Girona - Provinzhauptstadt mit Flair

Mit einem Tag Pause in Playa de Aro und einem nur kurzen Aufenthalt am dortigen Strand haben sich die Knie vom schmerzvollen Spaziergang in L’Escala wieder einigermaßen erholt. Wir sind guter Dinge, dass sie für den heutigen Ausflug nach Girona wieder besser belastbar sind.
Für die direkte Strecke von Playa de Aro dorthin benötigt man mit dem PKW etwa 30 Minuten, mit dem Bus jedoch eine ganze Stunde. Uns soll es recht sein. Schließlich kommt man in einem großen Busbahnhof an.

Unser Ziel ist zunächst die Kathedrale von Girona, zu der unser Fußweg ab dem Bahnhofsvorplatz quer durch die Altstadt führen wird. Girona habe ich mir ganz anders vorgestellt: irgendwie mit mehr Betongebäuden, unpersönlicher und als Provinzhauptstadt geschäftiger und verkehrsreicher. Uns erwartet jedoch ein stimmungsvolles Stadtzentrum.
Zur Catédral müssen wir auf jeden Fall den Fluss Onyar überqueren. Zu einer der Brücken führt die Carrer de la Sèquia, die in die Carrer de l’Obra übergeht. Schon von weitem erkennen wir an der kurzen Seite eines rechteckigen Platzes linkerhand die auffällige Kirche Santa Susana Del Mercadal, die ursprünglich im 14./15. Jahrhundert erbaut, 1936 abgerissen und 1940 wiederaufgebaut wurde. Dabei hat man die gotischen Elemente wie Spitzbogen und Rosette über dem Eingang beibehalten. Aufgrund der begrenzten Zeit haben wir keine Muße für eine Innenbesichtigung und ziehen weiter.


In ihrer Fortsetzung stößt die Carrer de l’Obra ganz in der Nähe des Flusses auf die Carrer de Santa Clara, die nach links schließlich zu einer auffällig rot gestrichenen Stahlbrücke, der Pont de les Peixateries Velles, über den Fluss Onyar führt. Steht man auf ihrer Mitte, entfaltet sich entlang des schmalen Wasserlaufs ein schmuckes Postkartenmotiv mit sich aneinanderreihenden, bunten Häusern, die Cases de l’Onyar, die sich malerisch im Wasser spiegeln.




Wir hatten schon im Vorfeld unserer Reise erfahren, dass in Katalonien seit einiger Zeit eine gravierende Dürre herrscht, die bereits Konsequenzen bei der Wasserversorgung der Bevölkerung notwendig gemacht hat. An der Stelle, wo die bunten Häuser stehen, scheint das Flüsschen jedoch noch gut mit Wasser gefüllt zu sein. Am Ende unseres heutigen Besuches werden wir jedoch feststellen, dass dies nicht überall so ist.


Ein anderer Abschnitt des Onyar

Girona hat eine wechselvolle Geschichte, geprägt von Iberern, Mauren, Westgoten und sogar Karl dem Großen. Die Stadtrechte erhielt Girona im 12. Jahrhundert. Zu jener Zeit beherbergte die Stadt auch eine große jüdische Gemeinde. 1492 wurden diese Einwohner jedoch aus Spanien vertrieben und ließen sich in anderen europäischen Regionen nieder. Beispielsweise lebte in Thessaloniki bis zum Beginn des Holocaust eine 70.000 Mitglieder fassende Gemeinde sephardischer Juden, deren Abstammung auf die ehemals aus Spanien Vertriebenen zurückzuführen ist.
Das ehemals jüdische Viertel in Girona im Stadtbezirk Barri Vell gehört aufgrund seines guten Erhaltungszustandes zu den bekanntesten Attraktionen in Girona. Am Ende der roten Stahlbrücke betreten wir nun diesen Teil der verwinkelten Altstadt.










Schmale Straßenzüge beherbergen mittelalterliche Gebäude, allesamt historische Sehenswürdigkeiten wie die Casa Ribas i Crehuet, das Jüdische Museum, die Casa Vert und andere. Entlang einer hohen Begrenzungsmauer führt der gepflasterte Weg zur Kathedrale stetig bergauf.






An ihrem höchten Punkt erreichen wir die Plaça de la Catedral, mit den Escales de la Catedral, dem imposanten Treppenaufgang zum Eingang der katholischen Marienkathedrale.






