Von Naxos nach Athen


Der Wecker klingelt, es ist 5.30 Uhr. In aller Ruhe packen wir unsere Sachen und haben genügend Zeit, im Hafen von Chóra im einzigen geöffneten Café (der Bäckerei am Hafen, mit seinem um diese Zeit schon so gut gelaunten Besitzer) eine Kleinigkeit zu frühstücken und den Tag gemütlich zu beginnen. Der Kaffee tut Wunder!
Nach der Autoabgabe begeben wir uns auf das schon bereitstehende Schiff, die Blue Star Paros. Für 36,00 € pro Person haben wir eine Deckpassage nach Piräus gebucht. Um 9.30 Uhr soll es ablegen, es ist schon eine halbe Stunde vorher voll besetzt, kein Schattenplatz mehr zu haben. Wir quetschen uns ziemlich weit hinten auf dem oberen Deck an einen Tisch, der im Halbschatten steht; zwei Schweizerinnen, die hier ebenfalls Platz genommen haben, rücken für uns bereitwillig noch ein wenig zurück in den Innenraum, damit zumindest unsere Köpfe vor der heißen Sonne geschützt sind.

Beim Ablegen des Schiffes stellen wir uns an die Reling, bewundern das Hafengelände und das antike Tempeltor, lassen nochmals einige Eindrücke der Insel an uns vorüberziehen, bevor die Fähre direkten Kurs auf Paros nimmt. Der Stopp auf Paros wird der einzige auf unserer Fahrt sein, danach werden wir ohne Unterbrechung nach Piräus schippern.





Mit unseren Sitznachbarinnen tauschen wir uns ganz allgemein ein wenig über das Reisen aus, schwärmen konkret und ausdauernd von Naxos und schauen einem Mitglied der Schiffsbesatzung zu, wie er die griechische Fahne wechselt (die alte war ziemlich zerfetzt).
Nach Paros ist es nicht weit. Das Anlegemanöver im Hafen ist schnell vollführt, und schon werden LKWs ab- bzw. wieder aufgeladen.




Zusammen mit den beiden Frauen verlassen auf Paros noch viele andere die Fähre; gleich darauf füllt sich das Schiff jedoch wieder mit den Neuankömmlingen. Es sind fast ausnahmslos junge Griechen.
Sie gehören zu denen, die es im Urlaub auf eine Insel geschafft haben (wohl dank Papas Geld). Im Fernsehen hat es eine Sendung dazu gegeben; man interviewte die nicht so Privilegierten, die ein wenig herumjammerten, dass sie „nur“ auf dem Festland, z.B. in Athen, feiern dürfen.
Wie man den beschrifteten einheitlichen Shirts vieler der jungen Leute um uns herum entnehmen kann, haben sie sich alle in einem bestimmten Beachclub auf Paros amüsiert.
Einige treffen sich überraschend hier an Bord wieder, andere schließen neue Freundschaften oder knüpfen erste zarte Liebesbande. Fast alle rauchen, zumindest diejenigen in unserer Nähe. Ich frage mich, wie sie es ohne Kopfbedeckung so lange in der Sonne aushalten. Doch der gestrige Rausch ist offensichtlich noch nicht bei allen verflogen. Alles in allem eine ganz lustige, ungezwungene und unterhaltsame Runde um uns herum.

Mit der Zeit wird es immer heißer unter dem Plastikdach. Dort, wo wir sitzen, kommt überhaupt kein Wind mehr an. Wir schwitzen bei vierzig Grad im Schatten, der Zigarettenqualm tut sein übriges. Langsam wird mir komisch. Irgendwie komme ich mit der Fahrt nicht so richtig zurecht. Das komische Gefühl verstärkt sich zu einem – nennen wir es – Unwohlsein (zwar noch nicht Oberkante-Unterlippe, aber in diese Richtung weisend).
Abwechselnd pilgern wir an die Reling (in die pralle Sonne), um ein wenig Fahrtwind abzubekommen. Alex ist gestählt, immerhin hat er zwei Mal den Äquator überquert! Was kann ihm schaukeltechnisch schon passieren? Einmal sehe ich ihn an der Treppe stehen, die nach unten führt, und dort kann man es tatsächlich einigermaßen aushalten, wegen Schatten und trotzdem gelegentlicher Brise.
Wofür brauchen wir eigentlich einen Tisch? Als wir uns kurzerhand entschließen, den Platz zu wechseln, stürzt sich sofort eine Beachclub-Paréa, die uns schon recht nah auf den Pelz gerückt war, an den jetzt vakanten Tisch, drapiert sich drumherum und lässt es lautstark krachen.

Wir hingegen haben glücklich an der Treppe Platz genommen, genau genommen neben einer blauen Mülltonne. Die kommt mir gerade recht, weil, falls mir noch etwas schlechter würde, hätte ich es nicht so weit, you know what I mean...


