Über Etolikó und Sálongo
nach Arta


Ein köstliches Frühstück weckt nach einer durchgeschlafenen Nacht unsere Lebensgeister. Noch haben wir keine Lust zu packen, trinken lieber einen weiteren Kaffee draußen, neben dem Hoteleingang, studieren die Straßenkarte und erzählen uns vom gestrigen Besuch des Heldengartens. Erst kurz vor Mittag brechen wir zu unseren neuen Zielen auf. Von Messolongi wollen wir zunächst ins benachbarte Etolikó, dann weiter nach Norden, zum Ambrakischen Golf, über Prévesa zum Denkmal von Sálongo, und schließlich nach Arta.


Nur ein paar Kilometer entfernt von Messolongi liegt das Kleinstädtchen Etolikó. Auf dem Weg dorthin passieren wir unzählige Salinen. In Sichtweite zur Straße sind große Mengen Salzes aufgehäuft und warten auf die Weiterverarbeitung.


Der allergrößte Teil der griechischen Salzgewinnung findet hier statt, auch die der Kálas-Group, die ihr Salz in den allseits bekannten blau-weißen Plastikbehälterchen verkauft.


Wir biegen ab, mitten hinein in die flache Salinenlandschaft. Becken mit bräunlichem Wasser, dessen Ablagerungen am Rand zu Salz kristallisieren, säumen den kurzen Weg zu einem Kirchengebäude, das auf einer erhöhten Fläche mitten zwischen den Salzbecken steht. Dort steigen wir aus.












Ohrenbetäubend laute Zámiko-Musik dröhnt aus einem überdimensionierten Autolautsprecher und feuert die Arbeiter an, die mit der Außensanierung der Kirche beschäftigt sind.


Daneben sind mehrere Fahrzeuge geparkt. Auch ein Honigverkäufer wartet hinter seinem Stand auf Kundschaft, und vor einem Kleinlaster sitzen zwei Herren älteren Jahrgangs, die mit Wein, Tsípouro und Gesang schon für eine SEHR gute Stimmung gesorgt haben. Ob ich einen Wein mit ihnen trinken wolle? – Nein, erwidere ich lachend. – Oder ein Tsípouröchen? Es sei „very light“. – Ich lehne weiterhin dankend ab.
Schließlich kommt eine lächerliche Merkelnummer, als ich mich auf Nachfrage als Deutsche oute. Bei dem angeheiterten Zustand der beiden kann ich das nicht ernst nehmen. Am Ende schenken sie uns eine Flasche mit Eiswasser, die wir gierig in uns hineinschütten.
Hinter der Kirche haben weitere Autos geparkt. Menschen mit Eimern sind unterwegs und sammeln Salz, das im Kofferraum verstaut wird. Andere nehmen ein Schlamm-Salz-Bad in einem abgetrennten Bereich.




Tief atmen wir die köstlich-würzige Luft ein, genießen die ebenmäßige Landschaft und die Ruhe. Endlich Urlaub, endlich angekommen, denke ich mir. Wirklich schön ist es hier und erholsam.
Langsam verabschieden wir uns, um ins benachbarte Etolikó zu fahren, das mitten auf einer Landbrücke liegt, die die Lagune von Messolongi von der Etolischen Lagune trennt.

Ein wenig bummeln wir durch die recht leeren Gässchen des Ortes, gelangen schließlich zu einem Platz mit einem Gebäude, an dessen Außenseite ein Schild darüber informiert, dass am 1. April 1824 an dieser Stelle ein Prozess gegen Geórgios Karaïskákis (Bild links) wegen Hochverrates stattfand, der von Aléxandros Mavrokordátos (zu der Zeit Generalgouverneur von Messolongi - Bild rechts) angestrengt worden war und ein Beispiel dafür ist, dass die Kräfte, die auf griechischer Seite gegen die osmanische Herrschaft kämpften, keineswegs homogen strukturiert waren. Die Empörung in der Bevölkerung ob dieses Prozesses war sehr groß, sodass er schließlich abgebrochen wurde.

