Als wir am Morgen im Haupthaus erscheinen, ist der lange, polierte Holztisch bereits für uns gedeckt. Das Frühstück ist exquisit, anders kann man es nicht beschreiben. Von edlem Porzellan nehmen wir die frisch zubereiteten und individuell gewürzten Speisen zu uns. Mit einer fantastisch mundende Quiche, Toast, selbst gemachter Marmelade, frischem Obst, Joghurt u.a. stärken wir uns genussvoll für den heutigen Tag.
Noch haben wir überhaupt keine Lust, die Plantage schon jetzt zu verlassen. Diane, unsere Wirtin, nimmt sich dann auch die Zeit, uns bei einer Miniführung durch einige Räume ein paar Hintergründe über die ehemalige Plantage zu erzählen. Es begann mit dem Jahr 1787, als das Land an Robert und George Cochran übergeben wurde, die darauf eine Baumwoll-Plantage betrieben. Um 1800 herum ging der Besitz auf einen Neffen von George über, an den irischen Einwanderer John Murdoch, der der Plantage den heutigen Namen gab. Bis 1826 wurden die Gebäude errichtet, die noch heute auf dem Gelände stehen. 1830 wurde ein Teil des Anwesens dem neu gegründeten Oakland College zur Verfügung gestellt, aus dem vierzig Jahre später die Alcorn Universität wurde, die ausdrücklich Studenten aller Ethnien einen Studiengang ermöglichen wollte. Sie liegt nur zwei Meilen von hier entfernt. 1851 entstand neben dem alten Haupthaus (nach griechischem Revival-Stil) ein größeres, zweigeschossiges im italienischen Stil. Für den soliden Bau wurden Pfeiler aus Zypressenholz für die Holzkonstruktion und Backsteine für das Mauerwerk verwendet. Die Villa gilt als ein gutes Architekturbeispiel für ein Herrenhaus der Südstaaten in diesem damals beliebten Stil. Das Ante-Bellum-Haus und die ganze Plantage wurden 1863 von Unionstruppen beschlagnahmt. Aufgrund weitreichender Beziehungen der Familie blieb jedoch alles erhalten und wurde nicht niedergebrannt. 1920 verkaufte Murdoch die Plantage. Unter einem der weiteren Besitzer wurde das Haupthaus bereits 1982 in das National Register of Historic Places aufgenommen. Das denkmalgeschützte Haus selbst ist bis heute auch in der Aufteilung erhalten geblieben. Die Möbel in den Räumlichkeiten sind jedoch nicht echt, wurden aber stilecht nachgebaut. Zahlreiche Kleinodien sorgen für ein detailgetreues Ambiente, in dem man sich vorstellen kann, wie die herrschaftliche Familie hier wohnte. In einigen der Zimmer hängen Gemälde der erwähnten Familienvorstände in großen Bilderrahmen an den Wänden, so wie es früher wahrscheinlich auch der Fall war. In einem Wohnzimmer, das wir besichtigen dürfen, werden wir auf eine Bibliothek hingewiesen, die sich lediglich über einen nicht allzu großen Schrank erstreckt. Immerhin, nicht jeder besaß damals eine solche Menge an Büchern. Zu den baulichen Besonderheiten gehören beispielsweise die sehr niedrig angebrachten Türklinken, da die Menschen damals kleiner waren. Auffällig ist dem gegenüber die überdimensionierte Höhe der Türen, die – so kann man sich vorstellen – dazu da waren, um Eindruck zu schinden. Schon auf der Türschwelle zum Hauseingang richtet sich der Blick geradeaus in den langen Flur und auf den Treppenaufgang. An dessen Geländer befindet sich unten eine Aussparung für einen Elfenbeinknopf, der nur dann angebracht wurde, wenn das Haus abbezahlt war. Im Moment ist dort kein Knopf zu sehen. Manchmal führt Diane auch Besucher der Plantage, die hier nicht übernachten, auf dem Anwesen und im Haupthaus gegen geringes Aufgeld herum. Ihre inhaltlichen Ausführungen sind für uns sehr interessant und vermitteln ein Gefühl für das frühere Leben hier. Während Alex nach der Führung einen kleinen Abschluss-Spaziergang über das Grundstück unternimmt, quatsche ich mich mit Diane komplett fest. Dabei erfahre ich, dass sie und ihr Mann gar nicht aus Mississippi, sondern aus Minnesota, im Norden der USA, stammen und früher beruflich in der Computerbranche tätig waren. Bei einem Besuch hatten sie sich dann in die Plantage verliebt, sie gekauft