Ausflug zum Comer See


Schon beim Anflug über die Alpen nach Mailand offenbarte sich sie vielfältige Landschaft in diesem Teil Norditaliens. Wer Zeit hat, und sich neben den Hotspots der Stadt Mailand auch das Umland anschauen möchte, den erwarten jede Menge Besichtigungsziele zwischen Ticino und Po.


Städte wie Bergamo mit ihrer mittelalterlichen Oberstadt, Brescia (deren Geschichte sogar bis in die vorchristliche Zeit reicht), Cremona (bekannt durch ihre Geigenbauerdynastien mit der wohl bekanntesten, der Stradivari, und einem Geigenbaumuseum, das sich dieser Kunst widmet), Mantua (Weltkulturerbe mit Restaurierung der Stadt im Stile der Renaissance) oder auch das etwas weiter entfernte Verona (mit zahlreichen Sehenswürdigkeiten im mittelalterlichen Zentrum) sind günstig per Zug erreichbar und bieten sich regelrecht für einen Tagesausflug an.
Im Norden erheben sich die Alpen mit ihren zahlreichen Seen. Am bekanntesten sind auf italienischer Seite der Gardasee und der Lago Maggiore. Letzterer glänzte bei unserem Überflug auf dem Hinweg einladend in der Sonne.
Auch andere, kleinere Seen sind von Mailand aus recht schnell erreichbar. Dazu gehört auch der Comer See, dessen Umriss mit seinen beiden südlichen schmalen Ausläufern einem griechischen Lambda gleicht. Ihn haben wir uns als Ausflugsziel ausgesucht.

Aufgrund unseres Vorhabens fällt das Frühstück im Siesta Café heute recht kurz aus. Mit der Metro geht es zum Bahnhof Cadorna im Zentrum Mailands. Menschenmassen unglaublichen Ausmaßes quetschen sich durch die Gänge und ergießen sich auf die Gleise dieser roten Metrolinie 1. Kaum ist ein Zug abgefahren, ist das Gleis schon wieder voll. In der Folge hofft man, im nächsten Metrozug einen Platz zu ergattern. Um die Menschenmassen zu befördern, fahren die Züge allerdings im Minutentakt.
Es sind nicht nur die Mailänder selbst, die im morgendlichen Berufsverkehr unterwegs sind, sondern auch Tausende, vielleicht sogar Zehntausende, die sich aus den Zügen der Umgebung in den Bahnhof ergießen und zielstrebig ihr Gleis für ihre Weiterfahrt aufsuchen. Was uns auffällt: keiner drängelt und niemand geht anderen mit egoistischem Gehabe auf den Geist. Auch gibt es keinen Run auf freie Sitzplätze. Die Transporte verlaufen vielmehr ruhig und unaufregt.

In Cadorna angekommen brauchen wir keine Zugtickets mehr zu erwerben, das haben wir schon an einem der vorherigen Tage getan. Am Kiosk oder an den Schaltern kann man die Tickets kaufen oder ziehen. Das einfache Billet kostet pro Person 4,60 € (Stand 2019). Trenord heißt die Zuglinie, deren im Halbstundentakt verkehrenden Nahverkehrszüge unseren doppelstöckigen Regionalexpressen ähneln. Die Fahrzeit zum See wird etwa eine Dreiviertelstunde dauern.
Im Kopfbahnhof von Cadorna wartet man auf einer Plattform, bis die Gleise für die jeweiligen Züge angezeigt werden. Um 9.43 Uhr soll die Abfahrt sein. Es sind fast ausschließlich Touristen an Bord, doch gibt es noch viele freie Sitzplätze. Neben uns hat sich eine japanische Paréa niedergelassen, die gut gelaunt durch den Zug lärmt.
Nach der Abfahrt aus dem Bahnhof passieren wir im milchigen Hochnebel zunächst die nördlichen Outskirts von Mailand mit teilweise ziemlich hässlichen Hochhäusern. Danach wird es langsam ländlicher. Schließlich haben wir die Stadt hinter uns gelassen. Vorbei geht es nun an schmalen Kanälen, die wir beim Anflug zu Dutzenden aus dem Flugzeug erkennen konnten. Kleine Dörfer säumen die Zugtrasse, fast menschenleere Ortschaften (kein Wunder, sind die Bewohner zu dieser Zeit doch offenbar alle in Mailand). Die Wohnhäuser sind in erster Linie funktional gebaut, ohne besonderen Schnickschnack, und auch die kleinen Betriebe und Gewerbegebiete bestehen aus einer trostlosen Aneinanderreihung von nichtssagenden Gebäuden.

