Rhodische Einsamkeit
Copyright puchheim = MartinPUC, Juli 2006




I. (In der Altstadt)


Brütende Hitze über dem Land, auf den Dodekánissa wie bei uns. Schweißgebadet erwachst du frühmorgens, selbst ein Bettlaken als Zudecke für die Beine ist zu viel. Die ockergelben dicken Mauern strahlen ihre gespeicherte Wärme unbarmherzig in die Nacht hinaus.

In einer schmalen Gasse der Altstadt von Rhodos liegst du in deinem Schweiß auf der Platzorgie deines Doppelbetts, nach so vielen 90-cm-Bettbreiten. Ein Feigenbaum aus der Ruine gegenüber duftet entkräftet durchs weit geöffnete Badezimmerfenster. Ganz selten rattert ein verlorenes Zweirad über das Pflaster aus kleinen, fast spitz gerundeten Steinen, dem so typischen Straßenbelag, den man durch die Schuhsohlen hindurch spürt.
Es ist wahrlich Sommer geworden, und da wäre ein kühler Garten den städtischen Gemäuern vorzuziehen.
Aber die Magie dieser einzigartigen Altstadt hat dich in ihrem Bann. Die täglich strömenden Massen wenige Schritte weiter stören dich als Zurückkommenden nicht, du weißt ihnen zu entrinnen, sie zu ignorieren, auszuweichen in höher gelegene Viertel oder ans Meeresufer.

Ein schmaler, enger, sehr preisgünstiger Lebensmittelladen versorgt dich, schmal wie die Gasse rechtwinklig zum Total-Kommerz, ständig werden Sandwiches zubereitet von dem gutmütigen älteren, jüdisch aussehenden Herrn hier inmitten des historischen Judenviertels, in derselben Gasse wie der Laden die verschlossene, auf Wunsch zu besichtigende Synagoge, weiter oben um die Kurve herum, noch hinter dem zweiten Pandopolío. Einer der wenigen Überlebenden, oder ein Zurückgekehrter? Apothekerpreise hat er bestimmt nicht, eher das Gegenteil.
Wenn du einen "Chevalier de Rhodes" nimmst, einen "Sävalliee", beglückwünscht er dich zu der guten Wahl, dem trockenen Roten von seiner Insel. Und du freust dich auf den ersten Biss in das Edam-Salami-Sandwich, vergisst einmal BSE, die Massentierhaltung und alle Probleme, auf den folgenden Biss in die reife Tomate, denkst nicht an die Gentechnik, die so fruchtig schmeckenden flaumlosen Pfirsiche, dort oben unter dem Tonnengewölbe der Freiterrasse im ersten Stock deiner Bleibe, wo du dich abends und nachts so geborgen fühlst. Die paar Tische mit bereitgestellten Aschenbechern, der Kühlschrank für die Gäste, der bescheidene Ausblick nach vorne auf Mauern jenseits der Gasse, auf die aufgehängte kleine Wäsche vor dem Fenster, nach hinten auf den Zitronenbaum, einen Gartenausschnitt mit etwas Himmel. Fußgetrappel und Stimmen in der Gasse.

Wenn es Abend wird, gehst du immer durch das nächstgelegene Tor der schier unendlichen, zinnenbewehrten, stimmungsvoll angestrahlten Stadtmauern hinaus, spürst eine besondere Großartigkeit, sogleich auch die Kühle des Hafens, querst die Autopiste, die nachts zum Paradeplatz der Motorisierten ausartet, windest dich auf dem nicht sehr breiten Gehsteig entlang, anderen Rückkehrern in Bermudashorts ausweichend, denen zu den Schiffsgebirgen. Neben dir die Boote kleineren Kalibers, von Fischern und weniger Begüterten. Und gleich wieder stattliche Hochseejachten aus Georgetown, and elsewhere.

Wie klein sie sich wohl fühlen mögen, die kleinen Leute von Rhodos-Stadt? Die lange Hauptmole des Fährhafens ist zugekleistert mit Schiffsriesen der XXL-Sonderklasse, den denkbar größten Kreuzfahrern unserer Gegenwart, vielstöckigen Johannitern der Post-Postmoderne aus Norwegen und Übersee. Vier dieser schwimmenden Kolosse zählst du gleich am ersten Tag nach deiner Ankunft. Und alle legen sie ab, wenn es Nacht wird.
Dann schiebt oder zieht irgendein Herakles, Nummer 1 oder Nummer 3, die Ungetüme aus dem Hafenbecken und der Blick wird wieder frei Richtung Ost und Nord auf dieses Wunder von türkischer Gegenküste mit ihrer so reichen Gliederung. Und du wunderst dich über die am Kai zurückgeblieben Niedlichkeiten: die verschwindend kleine SYMI, deren Heckklappe gerade in griechischer Improvisationskunst mit einem sprühstücklosen Feuerwehrschlauch gewaschen wird, ein irre dicker Strahl, dem zwei Männer kaum Herr werden, die unweit davon dümpelnde PROTEUS, den einen Katamaran namens KING SARON, den du früher immer als so riesenhaft empfunden hattest.

Nicht eine einzige der einheimischen "Großfähren" liegt hier momentan vertäut. Seit es die schnellen Katamarane gibt, ist es anscheinend rarer geworden mit den größeren traditionellen Fähren, die gleichwohl noch für den LKW- und Autotransport benötigt werden. Vielleicht hast du auch gerade eine Zeit erwischt, da sie auf großer Fahrt sind, denkst du.



II. (Zum Neuen Markt)


Noch nicht viel Geschäft in der "Kandína" beim letzten Stadttor am großen Hafen mit Blick auf den zwischen Jachten eingekeilten zurückgekehrten "Dodekánisos Express". Weil ich die Autos meiden will, nehme ich den Fußweg vom Nordende des Hafenbeckens durch die Vorbastion über dem Meeresufer mit einem Innenhof, besonders frühmorgens eine friedliche Ecke.
Ein kleinwüchsiger Schäferhund zwängt sich mit aller Kraft seitlich unters Gatter am Wegrand, um ein Katzenkind zu haschen. Ein schmächtiger Junge müht sich auf einer uralten, ramponierten Ziehharmonika ab, er hat Talent, verdient für die Familie hinzu. Fotografierende Paare, abwechselnd SIE oder ER auf den Zinnen. Schon bin ich wieder im Getös, hier fängt der Mandráki-Hafen an, parkende, sich ausruhende Stadtbewohner zunächst, schräge Blicke zurück auf die Schiffe im Fährhafen, auf unterhalb der Bastion Badende. Die Windmühlenreste.
Restaurantanmache, der zentrale Taxistandplatz und eine Unmenge am Kai liegender Ausflugsboote. Neben einigen Symi-Booten ein Stück nördlich schaukelt die Sea Star aus Tilos vor sich hin, ihrem nächsten Einsatz entgegen.