Vielleicht sind wir am falschen Ende des Ortes, doch eine Altstadt, bei der man die Vorstellung bekommt, wie auch Messolongi früher ausgesehen haben mag – so wurde es im Internet auf einer Seite versprochen, was letztendlich auch ausschlaggebend für unseren Besuch des Ortes war - erkennen wir nicht. Hin und wieder gibt es noch ältere, eingeschossige Häuschen, die sich hinter üppigen Gärten verstecken, doch scheinen sie fast alle renoviert und sind auch bewohnt.




Für uns gibt es außer einem Kaltgetränk, das wir in einem der Cafés am Wasser einnehmen, nichts mehr, was uns noch weiter interessiert. Die gut gefüllte Etolische Lagune soll ein Brackwasser-See sein.
Von der ansonsten leeren Außenterrasse des Lokals aus beobachten wir einen einsamen Angler, der vom Damm her sein Glück versucht. Die Lagunen gehören zu den fischreichsten in Griechenland.


Nur kurz verweilen wir, kaufen noch ein paar Flaschen Wasser am Kiosk, dann verlassen wir den Ort nach Westen, in Richtung Achelóos-Delta, nach Neochóri und Katochí. In dieser Ecke, unweit des mäandernden Flusses, liegt auch der antike Ort Iniádhes (Oiniádes), früher ein Hafen, heute mehrere Kilometer landeinwärts gelegen, mit seinen Ausgrabungen eines antiken Theaters und einer Schiffswerft.
Letztendlich ist es der Achelóos, der die Lagunenlandschaft in dieser Form prägt. Vor mehreren Jahrzehnten hat man insbesondere zur Energiegewinnung das Wasser des Flusses aufgestaut, zum Strátos-, Kremastá- (der größte Stausee Griechenlands, der auch noch von anderen Flüssen gespeist wird) und Kastráki-Stausee. Eine vierte Talsperre, der Mesochóra-Stausee, wurde zwar baulich schon 2001 fertig gestellt, jedoch noch nicht in Betrieb genommen.
Sicherlich hängt dies mit einem höchst umstrittenen Projekt zusammen, mit dem man in die Flusslandschaft des Achelóos noch drastischer eingreifen will. Seit mehreren Jahrzehnten kämpfen Umweltschützer gegen ein gigantisches Vorhaben, nämlich enorme Mengen (man spricht von 15%) des Wassers aus dem Oberlauf des Flusses in die thessalische Ebene zur Bewässerung der Felder umzuleiten. Martin Pristl hat im Kapitel „Achelóos kontra Herakles – Wo ein Fluss ums Überleben kämpft“ (aus „Griechenland – Ein Reisebuch in den Alltag“, erschienen bei Rowohlt in der Rubrik „Anders Reisen“) schon 1995 auf die daraus resultierende ökologische Problematik hingewiesen: „Bereits seit Jahren beginnt durch den abnehmenden Druck des Süßwassers des Achelóos zunehmend Meerwasser in die Lagune zu fließen, und das Delta droht zu versalzen. Neuerliche Eingriffe, vor allem die Ableitung des Wassers nach Thessalien, werden die Situation weitaus verschlimmern, wie neueste Zahlen belegen.“ (S. 204)
Und das wäre noch die Light-Version, denn das Delta könnte auch genauso gut einfach austrocknen, wenn nicht mehr genug Wasser ankommt. Schon 1993 wurde dies im Spiegel thematisiert.
Ein Beispiel solcher Konsequenzen kann man am Versiegen des Flusses Jordan ablesen, der ebenfalls am Oberlauf zur Bewässerung umgeleitet und zur Energiegewinnung aufgestaut wird, und den es bald als Fluss nicht mehr geben wird, wenn man die überdimensionale Wasserentnahme nicht sehr bald stoppt.