Bei der Einfahrt in die Stadt Como weitet sich hinter einer Kurve plötzlich der Blick über die Ortschaft, nicht jedoch auf den See. Am kleinen Endbahnhof steigen alle aus. Kein Schild verrät, wo wir genau hinmüssen, aber eine kleine Reisegruppe schreitet recht zielstrebig in Entenmarsch voran. Wir heften uns einfach an ihre Fersen. Wo sollen sie sonst hinwollen, außer zum See? Auch im Internet habe ich keinen verbindlichen Hinweis darauf gefunden, wo genau sich die Anlegestellen für die Fähren befinden.
Schließlich, nach einer Straßenbiegung, liegt der südwestliche Ausläufer des Sees vor uns. Er ist umgeben von einer Promenade, die wiederum von zahlreichen Restaurants und Hotels gesäumt wird. Tourismus pur.
Unser eigentliches Ziel ist jedoch nicht der Ort Como. Vielmehr möchten wir von hier mit einem Schiff über den See fahren, bis nach Bellagio, dort, wo die beiden Ausläufer des Sees zusammentreffen.
Auf der rechten Seite der Bucht liegt ein kleines Passagierschiff an einem Steg, zu dem wir schnellen Schrittes hineilen. Jedoch verpassen wir es um etwa eine Minute. Einer der Hafenpolizisten klärt uns auf und zeigt mir auf dem ausgedruckten Schiffsfahrplan, an welchem Pier das nächste Schiff in Richtung Colico (am nördlichen Ufer des Sees) ablegen wird. Dort könne man auch Tickets erwerben. Es lohnt sich also auch hier, sich ein wenig vorzubereiten. Auf konkrete Fragen haben wir im Übrigen während des gesamten Aufenthaltes immer konkrete, hilfreiche und freundliche Antworten erhalten.

Jetzt haben wir genügend Zeit, um zum richtigen Pier zu gelangen. An einem kleinen Bootshafen schlendern wir vorbei, und passieren das hochherrschaftliche Palace Hotel. Schließlich biegen wir ab in eine schöne Allee, und gelangen zum Tickethäuschen mit den beiden Anlegern Nummer 4 und 5.
Das Rückfahrticket von Como nach Bellagio kostet pro Person 23,10 € (Stand 2019). Damit kann man mit einem langsamen Schiff etwa vier Stunden auf dem See herumfahren und die einzigartige Szenerie bewundern. Für die Eiligen gibt es auch Tragflächenboote, die einen ziemlichen Speed entwickeln und die Strecken in weniger als der Hälfte der Zeit bewältigen.


Langsam füllt sich der kleine Abfahrbereich am Pier 4. Im Sommer ist es sicher vor jeder Abfahrt granatenvoll. An Bord der Orione finden wir für die Hinfahrt zwei Plätze ganz vorne am Bug, wo uns der Fahrtwind allerdings recht kühl um die Nase bläst. Doch wir sind für alle Wetter gerüstet.


Das Schiff ist bei weitem nicht voll, und doch genießen noch viele andere mit uns diesen wunderschönen Ausflug auf den See, die letzten warmen Sonnenstrahlen, bevor der Verkehr den winterlichen Gegebenheiten angepasst wird. Grundsätzlich führt auch eine Straße um den See herum, und diejenigen Anwohner, die in den Dörfern bleiben, wenn der Tourismus abgeflaut ist, werden wohl mit dem Auto fahren.
Rechts hinter mir hat sich eine junge Frau in ihren IPod vertieft. Das dauert aber nur so lange, bis die Freundin zu ihr kommt. Ab dann wird unablässig geschnattert. Wir tippen auf Skandinavierinnen. Links neben uns sitzt eine temperamentvolle griechische Familie mit einem hyperaktiven, etwa achtjährigen Jungen, der uns laufend vor der Nase herumtanzt. Ansonsten kommen ständig andere Passagiere, verschwinden wegen des kalten Windes aber auch schnell wieder. Wir fühlen uns hier sehr wohl und haben volle Sicht auf die Dörfchen, Villen, Burgen und Besonderheiten, die uns im Laufe der Fahrt begegnen werden.
Beim Ablegen um 12 Uhr erkenne ich die Trasse der Standseilbahn (Funicolare Como-Brunate), die in recht steilem Winkel zum Gipfel eines Hausberges von Como führt. Die Aussicht von da oben auf die Stadt und über den See soll sensationell sein.