Durch den Haupteingang zum italienischen, von seiner Architektur her sehr orientalisch wirkenden Neuen Markt mit der hohen Kuppel darüber trete ich ein ins Reich der beiden Großkioske, deren Besitzer sich gut zu verstehen scheinen, trotz Konkurrenz. Einer rät mir von der Vivodi-Call-Plus-Telefonkarte ab, denn es gebe noch eine günstigere, speziell für Auslandsgespräche, die "forever WORLD calling card", und seit ich sie erstanden habe, weiß ich nicht mehr, wie das alles abtelefonieren, so viel Guthaben für 5 Euro hatte ich noch nie. Es ist wieder eine "Rubbelkarte", man benötigt neben der aufgedruckten Vorwahl nur die herzurubbelnde PIN; dann geht alles deutlich einfacher als bei Vivodi.

Gutgelaunt und doch nervös strebe ich meiner geliebten Institution entgegen, dem schmalen Handtuch des "Paradosiakó Kafenío I Symi" - wer weiß, ob es noch da ist? - jedes Jahr dasselbe. Bei all den es umzingelnden Juwelieren und Abzockern nähme es nicht wunder, wenn es aufgekauft wäre.
Aber es ist noch da, uff!, und Stávros schaut Fußball, springt hin und wieder zwecks Bedienen auf. Da wird es bald laut. Die TV-Kiste hoch über den Köpfen der Gäste in die Außenwand integriert, sommers wie winters. Alles so urig wie seit 20 Jahren gehabt, meist einfachere Leute anwesend, die auf die Preise achten müssen. Preislich aus der Reihe tanzt nur der C.A.I.R.-Retsina für stattliche 3 Euro 50, das Luxusgetränk. Ein großes Bier kostet 2.
Der gleich hier, immer bei dem "Tempel" des ehemaligen Fischmarktes positionierte kalymniotische Fischhändler ist diese Tage nicht da - Magenoperation, erfahre ich, auch ihn hat es erwischt.
Einen Néscafe für 1.25. Zuschaun, wie sie ankommen, Platz nehmen an den wenigen Tischen mit den breiten weißgerippten, rotfüßigen Gartenstühlen. Die Passanten beobachten, die wenigen streunenden Katzen, die Hunde.

Über der Stadt einfliegende, rauschende Jets beleben die Szene von oben herab. Gehupe dringt durch die Tore.

Heute hat Stávros kein Essen mehr, deutet auf den Jiros-Grill des ebenfalls billigen linken Nachbarfreilokals. Man bringt mir meine Portion auf einem Teller an den Tisch, kein Problem unter Nachbarn.
Stávros und sein Kompagnon servieren gelegentlich noch mit den das richtige Levante-Gefühl vermittelnden silbrigen alten türkischen Kaffeetassen-Tragegestellen mit den sich vom Tablett nach oben zur Laterne des Griffrings hin verjüngenden Streben. Echter Orient, denke ich. Auch Ausländer setzen sich, auf eine billige Saufe, oder einfach die Atmosphäre zu genießen, ein WM-Spiel mitzuerleben. Selbst Jachtfahrer sind darunter, neben Geldlosen und etwas Zwielichtigen, die einen aber nie belästigen, genug untereinander zu kommunizieren haben.
Schon um 6 Uhr morgens ist hier geöffnet. Der letzte Kaffee vor der Bustour zum Rückflug ...

Anderntags krieg ich abends um 10 noch leckerste Sardinen mit viel Zitrone für ein paar Euro. Man besteht darauf, dass ich einige Spritzer Olivenöl über sie schütte. Fußball-WM-Wetten werden abgeschlossen. Mexiko schießt das erste Tor. Der Stammgast mit der langen Mähne hat die Wette gewonnen, gewinnt an allgemeiner Achtung.



III. (To Stenó)


Ich verlasse die Altstadt aus einem ruhigen Viertel um die Omírou-Straße herum durch die verwinkelte Bastion des Ágios-Athanássios-Tors. Auf dieser Seite sind die gewaltigen Ausmaße der ewig langen Stadtbefestigungen besonders beeindruckend, der weite Stadtgraben tief, die aus der Tiefe aufsteigenden zinnengekrönten Mauern vielleicht 20 oder 25 Meter hoch. Man bekommt eine Vorstellung davon, wie sehr sich die Johanniter gegen den osmanischen Feind in Sichtweite schützen mussten. Jenseits des Grabens ein Stadtpark mit Kiefernwald, das Joggerparadies schlechthin. Unten im Graben breite Wege für Spaziergänger, Hundegassiführer und Mauernumrunder.

Ein Polizist kann mir keine Auskunft geben, wo denn die Ajíou-Anarjírou-Straße sei, dabei beginnt sie gleich jenseits der Ringstraße, etwas nach rechts verschoben. Die beiden Alten auf einer Bank wissen natürlich, wohin es zu ihrer Aj.-Anárjiros-Kirche geht.
Linkerhand ein weiterer Park, rechts einige endgültig zugesperrte Läden, gleich links die freundlich wirkende Kirche, die weißen Mauern und der Turm blau eingefasst, kleiner Innenhof zwischen Turmvorbau und Kirchengebäude. Etwa 200 m südlich ein Schild mit roter Aufschrift, das mir mein Ziel signalisiert, das zu suchen ich schon fast aufgegeben hatte: das Tavernchen "To Stenó" in dem Viertel, das sich südwestlich der Altstadt zu Füßen des Monte Smith und des antiken Stadions ganz sanft ansteigend nach Süden zieht.
Warum "To Stenó"? Nun, das Lokal ist in karpathiotischer Hand, und gemeint ist der "Stenó", die schmale Meerenge zwischen dem äußersten Norden von Kárpathos und der Nachbarinsel Saría.