Das Achelóos-Flusstal sowie sein Delta gehören unter anderem zu den Besonders Geschützten Gebieten gemäß der Vogelschutzrichtlinie 79/409/EWG vom 2. April 1979 und ist im Unterlauf des Flusses ein ausgewiesenes Natura-2000-Gebiet, was ein solches Stausee- und Umleitungs-Projekt eigentlich verbieten sollte. Die Messolongi-Lagune ist darüber hinaus schon seit einer halben Ewigkeit ein Schutzgebiet nach der Ramsar-Konvention („Greece“ auswählen).
Allerdings wurde am 11.09.2012 vom EuGH genau am Beispiel dieser geplanten Flussumleitung des Achelóos ein Grundsatzurteil (C-43/10) gefällt, in dem der Naturschutz der Trinkwasserversorgung und Bewässerung untergeordnet werden kann, was letztendlich - unter der Schaffung der „notwendigen Ausgleichsmaßnahmen" (wie auch immer solche auszusehen haben) - bedeutet, dass man Raubbau an den Wasserressourcen betreiben kann, um dann weitere irreversible ökologische und kulturelle Einschnitte herbeizuführen, nämlich die Umleitung eines Flusses schon am Oberlauf mit all ihren Konsequenzen (Versalzung/Austrocknung der Wasserlandschaft, Vertreibung der wildlebenden und teilweise vom Aussterben bedrohten Vögel, aber auch die Flutung von Dörfern und die Zwangsumsiedlung von Einwohnern, die Aufgabe kultureller Güter, die gleichermaßen in den Wassermassen versinken würden, um nur einige aufzuzählen). Geldintensive Fakten wurden mit der diesbezüglichen Bautätigkeit ja bereits geschaffen. Hoffentlich kann dieser Wahnsinn noch gestoppt werden!
Es bleibt die Frage, wie die thessalischen Landwirte künftig ihre Felder bewässern sollen, wenn die Grundwasserspeicher vor Ort durch überdimensionale Wasserentnahme in der Vergangenheit noch weiter versalzen bzw. versiegen und es kein Wasser aus dem Achelóos geben wird. Wie kann bei der derzeitigen wirtschaftlichen Lage ein Alternativprojekt aussehen? Gab es überhaupt eine Machbarkeitsstudie zur Achelóos-Umleitung bzw. enthält diese auch Alternativen? Wieder einmal scheinen wirtschaftliche Interessen gegen ökologische zu stehen.
Insbesondere wird in der Ebene Baumwolle angebaut. Die Folgen dieses wasserintensiven Anbaus wurden vom Umweltinstitut München sehr gut beschrieben.
Sollte es nicht vielmehr darum gehen, den Menschen (und nicht nur dort) einen Erwerb zu gewährleisten, der nachhaltig und sinnvoll das Leben heute und in der Zukunft auf sichere Beine stellt? Wirtschaft und Umweltschutz dürfen sich nicht gegenseitig ausschließen. Projekte, die nur wirtschaftlichen Interessen dienen, ohne zentrale ökologische Fragen zu beantworten, sind weder zeitgemäß noch nachhaltig.
Zurzeit liegen dem Europäischen Gerichtshof bezüglich des Achelóos-Projektes 14 Fragen des WWF Hellas vor. Neueste Infos zum Thema liefert das Umwelt-Forum. Es bleibt abzuwarten, ob sich letztendlich nur eine Seite durchsetzt oder man doch Alternativen findet, die beide Seiten zufriedenstellen.

Bei diesen Gedanken ist die Zeit wie im Fluge vergangen, und wir kommen immer weiter von unserer eigentlich anvisierten Route ab. Also drehen wir wieder um, und fahren über den Damm zurück zur Haupttrasse. Nach Norden verlassen wir nun diese friedliche Gegend, und erreichen bald den südöstlichsten Zipfel der weiten Meeresausbuchtung des Ambrakischen Golfes, den Ort Amfilochía. Wir halten an der Uferstraße und schauen uns ein wenig um.


