Páre Gasósa!
(Nimm dir eine Limonade!)



Auch ich habe in Pitsídia gewohnt, als Touristin während des Urlaubs weniger, aber damals war ich dabei, als es im Winter 1991 so viele in die Wärme Kretas verschlug. Damals, als – bedingt durch den Krieg im Irak – auch viele, die sonst auf der Halbinsel Sinai überwintert hätten, in die sicheren Arme Kretas flohen. Pitsídia platzte in jenem Winter aus allen Nähten.

Anfang der Neunziger hatte ich mich mit genügend Zeit, etwas Geld und ohne Verpflichtungen aufgemacht, ein ganzes Jahr auf Kreta zu verbringen. Man mietete sich ganz preiswert ein Häuschen oder wohnte zum Spottpreis in einer Pension. Die weniger Betuchten logierten in altem Gemäuer, das zwar zugig, manchmal auch schon recht baufällig war, jedoch gemütlich hergerichtet wurde, meist mit Fundstücken aus der Natur verschönert.

Man kann zum Beispiel aus dem oberen Stamm einer verblühten Agave mit den kräftigen Verzweigungen in der Krone einen wunderbar stabilen Kleiderständer herrichten, der dann unverrückbar zwischen Fußboden und Decke gerammt wird, ein Möbelstück für die Ewigkeit. Aus Bambus lassen sich Regale und Gebrauchsgegenstände aller Art herstellen. Vielleicht hatte man bei einem Spaziergang ein Tuch gefunden, das sich von der unverputzten Bruchsteinmauer zu Hause abhebt, und Strandgut am benachbarten Kómobeach.

Im Winter die Vielfalt der Blumen. Erst im Januar alle Gelbblüher, später im Februar kommen wilde Anemonen dazu in Weiß, blassem Rosé, zartem Blau, kräftigem Rot und dunklem Violett. Und plötzlich stehen all die vielen Wiesenblumen in ihrer Blüte: Traubenhyazinthen, Klatschmohn, Hahnenfuß und unzählige mehr. Der majestätisch wirkende, zumeist dunkelrot blühende Schlangenwurz, der – ganz entgegen seiner edlen Erscheinungsform – einen üblen Verwesungsgeruch verbreitet.

Wir kamen aus allen Kontinenten, ein buntes Völkchen. Einige waren dabei, Europa zu bereisen, und hatten beschlossen, dass Kreta für den Winter ein perfekter Aufenthaltsort sei. Andere waren einfach auf der Insel hängen geblieben, vielleicht einer Liebe wegen, die schon längst zu Ende war, ebenso wie das mitgebrachte Geld. Andere versuchten, dem Krieg in ihrer Heimat zu entkommen. Es gab auch solche, die sich etabliert hatten, mit guten Sprachkenntnissen und Beziehungen, ohne die auf Kreta nichts lief.

Wir waren Menschen ohne Vergangenheit. Unser Leben vor Kreta war überhaupt nicht wichtig und wurde daher auch nicht bewertet, und nur selten sprachen wir über persönliche Erfahrungen in unseren jeweiligen Heimatländern, vielleicht mal abends an einem privaten Kamin, wo man sich, nachdem Kóstas sein Kafeníon so gegen 8 Uhr geschlossen hatte, zum Aufwärmen und oft auch zum gemeinsamen Essen traf. Das Hier und Jetzt zählte.

Es war die winterliche Kälte, die uns alle zusammen trieb, und vielleicht die Langeweile oder auch persönliche Einsamkeitsgefühle. Bestimmt auch Ängste in der undurchdringlichen, schwarzen kretischen Nacht. Und die Neugier aufeinander.

Den Tag gestalteten wir ganz unterschiedlich, je nach persönlicher Voraussetzung. Es war die Zeit der Oliven- und Orangenernte, zwischen November und Februar. Glücklich war, wer etwas Geld mitgebracht hatte. Die anderen freuten sich über einen mehrtägigen oder gar mehrwöchigen Job beim selben Arbeitgeber. Die schwere Arbeit war schlecht bezahlt. Man musste zumindest das Geld für die Miete und etwas zu essen zusammen bekommen. Und für die Paréa.