Auch noch andere blassnäsige Mitfahrer hängen auf diesem Teil des Decks teilnahmslos auf ihren Stühlen herum. Merkwürdig, es gibt kaum Wellengang! Eine Frau mit einer Gesichtsfarbe wie frisch gefallener Schnee traut sich an den Tresen und kommt mit einer Ladung Essbarem zurück. Sie will es offenbar wissen. Ich gebe den Mülltonnendeckel frei, lehne mich stattdessen in die andere Richtung, man weiß ja nie.
Und dann kommt wieder Leben in sie. Nicht etwa, weil sie feste Nahrung zu sich genommen hat, sondern vielmehr, weil einer der Beachclub-Jungs sie entdeckt hat und nun mit ihr herumalbert. Sein Bruder wittert ebenfalls eine Chance, gesellt sich zu den beiden. Die anderen drei Mädels am Tisch verhalten sich ruhig. Mit kommt es so vor, dass die ganze Frauenrunde etwas seekränklich ist. Sie haben mein volles Mitgefühl.

Doch es sind nicht nur junge Partygäste an Bord, sondern auch ältere Semester. Ein deutsches Paar in Badeklamotten hat sich direkt an der Reling, ganz hinten, einen Tisch und 4! Stühle gesichert: je zwei zum Sitzen und zwei für die Beinablage, und das bei der Stuhlknappheit! Sei es drum. Tapfer liegen sie in der Sonne und nehmen die ultraviolette Strahlung auf, um die Haut zu einer noch tieferen Bräunung zu zwingen, trotz der offenbar schon vorhandenen Sonnenallergie. Wer braun sein will, muss halt leiden!

Irgendwo hinter uns bellt sich ein Schäferhund die Seele aus dem Leib. Eine ganze Weile geht das so. Mitfühlende Sitznachbarn reden auf ihn ein, doch ihn interessiert nur eins: Herrchen, du kommst jetzt sofort hierher, und zwar pronto! Nach vielen Stunden (na gut, es war vielleicht eine Viertel) scheint dieser wieder anwesend zu sein, und Wauwau gibt endlich Ruhe.

Alex besorgt uns später etwas Kaltes zu trinken. Die Preise sind human: 2,00 Euro zusammen für einen Frappé und eine Flasche Wasser, und in dem Kaffeebecher befindet sich tatsächlich auch Kaffee, und nicht nur Schaum und Eiswürfel.

Zur Ablenkung von meinem Unwohlsein schauen wir uns zwischenzeitlich die Meeres-Umgebung an. Uns begegnen auf unserer Überfahrt etliche Segelboote. Einige haben mit geblähten Segeln Fahrt aufgenommen. Für Liebhaber dieses Sports sicherlich ein voller Genuss! Ich gehöre eher nicht dazu. Ich würde auch keine Kreuzfahrt machen. Überhaupt bewege ich mich lieber auf festem Boden. Zu dieser Erkenntnis bin ich spätestens auf der bisherigen Schiffspassage gelangt.



Mehrere mit der üppigen Vodafone-Aufschrift verzierten Flying-oder-Highspeed-was-auch-immer sprinten nah an uns vorbei. Die in ihrem Heck aufgewirbelten Wassermassen bringen unsere Fähre zwar nicht in Wallung, doch empfindliche Mägen wie der meine goutieren an einem Tag wie heute die sensibelsten Regungen des Untergrundes mit Missfallen. Und allein die Vorstellung, in meiner Situation in einer solchen Blechbüchse ohne echte Frischluft verbringen zu müssen... (Dafür würde es aber schneller vorbei gehen, denn die sind wirklich erheblich fixer als unser Kahn).




Eigentlich sollte unsere Überfahrt sechs bis sechseinhalb Stunden dauern, so hatte man es uns im Ticketshop prophezeit. Zu dem Zeitpunkt freute ich mich noch unverständlicherweise auf das Geschwanke.
Was mein Herz jetzt freilich höher schlagen lässt, ist die unverrückbare Tatsache, dass wir bereits nach vier Stunden das Festland erblicken. Unterwegs haben wir uns nämlich weiter abgelenkt und versucht, uns anhand einer Karte auf dem Meer zu orientieren. Das ist jetzt nicht unbedingt meine Stärke. Aber Kea haben wir erkannt, und Makrónissos. Auf dem Weg nach Ikaría, vor drei Jahren, sind wir hier nämlich auch vorbeigekommen.
Auf dem Kap Sounión versuchen wir, den Poseidontempel ausfindig zu machen, und mit dem Kamera-Zoom klappt das auch.