Ein wirklich netter, geräumiger kafeníoartiger Innenraum, rechts anschließend ein großer Garten mit erstaunlich vielen, für den Abend bereiteten Tischen. Eine relativ umfangreiche Speisekarte haben sie auch, mit interessanten Gerichten. Irgendwann ess ich da!
Drinnen sitzt ganz allein, an einem randlich aufgestellten Tisch, der Herr des Hauses namens Níkos und schneidet Zucchiniblüten von den Früchten - ein beliebtes "gefülltes" Gericht wird daraus entstehen.
Ich suche mir aus dem Getränkekühlschrank das Gewollte heraus, und die aus der Küche auftauchende Frau gibt mir ein Glas. Sie ähnelt ihrem Bruder wirklich wie aus dem Gesicht geschnitten. Da sie zusammen mit ihm über 4 Jahre bei Mannheim verbrachte (ihr Bruder blieb länger), spricht sie auch noch recht gut Deutsch, wie sich bald herausstellt, übrigens auch ihr Mann.

Maria ist die Schwester von Papá Minás, dem Pfarrer von Diafáni. Sie hat sich in einem rhodischen Viertel niedergelassen, in dem gar nicht so wenige Mit-Karpathioten zu Hause sind.
Die Taverne ist eines jener Paradebeispiele von "blitzsauber", in jeder Hinsicht. Für mich das Schönste sind die großen Fotos an den Wänden, mit Motiven aus Kárpathos und einer beeindruckenden neueren Luftaufnahme von Diafáni, die es dort auch als Ansichtskarte zu kaufen gibt.

Ich komme mit dem Paar ins Gespräch, in einer Mischung aus Griechisch und Deutsch. Sie erfahren vom letzten Osterfest, dessen Tage ich auch zusammen mit Papá Miná (manche nennen ihn "Popen", aber das klingt für mich scheußlich, griechisch heißt er doch "Papás") verbracht habe, von der inzwischen langen Bekanntschaft mit ihm. Später erzählen sie mir, dass ein Sohn von ihnen (oder war es ein Neffe?) in Cluj (Klausenburg, Rumänien) Medizin studiert hat, gerade in München ein Aufbaustudium beginne. Sie gäben Unsummen aus für einen Intensiv-Sprachkurs am Goethe-Institut. Das winzige Häuschen, das er in München gemietet habe, koste gut über 500 €, obwohl es eher eine größere 1-Zi.-Wohnung (!?) sei. Ob denn alles bei uns so teuer geworden sei?

Zwischenzeitlich ist ein weiterer Diafaniote hereingekommen, fragt mich, ob ich ihn nicht erkenne, er sei der Bruder des Ex-Bürgermeisters Michális. Ich (er)kenne ihn nicht, zeige mich aber betroffen, denn wenige Tage zuvor haben mir einige Leute in Diafani erzählt, was ich schon über "papajorgi" aus dem Internet wusste: dass nun auch dieses lebenslustige, braungebrannte, dickliche Unikum mit der überlauten Stimme und häufig schwarzer Sonnenbrille, das mich vor x Jahren einmal auf einem kleinen Boot zum Stenó fuhr (und dabei natürlich, scheinbar wegschauend, voll auf diesen kleinen, aber so gefährlichen Felsen unweit der Küste zusteuerte - zum Schrecken aller Bootsinsassen -, das Steuer erst ein paar Meter vor dem Hindernis herumriss!), an Krebs erkrankt sei. Ja, wir sind uns einig, er sagt nichts, blickt ernst zu Boden, ich sag: Ti na kánoume?

Als ich das Tavernchen verlasse, schaut gegenüber eine Frau in olymbitischer Tracht aus dem Fenster, die nächste treffe ich mit ihrer modern gekleideten Tochter einen Häuserblock weiter an. Das Karpathioten-Viertel von Rhodos-Stadt?



IV. (Der Weg in die Stille)


Morgens um 06:45 Uhr schießt der RODA-Bus absolut pünktlich um die Ecke und hält beim südlichen (von zweien) noch geschlossenen Fahrkarten- und Info-Kiosk vor dem Neuen Markt.
Gestärkt durch einen Nés im "I Symi" trete ich eine umständliche Reise ins Herz der Insel an.

Auf dem Bus steht "Kiotári", und das liegt schon weit unten an der Ostküste von Rhodos, unweit von Jennádhi (Gennadi). Doch der Fahrer meint, ich müsse in Archángelos umsteigen, um für insgesamt nur 4 Euro im Bus nach Lárdos zu gelangen. Da schöpfe ich schon Verdacht. Warum dann "Kiotári"???
Es steigen nur ein paar Exemplare der arbeitenden, pendelnden Bevölkerung zu, die sich in die Außenviertel und nach weiter draußen chauffieren lassen. Ein Erlebnis für mich, durch die Alleen der südlichen Vorstädte zu gleiten, in dieser Morgenstille. Schließlich vorbei am Rodini-Park, schon am Stadtrand.

Dann beginnt die Tortur, die jeder mitmachen muss, der sich auf der Hauptstraße Richtung Archángelos bewegt. Kilometerweit, nicht enden wollend, hässliche Geschäftsbauten, Werkstätten, Autohäuser, Betonfirmen, Keramikhändler und dergleichen zu beiden Seiten der Straße. Auch ein LIDL fehlt nicht (- noch ein weiterer findet sich an der Ausfallstraße die Küste entlang kurz vor Kallithéa). Und mit den Ampelanlagen hört es auch erst SEHR weit draußen auf. Das hab ich ja, auf dem Weg nach Lindos, schon früher erlitten.

Doch irgendwann ist dieser Spuk zu Ende, nicht weit hinter Faliráki, das wir nur ganz randlich berühren.
Nach Überwindung der ersten, von einem Kloster linkerhand gekrönten Höhen, bietet sich endlich ein weiter, wohltuender Blick über eine Ölbaum- und Graslandschaft bis hin zum Profítis Ilías hinter Archángelos. Das Zentrum dieses Landstrichs ist das stattliche Dorf Afándou, in das hinein wir abbiegen und wo eine neue, zunächst lustige Schar Einheimischer zusteigt.

