Die Máni ist kein Mann!



Ein schriller Kinderschrei gellt durch die Tavernengasse. „SCHNAUZE!“ bellt die deutsche Dame daraufhin von unserem Nebentisch spontan zurück. Wir können nicht umhin, als den nun folgenden Gesprächen zu lauschen, zu nah stehen die Tische und zu laut wird die Unterhaltung geführt. Am Anfang noch recht genervt, amüsieren wir uns im Laufe des Abends köstlich.
So wie es aussieht, haben sich zwei Paare mittleren Alters gefunden, eines aus Deutschland, das andere aus Holland. Die Konversation findet auf Deutsch statt.
Der Einfachheit halber nenne ich die deutsche Frau dF und den deutschen Mann dM, die Holländer entsprechend hF und hM.

Gerade geht es um die Bestellung. Man möchte Fisch, frischen Fisch, wobei dF betont, dass sie frischen Fisch über alles liebt und ihr dabei das Fischfilet am liebsten ist, weil sie am Abend die Gräten so schlecht sieht. HF ist da anders gestrickt. Laut fragt sie den leicht zittrigen Tavernenbesitzer nach dem „Fish of the day“. Wohl wissend, dass der Doraden-Vorrat sich für heute dem Ende zuneigt und er eigentlich auch uns noch eine versprochen hat, windet er sich ein wenig und versucht es gegenüber hF mit „sardelles“, doch diese lässt nicht locker: „No, no, I want to know your FISH OF THE DAY“, insistiert sie lauthals. Schließlich gibt er klein bei und verrät meinen Fisch. Hätte ich gewusst, dass es sein letzter war, hätte ich um das tote Tier gekämpft. Das wäre eine Show gewesen! Doch zu diesem Zeitpunkt weiß ich noch nichts davon.

Zufrieden mit dem Ausgang der Bestellung erwartet die Paréa vom Nachbartisch in Kürze die Vorspeisen, während man weiterhin laut und penetrant kommuniziert, dass alle Tavernenbesucher etwas davon haben. DM macht am Anfang, als er noch mehr Sprechanteile besitzt, klar, wo der Hammer hängt. Jeden seiner Sätze begleitet er mit deftigen Kraftausdrücken: „Ar..h“, „Sch…e“ und auch „Vollidiot“ vervollständigen sein schmales Wortrepertoire. Den Holländern scheint es egal zu sein, oder vielleicht haben sie sich auch einfach daran gewöhnt.
Ein wenig erinnert das Niveau an die Inhalte von TV-Sendern, die man in europäischen Hotels mitunter nur als nur einzige deutschsprachige Programme empfängt. Oh, wie ich mich fremdschäme! Was für ein Bild vom Durchschnittsdeutschen vermittelt wird, als ob wir ein Heer von ständig übel gelaunten, heruntergekommenen, keifenden, motzenden und ausfallenden Irren wären! Da kann man nur hoffen, dass die meisten Zuschauer nicht der deutschen Sprache mächtig sind und vielleicht an Satire denken!

Doch zurück zu unserer Paréa. Die Vorspeise ist am Nebentisch bereits vertilgt. Ob des sinnlichen Genusses hat dM ein wenig mit hF angebändelt und sie in ein mehrsätziges Gespräch verwickelt. Das Missfallen der deutschen Gattin findet seinen Ausdruck in heftigen Scharrbewegungen der rechten Hand über den Tisch, mit denen energisch Brotkrümel, Staubkörner und alles, was dort gerade im Weg liegt, weggefegt werden - und hF, die ihren Mann so schamlos angesprochen hat, am liebsten gleich mit. Zum Glück verlieren die Krümel unterwegs zu unserem Tisch an Fahrt. Ob der Staubentwicklung überkommt dF ein Nieser, und kräftig schnäuzt sie sich danach in die Serviette. Wohl bekomm’ s!
Schließlich lenkt dF aber doch ein, als das kurze Gespräch zwischen ihrem Mann und hF verpufft ist. Vielleicht traut er sich auch nur nicht mehr, er wird das energische Scharren auf der Tischoberfläche intuitiv zu deuten wissen! Kognitiv wirkt er zusehends desorientiert. Schuld daran werden auf jeden Fall die diversen Weinviertele sein, da sind wir uns sicher.
Damit hF nicht wieder auf die Idee kommt, sich ihrem Mann zu nähern, verwickelt dF die Holländerin zwischen Vor- und Hauptspeise in ein Gespräch über das Klimakterium. Ab jetzt hören alle in der Taverne, was frau schon unternommen hat, um den Begleiterscheinungen entgegenzuwirken, von der Einnahme von diversen Pillen über Kuren bis zu besonderer Kleidung, und wie ihre Männer erstaunt reagieren, wenn frau bei einer Welle ohne Vorwarnung plötzlich das Fenster aufreißt. Haha! Das ist so witzig, wie die Männer sich überhaupt nicht hineinfühlen können!