Augenblicklich geht es mir besser! Und nicht nur mir. Also entweder ist das Fahrwasser hier etwas ruhiger, oder die kollektive Psyche der lädierten Fahrgäste hat angesichts der jetzt überschaubaren Restfahrzeit wieder Hoffnung geschöpft. Auf jeden Fall ist der starre, trostlose, ergebene Gesichtsausdruck aus vielen der blassen Mienen gewichen.





Doch halt! So schnell werden wir jetzt doch nicht landen. Es hat sich nämlich ein Schiffsstau gebildet. Kurz vor der Fähreneinfahrt in Piräus halten wir an. Und wir haben noch Glück. Wir gehören zu den ersten in der Warteschlange. Die letzte Schnellfähre, die uns noch vor einigen Minuten überholt hatte, muss sich jetzt (leider – hähä) hinter uns einreihen.
Eines dieser überdimensionierten Kreuzfahrtschiffe verlässt zuerst mit Hilfe eines Lotsen seinen Liegeplatz, dann noch ein anderes, etwas kleineres. Schließlich auch noch eine Fähre, während die Barkasse des Lotsen wieder zurückkommt.



Danach dürfen wir schließlich in den Hafengelände, passieren dabei einige Liegestellen der bekannten Fährlinien.




Nach insgesamt 5 Stunden werden wir direkt gegenüber der Metrostation anlegen, das freut uns, denn dort wollen wir anschließend auch hin.
Jedes Mal, wenn die Heckklappe schon heruntergefahren wird, bevor die Fähre angelegt hat bzw. sich noch in einem schwungvollen Drehprozess befindet, frage ich mich, ob das erlaubt ist. Aber das sind nur die Gedanken einer Reisenden, die froh ist, nicht wirklich seekrank geworden zu sein und die erleichtert ist, endlich bald von Bord gehen zu können.



Doch so eilig haben wir es ganz am Ende doch nicht, denn man steht sich die Gänge hinunter noch einige Zeit die Beine in den Bauch, wenn ca. 1500 Passagiere das Schiff auf einmal verlassen wollen, mal abgesehen von den Kraftfahrzeugen und den Benzindüften im Schiffsbauch.
Ich glaube, wir sind am Ende die allerletzten, die von Bord gehen. Und volle Kanne empfängt uns die Nachmittagshitze von Piräus. Wie mit einem Hammer auf den Kopf! Aber egal. Der Anblick der Rolltreppe über die Hauptstraße erfreut mein Herz jedes Mal, diese technische Errungenschaft, die uns in der modernen Zeit jene Kamikaze-Aktionen der Straßenüberquerung aus früheren Zeiten erspart. Eine leichte Brise weht hier oben, als ich einen Blick über die verkehrsreiche Straße werfe.

Die Erfahrungen, die wir anschließend in der Metro machen, sind ebenfalls von Massenauftrieben und heißen Temperaturen geprägt.
Der allergrößte Teil der Fahrgäste „unserer Fähre“ und wahrscheinlich noch „ein paar“ andere, haben sich nämlich zur Weiterreise mit diesem Transportmittel entschieden, für 80 Cent unschlagbar günstig.
Wir teilen uns auf: Während ich das Gepäck bewache, besorgt Alex die Tickets. Auch andere haben sich zu dieser Strategie entschlossen, denn mal eben mit dem Koffer durch die Halle zu rollen, geht nicht. Es ist einfach zu voll.
Alex ist nun weg. Das Familienoberhaupt der französischen Familie neben mir kommt schon nach fünf Minuten triumphierend zurück. Er hat in Erfahrung gebracht, wo sich die Ticketautomaten befinden. Aber dann bleibt er genauso verschwunden wie Alex.
Der wartende Zug hat sich gefüllt, und zwar bis zum Anschlag. Heringsbüchsen sind nichts dagegen. Mit einem Zischen schließen sich die Türen und die Bahn schiebt ab.
Nach wenigen Minuten erreicht die nächste ihr End-/Startziel. Viele wartende Passagiere strömen hinein, nach einem Sitzplatz geifernd.
Der französische Vater kommt nach einer Ewigkeit mit Fahrkarten zurück. Man setzt sich in Bewegung, entert den Zug. Auch anderen ergeht es so, alle sind glücklich vereint. Nur mein Alex ist weg.
Ich male mir aus (nein, ich will das nicht!), wie er hilfebedürftig in einer Masse drängelnder Menschen vor dem Ticketautomaten zusammengebrochen ist, mit all unseren Papieren in der Tasche. Was würde ich tun? Alex, mittlerweile mit dem Krankenwagen auf dem Weg ins nächste Krankenhaus, ich zurückgeblieben in der Metrohalle, ohne einen Cent. Alles Hirngespinster, er kommt bald wieder, sage ich mir. Vielleicht ist ihm noch irgendwas dazwischen gekommen, hatte er überhaupt Kleingeld?
Alex bleibt trotzdem verschwunden. Nach Äonen entdecke ich schließlich den Hut auf seinem Kopf. Das hätte gut geklappt meinte er; es hätten sicherlich 300 Menschen vor den Automaten gestanden, dafür habe man aber ziemlich schnell seine Fahrkarte ziehen können. Aha!?