Unser Wohnzimmer indes war für uns alle Kóstas Kafeníon. Es lag rechterhand an der Straße, die – von der Kirche aus kommend - durch den älteren Teil des Dorfes führt, noch bevor man zur Platía gelangt.







Kóstas Sfakákis!


In jenem Winter 1991 war er bereits um die 80 Jahre alt. Ein Mann im fortgeschrittenen, jedoch noch nicht greisen Alter, dessen Würde man Achtung zollte. Er erschien mir damals überhaupt nicht alt, eher zeitlos, als ob er schon immer in seinem Kafeníon gelebt hätte und als ob er ewig dort sein würde. Er verkörperte für mich mit jeder Faser das, was ich an Kreta liebe. Ich dachte manchmal, wenn Kóstas einmal stirbt, dann wird das alte Kreta auch mit ihm untergegangen sein.

Mit dunklem, schwerem Mantel, den er im Winter wie einen Umhang um die Schultern trug. Das unverwechselbare schwarze Barett. Die Stiefel, oder wenn die Füße zwickten, ein Zwischending zwischen Hausschlappen und Bauarbeiterschuhen. Die gestreifte Schürze über der kretischen Pluderhose.

Kóstas ging immer noch aufrecht, brachte allen die gewünschten Getränke, Nescafé me gála (mit Milch) oder polý glykó (sehr süß). Ellinikó in seiner vielfältigen Zubereitungsform, den eher die Kreter tranken und sich dabei als Publikum einrichteten, während wir, ob wir wollten oder nicht, die Akteure der täglichen Show waren. Kaltgetränke gab es nur im Selfservice. In jenem Winter 1991 wohnten auch mehrere Australier im Ort, so dass selbst das Tiefkühlfach stets gut gefüllt mit Bierflaschen war.

Kóstas kümmerte sich um alle Belange, manchmal halfen ihm Freunde aus dem Dorf. Sein Kafeníon war gleichzeitig Poststation. Wenn um den Ersten des Monats herum die Rente an die bäuerliche Dorfbevölkerung ausgezahlt wurde, war das Kafeníon vormittags berstend voll. Man wartete ungeduldig auf den Postboten und die Léptas.

Ebenso wie wir, wenn wir einen Brief herbeisehnten, der zwischen 3 Tagen und 4 Wochen unterwegs sein konnte, oder auf ein Päckchen aus der Heimat warteten, vielleicht mit neueren Familienfotos oder Lebensmitteln, die es hier nicht gab oder einfach unerschwinglich für unser schmales Portemonnaie waren. Glücklich war, wer ein solches Geschenk erhielt. Es wurde stolz und mit leuchtenden Augen nach Hause getragen.

Der Raum, das Kafeníon, war recht groß. Zur Linken und Rechten, gleich hinter der riesigen doppelflügeligen Eingangstür, standen - je nach vorangegangener Paréa - 2 oder 3 kleinere Tischchen aus Metall, die bei der leichtesten Berührung laut schepperten, was jeden, der vielleicht ein wenig beim Träumen war, gnadenlos aufschreckte.

In einer gerne erzählten Geschichte saßen einige ältere Dorfbewohner ziemlich müde um eines dieser Tischchen. Einer nickte dabei etwas ein. Plötzlich durchfuhr es ihn im Halbschlaf, er zuckte mit den Beinen und trat unvermittelt gegen den Tisch, der mit ohrenbetäubendem Lärm sämtliche Anwesenden aus ihrer Lethargie riss. Einer rief erschrocken: „Was war das denn?“ Die Antwort: „Beruhige dich, beruhige dich.......es war nur ein ERDBEBEN!“
Es gab die alten geflochtenen Holzstühle, aber auch einige bequemere aus weißem Plastik. Linkerhand stand an der Wand ein größerer Tisch, direkt unter der verschließbaren Nische in der Wand. In dieser Nische wurde in einem Körbchen die Post aufbewahrt, die für uns Touristen angekommen und noch nicht abgeholt worden war. Wie oft durchsuchte man dieses Körbchen, wenn man dringend auf einen Brief wartete. Und wie oft fand man nur die alte Post an Leute, die schon vor Jahren abgereist waren.