Bald haben wir Como verlassen. Ein Wasserflugzeug hat gerade abgehoben und fliegt nach Norden. Unterwegs sollen wir noch viele dieser kleinen Flieger sehen, die sicherlich diejenigen, die es sich leisten können, und nicht wie der Pöbel auf einem Ausflugsschiff, zu ihrem Reiseziel bringen werden. Oder es handelt sich um Flugschüler des Aeroclub Como. Auch ein paar wenige Segelboote schippern einher, doch es sind nicht viele.
Das Ufer, zumindest an diesem Teil des Sees, ist recht stark besiedelt. Das hatte ich anders erwartet. Auch in den Bergen, die den See umrahmen, schälen sich aus dem dunstigen Wolkenschleier kleine Dörfchen heraus.


Die nächsten Stationen sind Tavernola, Cernobbio und Moltrasio. In letzterem Ort legen wir eine knappe halbe Stunde nach Abfahrt an.


Die Dörfer gleichen sich von weitem, schmiegen sich vor eindrucksvoller Bergkulisse an das Ufer des dunklen Gewässers.





Die Hälfte der Strecke ist in Argegno erreicht, einem antiken Ort römischen Ursprungs, der eine besondere Vielfalt von Erlebniszielen bietet, falls man sich zu einem Aufenthalt entscheidet: dem sich hinter dem Ort anschließenden Intelvi-Tal, einer Verbindung zum Luganer See hin; eine Fahrt mit der Seilbahn hoch hinauf bis Pigra (881 Meter), von wo man einen fantastischen Blick auf den See und die Umgebung genießen kann; außerdem eine Vielzahl von sehenswerten Kleinodien wie z.B. in Kirchen. Das Tal soll gespickt damit sein, lebten hier doch in der Vergangenheit Künstlerfamilien.
Mittlerweile zeigt sich die Sonne und lässt die Hausfassaden der Dörfer leuchten, wie hier bei Sala Comacina.


Die bewaldete Isola Comacina, deren Geschichte bis in die Antike zurückreicht, hatte im Mittelalter unter dem Namen Cristopolis eine wichtige Bedeutung, um die sogar Kriege geführt wurden. Heute zieht die unbewohnte Insel Touristen an.


Auch nachdem wir an ihrem Ufer zur Seeseite hin entlanggeglitten sind, reihen sich hochherrschaftliche Anwesen auf dem Festland aneinander. Hier ließe es sich aushalten!


Eine der bekanntestens Villen am Comer See ist die Villa Balbianello auf einer ebenfalls baumreichen Ausstülpung in den See hinein, der Halbinsel Lavedo. Sie diente nicht nur als Kulisse für Filme wie Star Wars: Episode II – Angriff der Klonkrieger und den James-Bond-Film Casino Royale, sondern auch als Fotomotiv. Ein Fest für alle Handyknipser, die nun zahlreich zu uns gekommen sind, um mal eben schnell ein Bild zu machen. Da schließen wir uns doch gerne an!



Das innen wie außen prunkvoll ausgestattete Gebäude wurde von einem Kirchenmann im Jahr 1787 errichtet und nach zahlreichen Besitzerwechseln über die Jahrhunderte der italienischen Stiftung für Denkmalpflege und Naturschutz vermacht.
Im beschaulichen Nachbarort Lenno wurden schon zu antiker Zeit Oliven und Wein angebaut. Zeugnis davon ist eine Ölmühle, die auch heute noch in Betrieb ist.
Da die Orte auf Seehöhe und am Fuße der den See umgebenden Bergwelt liegen, kann man sich gut vorstellen, dass sich im Winter und Frühjahr reißende Flüsse durch die Ablaufrinnen ergießen, die im Sommer trocken fallen.


Langsam nähern wir uns dem letzten Ort auf dieser Seite des Sees. Tremezzo beherbergt, wie so viele andere, ein Grand Hotel für die betuchteren Gäste und hat sich auch sonst prächtig herausgeputzt.




Die letzte Haltestelle auf der Westseite des Sees ist die Villa Carlotta,
die von ihrer Dimension her schon eher einem kleinen Schloss ähnelt.


Gebaut wurde sie zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Interessant ist sicherlich eine Sammlung mit Skulpturen von Antonio Canova und Gemälden aus der Schule von Francesco Hayez, die dort zu besichtigen ist.
Auf der anderen Seeseite wartet jetzt Bellagio auf uns, wo wir etwa zwanzig Minuten später an Land gehen.