Ganz besonders reizvoll finde ich den Anstieg über der Tsambíka-Bucht, rechts eine hübsche Klosteranlage, links ein Aussichtslokal. Wenn man im Bus aufsteht, sieht man an einer Stelle gegen das glitzernde Meer sogar einen Teil des schlichtweg großartigen, überbreiten, langen Sandstrandes mit seiner randlichen dunklen Baumbewachsung, allerdings auch vielen Liegen und Sonnenschirmen.
Schon nähert man sich dem Riesen-Dorf Archángelos, biegt von der Durchgangsstraße ab auf eine ruhigere Parallelstraße mit dem Hauptbushalt, wo ich aussteigen soll - gut, dass ich noch einmal gefragt habe.
Es käme gleich ein anderer Bus. Kurz darauf bittet mich der Fahrer wieder einzusteigen, erste Diskussionen zwischen Insassen und Buslenker entwickeln sich, denn auch sie sollen bald alle zusammen den Bus verlassen: an der Einmündung auf die Hauptstrecke Richtung Lindos, ganz am südlichen Ortsende.
Demonstrativ dreht der Fahrer dort Richtung Rhodos-Stadt, bittet alle am Straßenrand heraus und beginnt diverse Handy-Telefonate - mit wenig Erfolg, denn um halb acht liegen die zuständigen RODA-Verantwortlichen zum überwiegenden Teil noch in Morpheus' Armen.
Nun wird es richtig laut, denn die Lindos-Pendler und Verwandtenbesucher sind es gewohnt, eben NICHT umsteigen zu müssen. Einer wird ausfallend, hält dem Buslenker seine nicht existierende Kenntnis des Fahrplans vor - womit er absolut Recht hat. So etwas ist mir neu - das hab ich in ganz Elládha noch nicht mitgekriegt. Der Busfahrer gesteht, dass dies seine erste Fahrt ist, tröstet in gutem Deutsch einen soeben zugestiegenen deutschen Touri mit seinen jugendlichen Sprösslingen.

Nach 20 Minuten, viel Verkehr ist an uns vorbeigerauscht, entscheidet der irritierte Neulenker eines Busses mit Destination Kiotári, dass alle doch wieder einsteigen sollen, wendet, indem er in die Zufahrt Richtung weißem Großdorf zurückstößt, und auf gehts in den Süden, dem angegebenen Ziel entgegen. Hurra!

Ein gutes Stück vor Lindos gelangen wir in die große, karge Küstenebene mit dem Kap Feráklos und feinsten Stränden, um Charáki herum, die Akropolis von Lindos kommt näher und näher.
An einer Stelle entgeht dem aufmerksamen Beobachter auch beim zweiten Mal nicht, dass die Hauptstraße eine alte, aufgelassene, stellenweise noch zementierte Flugplatz-Startbahn schräg durchschneidet - Einbildung oder nicht, was soll's. Genug Platz war da, für einen Flugplatz.

Der Anblick von Lindos begeistert den des Griechischen völlig unkundigen deutschen Sohne-Vater ohne mitreisende Ehefrau aufs Äußerste. Das Wort "Akropoooolis, Akropooolis" entströmt in aller Lautstärke mehrfach dem Gehege seiner Zähne, um es mit einem alten Griechen zu sagen. Ob er weiß, dass die berühmtere Akrópolis in Athen beheimatet ist? Die Griechen schmunzeln ob der falschen Betonung, unser selbstbewusster Landsmann und Alleinunterhalter steht auf und filmt digital und breitbeinig durchs verschmutzte Busfenster - "sosooo, toll, toll, gut!!", bevor er mit seiner kurzbehosten Sippschaft oberhalb des Ortes den Bus verlässt. Wir fahren Gott-sei-Dank nicht runter! Es gibt sie noch, die Karikatur-Touris.

Nun geht es weiter nach Péfki/Péfkos/Péfka. Einige Wohnanlagen stehen in der öden Landschaft, als Ausgleich mit Meerblick.
In Serpentinen windet sich die Hauptstraße auf eine Anhöhe hinauf, und bald stellt sich das Hoteldorf im Kiefernwald zur Schau, nach Süden zum Meer hin abfallend. Von hier oben aus reicht der Blick schon die ganze restliche Ostküste entlang bis hin zu dem (sehr bescheiden hohen) Berg vor Prassoníssi, der (Halb-)Insel an der Südspitze von Rhodos - er hebt sich jedenfalls deutlich aus der Ebene ab. Am Fuß des Ortes angekommen, fahren wir ein paar Kilometer am Meer entlang und erreichen die Hotelsiedlung von Lárdos, biegen mittendrin zum eigentlichen Dorf ab, das nach weiteren 2 km und mehreren Abzweigen erreicht ist.

Die Platía, der Dorfplatz, zeigt sich um Viertel nach acht schon recht lebhaft, man nimmt vor Arbeitsbeginn noch einen Kaffee zu sich, hält noch ein Schwätzchen, kommt als Tourist und Frühaufsteher schon mal zum Zuschauen vorbei, bevor es so richtig heiß wird. Etliche Radfahrer tauchen auf.
Ich setz mich an den letzten freien Tisch vor einem gemütlich aussehenden Kafenío des älteren Typs, dem einzigen ohne Gartenlaubensessel mit Blumenpolstern und kitschigen Schnörkeln oder dick gepolsterten Bambusrohrstühlen und dergleichen, gleich vis-à-vis einem Minimarkt, an dem auch die Busfahrzeiten angeschlagen sind. Mein Lokal heißt "O Tzambíkos" und erinnert an einen fernen Strand. Die Preise hier sind untadelig gut.
Erst als er zu seinem Auto geht und vom Wirt in gutem Deutsch verabschiedet wird, merke ich, dass mein Tischnachbar ein Landsmann war - die allseits beliebten Nobelsandalen, die so viel Halt geben, hatten ihn mir schon verdächtig gemacht. Es ist schön hier zu sitzen, ich genieße es noch ein Weilchen. Frage dann nach Taxis und gehe die 150 m zum Standplatz am anderen Ende des Platzes, um die Ecke vor.