Neben der Nische hingen auch die Erlaubnisscheine zum Betrieb des Kafeníons mit einem Bild von einem feschen Kóstas in jungen Jahren.

Auf dem Tisch darunter, den man also zum eifrigen Durchwühlen des Körbchens nutzte, lag außerdem das Tablett mit dem Flaschenöffner und den Kronkorken der bereits geleerten Bier- (und wenigen Gasósa-) Flaschen. Mit einer mir unbegreiflichen Gedächtnisleistung schaffte Kóstas es, anhand dieser Flaschenverschlüsse, die bereits getrunkenen und noch zu zahlenden Biermengen über den Tag verteilt im Auge zu behalten und den jeweiligen Konsumenten zuzuordnen, wobei er sehr auf Ausgewogenheit bedacht war.

Falls also jemand vorübergehend oder auch längerfristig knapp bei Kasse war, so nahm er von ihm oft weniger Geld, statt für 5 Amstels zahlte der Gast vielleicht nur für 3. Ein anderer, der Geld hatte, sollte nach Kóstas Berechnung schon mal ein wenig mehr geben, sozusagen, um einen Ausgleich zu schaffen.

Manchmal spendierte Kóstas allerdings auch selbst einen Drink. „Páre Gasósa!“, nimm dir eine Limo auf meine Kosten!

Gleich neben der Nische gab es die Arbeitsecke des Kafeníons, die über Eck eine Anrichte mit einem mit Propangas betriebenen, zweiflammigen Kocher und eine Spüle beinhaltete. In einem schiefen Hängeschränkchen befanden sich Gläser. Tassen für den nur an die Touristen ausgeschenkten Nescafé gab es nicht. Dieser wurde ausschließlich in Gläsern serviert. Auf der Kochstelle wurde in einem Topf Wasser warmgehalten und immer wieder auf`s Neue erhitzt. Aus einem Zapfhähnchen am unteren Ende konnte man so mit dem siedenden Wasser Getränke in allen Variationen zubereiten.

Kaffee und Zucker wurden in einer Blechdose aufbewahrt, links der Zucker und rechts das Pulver für den Ellinikó. In der Ecke hingen an Nägeln nebeneinander auch Alltagsutensilien, wie ein kleiner Spiegel, Schlüssel, Gummis, diverse kleinere Siebe, eine Schere, und ich meine mich auch erinnern zu können, dass Kóstas sich hier, an dem kleinen Spiegel, des Öfteren rasierte.

Diese Küchenzeile glänzte in jenem Jahr in einem fröhlichen mittelblauen Lackton, ebenso wie die Eingangstür und der breite Sockel rings um den gesamten Raum. Der Rest war weiß getüncht. Das Kafeníon wurde abends durch zwei nackte Glühbirnen erhellt.

Der Boden war rustikal betoniert mit einer eingebauten Zentimeter hohen Stolperstufe quer durch den rückwärtigen Teil des Kafeníons, durch die so mancher zu vorgerückter Stunde bereits stark angeheiterte Besucher mit seinem Stuhl rückwärts wegkippend Bruchlandung erlitt.
Als Besonderheit hatte jemand ca. 2 Meter hinter dem Eingang, eine 8-blättrige, große Blüte in den Boden gestanzt. Was immer dies auch zu bedeuten hatte.

Jemand hatte Kóstas einmal eine sehr gut gelungene Fotografie von Kóstas selbst geschenkt, schon gerahmt und wohl in der Vorfreude, dass sie im Kafeníon eine der Wände zieren würde. Der Bilderrahmen lag den ganzen Sommer über auf einem der Kühlschränke, – und wurde auch später niemals aufgehängt. Stattdessen hingen dort eine Kretakarte, ein Kalender, Fotos von Dorfbewohnern, die vor dem Kafeníon saßen und einer Minóan-Fähre sowie Bekanntmachungen.

Es gibt die Geschichte, dass Kóstas eines Tages von einem seiner Schützlinge Kaffee aus Nicaragua geschenkt bekam. Damals war es ein Akt der Solidarität mit der sandinistischen Regierung dieses Landes, diesen etwas teureren Kaffee in speziellen Läden in Deutschland zu kaufen. Die „Sandino-Dröhnung“, die ihrem Namen alle Ehre machte.

