Stunden werden wir während unseres Aufenthaltes auf Naxos in diesem Restaurant verbringen, lassen die Abende vergehen und lernen die nette Familie ein wenig kennen.
Das Lokal ist jetzt, am Wochenende, voll besetzt; die mit Abstand meisten Gäste sind Einheimische. Wie wir rekonstruieren, findet heute wohl auch das Agia-Anna-Fest statt, doch uns kann nichts mehr in den Hafen bringen; müde wanken wir nach Hause, heute noch nicht mal mehr am Strand entlang. Ein wenig kühl ist es geworden, Feuchtigkeit kommt vom Meer und lässt mich frösteln. Auch an den nachfolgenden Abenden werden wir trotz tagsüber sehr heißer Temperaturen Langärmeliges brauchen.



Bummel durch die Altstadt von Chóra



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