Nicht viele Menschen sind zu dieser Stunde unterwegs, auch keine Touristen. Ein Junge steht auf dem Seitenstreifen, neben der Hauptstraße, und schaut versonnen auf die Wellenbewegungen. Fischerboote dümpeln vor sich hin. Auf der anderen Straßenseite ein paar Geschäfte, diesseitig ein Kiosk, aber kaum Betrieb.
Auf Anhieb sehen wir nichts, was uns jetzt hier festhalten würde, und so fahren wir weiter, entlang der Südküste des zum Ionischen Meer hin sich nur schmal öffnenden Golfes. Das Gewässer, das uns nun rechterhand begleitet, manchmal wegtaucht, während wir in einer Hügellandschaft dahin rollen, dann wieder mit seiner schönen blauen Farbe in Sichtweite kommt, ist Heimat vieler Fische und zieht damit wiederum verschiedene Vogelarten, Wasserbüffel und andere Tierarten an, die sich insbesondere in der am nördlichen Ufer gelegenen weiten Marschlandschaft, den Rodia Wetlands, heimisch fühlen. Die beiden Flüsse Loúros und Arachtos münden in den Golf und formen durch ihren Wasserzustrom diese natürliche Umgebung.


Gut 30 Kilometer sind wir am südlichen Ufer entlang gefahren, als wir zum Prévesa-Aktio-Tunnel einbiegen, dort, wo der Golf das Ionische Meer erreicht. Auf einer Strecke von etwa einem Kilometer unterquert die moderne Unterführung seit 2002 die Gewässer. Früher war man, wie auch am Golf von Korinth, ausschließlich auf den Fährverkehr angewiesen – für Touristen eine romantische Unternehmung, für Schnellreisende, Pendler und LKW-Fahrer eher weniger attraktiv. Kaum sind wir in den Tunnel hinein gefahren, geht es nach einer Minute auf der anderen Seite auch schon wieder hinaus. Die Maut für die Benutzung kostet 3 Euro (Stand 2013).




Noch auf Höhe des Golfes, auf der Prévesa-Halbinsel, passieren wir Nikópolis, schon im 1. Jh. v. Chr. gegründet und ab dem 3. Jahrhundert n. Chr. Hauptstadt des Epirus mit über 300.000 Einwohnern. Die Ausgrabungen besichtigen wir nicht, werden jedoch am nächsten Tag, an einer anderen Stelle, wieder auf den Namen der antiken Großstadt aufmerksam.
Nicht mehr lange dauert es, als wir von weitem eines der bedeutendsten geschichtlichen Symbole Griechenlands im Freiheitskampf der Menschen dieser Region erkennen: Das Wahrzeichen von Sálongo, in exponierter Lage, auf einer Bergspitze.


Mit Ereignissen auf Kreta gemessen, erinnert es durch seine Geschichte an das Kloster von Arkádi, in dem sich Mönche und Einwohner der Umgebung während der Kämpfe von 1866 gegen eine osmanische Übermacht selbst in die Luft sprengten. Freiheit oder Tod – keine andere Alternative war mehr möglich. Und genauso stiegen auch Frauen aus der epirotische Region Soúli, die im Zuge der Niederlage der Aufständischen im Souliotischen Krieg von 1803 von Truppen des Ali Pascha aus Ioánnina aussichtslos bedrängt waren, in höchster Not auf einen Fels und stürzten sich mit ihren Kindern hinab. Dem Ereignis wird jährlich vielfältig gedacht, auch in Form von (Schul-)Aufführungen des „Tanzes von Sálongo“ (Χορός του Ζάλογγου).
Kurz hinter dem Örtchen Kanáli sind wir in Richtung Archángelos, in eine schmale Landstraße eingebogen, folgen dem Wahrzeichen bergauf durch einen dichten Kiefernwald.




Etwa auf mittlerer Höhe zweigt ein Weg durch die Baumreihen ab zu den Überresten der Siedlung von Kassópi (Schild: Ancient Cassope) aus dem vierten vorchristlichen Jahrhundert.
Schließlich erreichen wir einen kleinen Parkplatz, von dem aus ein Weg bergan führt, hinauf zum 1961 fertig gestellten Denkmal. Etwa 400 Stufen sind es, steil, in verschiedenen Abständen, anstrengend zu gehen, was bei knapp 40 Grad im Schatten zu einer schweißtreibenden Angelegenheit wird.