und versuchen jetzt, nach und nach einzelne Gebäude wieder herzurichten. Es ist ein langwieriges Unterfangen. Auch aus Gründen der Höflichkeit hatte ich mir vorgenommen, mich mit Äußerungen zu politischen Themen auf unserer Reise zurückzuhalten, zumindest was das Reiseland selbst angeht. Meine Meinung kann sich ja größtenteils nur auf Informationen aus deutschsprachigen Medien, also aus zweiter Hand, gründen. Doch irgendwie driftet unser Gespräch an diesem Morgen vorsichtig in diese Thematik ab und wir tauschen uns auf sehr interessante Weise über die aktuelle Gegebenheiten, Sorgen und Lebensbedingungen in unseren Ländern und deren Beziehungen zueinander aus. Am Ende kommen wir zu dem Schluss, beide etwas gelernt und neue Sichtweisen erhalten zu haben. Mittlerweile haben wir schon fast Mittag, als wir endlich loskommen, viel später als geplant. Würden wir ohne Umwege unser heutiges Ziel, die Kleinstadt Natchez, im Adams County, anpeilen, wären wir in weniger als einer Stunde da. Doch wir haben noch etwas anderes vor und müssen dafür einen weiten Schlenker fahren. Wenn wir schon mal hier in der Gegend sind, so möchte ich nämlich auf jeden Fall nach Hazlehurst, im benachbarten Copiah County, dem Geburtsort von Robert Johnson, dem King des Delta Blues. Dafür geht es von der Canemount Plantation zunächst wieder zurück nach Port Gibson, durch den zauberhaften Wald rechts und links der schmalen Rodney Road (552), die wir gestern auf der Anfahrt zur Plantage schon so genossen haben Bei Port Gibson zweigen wir auf die 548, die Old Port Gibson Road, in Richtung Hazlehurst ab, später dann auf den Highway 51 und fahren etwa eine Stunde in entgegengesetzter Richtung zu Natchez. Die Strecke führt durch ländliches Gebiet und weitestgehend geradeaus. Wenige kleinere Wohnsiedlungen säumen den Straßenrand. Hazlehurst - Mississippi Music Museum In Hazlehurst möchten wir uns das „Robert-John-Museum“ anschauen, das in Wirklichkeit Mississippi Music Museum heißt. Den Weg zum Museum kennen wir nicht, müssen uns durchfragen und landen vor dem Gebäude der örtlichen Zeitung. In Unkenntnis einer Notwendigkeit haben wir für einen Besuch im Museum keinen Termin vereinbart. Daher könnte es schwierig werden, jemanden zu finden, der uns aufschließt, lässt uns eine sehr nette Lady bei der Zeitung wissen. Sie werde sich darum kümmern, und zur Überbrückung der Zeit überlässt sie uns eine Ausgabe der aktuellen Zeitungsausgabe. Nach ein paar Telefonaten ist jemand gefunden, der zum Museum hinkommen wird. Bei unserem Eintreffen ist er bereits da. Er sei nur ein Laie, ein freiwilliger Helfer, ohne große inhaltliche Ahnung, meint er lachend, doch wir können uns umschauen und er wird versuchen, unsere Fragen bestmöglich zu beantworten.
Dieser Text auf dem Schild ist aus Robert Johnsons Song Cross Road Blues. Dargestellt ist jedoch nicht die berühmte Kreuzung in Clarksdale, sondern eine in Hazlehurst. So wie der 20 Jahre ältere Charley Patton für die Schöpfung des Delta-Blues - ausgehend von der Dockery-Farm und ihrer Umgebung - steht, so bedeutsam war Robert Johnson für die Weiterentwicklung dieser Musik. 1911 in Hazlehurst geboren, zog er als Kind mit seiner Mutter in die Nähe von Memphis, wo er die Schule besuchte und anschließend auf einer Plantage arbeitete. Noch jung an Jahren erlernte er das Bluesharp- und Gitarrenspiel. Unter anderem trat Robert zusammen mit Charley Patton und Willie Brown auf. Ebenso wie Charley Patton wurde er zu einem gefragten Musiker, der für Veranstaltungen gebucht wurde. Mit nur 27 Jahren kam Johnson 1936 unter mysteriösen Umständen ums Leben. Im Gateway to the Blues Museum in Tunica haben wir ja eine Kopie seiner Sterbeurkunde gesehen, die zwar belegt, dass er in Greenwood (etwa 50 Kilometer östlich von Indianola) gestorben ist, jedoch keine Aufschlüsse über die Todesursache gibt. Aus diesen nebulösen Umständen ranken sich Mythen und Legenden. Doch was genau machte Robert Johnson musikalisch so anziehend, dass man sich ihm nicht entziehen konnte? Walter Mosley lässt seinen Protagonisten Soupspoon schildern, was Robert Johnsons Art, den Blues zu spielen, ausmachte:
