Ankunft im Hüttendorf


Wenn man seinen Urlaub nur immer in der Hauptsaison nehmen kann, überlegt man sich gut, wo man diesen verbringen will, denn teurer als in den milderen Übergangszeiten ist es überall; auch die Preise für Flüge schießen zwischenzeitlich ins Kraut. Hinzu kommt, dass die Anzahl der Touristen in südeuropäischen Ländern wie Griechenland, Italien oder Spanien durch die unsichere Situation und Kriege in einigen Nachbarländern, die früher selbst klassische Urlaubsziele waren, stark zugenommen und die Anzahl der im Hochsommer Reisenden noch weiter erhöht hat. Auch in den vergangenen Jahren haben wir uns immer wieder tapfer durch bombenvolle Urlaubsorte gekämpft. Nicht dass wir Wert darauf legen würden, doch wenn man gerne am Meer ist, bleibt oft nichts anderes übrig, als sich einfach damit abzufinden.
Für dieses Jahr haben wir uns als Reiseziel Kreta ausgesucht. Kreta im Hochsommer? Allein die Temperaturen, die während der Hitzeperioden nicht selten über 40 Grad betragen, können uns nicht abschrecken. Heiß ist es in Südeuropa schließlich überall, auf Kreta aufgrund der Nähe zu Afrika nur noch ein wenig mehr. Ein Riesenvorteil für uns ist auch, dass Iráklio, im Gegensatz zu anderen Zielen, von Saarbrücken aus Nonstop zu erreichen ist.
Nach der Landung und Anmietung eines Autos soll es zunächst in westliche Richtung gehen. Wir haben nicht vorbestellt und kümmern uns auch erst außerhalb der Ankunftshalle um einen Wagen. Nach zwanzig sehr heißen Minuten, die wir in einem aufgeheizten Büro-Container vor dem Terminal verbracht haben, düsen wir schließlich in einem quietschgelben Kleinwagen auf die Ost-West-Trasse, die New Road. Wir möchten es noch vor Sonnenuntergang schaffen, uns irgendwo einzuquartieren. Das Mantra, das ich mir seit Wochen immer wieder vorbete, ist, am Ankunftstag abends irgendwo direkt am Meer zu Abend zu essen, würzige Seeluft zu atmen, um später noch ein wenig über den Strand zu gehen.
Ich dachte, dass Georgioúpolis ein solcher Ort sein könnte, nicht nur wegen des langen Sandstrandes, sondern auch, weil man von hier idealerweise viele andere sehenswerte Orte besuchen kann: Réthymno oder Chaniá, das kühle Vrýses, Argiroúpolis, die Askifou-Ebene oder die Dörfer des Inselsüdens, auch der türkisfarbene Kournás-See ist nur wenige Kilometer entfernt fußläufig erreichbar.
Schon ein paar Mal habe ich hier genächtigt. Einmal 1999, als Bayern-München den Champions-League-Sieg in der Nachspielzeit vergeigte. Diesen Fußballabend, den ich auf der Platía erlebte, in einem der vollbesetzten Cafés, in denen die Fußballfans in Zehnerreihen vor den großen Bildschirmen saßen, werde ich immer mit Georgioúpolis in Verbindung bringen. Schon damals war der Ort touristisch geprägt. Ich meine mich zu erinnern, dass in den Außenbezirken rege Bautätigkeit herrschte und eine weitere Vielzahl von Unterkünften errichtet wurde. Wir selbst waren in der Nähe des zentralen Platzes untergekommen, bei einer Vermieterin, die geschäftstüchtig jeden Touristen anplärrte, der dort entlangkam, um ihre Zimmer anzupreisen. Damals gefielen mir die schönen Ecken des Ortes, wie der kleine Hafen, die Eukalyptusallee und natürlich der Strand.
Fünf Jahre später hatte ich ebenfalls zwei Übernachtung im Ort, auf eine Empfehlung hin bei einer total lieben Familie. Ich war damals alleine unterwegs und freute mich über den angebotenen dezenten Familienanschluss.