Doch unser Ehrgeiz ist gepackt. Stufe um Stufe ächzen wir hinauf, passieren an einer Stelle rechterhand ein kleines offenes Gebäude auf einem Felsvorsprung, der ummauert ist. Da wir gedanklich mit unserem Ziel beschäftigt sind, verschwenden wir keinen weiteren Blick darauf, steigen immer weiter bergan, bis die letzten Stufen erklommen sind und sich auf dem Gipfel des Hügels eine Freifläche öffnet, an deren Seite sich das überdimensionierte, steinerne Denkmal erhebt. Die stilisierten Gesichter sind hinaus auf die umgebende Bergwelt gerichtet.






Still ist es hier, keine andere Menschenseele, außer uns beiden, hat den Aufstieg zur heißesten Zeit gewagt. Wir pflanzen uns in den Schatten des Wahrzeichens, erleben die Atmosphäre, spüren ein wenig der Geschichte nach. Wie verzweifelt müssen die Frauen vor 200 Jahren gewesen sein, als sie eher den Tod als die Unterwerfung gegen ihre Unterdrücker wählten!
In Wirklichkeit ist es so, aber das erfahren wir erst, als wir wieder unten sind, dass der Ort des Geschehens gar nicht hier auf dem Gipfel liegt, sondern tatsächlich dort, wo wir eben achtlos das wesentlich weiter unterhalb gelegene, kleine Häuschen passiert haben. Die Spitze dieses Hügels eignet sich allerdings für ein Denkmal ausgezeichnet, da man es tatsächlich schon von weitem sehen kann.
Nach etwa einer Stunde nehmen wir die zahllosen Stufen wieder bergab. Am Fuße dieses Hügels steht das geöffnete Kloster des Aghios Dhimítrios, das seit Ende des Zweiten Weltkriegs, nach seiner Wiederherstellung, von Nonnen bewirtschaftet wird. Als wir den Hof betreten, suchen wir uns gleich ein schattiges Plätzchen, um uns nach der Hitzeschlacht wieder zu akklimatisieren.


Auch einige andere Besucher sind da. Freundliche Bewohnerinnen des Klosters beantworten gerne alle Fragen. Die Klosterkirche mit der imposant bemalten Kuppel wurde 1700 erbaut, das (frühere Mönchs-)Kloster selbst datiert aus dem 5. Jahrhundert, erlitt jedoch durch das Bombardement der Deutschen während des Zweiten Weltkrieges beträchtlichen Schaden, da man Partisanen in seinen Mauern vermutete.




Dort, wo der rote Pfeil hindeutet, erkennt man das kleine Gebäude, das die historische Stelle markiert,
an der sich die Frauen von Soúli in den Tod stürzten.

Während ein paar Kinder durch den Hof toben, gesellt sich eine Nonne mit einer Riesenschüssel mit Süßigkeiten unter dem Arm lächelnd zu den Besuchern und bietet uns die Köstlichkeiten an. Später öffnet sie den Klosterladen, in dem man sakrale Kleinigkeiten erstehen kann.
Als wir das Gelände am späten Nachmittag verlassen und wieder zum Auto schlendern, begegnet uns eine weitere Einwohnerin der Umgebung.