Im Mississippi Music Museum begegnen wir Robert Johnson mannigfach: sei es in der Darstellung seines Konterfeis auf einer überdimensionierten Briefmarke oder einer fantasievoll gebauten Gitarre, durch Zitate aus seinen Songtexten oder gerahmten Abbildungen. Wenige Alltagsgegenstände aus seinem Leben, wie eine Originaleinfassung einer Feuerstelle in Roberts Geburtshaus, sind ebenfalls hier ausgestellt. An einer Wand hängt eine recht abgegriffene Stella Gitarre. Hier wird die Frage gestellt, ob dies eventuell die von Robert war. Sie wurde am Geburtsort Robert Johnsons gefunden, Nachforschungen darüber dauern an. Weiter geht es mit einer Timeline. Ganz witzig, dass auch Roberts Gitarrenspiel auf einem Diddley Bow begann. Ganz rustikal hatte er drei Saiten an sein Haus genagelt, mit einer Flasche dazwischen, damit die Saiten stramm gezogen und somit gestimmt werden konnten. Seine erste Gitarre erhielt er 1929. Um das Gitarrenspiel zu erlernen, zog er 1931 vorübergehend zurück in seinen Geburtsort Hazlehurst, zu Ike Zinnerman. Häufig spielten die beiden nachts außerhalb des Ortes, auf dem Friedhof, damit sie die Nachbarn nicht störten. Auch dies hat vielleicht zur Legendenbildung des Pakts mit dem Teufel, dem er angeblich seine Seele gegen ein besseres Gitarrenspiel verkauft hatte, beigetragen. Der Unterricht bei Ike hatte sich jedenfalls gelohnt – Robert war auf seinem Instrument nach einem Jahr richtig gut geworden. In den Jahren 1936 und 1937 nahm er seine ersten Platten auf. 29 wurden es insgesamt. Erst viele Jahre nach seinem Tod wurde Robnert Johnson als einer der einflussreichsten Musiker seines Fachs anerkannt und gewürdigt. Auch zeitgenössische Blues-Größen spielen seine Songs in ihren Konzerten. Neben Robert Johnson haben auch andere Einzelmusiker im Museum ihren Platz, wie Elvis in einer Ecke mit mannshohem Pappkamerad, Platten, Fotos, Zeitungsartikeln und vielem mehr. Ebenso auch andere legendäre Musiker wie Jimmie Rogers, Jerry Lee Lewis, Howlin‘ Wolf, die Opernsängerin Leontyne Price, B. B. King oder der Bluesmusiker Tommy Johnson. Sogar Willie Nelson hat es auf einem alten Veranstaltungsplakat von Texas ins ferne Hazlehurst am Mississippi geschafft. Mississippi ist der Geburtsort der amerikanischen Musik - so hat man es im Museum formuliert. Nicht der Ursprung des Blues, obwohl sich die Herleitung genau darauf bezieht. In einer nachgebauten, nach vorne hin offenen Holzhütte hat man entsprechende Gegenstände, wie Baumwollkörbe, Fotos mit Dampfschiffen und viele Daten in einer Timeline mit wichtigen Informationen platziert. Insbesondere der Weg Charlie Pattons (sein Geburtsjahr wird mit 1887 angegeben) wird etwas ausführlicher wiedergeben. In der Zeit, als die Baumwolle König war, sei das Mississippi Delta, „that place that gave birth to all types of our nation’s music” (der Geburtsort aller Musikarten unserer Nation) gewesen. Es wird beschrieben, wie sich die Musik auf den Plantagen entwickelte, die Ursprünge des Blues im Besonderen. Ich frage mich, ob es davor oder parallel dazu mit dem millionenfachen Zustrom von Einwanderern auch in andere Landstriche der USA parallel keine Musik gab, die eine solche Kraft entwickelte, wie zum Beispiel die Country-Musik. Zum einen ist sicherlich gemeint, dass der Blues andere Musikformen mit beeinflusste. Ich denke da an die in beiden Musikrichtungen verwendeten Musikinstrumente wie Mundharmonika, Gitarre und Lap Steel Guitar. Andererseits bezieht man sich wohl auf den Verbreitungsgrad der Bluesmusik. Denn indigene Musik der First Nation gab es schon lange davor. Im Hinblick darauf, inwieweit die indigene Bevölkerung im Laufe der Zeit immer weiter zurückgedrängt wurde, spielte auch ihre Musik im Vergleich kaum noch eine Rolle. Vielmehr waren