Wenn man sich hoch in den Nordosten, in Richtung spanisch-französische Grenze, orientiert, trifft man unweigerlich auf die beiden Orte Figueres und Cadaqués. Insbesondere letztgenannter soll ja malerisch am Meer liegen. Deshalb so schön, weil ohne Hochhäuser. Das hatte sich nämlich Señor Dalí ausbedungen, als er mit seiner Partnerin hier lebte. Sonst würde er nämlich umziehen, hatte er „gedroht". Bis heute hat sich das Fischerdörfchen Cadaqués daher seine Urtümlichkeit bewahrt. Sein Wohnhaus, das voller Überraschungen stecken soll, kann man besichtigen. Da jedoch nur maximal fünf Personen auf einmal im Haus erlaubt sind, sind die Zutritte sehr beschränkt und meist ausgebucht, so wie auch in unserem Fall. Alternativ böte sich ein Ausflug nach Figueres zum Besuch des Dali-Museums an. Doch auch daraus wird leider nichts, da schon die Anfahrt mit Bus oder Zug über Girona zu umständlich und langwierig wäre. Selbst die nette Frau am Ticketschalter in Playa de Aro konnte uns keine Auskunft über die Rückfahrt-Verbindung geben. Leider müssen wir diese Vorhaben in Ermangelung eines Mietwagens knicken und entscheiden uns stattdessen für den am südlichen Ende der Bucht von Roses gelegenen Küstenort L’Escala, Endhaltestelle der Buslinie 1. Der Ort selbst, so wurde uns von Bewohnern in unserer Wohnanlage angedeutet, soll „auch sehr schön“ sein, was ja alles Mögliche bedeuten kann. Lassen wir uns trotz meiner leichten Enttäuschung über den Wegfall des eigentliches Ziels überraschen! Mit den Abfahrtzeiten der Linie 1, die uns schon zu unseren letzten beiden Ausflugszielen gebracht hat, kennen wir uns mittlerweile aus. Heute steht uns eine über eineinhalbstündige Busfahrt durch das Hinterland der Costa Brava bevor, ein Genuss, der schon damit beginnt, dass der Bus wie immer pünktlich auf die Minute abfährt. Ich erwähne es deshalb, weil wir in L’Escala aufgrund der längeren Fahrt nicht so sehr viel Aufenthaltszeit haben werden. Palamós ist in wenigen Minuten erreicht, dann folgen wir der C-31, zunächst bis zur Kleinstadt Palafrugell. In den schmalen Busbahnhof muss der Fahrer über eine enge Kurve geschickt hineinmanövrieren, um die wenigen schon wartenden Umsteigefahrgäste aufzunehmen. Wie so viele andere Dörfer und Kleinstädte in der Region war Palafrugell schon ab dem frühen Mittelalter besiedelt. Bekannt geworden ist der Ort durch die Korken-Produktion, die ab dem frühen 20. Jahrhundert blühte. Josep Plà, dessen Namen ja auch eine Aussichtsplattform in der Altstadt von Pals trägt, wurde hier geboren. Bis nach Begur und weiter nach Pals führt die Strecke nun durch sanft-welliges Hügelland, vorbei an Feldern und einem Campingplatz. Ein weiterer Ort auf der Strecke ist nach der Überquerung des Flusses Ter die 12.000-Einwohner Stadt mit dem klangvollen Namen Toroella de Montgrí, die ebenfalls auf eine Jahrhunderte währende Geschichte zurückblicken kann. Die Burg Montgrí zählt zu den Attraktionen des Ortes, ebenso wie sein mittelalterliches Zentrum. Weitere Sehenswürdigkeiten in der näheren Umgebung, die mit dem Bus jedoch nicht direkt angesteuert werden, wären beispielsweise das beliebte Dorf Peratallada (Burg und Kirche innerhalb von alten Stadtmauern) und die bemerkenswerten Ruinen von Ullastret, dessen Siedlungsgeschichte bis zur Eisenzeit zurückreicht. Ausgrabungsgegenstände sind dort in einem Museum zu besichtigen. Wie im Flug ist die schöne Busfahrt vergangen, als wir schließlich L’Escala erreichen. Vom modernen Zentrum der 10.000-Einwohner Stadt bekommen wir nichts mit, da der Bus direkt in der Altstadt hält. Ein wirtschaftliches Standbein ist die Herstellung von Sardellen-Spezialitäten, die auf eine 2.500 Jahre alte Tradition zurückgeht und die Delikatessen über die Grenzen hinweg berühmt gemacht hat. Weiterhin profitiert der Ort von seiner fantastischen Lage in der weiten Bucht von Roses. Innerhalb der letzten zwanzig Jahre ist ein Boom für die Besiedlung mit Ferienhäusern entstanden, die gleichzeitig den Ausbau der Infrastruktur nach sich zog. Die Bevölkerung hat sich innerhalb dieses Zeitraums verdoppelt. Da der Tourismus mittlerweile die Haupteinnahmequelle ist und die Saison noch nicht richtig angefangen hat, wirkt die Altstadt noch beschaulich leer. Wie so viele Orte an der Costa Brava ist auch dieser von schmalen Gässchen durchzogen. Viele davon zeigen bergab zum Meer. Man kann die Richtung hinunter zur Bucht nicht verfehlen. Auf unserem Weg liegt ein Kirchplatz, an dem noch bauliche Notwendigkeiten in den umliegenden Häusern erledigt werden. Auch diese Kirche trägt wie andere in der Umgebung den Namen Sant Pere und stammt in ihrer jetzigen Form aus dem 18. Jahrhundert. ![]() ![]() Noch während