Ich freue mich, dass wir nun in den Zug einsteigen können, auch wenn wir erstmal noch eine Viertelstunde mitten im Gang stehen, bis auch wir - wie die Heringe eingequetscht - endlich den Bahnhof verlassen.
Die wenigen Haltestellen bis Monastiráki sind schnell passiert, doch der Zug hält gar nicht in Monastiráki. Großartig! Eine Mitreisende erklärt, dass wir ruhig bis Omónia (die Haltestelle danach) mitfahren können, der Zug würde dann wieder in die entgegengesetzte Richtung fahren und dabei in Monastiráki halten. Sicherlich hat dies einen plausiblen Grund (evtl. die Baustelle), den wir aber nicht weiter hinterfragen. Wir sind bloß froh, dass alles so eintrifft, wie die kluge Frau es uns erklärt hat.

Eigentlich steht mir der Sinn im Moment nur noch nach einem Hotelzimmer und einer Stunde Ruhe. Klimaanlage an und ausstrecken. Bloß, wir haben ja nichts vorgebucht. Ich schlage vor, es wieder im Hotel Cecil zu versuchen, so wie letztes Jahr, und so schieben wir – nachdem wir uns eine eiskalte Cola an einem Kiosk in den Hals geschüttet haben – die Koffer leicht bergan.
Das Glück ist uns hold, und wir erhalten ein ruhiges Zimmer im ersten Stock für 65,00 Euro die Nacht. Ohne lange zu zögern schlagen wir ein. Diese eine Stunde reicht allerdings kaum aus, uns zu erholen. Am liebsten würde ich gerade liegenbleiben und weiterschlafen. Doch in Athen wäre es eine Sünde, bei einem so ultrakurzen Aufenthalt (geplant ist nur eine Nacht) abends nicht auszugehen. Schließlich sind wir mit E. und M., einem frisch vermählten griechischen Paar, das in Athen lebt, verabredet, und werden sogar mit dem Auto abgeholt.


Am Fuße der Akropolis

Wer einmal gediegen auf einer Dachterrasse zu Füßen des hell erleuchteten Parthenon speisen möchte, der sollte das Restaurant Greek-House Attikós in der Garivaldistraße 7 besuchen.
In einem von außen unscheinbaren Mehrfamilienhaus bringt ein Lift den Besucher nach oben (wahlweise kann man auch die Treppen erklimmen), wo man vom überwältigenden Blick auf die angestrahlte Akrópolis empfangen wird. Die Mezédes können sich sehen lassen, aber auch die anderen traditionellen griechischen Gerichte, ebenso der fruchtige, professionell gut gekühlte, peloponnesische Weißwein. Zusammen bestellen wir alles stín méssi (in die Mitte), sodass jeder von allem kosten kann. Ein lustiges und interessantes Zusammensein, das sich einige Stunden lang hinzieht. Und dabei immer wieder der Blick von meinem Ehrenplatz aus (ich weiß, das ist kein Zufall, das haben unsere Gastgeber so eingefädelt) auf die angestrahlte Akrópolis. Welche Freude!

Der Rückweg später zum Autoparkplatz führt uns vorbei am Iródhion. Zur Zeit gibt man „Nabucco“, so auch am heutigen Abend. Die erfolgreiche Aufführung wird gekrönt durch immer wieder aufbrandenden, tosenden Beifall, den wir im Vorbeigehen gut hören können.
Die herausströmenden Opernbesucher werden außerhalb des Musentempels von Straßenmusikanten empfangen, was für ein Kontrastprogramm. Ein schaurig singender Mann versucht sich an einem Lied von Thalassinós, oh Graus. Doch das Lied bleibt uns im Kopf, wir singen es danach zu viert noch weiter. Die Opernfreunde jedoch eilen schnellen Schrittes von dannen.
Als wir an dem neuen Akropolis-Museum vorbeikommen, macht M. uns darauf aufmerksam, wie schön sich die antiken Gebäude vom gegenüberliegenden Hügel in seiner Glasfassade widerspiegeln.

Neben der ersten Sünde, an einem Sommerabend in Athen im Hotel zu bleiben, wäre es eine unverzeihliche zweite, das Akropolis-Museum nicht zu besuchen. Und so beschließen wir spontan, wenn es im Hotel machbar ist, noch eine Nacht dranzuhängen, und uns am nächsten Tag das neue Ausstellungsgebäude vorzunehmen.


Athen - Widerstandscamp am Syntagma-Platz



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