es die millionenfach deportierten, afroamerikanischen Sklaven und deren Nachkommen, durch deren Rhythmen und Texte sich der Blues entwickelte und über die Grenzen hinaus verbreitete. Insofern kann man die im Museum aufgestellte These nachvollziehen, dass der im Mississippi Delta entstandene Blues auch die anderen Stile der US-amerikanischen Musik erheblich beeinflusst hat. Das war mir so nicht bewusst, obwohl die Grenzen zwischen den Stilen natürlich fließend sind. Der nette Mann, der uns hier begleitet, weist uns auch auf etliche fantasievolle Instrumente hin. Vielleicht sind sie denen nachempfunden, die früher aus Geldmangel nur mit sehr einfachen Mitteln hergestellt werden konnten. Saiteninstrumente in der Form eines Gewehrs, oder mit praktischen Klangkörpern wie eine große Zigarrenschachtel oder ein bunt bemalter Benzinkanister sind zu bewundern. „Sie sind von einem Freund“, schwärmt unser Guide, „gib‘ ihm eine Schaufel, und er macht dir daraus ein Musikinstrument.“ Sogar eine Ukulele und eine Bouzouki sind ausgestellt. Diese schnappt sich Alex sofort für ein Erinnerungsfoto. Auch Tasteninstrumente dürfen ebenfalls nicht fehlen, darunter ein „Organ“ mit einem kunstvollen Holzaufbau als Notenständer aus dem Jahr 1870. Darunter versteht man keine (Pfeifen-)Orgel, sondern es sieht eher aus wie ein kurzes Klavier, und ich würde es auch eher in einer Kirche verorten. Insgesamt kann man hier wunderbar stöbern - es fühlt sich an wie auf einem Flohmarkt für Musik. Ein riesiges Schallplatten-Mobile baumelt in der Mitte des Raumes von der Decke herab, ein Abspielgerät für Schellackplatten und ein altes Tonbandgerät stehen auf einem Podest, beschriftete Memorabilien in Vitrinen, die oben genannten Musikinstrumente überall; zig alte Schallplatten (darunter eine LP mit Leontype Price „Madame Butterfly“) stehen in soliden Holzboxen. An den Wänden hängen unzählige Plakate und Fotos, alles zusammen ein wunderbares Sammelsurium aus Erinnerungsstücken und Raritäten, das uns sehr kurzweilig unterhält. Am Ende werden wir noch mit Infomaterial überhäuft und erhalten sogar ein Buch über die legendären Mississippi-Musiker, deren Kunst die Welt veränderte. Zu guter Letzt hat unser Guide für uns telefonisch noch einen weiteren Termin im zehn Meilen entfernten Crystal Springs vereinbart. Dort stünde das echte Robert Johnson Blues Museum, denn hier ging es ja mehr um amerikanische Musik insgesamt. Der Fahrweg dorthin dauert nur eine Viertelstunde. Crystal Springs – Robert Johnson Blues Museum Als ich den Namen des Ortes auf der Karte zum ersten Mal las, dachte ich an Quellen, aus denen das Wasser aus der Erde kristallklar hervorsprudelt. Mittlerweile bin ich mir darüber im Klaren, dass der gesamte Staat Mississippi aus Wasserläufen wie Flüssen, Bächen und Bayous, quellenden Wiesen und Sümpfen besteht, die das Wasser von unten, und ergiebigem Regen, der es von oben über das Land ergießt. Was also ist in Crystal Springs das Besondere, das man im Namen der Kleinstadt „Kristallquelle“ festgehalten hat? „We have been blessed” (Wir wurden gesegnet), heißt es auf der Internetseite von Crystal Springs.
Also scheint es doch eine oder mehrere Quellen in der Nähe zu geben, die die landwirtschaftliche Erzeugnisse (insbesondere Tomaten) großzügig gedeihen lassen. Bei unserer Ankunft im Ort ist kaum etwas los. Unseren Wagen parken wir auf einem großen Platz, versichern uns bei den jungen Leuten, die dort stehen, dass das OK ist, und stellen fest, dass sich das Einraum-Museum nur ein paar Schritte entfernt befindet. Der Eintritt ist, wie schon zuvor in Hazlehurst, kostenlos. Irgendwie denkt man als Außenstehender, dass mit dem Tod eines großen Künstlers alles zum Erliegen gekommen ist, was ihn ausmachte. Natürlich wird keine neue Musik mehr entstehen, und das macht uns seine traurige Endgültigkeit bewusst. Allerdings hatte Robert Johnson einen Sohn, der sein Erbe lebendig erhalten hat und die meiste Zeit in Crystal Springs verbrachte: Claud L. Johnson (1931-2015). Seine Geschichte wurde in vielen bekannten Zeitungen, Zeitschriften, in Funk und Fernsehen erzählt. 