Die beiden sitzen im Moment auch recht bedröppelt herum und denken über ihr Rollenbild nach. Ein unverfängliches Thema muss her, eines, über das die beiden Männer gut Bescheid wissen. Man entscheidet sich für den Verzicht! Sie schwärmen ihren Kippen hinterher, die sie früher einmal geraucht haben, und die jetzt tabu sind, weil man ja das Paffen aufgegeben hat. Wie lange ist es bei dir? – 4 Wochen! Und bei dir? - schon 5 Wochen! DF weiß hierzu auch einiges beizusteuern. Jäh bricht sie das Wechseljahresgespräch ab und gibt ungefragt ihren Senf auch zum Nichtrauchen dazu.

Während des Hauptgerichts plätschert das Gespräch unserer Nachbarn dann etwas leiser vor sich hin. Mittlerweile haben am Tisch zur anderen Seite hin zwei griechische Paare, ebenfalls mittleren Alters, Platz genommen. Wenig später schrillt das Handy eines der Männer, was von unseren deutschen und holländischen Nachbarn mit einem gröligen „T e e l e e f o o o n !!!“ quittiert wird, gefolgt von lauten „Tiléfono“-, Wiiiiichtiiiig“-, „Haaaallllloooooo“ – Rufen, während man sich vor Lachen schier ausschüttet. Die Griechen nehmen es gelassen, lächeln etwas gequält ob solch’ prolligen Verhaltens.

Das Telefonat scheint aber in der Tat wichtig zu sein, offensichtlich wird ein Geschäft abgeschlossen. Am Ende plustert sich der eine Grieche mit prahlendem Stolz auf wie ein Pfau, nimmt dazu die oberen Extremitäten zu Hilfe und breitet sich über die gesamte Tischseite aus, was seine weibliche Begleitung zu einem unscheinbaren Schatten zusammenschrumpfen lässt. Ob der Zeitpunkt des Telefonats mal nicht abgesprochen war!? Alex kriegt sich ob der Angeberei seines Landsmannes gar nicht mehr ein. „Vielleicht fängt er gleich noch an, den Zorbas zu tanzen“, lästert er.

Kurz nach Ende unseres deliziösen Mahls hören wir den Musikanten mit der Quetschkommode, der jeden Abend seine Runde durch die Tavernen dreht. Wir freuen uns bereits auf seinen Auftritt.
Als er in unsere Peripherie kommt, bestellt die deutsch-holländische Runde am Nachbartisch das typisch griechische Lied „La Palóma, olé!“ Und Zack, haut der unglaublich versierte Akkordeonspieler den Gassenhauer in die Tasten! Da kommt Stimmung auf! Hans Albers wäre einerseits entzückt gewesen, doch seine Gebeine hätten gleichzeitig voller Empörung gegen den Sargdeckel geschlagen, hätte er das besoffene Gegröle vom Nachbartisch mitbekommen. Den Musikanten stört es nicht.
Es folgt „Kalinka“, vielleicht sind ja auch ein paar gut betuchte Russen im Restaurant? Típota.
Also ein italienisches Lied „apó eména“ (von mir), haucht der bulgarische Spielmann in seinem glänzenden schwarzen Mantel mit Raucherstimme durch die Stummelzähne.
DF hat genug und winkt ab, doch wir ermutigen ihn. Er gibt seine Seele in das Instrument und entlockt ihm hauchzarte Töne. Was für eine Schönheit!
Am Ende spendet nach reiflicher Überlegung auch dM Applaus, und endlich wechselt einer seiner Taler den Besitzer. Erst die Ware, dann das Geld, versteht sich.