Durch den duftenden Kiefernwald fahren wir bei geöffnetem Fenster langsam wieder bergab, zur Kreuzung von Archángelos, und biegen nun nach links ab, in Richtung der nahe gelegenen Stadt Arta.
Schon zweihundert Kilometer sind wir gefahren, und das muss für heute reichen. Hauptanziehungspunkt der Stadt ist natürlich die berühmte Steinbogenbrücke, die wir uns aber erst am morgigen Tag anschauen möchten. Eventuell gibt es ein Hotel in der Nähe? – Nein, bedeutet man uns, wir sollen besser im Stadtzentrum suchen.
Nach vielen Kurvereien durch die engen Gassen und steten Nachfragen bei Passanten gelangen wir im dicht bebauten Stadtkern zum Hotel Crónus, an der Platía Kilkís. Zimmer (45 Euro die Nacht) sind noch zu haben, nur Parkplätze gibt es draußen absolut keine. Nachdem wir versichert haben, dass wir das Auto heute nicht mehr brauchen, lenkt man uns in eine Passage neben dem Hoteleingang, wo wir eine Weile warten, bis uns ein Mann in einen Lastenaufzug winkt. Dieser bringt uns in eine noch im Bau befindliche Tiefgarage. Doch einige Parkplätze sind schon benutzbar.
Nach den Aktivitäten des Tages freuen wir uns auf den Besuch einer Taverne, die nur wenige Meter neben der Platía Kílkis liegt. Klein und gemütlich sieht das Lokal aus. Auch draußen stehen ein paar Tische. Wir nehmen direkt neben dem Eingang Platz. Die Cafés in der Nähe sind zur fortgeschrittenen Abendstunde schon verwaist. Nur ein paar Kinder spielen noch unter den Bäumen. Gegenüber befindet sich ein Taxenplatz, an dem es kaum Bewegung gibt. Ab und an kommen Passanten die Straße herunter, biegen ab, wohl nach Hause. Die Tagesgeschäfte sind erledigt.
Uns ist nach ein wenig Musik, die wir über den Handyplayer hören: Thalassinós! Nicht lange dauert es, als uns einer der beiden netten Wirte, der draußen die köstlichen Speisen aufträgt, anspricht. Aufhänger ist die Musik (später wird er in der Taverne Bob Dylan auflegen).
Irgendwann lassen wir uns natürlich auf das allerwichtigste Thema ein, das uns während unseres gesamten Urlaubs begleiten wird: die Krise! Und so, wie wir während der nächsten drei Wochen zwar unterschiedliche Statements, meist aber in dieselbe Richtung weisend, hören werden, werden wir auch hier mit dem Frust über die vergangenen und gegenwärtigen Missstände im Land konfrontiert, nicht jammernd, sondern anklagend. „Wir selbst sind Schuld an der Krise, wir haben zu lange ohne Weitblick gelebt...“
Wir erhalten Einblick in die fehlenden beruflichen Perspektiven der Jugend, die sich unter anderem auch darin äußert, dass sie wieder nach Hause, aufs Land, zieht und die Gärten bestellen soll. Wie toll muss es sein, fragen wir uns ironisch, wenn man mit einem abgeschlossenen Studium in die Pampa zurückkehrt, wo man sein erworbenes Wissen wieder verliert, wenn es auf Dauer nicht abgefragt wird? Das kann es doch nicht sein. Unser Wirt hat noch eine gehörige Portion Humor zur Misere. „Mein Vater ist 91 Jahre alt. Ich habe ihm schon gesagt: ‚Damit du solange lebst, müssen andere früher sterben.’"
Es ist schon merkwürdig, mit einer Urlaubsstimmung aus unserer deutschen Wirklichkeit durch ein Land zu fahren, das wirtschaftlich am Boden liegt und dessen Bewohner sehr in Sorge sind, wie es überhaupt weitergehen soll. Das Thema „Krise“ können wir nicht ausblenden, auch wenn es zwischendurch nicht immer angenehm ist. Im Gegenteil: Das ganze Land scheint davon durchdrungen zu sein. Aus Deutschland kommend, aus jenem Land, das maßgeblich an der Entscheidung über Sanktionen und „Hilfspakete" aus dem „Rettungsschirm" beteiligt ist, erinnern wir spontan jeden griechischen Gesprächsteilnehmer automatisch an die „Krise“, und so werden wir mannigfache Beispiele über Misswirtschaft, Korruption und das Versagen von Politikern im eigenen Land zu hören bekommen.
Gegen 23 Uhr haben sich Platía und Taverne komplett geleert. Auch wir kehren ins Hotel zurück. Wir sind schon gespannt auf das, was uns morgen erwartet.

Arta - Sirós-See - Agios Geórgios - Ioánnina