1998 wurde er gerichtlich zum Alleinerben von Robert Johnson erklärt. Ebenfalls gerichtlich wurde er auch zum einzigen Verwerter der beiden bekannten Fotos seines Vaters bestimmt. Dies ist umso bedeutsamer, da Robert Johnson zu Lebzeiten durch seine Musik nicht reich geworden war. Der Ruhm kam viel später erst dadurch, dass zeitgenössische Musiker, wie die Rolling Stones, Bob Dylan, Eric Clapton und die Allman Brothers, Johnsons Musik für sich entdeckten und in ihr eigenes Bühnenrepertoire aufnahmen. Sie haben ihn damit als Blues-Genie gewürdigt und ihm den Stellenwert gegeben, der ihm unter allen Bluesmusikern gebührt. Anlässlich des Todes von Claud Johnson wurden diese Informationen auf www.americanbluesscene.com zusammengetragen. Zwei von Clauds Söhnen, Michael und Steven Johnson, somit Enkel von Robert Johnson, sind ebenso mit dieser Kleinstadt verbunden. Insofern ist es natürlich kein Zufall, dass das Museum mit dem großen Namen seine Heimat in Crystal Springs, und nicht in Roberts Geburtsort, Hazlehurst, gefunden hat. Dahinter steht eine Stiftung, die von Johnsons Familie initiierte Robert Johnson Blues Foundation mit einer sehr informativen Website. Diese wurde schon 1998 von Claud ins Leben gerufen. Beim Namen des Museums würde man denken, dass sich die Ausstellung ausschließlich um die Person Robert Johnsons dreht. Insgesamt ist sie jedoch auch anderen Mississippi Blues Musicians gewidmet, denn weder spielte Robert Johnson im luftleeren Raum noch hat Crystal Springs nicht selbst Bluesmusiker hervorgebracht, die – eingebettet in die große Zeit des Deltablues - ebenfalls in die Bluesgeschichte eingegangen sind. Auf einer großen Karte Mississippis, die hier ausgestellt ist und die wir schon in anderen Museen gesehen haben, wurden die unzähligen Orte mit den Namen der Musiker versehen, die zu den jeweiligen Orten einen entscheidenden Bezug hatten. Es grenzt an ein Wunder, dass alle Namen darauf passen. Einer der im Museum aufgestellten Marker ist dem ebenfalls sehr bekannten und einflussreichen Bluesspieler Tommy Johnson (1896-1956) gewidmet, der hier in der Gegend aufgewachsen ist. Er gehört zur Generation von Charlie Patton. Auch Tommy zog zwischenzeitlich zur Dockery Farm, um mit Charlie und Willie Brown zusammen Musik zu machen und aufzutreten. Danach kam er wieder zurück nach Crystal Springs, wo er nach seinem Tod auf dem Friedhof im Norden des Ortes begraben wurde. Tommy Johnson mit Big Road Blues Ein anderer Marker des Mississippi Blues Trails ist dem Pianisten Pinetop Perkins und ein weiterer B. B. King gewidmet, dessen Geschichte wir in seinem Museum in Indianola ausgiebig erkundet haben. Das Robert Johnson Blues Museum ist im Vergleich zu demjenigen in Hazlehurst mit Ausstellungsgegenständen vergleichsweise sparsam bestückt. Auf der einen Seite des Raumes stehen zwei Sitzgruppen. An den Wänden hängen Infotafeln und Fotos, andere Hinweise sind auf Stelltafeln angebracht. Auf einer der Wände, der Robert Johnson Wall of Fame, hängen verschiedene Gitarren und Fotos mit der dazugehörenden Geschichte. Gleichzeitig darf sich jeder Besucher mit Filzstift auf der Wand verewigen. Sie ist schon so eng bekritzelt, dass kaum noch Platz darauf ist. Eigentlich hatte ich eine Sammlung gespickt mit Robert-Johnson-Memorabilien erwartet, doch davon ist nicht viel zu sehen. Vielleicht gibt es nach der langen Zeit auch keine mehr. Begleitet werden wir bei unserem Besuch hier nicht, doch ein Mann, der im Nebenraum an seinem Schreibtisch sitzt, steckt auf unsere Bitte hin einen Stick mit Musik von Robert Johnson in ein Abspielgerät, und gleich hören wir die markante und kräftige Stimme des Bluesmusikers, für den wir heute den weiten Umweg genommen haben, um einmal an authentischen Orten seines Künstlerlebens gewesen zu sein. Auf