Das Geschenk verschwand nun in einer Dose, zusammen gemischt mit dem üblichen Nescafe – für die Touristen. Eine ganze Zeit lang gab es nun – in altbewährter Manier – heißes Wasser auf das Pulver, die Dröhnung, die einem am Morgen einen Raketenstart bescherte und die nur wirklich magenstarke Besucher vertragen konnten.

Rechts neben der Arbeitsecke stand einer von mittlerweile 2 Kühlschränken, denn durch die große Zahl der im Winter anwesenden Touristen war auch der Bedarf an Getränken enorm gestiegen.

Unter dem daneben hängenden Ablagebrett baumelte eine Plastiktüte mit den obligatorischen Fistítscha (Erdnüssen), die wir gelegentlich als Beilage gereicht bekamen. In Kóstas Schaufelhände passte locker ein Pfund dieser Erdnüsse, die er uns auf einem Teller kredenzte oder zu fortgeschrittener Stunde auch schon mal einfach mitten auf den Tisch warf, wenn es rakimäßig allzu heiß herging.

Einer von uns, ein sehr guter Gitarrist aus England, der auf Páros wohnte und gelegentlich für ein paar Wochen nach Kreta zu Besuch kam, dichtete in jenem Winter auf den Jimi-Hendrix-Song „Hey Joe“ den „Kóstas-Blues“, dessen erste Zeilen so lauteten:

“Hey Kóstas, where do you go with all these peanuts in your hands?
Hey Kóstas, where do you go with all these peanuts in your hands?
I go down south to the kiosk to buy those Papastrátos……”

Der größte Tisch des Kafeníons, der im rückwärtigen Teil quer zur Eingangstür stand, wurde von uns seltener in großer Runde genutzt. Hier saß Kóstas, in Blickrichtung zur Tür, breitbeinig nach vorne gebeugt, mit ganz ernstem Gesicht. Was er wohl dachte? Ob er einfach nur die vielen kleinen Regenbögen auf der Plastiktischdecke anschaute? Vielleicht hörte er uns auch manchmal zu, denn wir waren uns einig, auch wenn er ausschließlich Kretisch sprach, so verstand er Deutsch, aber zumindest Englisch. Wer weiß, wie viele andere Sprachen noch.

Manchmal genügte ja auch schon ein Blick in die Gesichter von uns Kindern, und er wusste, was los war. Immer diskret. Niemals hätte er jemanden direkt auf eine persönliche Angelegenheit angesprochen. Doch er schaute wissend und verständnisvoll.

Bei ihm fühlten wir uns geborgen. Er selbst hatte ja keine Kinder, und so fühlten wir uns alle ein wenig von ihm adoptiert. Mir genügte es manchmal, oft auch in den Jahren danach, einfach neben ihm sitzen zu dürfen, und seine Aura zu spüren, seine Güte und seine Kraft. Seine großen Hände anzuschauen. Gerne hätte ich seine Hand für einen Augenblick gehalten, doch die Achtung vor ihm gebot mir, Distanz zu wahren.

Wenn die Sonne schien, saßen wir meist draußen. Die kleinen, scheppernden Tischchen wurden links und rechts, gleich neben der Eingangstür, aufgestellt, eines oft auch gegenüber unter dem Baum. Es war manchmal schon ein eigenartiges Gefühl, dort zu sitzen, während ein jugendlicher Auto- oder Mopedraser die Straße entlang schoss. Meines Wissens nach ist jedoch nie ein Unfall passiert.

Wenn man direkt vor dem Kafeníon saß, hatte man einen guten Blick nach rechts, Richtung Platía (von uns auch Schweinebackenplatz genannt), mit dem Büro der örtlichen Pasók schräg gegenüber, der guten Metzgerei nebenan mit den nachts hell erleuchteten, bunten Werbetafeln glücklicher Kühe und Schweine, der Webkammer der so freundlichen Maria, die wunderbare Decken in wohl komponierten Farben herstellte und verkaufte, und einem Pantopolíon, dem Gemischtwarenladen, gegenüber.