Mein Taxifahrer muss sich erst bei seinem ortsansässigen Kollegen nach dem Fahrziel und einem angemessenen Fahrpreis erkundigen, denn diese Route ist er sein Lebtag noch nicht gefahren. Dabei wäre sie es wert gewesen.
Denn das Moní Thár(r)i im geografischen Zentrum der Insel ist etwas wirklich Besonderes, und das wohl bedeutendste rhodische Kloster obendrein.

So wird die Fahrt zu einer Entdeckungsreise, für den sympathischen Taxilenker Nikos Psarás aus Archángelos wie für den Gast.
Hinter Lárdos wirkt das Land zunächst kahl. Eine sehr breite Asphaltstraße ist es, die ins Inselinnere Richtung Láerma (nicht "Lärma", sondern Lá-erma) hinein verläuft. Viele Baumstämme liegen seit längerem abgeholzt am Boden der südlichen Hänge, und ich denke an ein Feuer in der Vergangenheit, deshalb vielleicht die Kahlheit. Ein Einheimischer meint aber später, es seien Abholzungen von Wäldern in Klosterbesitz (des Moní Ypsenís?).
Doch recht bald ändert sich der Landschaftscharakter, denn die Straße, nun enger, wie eben ein Landsträßchen in einer abgelegenen Gegend (aber immer noch relativ breit und sehr gut befahrbar), fällt in einen ausgedehnten Kiefernwald hinunter, zieht sich hügelauf, hügelab durch einen unermesslichen, ununterbrochenen duftenden Forst hinein ins Herz von Rhodos. Ich traue meinen Augen nicht, damit hatte ich nicht gerechnet, mit lauter nicht enden wollendem Nadelgrün.
Nikos meint lakonisch "den haben sie noch nicht abgebrannt!" und zieht schon mal seine Visitenkarte raus, denn das sei ja echt weit, und wenn ich den ganzen Weg zurücklaufen wolle, na ja. Noch dazu in dieser sich wieder anbahnenden Sommerhitze.

Seltsam, wie sich die eigenen Vorstellungen angesichts der Wirklichkeit verflüchtigen. Selbst Láerma, das entlegene Nest mit lauter Rest-Alten, entpuppt sich als recht große, nicht gerade lebhafte, aber auch nicht rein überalterte Ortschaft. Und statt einem einzigen Alibi-Kafenío sehe ich schon aus dem Autofenster gleich drei Tavernen über unsere Fahrstrecke verteilt. Die haben später auch tatsächlich alle geöffnet, schon zur Mittagszeit. Das bedeutet, dass hier mehr Leute durchkommen als anderswo ab vom Schuss. In erster Linie bestimmt wegen diesem Kloster.

Nach Durchfahren des Ortes steigt die Straße leicht an und irgendwann ist er wieder da, diesmal für länger: dieser Bergblick auf einen steinernen Rücken von Felsmassiv mit weißem Pünktchen drauf. Es ist nicht der Profítis Ilías, nein, das ist bereits der Attáviros, die höchste Erhebung der Insel, erklärt mir Nikos. Mit seinen 1215 Metern wirkt er richtig riesig, so als ob er sich direkt aus dem Meer erheben würde. Tags zuvor hab ich ihn auf meinem Flug mit der Dash-8-Propellermaschine von Kárpathos von der anderen Seite her begutachten können, die beiden Dörfer an seiner Nordflanke so schön hingebreitet, Kritinía und das höhere Émbona. Von West wie von Ost ein erhebender Anblick!

Erdwege zweigen in die Nadelwildnis ab, endlich das große Schild, das die letzten anderthalb Kilometer zum Kloster Thár(r)i weist. Geradeaus weiter führt ein breiter Feldweg zum Weiler Profília, unser Abzweig dagegen ist weiterhin bestens geteert; er endet am Kloster.

In einer Mulde der Kiefernhänge versteckt sich die einzigartige, weit gestreute Klosteranlage.
Mein Fahrer bringt mich bis vor den alten Teil mit der Kirche. Ich werde an die Möglichkeit erinnert, das Taxi noch einmal zu rufen.



V. (In der Stille: Das Moní Thárri)


Allein. Angekommen in der Morgenstille, noch nicht einmal neun Uhr. Ich bin der erste Eindringling für heute. Ein leerer Parkplatz mit randlichem Brunnen, Kiefernhänge, Vogellaute, eine uralte graue Kirche (aus dem 9. Jh.) mit Kuppel und langem Schiff, niedrige weiße Bauten nebenan, sonst nichts. Es ist gut, dass ich so früh gekommen bin.

Die tiefe Ruhe über diesem Ort lähmt mich schier, eine positive Lähmung, lässt mich innehalten, bremst all meine Unruhe vollkommen ab.
Dieser weltabgeschiedene Platz ist mir gleich lieb, heilig, unverzichtbar. Ich brauche ihn, wie alle anderen ihn ebenso brauchen. Gäbe es solche Orte nicht, wären wir ärmer, verloren, kämen nie zur Besinnung, würden niemals aufwachen, hätten keine Gelegenheit, für 15 Minuten, eine Stunde, drei Stunden, eine Woche Erneuerung, Bewusstwerdung, Nachdenken.

Auch von nur drei Stunden bleibt sehr viel. Wir zehren lange davon.

Das Erste, das mir ins Auge springt, ist ein untersetzter, wohlgenährter, schwarz gekleideter, krausig schwarzhaariger und -bärtiger jüngerer Mann mit dezent verzierter brauner Zylinder-Kappe, offensichtlich ein Mönch - ein Novize, sollte sich herausstellen.
Als ich ihn auf Griechisch anspreche, kommt wiederholt: "But don't you speak English?", und ich halte ihn für einen jener höflichen Griechen, die einem ständig anbieten, mit weniger Mühe auf Englisch mit ihnen zu sprechen.
Man kann ja nicht ahnen, dass es statt einer Höflichkeitsfloskel eine Art Hilferuf war, denn "Kostas", wie er her genannt wird, ist ein waschechter Amerikaner mit italienischen Wurzeln.