unserer Bluesreise durch den Süden ist das für mich genauso ein Höhepunkt wie der Besuch der Dockery Farm. Ausschnitte seiner Lieder, zusammengefasst in der Centennial Collection aus dem Jahr 2011 sind auch auf der Seite der Robert Johnson Blues Foundation zu hören. Noch vollkommen unter dem Eindruck des Besuches der beiden Orte, die so eng mit Robert Johnson verbunden sind, machen wir uns langsam auf den Weg zu unserem heutigen Ziel. Er führt zunächst über die 55 zurück nach Hazlehurst, von hier über die 28 bis Fayette, über den Highway 61 bis Stanton und ab hier ein kurzes Stück über den Natchez Trace Parkway bis nach Natchez. Natchez Trace Parkway Diese Landstraße verläuft in etwa parallel zum ursprünglichen "Old Natchez Trace", zwischen Natchez und Nashville. Er führt über 444 Meilen (ca. 715 Kilometer) durch die drei Bundesstaaten Tennessee, Alabama und Mississippi. Für Pausen gibt es genügend Picknick-Areas und Campingplätze für diejenigen, die zwischendurch hier übernachten wollen. Die historische Trasse wurde schon von der indigenen Bevölkerung genutzt (vielleicht haben sie sie auch angelegt?), später von europäischen Siedlern, Sklavenhändlern, Soldaten, Jägern und Flößern (den sogenannten Kaintucks) auf ihrem Fußweg nach Hause. Jede einzelne Sehenswürdigkeit auf dem vollkommen werbefreien Parkway ist separat ausgeschildert und - beginnend ab Natchez - mit durchnummerierten „Mileposts“ bestückt. Beispielsweise kann man auf kurzen Stücken des freigelegten alten Pfades spazieren, wie auf dem Sunken Trace (Milepost 41.5). Oder man schaut sich historische und natürliche Sehenswürdigkeiten an, wie das Gebäude von Mount Locust (Milepost 15,5) oder den Emerald Mound (Milepost 10.3), eine bedeutende heilige Stätte der indigenen Bevölkerung; Wasserfälle, Creeks, schöne Aussichtspunkte und vieles mehr gibt es in diesem Nationalpark ebenfalls zu bestaunen. Bei der ursprünglichen Streckenplanung hatte ich einen Weg schon ab Kosciusko, viel weiter nördlich (bei Milepost 160), ins Auge gefasst. Dazu hätten wir ab Indianola aber eine ganz andere Richtung einschlagen müssen und so manches verpasst, was wir in den letzten Tagen erlebt und gesehen haben. Wir finden, dass die von uns priorisierte Strecke für unsere Wünsche genau richtig war. Doch lassen wir es uns nicht entgehen, die letzten 20 Kilometer auf dem Parkway bis nach Natchez zu fahren und ein Gefühl für diese Naturschönheit zu bekommen. Einen Umweg zu den Sehenswürdigkeiten auf der Strecke nehmen wir jedoch nicht mehr in Kauf, da es einfach schon zu spät geworden ist. Ankunft in Natchez Nach der Übernachtung auf der Canemount Plantation hatten wir uns für Natchez eine ehemalige Mansion ausgesucht. Bei unserer Ankunft freuen wir uns auf den Bezug eines Zimmers in der altehrwürdigen Villa. Leider müssen wir feststellen, dass zwar das Mobiliar auf alt getrimmt ist, der Komfort in diesem muffigen, düsteren Raum mit den schweren Vorhängen jedoch für den verlangten Preis erheblich zu wünschen übrig lässt. Da wir morgen weiterfahren, nehmen wir es einfach hin. Vielleicht gibt es in dem großen Gebäude auch noch bessere Zimmer, anders kann ich mir die hohen Bewertungen beim Buchungsportal nicht erklären. Natchez ist eine sehr besondere Stadt. Mark Twain würdigt sie in wie folgt: „An ein, zwei Punkten wird die ermüdende flache Linie von ‚Bluffs‘ unterbrochen, wie sie dort die sich in Abständen erhebenden Anhöhen nennen. Die Stadt Natchez liegt wunderschön auf einer dieser Bodenerhebungen.“ Sie sei voller „üppig wachsender Melonenbäume, Fächerpalmen und Orangenbäume, die reiche Fülle süß duftender Blumen, die dort gedeihen, das alles lässt die Stadt wie eine Oase in der Wüste erscheinen.