Auch in diesem Jahr wollen wir nicht lange dort bleiben, nur mal ankommen, vielleicht zwei oder drei Tage zum Akklimatisieren. Doch ganz schnell weichen wir von diesem Plan ab, als wir uns am frühen Abend auf einem Rummelplatz wiederfinden, vollgestopft mit Menschen, die zu dieser Uhrzeit aus allen Richtungen in die Tavernen strömen. Was ist hier los? Kirmes? Die Hauptstraße, von der New Road kommend, führt ja bergab über die Platía zum Meer. Auf einen Schlag ist unser Auto von einer fast undurchdringlichen Menschenmasse umgeben, die uns das Weiterfahren sehr erschwert. Als wir im Schritttempo den umgestalteten Dorfplatz erreichen, stellen wir mit großem Erstaunen fest, dass der Platz nun einen gigantischen Springbrunnen beherbergt. Wer lässt sich sowas bloß einfallen? Geschmäcker sind ja sehr unterschiedlich, doch bei allem Wohlwollen, das ist nicht das, was mir auf Kreta gefällt. Oder hat man die Dörfer jetzt überall derart verändert, und der Wandel ist komplett an mir vorbei gegangen?
Schließlich erreichen wir die Uferstraße, biegen nach rechts ab, erst mal an den Rand des Ortes, wo man wieder schnaufen kann. Der langgezogene Strand besteht aus feinem Sand, wunderschön, und von einer geteerten Uferstraße begrenzt. An einem Restaurant, dessen Düfte mich an den Kohldampf erinnern, den ich mittlerweile schiebe, halten wir an, fragen nach einem Zimmer. Mittlerweile wären wir mit einer Übernachtung zufrieden, mehr brauchen wir hier nicht. Alles besetzt, bekommen wir zur Antwort. Gut so, denke ich, dann fahren wir halt direkt wieder ab.
Und so fackeln wir nicht lange herum, düsen bei Sonnenuntergang weiter in Richtung Westen, durchqueren eine der noch verbliebenen Schönheiten des ehemals so gemütlichen Fischerortes, die Postkarten-Eukalyptusallee, die uns allerdings nicht zurück zur Schnellstraße, sondern in landwirtschaftliches Gebiet hineinführt. Um den Wechsel vom 18. zum 19. Jahrhundert wurden in dieser einst sumpfigen, malariaverseuchten Region Eukalyptusbäume gepflanzt, um dem Boden die Feuchtigkeit und den Mücken damit ihre Brutgrundlage zu entziehen. Die Allee könnte noch ein Überbleibsel aus jener Zeit sein.
Die Dämmerung ist schon fortgeschritten, als wir über die asphaltierten Feldwege irren. Plötzlich ein kleines Lebewesen, direkt vor uns im Scheinwerferlicht. Wir bremsen ab, denken, dass da ein Igel über den Weg holpert; beim näheren Hinsehen handelt es sich aber um eine schwanzlose Ratte, die unbeeindruckt daher schlurft.
Irgendwann schaffen wir es doch noch auf die Schnellstraße und gelangen in der Dunkelheit zur Soúda-Bucht. Ich mache mir keine Illusionen darüber, dass wir jetzt schnell ein Zimmer finden werden. Überall scheint viel los zu sein.
Wir werden es in Kalýves („Hütten“) versuchen, einem Ort, den wir überhaupt nicht kennen. Von der langgezogenen Dorfstraße, Teil der Old Road biegen wir irgendwann ab, überqueren einen großen Parkplatz und gelangen zu einem Strandabschnitt mit einigen Tavernen und Unterkünften, der an einem kleinen Hafen endet. Auch hier ist ordentlich Betrieb, aber alles mehrere Nummern kleiner und nicht so erschlagend, wie wir es in Georgioúpolis erlebt haben. Auch erwarten uns keine betonierten Springbrunnen oder sonstigen Merkwürdigkeiten, zumindest nicht auf den ersten Blick. Nur die schmale Strandstraße ist verstopft mit Fußgängern.
Schließlich halten wir vor einer der Tavernen mit einem Schild zur Zimmervermietung. Zwei Studios sind noch frei, der Preis für den sehr gut ausgestatteten, riesigen Raum im Erdgeschoss ist OK, und so schlagen wir ein. Weiter denken wir auch nicht, sind einfach nur froh, unseren Kram ins Zimmer bugsieren zu können.
Am Abend erfüllt sich mein Traum, in einer gemütlichen Taverne am Strand zu sitzen und bei kretischem Essen den anbrandenden Wellen zu lauschen. Wir stoßen an und wünschen uns einen schönen Urlaub in dem glücklichen Gefühl, angekommen zu sein.



War lecker!

Golgothá - See von Agiá -
Zoúrva - Thérisso