Erst will ich aber alleine die Kirche und das umliegende Gelände besuchen. Unter dem Vordach rechts hängt in einer offenen Nische ein "Tálando", ein langer Balken, normalerweise aus Holz, hier aber aus Eisen, der, mit Hämmern geschlagen, als Glockenersatz dient.
Große Dunkelheit empfängt mich im Kircheninneren. Es dauert eine Weile, bis ich, trotz geöffneter Eingangstür, etwas sehe.
Ein von den Proportionen her überlanges Längsschiff, ein kleines Querschiff mit zentraler Kuppel, ein ausgedehnter Altarbereich mit Apsis.
Überall zieren Fresken, "Tichographíes", die Wände. Jene in der Apsis und in der Kuppel wirken besonders alt (teils 13. Jh.), andere stammen aus dem 17. Jh. Die Malereien an den Wänden des Längs- u. Querschiffs und in der oberen Apsis sind sehr gut erhalten. Wunderschön, von der Komposition wie von der Pastellfarben her, ein Fresko an der SW-Wand, auf dem Christus zu einer ein goldenes Gefäß haltenden Samariterin spricht (- es gibt eine Ansichtskarte davon).
Ich stehe lange und lasse das Gegenwärtige auf mich einwirken. Glücklich, noch allein zu sein.

Dann trete ich hinaus ins Licht. Der Andenkenladen wird aufgesperrt. Eine Nonne mit Helferin bereitet alles vor.
An der Südwand der Kirche entlang gehe ich über ein ausgetrocknetes Wiesenstück, sehe Oliven, weiter unten, durch die Bäume hindurch, eine andere, neue Kuppelkirche mit großem Klostertrakt daneben, in dem sich aber kein Leben regt. Nördlich der alten Kirche offensichtlich einige Wirtschaftsgebäude mit einer Laube zum Ausruhen. Am Waldrand, in erhabener Aussichtslage, ein offener Holzpavillon mit Tisch und Stühlen für besinnliche Gespräche.
Auf einem Feldweg gehe ich unten an ihm vorbei, steige in den Wald hoch, lauter gebündelte, dicke schwarze Plastikschläuche für Bewässerungszwecke begleiten meinen Weg. Er endet auf einer kleinen, von Waldbäumen eingegrenzten Hochfläche, auf der in aller Einsamkeit ein Grab steht mit dem Bild eines jungen Mannes drauf und vertrockneten Blumen. Muss jemand Besonderer gewesen sein, denke ich mir. Zwischen den Bäumen Ausblicke auf fernere bewaldete Hügel.
Ich gehe den Weg zurück, geh die paar Schritte hoch zum Pavillon und setze mich. Recht tief unter mir das neue Kloster. Großartige Ruhe.
Ich wandere auf die "Wirtschaftsgebäude" zu. Obstbäume. Was für eine schöne Laube, dahinter ein herrlicher Weingarten. Das, was ich für einen niedrigen Klostertrakt nördlich der alten Kirche halte, sind die etwa zehn Gästezimmer des Klosters. Irgendwoher dringt schön anzuhörende kirchliche Musik mit Gesängen.

Und dann ist Kostas ganz beiläufig wieder da und erklärt mir alles.

1946, nach dem Krieg, war außer der Kirche noch nichts da, nur Verfall. Seit dem Sommer 1989 bauten Mönche aus Patmos auch mit von Auslandsgriechen in Deutschland gesammelten Spenden und tatkräftiger Hilfe einer Familie aus Rhodos-Stadt, dem größten Mäzen von Thár(r)i, nach und nach etwas Neues auf, das Alte wurde wiederhergestellt, die Kirche gesäubert.
Entstanden ist das wichtigste Kloster der Insel, ein Missionskloster mit Verzweigungen bis in die USA, nach Afrika und Neuseeland. Vor nicht allzu langer Zeit sei der Abt abberufen worden auf den Posten des orthodoxen Erzbischofs von Neuseeland! Er habe nicht einmal Zeit gehabt, einen Nachfolger zu bestimmen. Nun lebten um die 10 Mönche hier, einschließlich der Novizen, und einige Nonnen. Drei der Mönche seien zurzeit Amerikaner, mehrere aus Serbien, nur zwei echte Griechen.
Er kenne kein anderes Kloster, aus dem im Laufe von nur so wenigen Jahren derart viele Bischöfe und höhere Ämter in aller Welt hervorgegangen seien als eben vom Moní Thárri aus.

Als größerer Gebäudekomplex etwa 500 Meter abseits auf einer Höhe im Wald steht das Jugendheim mit Sportplätzen; in einer Woche käme der nächste Pulk griechischer Schüler, um sich hier eine Zeit lang zu erholen. Sie hätten schon viele Kinder aus Tschernobyl hiergehabt, Kinder aus armen Familien und Waisenkinder aus dem ganzen Dodekanes sowie aus Palästina, Montenegro, Serbien und Rumänien.
Eine weltliche Griechin, die ich kurz zu Gesicht bekomme, kümmert sich um dieses Heim.

Eine Radiostation betrieben sie auch (!), FM 105, ... MHz, oder so ähnlich. Oben auf einem Hügel stehe ein Sender. Er, Kostas, sei dafür zuständig.

Gerade viele US-Amerikaner entdeckten ihre christlichen Wurzeln in der griechisch-orthodoxen Kirche zurzeit ganz neu. Sogar ein ehemaliger US-Senator (von Texas) sei konvertiert und unterstütze nun das Kloster ganz besonders intensiv.
Hätte es die Kirchenspaltung in West- und Ostkirche nicht gegeben, meint Kostas, wäre es in der Folge auch nicht zu den Unmengen von Sektenneugründungen gekommen. Die Katholiken hätten der Ostkirche viel Unrecht angetan. Papst Benedikt XVI. traut er eine Annäherung der katholischen an die griech.-orth. Kirche nicht zu.