Gotische Marien-Kirche mit barocker Fassade




Die Schlange am Ticketschalter im Foyer der Kirche ist nur kurz, sodass wir ohne Vorbuchung recht schnell Einlass erhalten. Das Blickfeld weitet sich in das knapp 23 Meter breite Kirchenschiff.


Im Jahr 1038 wurde die zunächst im gedrungenen, romanischen Baustil errichtete Kirche geweiht, der Kirchturm ebenso wie der Kreuzgang jedoch erst hundert Jahre später hinzugefügt.


Nochmals zweihundert Jahre später wurde das romanische Kirchenschiff abgerissen und im gotischen Stil neu erbaut. Die Dimensionen, die mit diesem Architekturstil möglich waren, wurden in der Kathedrale ausgeschöpft: Neben ihrer enormen Breite misst sie 50 Meter in der Länge und ist 34 Meter hoch. Erst im 18. Jahrhundert wurden die Arbeiten abgeschlossen.
Eine Orgel, die eigenartigerweise mitten im Kirchenschiff platziert wurde, unterbricht den Blick nach vorne. In einer Bank sitzend lauschen wir der stimmungsvollen, live gespielten Musik.


Neben den schieren Dimensionen des Gebäudes beeindrucken den Besucher die überaus prunkvollen Seitenkapellen. Für eine gute Beleuchtung kann man mittels Knopfdruck dort jeweils selbst sorgen.
Die in ganz unterschiedlichen Stilen eingerichteten Nischen sind für die interessierten Besucher sehr sehenswert: hier eine schlichte Figurengruppe, dort im barocken Überfluss gestaltete Elemente, Gemälde mit geistlichen Szenen oder meterhohe, imposante, im goldenen Licht fast schon blendende Hintergründe mit verschiedenen Reliefs und unzähligen Ausschmückungen.















Die Kapelle der Hoffnung (Esperanza) ist wohl aufgrund ihrer Größe in einem Nebentrakt untergebracht.


Wie in vielen Kirchen hat man keine Scheu, den prunkvollen Kirchenschatz in mehreren Räumen auszustellen. Dazu gehört eine Corpus-Christi-Monstranz aus vergoldetem Silber, Emaille und Edelsteinen. Sie wurde in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts in Girona gefertigt.
Andere Schätze sind noch wesentlich älter, darunter das Siegel der Gräfin Ermessenda von Carcassonne (975/978-1058), Mitregentin über die Region und Schwester des Bischofs der Kathedrale. Oder eine illustrierte Handschrift (Beatus), ebenfalls aus dem 10. Jahrhundert.

Eine besondere Sehenswürdigkeit bildet ein beeindruckender Wandbehang mit der Darstellung der Schöpfungsgeschichte, der Tapís de la Creació aus dem 11. Jahrhundert. Er misst 3,65 m x 4,70 m. Um die gestickten Details besser erkennen zu können, ist er in einem verdunkelten Raum hinter Glas ausgestellt und eigens beleuchtet.



Details zu den Motiven werden auf der Rückseite der Vitrine in einem englischsprachigen Kurzfilm erläutert.






Der Zugang zur Kathedrale und der Kirchenbesuch selbst haben schon einen Großteil unserer Aufenthaltsdauer in Girona in Anspruch genommen. Vor einer weiteren Besichtigungsetappe steht für uns dennoch zunächst eine kurze Einkehr auf der kleinen Plaça de Sant Domènec, mit Blick auf die schmale Eingangspforte zum Rektorat (Edifici Les Àligues) der Universität von Girona an. Insgesamt sind an der Uni 14.000 Studenten immatrikuliert. Am Nachmittag ist in diesem Bereich aber wenig los.



Unser nächstes Highlight soll ein Spaziergang auf der alten Stadtmauer sein. Diese Treppen brauchen die leidgeprüften Knie nicht mehr zu überwinden, denn der Zugangsweg führt rechts daran vorbei.


Nach dem nicht allzu schweren Aufstieg über die Stiege eines ehemaligen Aussichtsturms der Stadtmauer, von denen es noch weitere gibt, entscheiden wir uns für die Richtung, die zurück zur Altstadt und zum Bahnhof führt. Ein Grund dafür ist die steile Treppe in entgegengesetzter Richtung, die wir uns ersparen wollen. Auch so werden wir mit grandiosen Aussichten über die Stadt belohnt.








Und damit endet dann auch unser Besuch in Girona. Für meinen Geschmack ist die Stadt eine eigene Reise Wert, so viel gibt es hier zu sehen. Bei unserem Kurzaufenthalt konnten wir daran gerade einmal schnuppern.