Ausflug nach Elafoníssi


Über Sklavopoúla nach Elafoníssi
So wie wir bei unserem Ausflug am Tag zuvor zurückgekehrt sind, fahren wir zunächst über Voutás nach Sklavopoúla in umgekehrter Richtung wieder in das Bergland hinauf. Duftflashes haben uns unterwegs längst schon wieder in ihren Bann gezogen. Hin und wieder halten wir an, stoßen kurz zurück bis zu der Stelle, wo es betörend roch. Zum Kräuterpflücken werden wir jedoch nicht kommen, denn wir haben ein Ziel vor Augen: Laut unserer recht alten Anavasi-Karte führt eine „malerische Straße“ hinab ins Badeparadies, nach Elafoníssi.
Hinter der letzten scharfen Spitzkehre der Häuseransammlung Maniatianà (Sklavopoúla) geht der Asphalt in Schotter über.


Ein Bewohner, der dort gerade steht, erklärt uns, nach Elafoníssi seien über diese Strecke etwa acht Kilometer nicht asphaltierten Weges zurückzulegen. Alex meint, er würde das schaffen, wo kämen wir denn hin. Diesen Entschluss sollte er später auf der knapp dreizehn Kilometer langen Holperstrecke mehrfach bereuen.
Möglichst im Schritttempo überfährt oder umkurvt man unzählige Steine in allen Größen und Formen, die spitz aus dem Weg ragen, um den Unterboden des Mietwagens zu schützen. Würde man noch langsamer fahren, könnte man glatt den Rückwärtsgang einlegen. Ein Jeep meistert diese Strecke mit Bravour, aber nicht ein Kleinwagen.






Während man bis Voutás und Sklavopoúla durch Olivenhaine und an üppigen Kräuterhügeln vorbeifährt, hat die Vegetation auf dieser Holperpiste plötzlich aufgehört. Natürlich reden wir uns ein, dass diese „Panoramastraße“ etwas Besonderes darstellt und wir die Gnade haben, diese jetzt befahren zu dürfen. Während ich versuche, aus der kahlen, baumlosen Landschaft, den komplett vertrockneten und zugestaubten, niedrigen Büschen und der Rumpelstrecke irgendetwas „Malerisches“ herauszulesen, hat Alex kurzerhand den Begriff „Kokolores-Panorama“ geprägt.


Nur am Anfang haben uns zwei Autos überholt, danach sind wir keiner Menschenseele mehr begegnet. Bienenstöcke sehen wir unterwegs, ansonsten fühlen wir uns wie auf einem Exoplaneten.




Als wir uns im Schneckentempo immer weiter bergab quälen, wird es zunehmend heißer. Bei heruntergelassenen Scheiben und Windstille gibt unser Fahrstil auch keinen Fahrtwind her.
Anyway, die Piste führt in steten Kurven beharrlich talwärts. Weit kann es jetzt nicht mehr sein, denken wir nach jeder Kehre. So schwitzen und ächzen wir langsam bergab, bekreuzigen uns innerlich immer wieder und beten zu allen griechischen Schutzheiligen, dass die Reifen halten und wir uns nicht versehentlich den Unterboden aufschlitzen. Kaum auszumalen, würden wir hier in der Pampa liegen bleiben und dann zig Kilometer in sengender Hitze zu Fuß laufen müssen, um Hilfe zu organisieren.


Unsere Gebete werden erhört. Als wir fast am Ende des Serpentinenweges angelangt sind, erblicken wir ein trockenes Flussbett mit ein paar grünen Pflänzchen und auf einem Hügel einen einzigen Baum.


Ein Auto mit einem jungen italienischen Paar kommt uns entgegen. Alex hält sie an und gibt eine Warnung ab. Beide lächeln, bedanken sich artig und fahren weiter, die Holperpiste bergan, ohne Jeep. Nun ja, junge Leute halt.
Bevor wir wieder auf Meereshöhe ankommen, können wir die Insel Elafoníssi mit der sandigen Verbindung zum Festland schon erkennen. Die Vorfreude auf ein ausgiebiges Bad im Meer wächst mit jedem Meter.


Endlich streben wir nun mit normaler Fahrgeschwindigkeit unserem Ziel zu, dem angeblich schönsten Strand auf Kreta, nachdem wir auf den zweitschönsten – Bálos auf Gramvoússa – nach einer qualitativ vergleichbaren, nur wesentlich kürzeren Holpertour kurz vor dem Ziel verzichtet haben.


Am Strand von Elafoníssi
Was für ein Gefühl, als wir ebenerdig die Treibhaus-Landschaft in der Ebene hinter uns gelassen haben und nun geradeaus in Richtung Strand brettern.