Eine weitere Nonne kehrt am Steuer eines Autos soeben zurück. Kostas bietet mir an, ihn zu den Tieren zu begleiten.
Tiere? Ja, oberhalb des Parkplatzes befindet sich ein großes Geflügel-Tierheim mit allem möglichen Federvieh und anderen Kleintieren.
Wir beide aber gehen auf Kurzwanderung hinunter in ein Tal im Kiefernwald. Es wird allmählich heiß. Kostas schwitzt ziemlich, da er einen schweren Futtereimer mitschleppt, den er sich nicht aus der Hand nehmen lässt. Ich trage nur den Sack mit den Wassermelonenschnitten. Durch ein Holzgatter treten wir in eine Esel- und Pferdekoppel mit kleineren Stallungen.
Draußen nur 1 Pferd und zwei alte Esel (- nicht wir beide, ECHTE Viecher!) unter dem Schatten hoher Bäume.
Das Pferdchen ist ziemlich lebhaft und will gleich die besten Stücke der Wassermelonen. Kriegte es die nicht, meint Kostas, würde es schon mal beißen! Dann wird der Kübel mit Körnerfutter hingestellt.
Die Esel müssen warten, kriegen gar nichts, außer einen Strick um den Hals - eine Warnung an alle, die vorhaben, einmal Esel zu werden! Sie werden abgeführt, es geht hinauf zum Kleintierzoo, wo sie am Zaun angebunden werden und die restlichen Melonenstücke anknabbern dürfen.

Vor dem Eingangstor zum Geflügelzoo sitzt in vollkommener Gelassenheit Vater ".....o", ein Mönch, der aus seinem orthodoxen Kloster in Panamá hierher abgeordnet wurde, um endlich Griechisch zu lernen. Mit seinem Strohhut (a real "panama hat"!) und seiner weißlichen Kutte, seinem etwas eingefallenen Gesicht und seiner starren, thronenden Sitzhaltung sieht er aus wie ein geschnitztes Idol - eine Figur, die Naturvölker verehren. Der unerschütterliche Bewacher der Tiere! Mir fällt die Eingangsszene auf dem Boot im Mündungsbereich der Themse in Joseph Conrad's "Heart of Darkness" ein, wo auch jemand "like an idol/effigy" aussieht.

Kostas meint, ich könne doch zum gemeinsamen Essen um zwei bleiben, wenn ich wolle.
Sie ernährten sich aber vegetarisch, ohne Fleisch. Fisch allerdings komme schon auf den Tisch. Einmal wöchentlich gehe es auf Fischfang unterhalb des kiefernreichen Urlauberortes Péfki südlich von Lindos, wo sie ein derzeit unbewohntes Nebenkloster hätten.

Nun erstehe ich ein Buch über die Klöster der "Diözese" Rhodos (της Μητροπόλεως Ρόδου), das nur mehr in Griechisch erhältlich ist, die englische Auflage ist ausverkauft. Der Text weist noch die schönen alten Akzente und die Behauchungs- und Nichtbehauchungszeichen auf. Insgesamt eine Herausforderung, denn so gut bin ich nicht, aber man kann ja nachschlagen.
Die anwesende Nonne drängt mich, einen Anhänger mit dem Kreuz dran zu kaufen, außerdem eine nachgemachte kleine Marien-Ikone. Ich lehne nachdrücklich ab, muss sie schließlich mit "du" anreden, bis sie versteht, dass sie es lassen soll. Kostas zeigt mir die erhältlichen Ansichtskarten, und von denen nehme ich gerne welche.
Die Nonne kann nicht herausgeben, für die fehlenden 5 Euro Wechselgeld erhalte ich ein winziges Töpfchen mit Marienbild drauf und angeblich Öl vom Kloster drin.

Ich soll mir noch das untere, neue Kloster ansehen, auch die Kirche und den Friedhof an ihrer Seite mit den wenigen Gräbern. Verschlossene Tore ließen sich öffnen, ich solle es nur versuchen.
Steige also erst einmal die Stufen bei der Kirche runter zu den Wasserbecken und einem weiteren Brunnen mit Marienbild. Auf einem Feld arbeitet gebückt eine ziemlich verhüllte Gestalt in Stiefeln und mit Hut, wirkt wie eine Frau. Das Eisengartentor aber ist wirklich verschlossen, also zurück.
Über die Zufahrtsstraße gelange ich zum offen stehenden Fußgängertor vor dem Männerkloster. Ich geh rein, werde aber bald von einem aufgebrachten Bediensteten vor dem Haus laut zur Rede gestellt, das sei nur für Mönche, ob ich einer sei?, und ich rufe zurück, ich hätte die Erlaubnis eines Mönchs, geh weiter und schau mir die schmucklosen Gräber neben der neuen Kirche an. Weil er sich so aufgeführt hat, will ich den Guten nicht weiter stören und kehre um. Inzwischen ist ein weiterer amerikanisch aussehender junger Mönch oder Novize mit rotem Rauschebart aus dem Haus gekommen, der meint, wenn es ein anderer Mönch erlaubt habe, sei es in Ordnung.

Wieder oben angelangt, inspiziere ich den Brunnen am Parkplatzrand. Eine sehr einladende Aufschrift trägt er, etwa: Lasst alle, die dürsten, zu mir kommen, damit ich ihnen zu trinken gebe. Ich glaube, das ist, im weiteren, übertragenen Sinn verstanden, das, was dieses Kloster, die insgesamt hier herrschende Atmosphäre (und nicht nur den Kern jeglicher Gottesvorstellung) ausmacht. Jeder ist aufgefordert, sich einmal eines der Gästezimmer reservieren zu lassen, eine Auszeit zu nehmen und seiner Psyche und Seele Gutes zu tun, auch wenn er noch so ungläubig ist.

Nun ist auch der dritte Amerikaner im Bunde angekommen. Der hochgewachsene, sehr schlanke, hagere Mann vielleicht in seinen Fünfzigern trägt die typische hohe schwarze Zylindermütze mit Deckel drauf. Sein asketisches Gesicht mit schwarz-silbrigem Bart, der Glanz seiner wachen Augen, seine würdevolle, ruhige, nicht überzogene Art und seine immense Ausstrahlung lassen ihn aus allen anderen Anwesenden herausstechen. Als der "Páter" (das ist die korrekte griechische Anrede) erfährt, ich sei Deutscher, wechselt er von seinen griechischen Begrüßungsworten gleich ins astreine, klarste Deutsch über. Ein nicht nur hörbar gebildeter Mann, dieser feine amerikanische orthodoxe Priester.
Ich bin zutiefst beeindruckt, denn er sieht darüber hinaus einer anderen auratischen Person, die ich in meinem bisherigen Dasein erleben durfte, sehr ähnlich: dem unvergleichlichen Philosophen und Dichter Robert Lax, der erst auf Kálymnos, später lange Jahre auf Patmos lebte, bis er im September 2000 verstarb. Es ist fast zu viel für mich.