“ (Mark Twain, S. 262, s. Literaturliste) Ein erster Erkundungsgang in einer der ehemals reichsten Städte der USA führt auch uns zum Bluff Park, oberhalb eines zum Mississippi hin abfallenden Hangs. Von einem erhöhten Pavillon in der Mitte des kleinen Parks ist die Sicht auf den Mississippi sehr spektakulär und man versteht die schwärmerische Beschreibung des Autors, wie er die Stadt vielleicht vom Fluss aus erstmalig gesehen hat. Auf der anderen Flussseite, in Louisiana, erkennen wir den Ort Vidalia, der auf Flusshöhe liegt und dadurch, gerade bei Hochwasser, erhebliche Nachteile zu Natchez aufweist. Die gleichnamige Brücke verbindet seit 1940 beide Flussufer. Natchez Under-the-Hill Morgen Vormittag werden wir einen kleinen Bummel durch den historischen Teil von Natchez machen, doch jetzt möchten wir den heutigen Tag beschließen. Uns wurde zum Abendessen ein Restaurant unterhalb des Hangs, auf dem die Stadt liegt, empfohlen. Der Ortsteil nennt sich in Natchez Under-the-Hill. Eine Straße führt dort hinab. Mit bangem Blick denke ich, dass wir Sportskanonen später mit vollem Bauch auch wieder zurück müssen, doch im Moment wird das verdrängt. Wie wir auf Hinweisschildern am Weg erfahren, spielte dieser am Flussufer gelegene Ortsteil insbesondere in der Ära der Dampfschifffahrt eine große Rolle. Von 1811, als das erste Dampfschiff, die New Orleans, hier anlegte, bis in die 1860er Jahre, dem Vorabend des Bürgerkriegs, trug der Flusshandel erheblich zum großen Reichtum von Natchez bei. Neue Saatgüter für bessere Baumwollsorten waren gefunden, die Cotton-Gins hatten Einzug in die Plantagen gehalten. Beides sorgte im Zusammenspiel mit den Transportmöglichen, die die Dampfschifffahrt bot, für ein lebendiges Treiben im Hafen von Natchez Under-the-Hill. Der Bürgerkrieg beendete die Handelsschifffahrt auf dem Mississippi weitestgehend. In der Folge übernahm die Eisenbahn deren Aufgaben. Es gibt ein Datum, das in Natchez Under-the-Hill (und im gegenüber liegenden Vidalia) eine große Bedeutung hat. Es ist der 8. Mai 1840 (laut Hinweisschild - andere Quellen behaupten, es war der 7. Mai), als einer der stärksten Tornados der amerikanischen Geschichte hier auftrat und über 300 Tote forderte, die meisten von ihnen Passagiere und Bootsmänner von Schiffen, die hier vor Anker lagen. Er wird als der Great Natchez Tornado of 1840 bezeichnet. Nach heutigem Wissen wäre er auf der Skala wahrscheinlich ein E5-Tornado gewesen. Es brauchte fast ein Jahrzehnt, um die Schäden zu beheben. Alle historischen Häuser, die man heute in Natchez noch sieht, stammen daher aus der Zeit nach 1840. Legendär war nach dem Niedergang der Dampfschifffahrt noch ein Rennen zwischen den Dampfschiffen Robert E. Lee und der Natchez, das 1870 zwischen New Orleans und St. Louis stattfand. Der Kapitän aus Natchez verlor zwar, dennoch hat der Rekord des Siegers von 3 Tagen, 18 Stunden und 14 Minuten immer noch Bestand. Dieser berühmte Wettlauf findet auch in Mark Twains „Leben auf dem Mississippi“ seinen Widerhall, indem der Zeitplan von Hafen zu Hafen minutengenau wiedergegeben wird. (s. Literaturliste, Mark Twain, S. 126/127) Nach Etablierung der Eisenbahn 1882 bedienten drei verschiedene Gesellschaften den Transport in Natchez. In Under-the-Hill hingegen wurde es ruhiger, da nur noch wenige Schiffe be- und entladen werden mussten. Bis 1940 drehten sich die meisten Aktivitäten um den Fährverkehr, nach dem Bau der Brücke im selben Jahr wurde der Ortsteil jdoch fast zur Geisterstadt. In Ferriday, auf der anderen Seite des Mississippi, wurde 1935 die spätere Rock-‘n‘-Roll-Legende Jerry Lee Lewis („The Killer“) geboren. Als Dreizehnjähriger (!), also im Jahr 1948, gab er im damaligen Blue Cat Club (benannt nach dem blauen Katzenwels des Mississippi Rivers) laut Hinweistafel hier im unteren Stadtteil von Natchez sein erstes Profi-Konzert. Im Rolling-Stone-Magazin von Oktober 2006 erzählte er von diesem Event. Der Besitzer habe ihm gesagt, dass er – falls ein Polizist vorbeikäme - sein Alter mit 21 angeben solle. So geschah es denn auch, doch Jerry konnte auf dem Klavierhocker sitzend mit seinen Beinen noch nicht einmal den Boden erreichen. Der Polizist habe einfach nur