Der Spieler, der hier heute Abend ganz gut eingesammelt hat, ist bester Laune. Bevor er weiterzieht, hat er sich – auf unsere Einladung hin - ein großes Wasserglas voll Wein gewünscht und in Windeseile asprobáto in den Hals gekippt. Boah!
DM, der mittlerweile schon etliche solcher Gläser gebechert hat, lallt hM an: „Ihr würdet mir eine riesengroße Freude machen, wenn ihr vor eurer Abfahrt mit uns zusammen spielen würdet.“ HF entgegnet: „Ich spiele zur Zeit Off Tunes“ und dF meint, man könne doch auch einfach zusammen essen.
Was spielen die zusammen? – Jetzt ist meine Neugier entfacht. „Off Tunes“, hört sich nach Musik an, aber disharmonisch? Dissonant? – Habe ich anfangs noch auf Schlagermusik getippt, komme ich doch ins Zweifeln. Nach der La-Paloma-Nummer können die keine Musikanten sein!
Immer wieder bittet dM nach einem gemeinsamen Spiel. Ich hab’s: Die zocken! - Nee, passt irgendwie auch nicht. Was spielen die nur???? Jetzt fällt der Groschen, als einer von ihnen etwas von bespielbaren Plätzen erzählt: Die spielen Golf! Außerhalb von Ghiálova gibt es doch Golfanlagen!
Die Holländer ziehen nicht so richtig, aber jetzt geht die Angeberei los, wo man schon überall auf der Welt gespielt habe: Lago Maggiore, Algarve, Schottland - obwohl dM brabbelt, Schottland wäre echt teuer gewesen: eine Übernachtung für 350,00 Pfund! HM schmeißt noch einen drauf: „Was heißt hier teuer?“ (Aber dem Bulgaren haben sie gerade mal einen Euro gegeben, die Geizhälse...)
HM ist jetzt in Fahrt. Er habe alles dafür getan, mit 55 ausgesorgt zu haben und ein luxuriöses Leben führen zu können. Scheint aber nicht geklappt zu haben, denn hF arbeitet noch, wie sie vorher kundgetan hat. Die Deutschen sagen dazu gar nix.

Noch vor der Nachspeise landet DF den nächsten, für meinen Geschmack überhaupt den besten Brüller des Abends. HM informiert die Tischrunde gerade über die Pläne des Paares für die verbleibenden Tage in Griechenland. Man wolle noch ein wenig hier in dieser Gegend bleiben und zur Máni, bevor es nach Athen und von dort wieder nach Holland geht. Fragt dF naiv: „Und wer ist dieser Manni?“
Allein für dieses Schmankerl habe ich meinen Fisch gerne abgegeben. Innerlich und auch äußerlich sind wir hemmungslos am Grölen. Die Show ist besser als bestes Kino!
Das holländische Paar grummelt zwar noch etwas in den Bart, von wegen, die Máni ist hier um die Ecke usw., doch gesagt ist gesagt!

Mittlerweile haben wir festgestellt, dass das Lokal sich geleert und der Tavernenbesitzer das verschwitzte Hemd gewechselt hat, unser Wein alle ist und der Rest des Gesprächs vom Nebentisch uns nun zu langweilen beginnt. Bevor sie anfangen, sich zu wiederholen oder auf den Tisch zu reihern, bezahlen wir und verlassen das Lokal in Richtung Bettstatt.
Aber Mädels und Jungs: Danke für die Show, die war echt unterhaltsam. Wie wäre es, sich im Fernsehen selbst zum Star zu machen mit dem neuen Reality-Format: Mach' mir den Manni, honey!

Voïdokiliá und Nestorhöhle