Natürlich sind längst andere Touristen eingetroffen, die meist nach 15 Minuten wieder ins Auto steigen.
Als ich in der glühenden Nachmittagshitze die vielleicht 4 oder 5 Kilometer nach Láerma zurücklaufe, kommen mir noch einige Roller, Autos und ein Motorrad entgegen, alles Leute, die es an dem heiligen Ort nicht lange aushalten, denn kurze Zeit darauf überholen sie mich schon wieder.



VI. (Zurück in die Welt)


Im Schatten einer Riesenplatane an der oberen Platía stille ich meinen Durst ausgiebigst. Es gebe sehr wohl einen Nachmittagsbus zurück nach Lárdos, von der "unteren Platía", selbst samstags, sagt mir die Männerversammlung, denn die "Arbeiter" müssten ja zurückgebracht werden.
Da ich nicht so lange warten will, mache ich mich auf den Weg. Noch einmal 13 Kilometer. Mal sehen, wer mich mitnimmt.

Eigentlich will ich es mir beweisen, dass ichs kann, es bis zum nächsten Bus-Ort schaffe. Besonders dieser Wald reizt mich, und so bemühe ich mich die erste Wegstrecke nicht besonders, die seltenen vorbeirauschende Touristen-PKWs abzuwinken. Es gefällt mir, zwischen den Kiefern zu marschieren, vorbei an Lichtungen und einladenden, gut aussehenden breiten Waldwegen, die sich supergut per Mountainbike erkunden ließen, auch wenn Kostas mich vor Abkürzungen durch diesen Wald gewarnt hat - die Chancen stünden nicht schlecht, erst am nächsten Morgen wieder herauszufinden.

Als die Beinmuskeln sich allmählich zu verhärten beginnen, weil ich ein scharfes Tempo gehe, hält unaufgefordert ein älterer Grieche, der mich in Láerma beobachtet hat, an. Es sei weit, er bringe mich nach Lárdos. Hier auf Rhodos wäre das so schnell wohl keinem Touristen im Mietwagen eingefallen, auf Kreta ist das anders. Der etwas sprachbehinderte Mann sagt zuerst zu, lehnt es aber an der Platía von Lárdos dann doch ab, sich auf ein Bier einladen zu lassen und setzt mich nur dort ab.

So freue ich mich, noch etwas mehr Zeit zu haben für das nette Dörfchen im südlichen Rhodos.
Erst einmal ein großes Amstel für nur 1.70 € im "O Tzambíkos", wo ich nun live das nette blonde Mädchen und seine deutsche Mutter zusammen mit dem stolzen Vater erlebe. Der Kafetzís bemüht sich geduldig, seiner Tochter die deutschen (!) Zahlwörter beizubringen. Die Mutti braust auf der Vespa davon. Die verbleibenden Gäste sind zumeist einfache Arbeiter, fast ausschließlich Osteuropäer oder Albaner.
Als mich der Hunger überkommt, verweist mich der Kafenío-Besitzer zu einem der umliegenden Restaurants oder, für den kleinen Hunger, auch zum "Foúrno", zum Bäcker unweit des Platzes, Richtung Kirche. Dort bewundere ich ein Foto des von mir soeben besuchten Klosters und nehme eine Pitta mit eingebackenen Würstchen, ausnahmsweise.

Von der erhöht gelegenen Kirchenumfriedung aus besteige ich die erste Etage des isoliert stehenden Glockenturms, klettere über das Eisentor. Der Überblick über das Dorf ist von hier aus schon ganz passabel. Anschließend wandere ich noch eine etwas ansteigende Straße hinter, womit ich einen noch besseren Ausblick gewinne. Neue, strahlend weiße Wohnanlagen wurden in Reih und Glied hingestellt, gleich neben den alten, pittoreskeren Vierteln. Dennoch ein ganz hübsches, sehr lebendiges Dorf mit etlichen Geschäften und Restaurants.
Erfreulich auch das von einer blonden Auswanderin geführte britische Tavernchen mit allem was dazugehört an der Ausfallstraße zur Strandsiedlung. Nur zwei englische Paare speisen auf seiner Terrasse. Ganz in der Nähe ein einfacheres Hotel.
An einer Ecke der Platía das beliebteste Bierlokal mit zwei TV-Großbildschirmen draußen. Man stimmt sich bereits auf die abendlichen WM-Spiele ein.

Nun will ich noch ein kleines Bier, setz mich dann auf einen Plastikträger vor dem Supermarkt und seh einer Speiseeisanlieferung zu, bevor vom Strand her mein Bus auftaucht.
Vorsicht: vorne auf den Bussen, die alle nach Rhodos fahren (wenn nicht in die Gegenrichtung), steht immer was anderes, nämlich ein Anhaltspunkt, wie sie an ihr Ziel gelangen, z.B. über "Faliráki". Man meint zuerst, in "Faliráki" sei dann Schluss, was nicht stimmt.
Ein Abstecher zur unteren Haltestelle in Lindos, dann Rückfahrt zur oberen, insgesamt 20 Minuten Verzögerung, bleibt mir nicht erspart. Auch den Schlenker bis vor den Strand mitten im sehr groß gewordenen Touristenbabel Faliráki muss ich mitmachen.
Auf der Strecke am Meer entlang vorbei an den Thermen von Kallithéa taucht zum Schluss noch der zweite LIDL auf, und das ist doch eine wahre Freude.

Beim riesigen Friedhofsgelände am Stadtrand, direkt daneben wird der große Samstagsmarkt immer noch abgebaut, biegt der Bus nach links und taucht in die Außenviertel der inneren Stadt ein. Auf der Ringstraße gleiten wir an den Stadtmauern vorüber, am Pinienwald der Jogger, am inneren Stadtpark und sind bald am Neuen Markt angekommen.

Was für ein prägender Tag. Den werd ich für immer in meinem Herzen bewahren - als seltene Kostbarkeit.



Copyright puchheim = MartinPUC, Juli 2006

Österliches bis frühsommerliches Kárpathos