Gleich links neben dem Kafeníon befand sich das Néa-Dimokratía-Büro, mit den farblich entsprechenden weiß-blauen, halb zerfetzten Plakaten, so gut wie nie benutzt, daneben ein Stromverteilungsmast, auf dem es bei hoher Feuchtigkeit gefährlich brizzelte. Hin und wieder leuchtete darauf auch ein kleines Flämmchen.

Auf der gegenüberliegenden Seite des Kafeníons führte ein schmaler Weg in die hinteren Gefilde des Dorfes, wo auch der eine oder andere Neubau entstand.

Eines Morgens, wir saßen gerade draußen beim ersten Kaffee, fuhr ein großer LKW vor, der mit Bausteinen beladen war. Er kam ganz langsam die Straße von links herauf. Wir staunten nicht schlecht, und fragten uns, wo er wohl hinwollte, denn so breit war die Durchgangsstraße nicht. Er kam genau vor Kóstas Kafeníon zum Stehen, fuhr dann schnell die Ladefläche hoch und kippte alle Steine ohne Vorwarnung mitten auf die Straße!

Es hatte schon etwas Gefährliches, denn viele Steine rutschten nicht nur nach hinten weg, sondern fielen auch seitlich herunter. Mit vor Schreck geweiteten, noch vom Vorabend geröteten Augen sprengten wir auseinander, um uns in Sicherheit zu bringen. Nach getaner Arbeit fuhr der LKW-Fahrer in aller Ruhe weiter. Den ganzen Tag über war die Straße für den übrigen Verkehr nicht mehr benutzbar. Die Steine wurden in mühevoller Kleinstarbeit von 2 Männern mit einer Schubkarre zu ihrem eigentlichen Ziel, einem Haus abseits der Straße, abtransportiert.

Kóstas besaß ein dunkelgrünes Plastikkännchen mit weißen Tupfen, das er von Zeit zu Zeit heraustrug. Das darin befindliche Wasser wurde zur Kühlung des Bodens und damit der Umgebung oder einfach nur zur Entsorgung des Inhalts mit einem Ruck vor den betonierten Eingang (oder vor das Büro der Néa Dimokratía) gekippt, sodass es meist laut klatschend aufschlug. Immer wieder warf er uns verschmitzte Blicke zu. Ob wohl einer von uns etwas abbekommen hatte? Manchmal lachte er auch laut und höchst amüsiert mit seiner kräftigen Stimme.

Um die Mittagszeit herum kam Kóstas manchmal ein wenig die Müdigkeit an. Schließlich öffnete er sein Kafeníon jeden Morgen um 5 Uhr, an 7 Tagen in der Woche und an 52 Wochen im Jahr. Dann stellte er sich einen der Holzstühle in die Sonne, setze sich rittlings darauf, so dass er, die Stuhllehne umklammernd, den Kopf nach vorne angelehnt, ein wenig dösen konnte, während die Sonne ihm den Rücken wärmte. Welch ein friedvolles Bild.

Er rauchte auch gern. Einmal hatte ich das dringende Bedürfnis, ihm ein Geschenk aus Deutschland mitzubringen. Ich entschied mich für ein formschönes und unbedingt nutzbringendes Zippo-Feuerzeug, verpackte es gar in Geschenkpapier. Einer seiner Freunde saß neben ihm, als ich ihm das Geschenk überreichte. Kóstas öffnete es viel später, der Freund ganz neugierig „Was ist es denn?“ und Kóstas lakonisch „Ein Geschenk“. Er betrachtete das Feuerzeug, probierte ein wenig herum, bedankte sich dafür, ließ es in seiner Jackentasche verschwinden und benutzte fortan weiterhin seine Einweg-Plastikfeuerzeuge.