Auf dem Parkplatz finden wir sogar noch ein halbwegs schattiges Plätzchen. Flugs verlassen wir die Karosse und streben dem Strand zu, dem schönsten, eigenartigsten, wunderbarsten Strand Kretas. Genauso empfinden auch tausende andere Badewillige, die allerdings über einen anderen Zufahrtsweg, eine asphaltierte, breite Straße, hierhergekommen sind.






An verschiedenen Strandabschnitten hat man Liegen unter Bambusdächern aufgestellt, doch die weitaus meisten Besucher liegen im feinen Sand herum. Kaum zu glauben, dass der Eindruck, den der Strand in seiner Vielfalt auf uns ausstrahlt, die Besuchermassen vollkommen in den Schatten stellt. Obwohl wir keine Strandmäuse sind, üben der helle, fast rosa Sand, das türkisfarben schimmernde Wasser und die träge Lust der Besucher aus aller Welt einen unwiderstehlichen Reiz auf uns aus.
Wir durchwaten einen seichten, knöchelhohen, weiten Tümpel bis wir an einem dieser unglaublich schönen Strände angekommen sind. Eine breite Sandbank, nur wenige Zentimeter hoch von Wasser bedeckt, trennt jetzt im Sommer das Festland von der Insel Elafoníssi.
Der Besuch kostet tatsächlich keinen Eintritt (Stand 2017), doch die Kantinas und Cafés machen einen veritablen Umsatz, wie man an den Menschschlangen davor ablesen kann.
Das Feeling hier ist richtig gut, einfach und vielfältig. Kein Sehen-und-gesehen-Werden, sondern Genuss pur. Die Szene ist bunt gemischt: ein paar Freaks, Familien, Paare, Sonnenanbeter, Kitesurfer, Strandtennisspieler, jeder wie er es mag. Andere liegen faul und genussvoll mit geschlossenen Augen einfach im seichten Wasser herum, um die tiefe Bräune der Haut zu vervollkommnen.
Viele Badewillige kommen sogar aus dem Norden Kretas extra hierher. Tausende Strandbesucher (nicht übertrieben) haben bereits alle Schirme und Liegen belegt. Selbst die Freiflächen sind ziemlich dicht. Wenn man sich als Individuum in diesem Treiben nicht so wichtig nimmt, sondern sich als Teil der touristischen Masse versteht, deren individuelles Ziel jeweils dasselbe ist, nämlich an diesem paradiesisch schönen Ort zu baden, empfängt man schiere Freude.

Der Strand auf der einen Seite der sandigen Verbindung zwischen Festland und Insel führt in etwas tieferes Gewässer, und in dieses stürzen wir uns völlig überhitzt und verschwitzt, hinein. Ein Paradies auf Erden! Wasser leuchtend wie von der Sonne beschienene blaugrüne Edelsteine, und der Sand aus feinen, champagnerhellen oder blassrosafarbenen Körnchen. Hier haben die Götter ihren Kindern die erste Berührung mit dem Element Wasser beigebracht. Mit irdischen Begriffen ist diese Schönheit kaum zu umschreiben, man müsste neue Attribute erfinden, so etwas wie ein rosasandiger, meerestürkisfarbener Traum, von einem überirdischen Zauber belegt, der die unwiderstehliche Sehnsucht auslöst, mit den flirrenden Lichtern der sonnendurchfluteten Wellenkämme zu verschmelzen.
Die anwesende Touristenmasse tritt ob dieser Einzigartigkeit in den Hintergrund.
Wir schwimmen etwas hinaus, lassen uns von dieser lichten Schönheit und Leichtigkeit einhüllen, spüren plötzlich Steine unter den Füßen, wie ein Riff knapp unter der Wasseroberfläche. Und so steigen wir aus dem Wasser empor und stehen plötzlich darüber. Nicht wenige amüsieren sich oder staunen über diesen Effekt.
Eine geschlagene Stunde verbringen wir im Wasser, schwimmen, paddeln, tauchen unter, treten Wasser, lassen uns auf dem Rücken mit ausgebreiteten Armen treiben, mit geschlossenen Augen, selbstvergessen, alle Sorgen weit weg.
An einem anderen Strandabschnitt reicht das Wasser über eine weite Strecke nur bis zur Wade. Hier nehmen wir zu einem weiteren ausgiebigen Bad Platz und schauen den Kite-Surfern gemütlich bei ihren Übungen und gewagten Sprüngen zu. Irre, welche Geschwindigkeit sie aufnehmen. Allerdings befindet sich ihre Hin- und Her-Strecke weiter weg, damit niemand der Badenden überfahren wird.
Dem göttlichen Nass entstiegen lassen wir uns noch etwas in der Sonne trocknen. Der Reiz, einfach auf dem schattenlosen Strand liegenzubleiben, ist sehr verlockend; doch schon meldet sich das schlechte Gewissen in Richtung Sonnenbrand. Bloß nicht übertreiben, denn die Sonne knallt erbarmungslos, was man in dem lauen Lüftchen nicht so merkt. Sigá, sigá werden wir daher den Besuch beenden. Einmal kommen wir wieder hierher, zu einer anderen Jahreszeit, und dann spazieren wir hinüber zur Insel.