herzhaft gelacht. Im Vordergrund der jetzt hübsch renovierte Blue Cat Club an der Silverstreet, die seit Ende des 18. Jahrhunderts Natchez On-top-of-the-Hill und Natchez Under-the-Hill verbindet. Es dauerte nur sieben weitere Jahre, bis Jerry nach Memphis zum Vorspielen zu Sun Records fuhr. Zwei Jahre später, im Alter von 22, hatte er „Whole lotta shakin‘ goin‘ on“ und „Great Balls of Fire“ aufgenommen, von denen jede eine Million Kopien verkaufte. Jerry Lee Lewis, hier in der Ed Sullivan Show vom 16. November 1969. Das waren „die guten alten Zeiten", als Under the Hill noch Hafenviertel war. In der Folge hatten sich obendrauf in der seit jeher sowieso schon rauen Gegend Spelunken mit illegalem Glücksspiel und Bordelle etabliert. Erst als in den 1970er Jahren der Tourismus Begehrlichkeiten weckte, wurde Natchez Under-the-Hill wieder instand gesetzt und die historischen Häuser für die Besucher hergerichtet. Wir gehen die Straße hinunter bis zu ihrem Ende am Fluss, wo ein krachneues Ausflugsschiff, die American Symphony, vor Anker liegt. Sie interessiert uns jedoch weniger. Vielmehr erwärmt der Blick auf die unglaubliche Weite des Flusses aus dieser Perspektive unser Herz und lässt Reise-Sehnsüchte aufkeimen. Das empfohlene Restaurant befindet sich ebenfalls in dieser Häuserzeile an der Silverstreet, wo wir Gegrilltes und Frittiertes bekommen. Währenddessen taucht die untergehende Sonne den Raum plötzlich in ein goldenes Rot, was viele Gäste nach draußen eilen lässt, um den Augenblick festzuhalten. Später dann kehren wir im Under-the-Hill-Saloon ein, dem ältesten Überrest aus der wilden Hafenzeit. Nebenan ist der Eingang zum Mark-Twain-Guesthouse. Es lässt sich jedoch nicht herausfinden, welche Spuren der Autor hier genau hinterlassen hat. Es heißt, dass er hier übernachtet habe, als er noch unter seinem bürgerlichen Namen Samuel Clemens Mississippi-Dampfschifffahrtslotse war. Schon auf dem Hinweg werden wir von einigen älteren Besuchern vor dem Saloon angesprochen, wir sollen doch lieber hier bleiben, und im Außenbereich auf den Bänken Platz nehmen, die direkt vor dem Haus aufgestellt sind. Bier gäbe es auch. Wir vertrösten sie auf später, doch bei unserer Rückkehr, nach dem Essen, sind sie weg. Im Innern der zweihundert Jahre alten Bar findet eine musikalische Live-Aufführung eines Solisten mit Gesang und Gitarre statt. Alle Tische sind besetzt. Auf den rötlichen Klinkerwänden hängen etliche Fotos, die sich mit der früheren Schifffahrt auf dem Mississippi beschäftigen, der Erfindung neuer Dampfschiffe und deren Rennen auf dem Fluss. Auch ein Foto der legendären Natchez ist zu sehen. Auf einer der Bänke vor dem Lokal ist noch Platz und so pflanzen wir uns dorthin. Da die Fenster hinter uns sperrangelweil geöffnet sind, kommen wir auch in den Genuss der Musik. Gleichzeitig tauschen wir uns mit einem neben uns sitzenden österreichischen Paar aus. Es ist interessant, was sie über New Orleans zu berichten haben, immer noch ziemlich geplättet vom Erlebten. „Bizarr“ ist das häufig gebrauchte Attribut, mit dem sie ihre Erlebnisse in der Stadt ganz ernsthaft beschreiben. Nur noch zwei Tage, dann werden auch wir dort sein. Auch einen Professor, der an der Alcorn University lehrt, hat es für den Abend hierher in den Saloon verschlagen. Sein Job sei toll, er liebe ihn, meint er. Das glaube ich, denn der Mann ist ständig am Lachen! Immer wieder wechselt er nach drinnen zur Musik und pendelt dann wieder nach draußen zum Rauchen. Und so begegnen wir uns auch immer wieder aufs Neue. Nacht über dem Mississippi und Vidalia Schon eine ganze Weile haben wir das Wetterleuchten auf der anderen Flussseite beobachtet. Irgendwie hängt Regen in der Luft, und so machen wir uns am späten Abend zu Fuß den wie befürchtet beschwerlichen Weg über die Silverstreet wieder hinauf zu unserer Mansion. Kaum haben wir uns hingelegt, trommeln auch schon die ersten fetten Regentropfen gegen die Fensterscheibe. |