So wie alle Orte, die wir bisher seit Como gesehen haben, ist auch dieser als einer der bekanntesten auf Tourismus eingestellt. Es gibt gleich mehrere Anleger. Jetzt im Herbst ist Bellagio noch sehr gut besucht, die Lokale gefüllt.
Ich hatte mir vorgestellt, dass der Ort etwas erhöht, an der Spitze der langgezogenen Landnadel, liegt, sodass man sowohl den südwestlichen als auch den südöstlichen Fjord sehen kann. Dem ist aber nicht so. Bellagio erstreckt sich weitestgehend über den südwestlichen Ausläufer; man gelangt zur Ortsmitte, wenn man durch die Dorfgassen einfach ein wenig bergan schlendert. Ganz nett ist der Kirchplatz (Piazza della Chiesa) mit einem mittelalterlichen Turm. Dahinter führt eine Gasse steil bergan, nichts für uns.


Geschäfte mit Souvenirs laden den Touri zum Shoppen ein. Protzautos quetschen sich durch die schmalen Gassen - welch‘ ein Irrsinn, was für eine Angeberei. Wer bitte braucht einen SUV in Bellagio? Wir schlendern dennoch ein wenig hin und her, müssen den Weg immer wieder für Limousinen freigeben, deren Fahrer mit wichtigen Gesichtern durch die Gassen fahren.



Schnell erreichen wir das Ortsende. Das war es dann?
Wieder bergab wandeln wir über Treppen, erhaschen Blicke in nette Innenhöfe und Quergassen.





Am Ende freuen wir uns auf ein Plätzchen direkt am See. Den finden wir am Fähranleger und schlürfen einen erfrischenden Saft. Jetzt, am Nachmittag, ist es immer noch angenehm warm (25 Grad). Zwischen den Wolkenvorhängen blinzelt hin und wieder doch noch die Sonne hervor; insgesamt fühlen wir uns an unserem letzten Tag hier richtig gut. Ein einzigartiges Flair am grau-grünen See, mit Schiffsverkehr in allen Richtungen. Sogar Autofähren sind unterwegs, große und kleinere Boote sowie Schnellfähren. Hin und wieder auch immer wieder Wasserflugzeuge. Langsam zieht es sich jetzt aber doch wieder zu, die Wolken hüllen am Nachmittag schon fast alle Bergspitzen ein. Wir schauen tiefenentspannt, mundfaul und träge auf den See, beobachten Vögel, schnappen Wortfetzen von den Nachbartischen auf. Wasser schwappt ans steinige Ufer. Hin und wieder treffen Sonnenstrahlen aus dunklen Wolken auf die Wasseroberfläche. Das ein oder andere Passagierboot brummt vorbei.
Sicherlich interessant wird es, wenn die Saison endet, die Touris weg sind, die Läden schließen und alles winterfest gemacht wird. Bleiben die Leute hier oder ziehen sie nach Mailand? Wie viele Menschen wohl tatsächlich um den See herum leben?

Die Rückfahrt am späten Nachmittag gestaltet sich erheblich kühler als zuvor, daher suchen wir uns einen Platz in der etwas windgeschützteren Mitte des Schiffes, aber dennoch draußen.
Eine amerikanische Gruppe sitzt eine Bankreihe vor uns, zwei Parteien, die sich gerade kennengelernt haben und in unterschiedlichen Orten am See wohnen. Sie haben sich viel zu erzählen.
Es wird eine wunderschöne, wiederum zweistündige Fahrt. Fast schon ein wenig unheimlich wirken die Wolken, die die Berge der Umgebung nach und nach einhüllen und die gesamte Szenerie in ein unwirkliches Licht tauchen. Wir genießen die Fahrt in vollen Zügen und beglückwünschen uns schon jetzt zu diesem gelungenen Ausflug, schon alleine deswegen, weil wir so lange mit dem Schiff herumfahren konnten.





Am Anleger in Como hat die Gemütlichkeit ein Ende. Ein Sprint zum Zug lässt uns diesen gerade noch erwischen. Allerdings bleibt der Zug auf der Rückfahrt nach Mailand häufig mitten auf der Strecke stehen, was mich zwischenzeitlich an den deutschen Zugverkehr erinnert. Insgesamt verlieren wir fast eine halbe Stunde. Das kann uns im Urlaub aber auch egal sein.
Zurück in Mailand erleben wir nun den allerletzten Abend, besuchen unser Lieblingsristorante wie gehabt und nehmen Abschied von unserem eindrucksvollen Besuch in Mailand.


Die Informationen zu den oben genannten Orten entstammen der Seite Der Comer See.

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