Umkleidehäuschen und Süßwasserduschen werden von denen, die sich auf die Abfahrt vorbereiten, fleißig benutzt. Von irgendwoher erklingt handgemachte Musik. Dort zieht es uns hin. Wir setzen uns unter einen Baum und lauschen einer griechischen Paréa, die sich mit Kind und Kegel, Schmuckverkaufsständen und mehreren Instrumenten (Gitarren, Tsourás und Bouzoúkia) dort eingerichtet hat und alte Rémbetiko-Lieder singt.
Eines der Kinder fragt, wann sie denn zum Schwimmen gehen. Antwort: „Jedes Mal, wenn du fragst, dauert es zehn Minuten länger.“ Danach wird nicht mehr gefragt.
Mehrere Riesenexemplare von Strandtamarisken in diesem Bereich sind eingezäunt. Früher, so hören wir, sei hier wirklich alles erlaubt gewesen, doch die Besuchermassen müssen irgendwie in Bahnen gelenkt werden.


Beispielsweise ist es verboten, den rosa Sand mitzunehmen. Wahrscheinlich wurde der früher in Säcken weggeschleppt, denn so viel Rosa erkennen wir gar nicht mehr. Übrigens handelt es sich dabei um zerschmetterte Schneckenhäuschen dieser Farbe. Wer beim Sandklauen erwischt wird, kann dafür sogar rechtlich belangt werden. Billig wird das sicherlich nicht.
Eine Freundin, die vor Ort wohnt, charakterisiert ihr Verhältnis zu Elafonissi folgendermaßen: Früher konnte man sich dort frei bewegen, und der Besucherandrang hielt sich in Grenzen. Dieser Strand war ein Traum. Irgendwann fing man an, die Bäume einzuzäunen und Wege mit Holzplatten auszulegen, damit die vielen Touristen den Sand in Ruhe lassen. Lange war ich nicht mehr da, dann mal in einem September. Tausende von Touristen tummelten sich an den Stränden. NIE WIEDER wollte ich danach mehr nach Elafoníssi. Jahre später besuchte ich den Strand einmal im März. IMMER WIEDER wollte ich danach wieder nach Elafoníssi.
Was wir mitnehmen, sind die Erinnerungen an das wunderschöne Flair, an das Schwimmen im Licht, an die Farben und die Musik.
Vielleicht geht es den anderen abertausenden von Strandbesuchern ebenso, die sich dazu entschlossen haben, einen Tag in Elafoníssi zu verbringen. Vom ersten Augenblick an übt der Ort eine Faszination aus, der man sich nicht entziehen kann. Es mag ja sein, dass es auf der Erde noch schönere Strände gibt, doch die müsste man erst mal benennen. Und so nimmt man lange Anreisen in Kauf, um in einen mehrstündigen, wenn es sein muss sogar schattenlosen Genuss des Erlebnisses zu gelangen, in das göttliche Gewässer einzutauchen und zu spüren, wie leicht das Leben sein kann, wenn auch nur für diesen Moment. Auch wir sind geläutert dem Meere entstiegen, getauft mit geweihtem Wasser.


Rückfahrt und Besuch des Klosters Chrissoskalítissa
Auf dem Rückweg wählen wir die sehr gut asphaltierte Strecke über Chrissoskalítissa, Kefáli, Elos und Strovlés. Die unzähligen Kurven sind nichts gegenüber denen auf unserem Hinweg. Im Gegensatz zu der rosa-türkisenen Traumwelt haben sich die Bergspitzen der Umgebung arg verdunkelt. Es wird doch nicht etwa Regen geben?




Wenn wir schnell fahren, können wir in einer dreiviertel Stunde in Paleochóra sein. Doch wir haben ja Zeit und genießen die Fahrt an sich, langsam, an exponierten Stellen mit kleinen Pausen, manchmal ein Foto wert. Immer mehr Wolken ziehen über den Bergen auf. Dort ist es sicherlich nicht so heiß wie hier.

Nur wenige Kilometer von Elafoníssi entfernt liegt ein noch bewirtschaftetes Kloster mit langer Tradition. Auf einem Felsen errichtet wirkt es schon von weitem wie eine Festung.