Kósta`s Markenzeichen war sein Barett. Bei einem meiner späteren Besuche trug er – ganz gegen die Gewohnheit – eine wollene Pudelmütze. Ich hatte gehört, dass er in jenem Winter sehr krank gewesen war und man schon mit dem Schlimmsten gerechnet hatte. So war ich froh, ihn munter vor seinem Kafeníon sitzend vorzufinden. Ich durfte neben ihm und einem seiner dörflichen Freunde Platz nehmen. Gut gelaunt schlug er „Páre Gasósa!“ vor, was ich auch gleich in die Tat umsetzte. Immer noch ganz erstaunt fragte ich ihn nach seinem Barett, und warum er diese Mütze trug. Er schaute mich belustigt von der Seite an und antwortete: „Diese alberne Mütze hier.......die hab` ich mir im letzten Winter gestrickt !“

Wir redeten noch ein wenig über dies und das. Bald war für mich wieder die Zeit zum Aufbruch in das Nachbardorf gekommen, wo ich während meines zweiwöchigen Urlaubs wohnte. Jedes Mal, wenn ich wieder ging, war mir bewusst, dass es vielleicht das letzte Mal sein könnte, dass ich Kóstas lebend sah. Mir wurde immer sehr wehmütig um`s Herz. Auch diesmal. Ich verabschiedete mich von Kóstas, wünschte das übliche „Kaló Chimóna“ (guten Winter), bis nächstes Jahr. Kóstas und sein Bekannter sahen sich an, brachen in herzhaftes Lachen aus und Kóstas rief mir zu: „WENN ES UNS BIS DAHIN NOCH GIBT!“

Das letzte Mal, als ich Kóstas besuchte, saß ich nicht neben ihm. Es waren 2 Tische draußen aufgestellt, je einer rechts und links von der Tür. Er saß mit einem Bekannten auf der einen Seite, ich alleine an meinem Tisch auf der anderen Seite der Eingangstür. „Páre Gasósa!“ Wir schwiegen. Auch auf der Straße war nichts los an diesem Nachmittag im Oktober 2002. Es war bereits etwas kühl. Die Zeit schien stillzustehen. Mit einem Mal hörten wir ein lautes Klappern. Es waren die hohen Absätze eines Mädchens aus dem Dorf, das eiligen Schrittes an uns vorüberging. Kóstas schaute sehr interessiert auf die Schuhe der jungen Frau. Als sie vorüber war, sah er mich grinsend an und meinte nur: „Ta papoútsia!“, im Sinne von „Zu meiner Zeit hätte es so verrücktes Schuhwerk nicht gegeben“. Wenig später, als ich die Gasósa ausgetrunken hatte, verabschiedete ich mich wieder für dieses Jahr.

Diesmal erwähnte ich nicht, dass ich mir wünschte, ihn nächstes Jahr wieder zu sehen. Mein Wunsch hätte sich auch nicht erfüllt.

Kóstas starb im darauffolgenden Winter, über neunzigjährig. Ein großer Mann, ein Mensch voller Würde. Sich selbst immer treu. Unser guter Vater, Großvater und Freund, der uns ganz selbstverständlich ein Stück unseres Weges begleitet und gelenkt hat, ohne dass es uns damals bewusst gewesen wäre. Kóstas, der immer da war, von morgens um 5 bis abends um 8 und im Sommer auch bis 9 Uhr.

Kóstas, mit dem ich gelegentlich im Sommer zusammen eine Zigarette rauchte, wenn ich von Mátala in der Früh mit dem Moped nach Hause, nach Sívas fuhr, und noch kurz bei ihm hereinschneite. Für ihn war es die erste Zigarette des neuen Tages, für mich meine letzte für diese Nacht. Etwas Gemeinsames. Wir sprachen fast nie, teilten dieses kleine genüssliche Glück der Zigaretten in der frühmorgendlichen, heimeligen Stille, noch bevor die ersten älteren Herren des Dorfes im Kafeníon Platz nahmen.

Kóstas, der uns so viel Liebe gab, so viel Aufmerksamkeit und Wärme. Nicht durch viele Worte, sondern durch seine zuverlässige Präsenz und die menschliche Güte in seinen Augen.

Kostáki, der oft nach unten blickend auf seinem Stuhl kauerte, mit ernstem Gesicht, ganz versunken in seinen Gedanken. Von jemandem angesprochen entfaltete sich ein Lächeln, das sein gesamtes Gesicht bis in die kleinste Falte erleuchtete. Das Lächeln breitete sich immer weiter aus, sodass sein ganzes Wesen schließlich strahlte. Es ist insbesondere dieses Strahlen, das ihn mir in meiner Erinnerung lebendig erhält.

Nachtrag



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