wir uns überlegen, ob wir zu einer Besichtigung hineingehen, tritt ein Mann auf uns zu und spricht uns auf Spanisch an. Da wir nicht verstehen, was er von uns will, geben wir die Unterhaltung nach einer Weile auf, betreten das Gebäude und lassen den mit gotischen Elementen gestalteten Innenraum auf uns wirken. Der Mann jedoch, der uns vor der Kirche angesprochen hat, ist uns in Innere gefolgt und sucht erneut das Gespräch mit uns. Doch auch jetzt ist zunächst unverständlich, was er von uns will. Schließlich wird sein Anliegen klar, als er mit mitleiderheischendem Blick und aneinander reibenden Daumen und Zeigefinger um Geld bettelt. Tatsächlich habe ich noch nie erlebt, in einer Kirche um Geld angehauen zu werden. In dem Augenblick, als ich mich umdrehe um weiterzugehen, knalle ich direkt mit der Brille voran gegen eine Glaswand. Ich bin fest davon überzeugt, dass ich mir selbst ein Veilchen geschossen habe, doch zum Glück bleibt von dem Missgeschick später doch nichts zu sehen. Der flapsige Spruch „Kleine Sünden bestraft der liebe Gott sofort" kommt mir ohne feste Überzeugung in den Sinn. Noch in Gedanken verlassen wir schließlich die Kirche wieder, um hinunter zum Strand zu gehen. ![]() Wir kommen nur ganz langsam voran, da die stechenden Knieschmerzen meiner Mutter heute besonders schlimm sind. Es ist ein durchdringender Belastungsschmerz, der - obwohl nur an einer Körperstelle - den ganzen Körper, das Denken und Fühlen wie eine eiserne Faust umklammert. Erst später wird eine weitere Antischmerzbombe zu einer gewissen Ruhe führen. Für ein wenig Entlastung sorgt zwar der unersetzliche und praktische Gehstock, den wir für nur wenig Geld in einer Apotheke gefunden haben, jedoch beeinträchtigt die zu ertragende Marter gerade jetzt den Genuss des Besuches von L’Escala enorm. Trotzdem schreitet meine Mutter tapfer die Gasse bergab zum kleinen Stadtstrand, der im Sommer richtig voll wird. Um diesen Strand haben sich mehrere Lokale gruppiert, von denen auch einige geöffnet sind. Bevor wir jedoch einkehren, besteht trotz der körperlichen Unpässlichkeit der Wunsch nach Erkundung des Halbrunds. ![]() Automatisch richtet sich der Blick nach La Punta, einem Aussichtspunkt auf einer Landspitze. Das dort befindliche Denkmal Monument a la Gent del Mar, das an das Leben auf See erinnert, besteht aus drei Teilen: einer Seemannsbüste, einem sogenannten (dreieckigen) Lateinersegel und einem Anker. ![]() Wir folgen dem angelegten Promenadenweg nach rechts um eine Biegung, um zu sehen, was sich dahinter verbirgt. Es ist eine kleine, geschützte Rampe für Boote, die man hier gegebenenfalls an Land ziehen kann. Dahinter gemütliche Ecken mit kleinen Cafés und Geschäften für Touristen, von denen die allermeisten noch geschlossen, im Sommer jedoch sicherlich gut frequentiert sind. ![]() ![]() ![]() Im weiteren Verlauf ist die Küste entlang des Passeig Mar mit Ferienunterkünften besiedelt. Man kann sich gut vorstellen, was für ein Betrieb in der Hochsaison an der angrenzenden Platja de Riells herrschen muss. Jenseits dieses großen Strandes wurde der Hafen für Jachten und Fischerboote angelegt. Noch weiter dahinter können Besucher neben der touristisch erschlossenen Halbinsel Montgó in einer Bucht an der kleineren Platja de Montgó ihren Badefreuden frönen. ![]() Doch auch in entgegengesetzter Richtung, nördlich des Altstadtstrandes, setzt sich das weite Areal von L’Escala fort. Über den zwei Kilometer langen Fußgänger- und Radweg Passeig d'Empúries gelangt man zur gleichnamigen Ausgrabungsstätte, in der Gegenstände zu Tage gefördert wurden, die in die griechisch-römischen Zeit und sogar bis in die Eisenzeit reichen. Der vierte Strand Platja d‘Empúries vervollständigt schließlich die Bade- und Unterkunftsmöglichkeiten für Touristen in L’Escala. Wie verlockend ein Spaziergang dorthin wäre, doch heute ist knieschmerzbedingt keinesfalls daran zu denken. Vielmehr wird es Zeit, zum Altstadt-Strand zurückzukehren, um den Gelenken endlich eine Ruhephase zu gönnen. In einem gemütlichen Lokal mit sehr netter Bedienung lassen wir die Zeit bei Kaffee, Kuchen und alkoholfreien Cocktails verstreichen. Trotz stetig blasendem, kühlem Wind können wir unsere Einkehr im Außenbereich des Cafés unter stressfreien anderen Touristen genießen. ![]() ![]() Was uns später besonders in Erinnerung bleibt, ist die Tiefenentspannung, die uns dort sitzend beim Blick aufs Meer befallen hat, als würde man in einer Hängematte liegen. Diese Muße, die uns einen intensiv empfundenen Erholungseffekt beschert hat, lässt sogar den Wunsch aufkommen, in den nächsten Tagen nochmals hierher zurückzukehren (was wir aber leider doch nicht mehr schaffen). ![]() |