Wir stellen das Auto auf einem Parkplatz vor dem Eingang ab und betreten das Klostergelände, passieren ein kleines dazugehöriges Museum und steigen schließlich ein paar Stufen empor zur Kirche.
Der Name Chrissoskalítissa bedeutet im Grunde Panaghía der goldenen Stufe. Somit ist das Kloster der Panaghía gewidmet (Orthodoxer Feiertag am 15. August), ausgehend vom Fund einer Ikone der entschlafenen Gottesmutter in einer Felsnische der Umgebung. Eine Andeutung befindet sich auf dem Weg hinauf zum Kirchengelände.


Die Legende besagt, wer ohne Sünde ist, erblicke die goldene Stufe einer Treppe, die zum Kloster hinaufführt. Tatsächlich, so heißt es, bestand die letzte der 98 Stufen, die das Kloster bei seiner Errichtung hatte, aus purem Gold, die unter der osmanischen Besatzung abgebaut und verkauft wurde.


Die Kirche ist außen und innen in schlichten Farben gehalten, Beige- und Brauntöne mit vergoldeten Accessoires. Bis zum 15. August, wenn das Namensfest hier gefeiert wird, ist es nicht mehr lange. Etwas Blumenschmuck ist dafür schon angebracht worden. Leider können wir uns nicht lange hier aufhalten, denn die Hitze im Kircheninnenraum steht förmlich.


In anderen Gebäudeteilen sind kleine Museen untergebracht, wo Ikonen und liturgische Gegenstände ausgestellt sind. Am besten gefällt mir das Folkloremuseum. Die Einrichtung der winzigen Räume ist der früheren Lebensweise hier nachempfunden. Man könnte fast glauben, die Bewohner seien nur kurz mal außer Haus, so lebendig ist die Gestaltung.


Im hintersten, kleinsten Räumchen gab es auch eine Geheimschule, in der die Mönche, wie in anderen Klöstern Griechenlands, griechische Kinder während der Osmanischen Besatzung unterrichteten, damit die griechische Kultur nicht verloren ginge.


Während unserer Besichtigung haben sich die Wolken über den nahe gelegenen Bergen immer mehr verdunkelt. Weiter rückt die Regenfront jedoch nicht vor.


Von der schwülen Hitze erschöpft, setzen wir uns auf dem Parkplatz noch ein wenig auf ein Mäuerchen unter einer großen, schattenspendenden Kiefer. Besucher kommen und gehen. Zwei dicke Pfirsiche tun uns jetzt gut, die wir von einem Pickup-Verkäufer erstehen.
Danach verlassen wir das Klostergelände und fahren durch das Kastanien- und Olivenland wieder zurück, das wir von unserer Anreise nach Paleochóra her schon kennen.
Die vorherrschende Landschaftsfarbe ist Grün. Eine Mischung aus Oliv-, Lind-, Flaschen-, Maien-, Gras-, Jade-, Smaragd- und Silbergrün. Alle Schattierungen sind in diesem Bild enthalten, ein verschwenderischer Überfluss.

Bei Plemenianá kehren wir wieder an der alten Wassermühle „O Milos“ ein. Die idyllisch gelegene Taverne hat, was das Essen angeht, einen sehr guten Ruf. Wir verzehren jedoch nur Getränke: einen Frappé und einen gemischten Kräutertee, der bei den immer noch hohen Temperaturen gerade richtig kommt. Die Tische im Außenbereich stehen in einer Reihe in einer Straßenausbuchtung auf der gegenüberliegenden Seite des Gebäudes, neben einem schmalen Bach. Eine große Voliere mit verschiedenen Vögeln lädt zum Besuch ein; der angrenzende Kinderspielplatz wird gerade von herumplärrenden Halbwüchsigen belagert. Schade, ohne die Herumgrölerei wäre es sicherlich noch idyllischer.


Tagesausklang
In Paleochóra kommen wir bei wolkenlosem Himmel an, knallen das Auto in eine Parklücke, eilen zum Steinstrand zu unserem obligatorischen Abendbad und stürzen uns in die schon recht kühlen Fluten. Ein bisschen gestrampelt, und schon wird es wieder warm. Beschaulich ist es am Abend wieder geworden, und wunderbar, in dem glasklaren Wasser über den bunten Kieseln zu baden. Im Kopf sind wir aber immer noch in Elafoníssi. Ach, wie genießen wir unseren Urlaub!
Das Kulturprogramm bei göttlichen Sousoukákia Smirneïka (selbstgemachte Hackfleischrollen mit Koriander in Tomatensoße) bestreiten am Abend wieder die beiden Rembétes.
Später müssen wir noch den Spott unseres Vermieters über uns ergehen lassen. „Wie geht es euch“, fragt er. - „Wir sind geschafft!“ – „Wieso, habt ihr aufm Acker gearbeitet?“ – „Nein, wir waren in Elafoníssi...“ – „Doch nicht etwa von Sklavopoúla aus? Von dort geht man besser zu Fuß! Harharhar…“

Soúgia und Rückkehr nach Iráklio