New Orleans - Evening Jazz Tour


Heute haben wir uns den ganzen Tag einfach nur ausgeruht und die Koffer gepackt, denn morgen fliegen wir nach Boston. Für den Abend steht noch ein abschließendes Highlight an: Eine Mississippi-Fahrt mit einem Ausflugsschiff soll unseren Aufenthalt in New Orleans abrunden.
Dafür machen wir uns am späten Nachmittag in einer erneut drückenden und schwülen Hitze auf die Socken. Hoffentlich wird es nicht wie all die Tage noch regnen, denn dann wäre der Genuss wohl nur halb so groß. Bis jetzt zumindest sieht es noch nicht danach aus.
Zum Anleger für die Schaufelradschiffe müssen wir einfach nur die Toulouse-Street in Richtung Fluss gehen. Dort angekommen werden wir alles Weitere finden, denn im Laufe unseres Aufenthaltes waren wir ja schon einmal da.
Am Hafen holen wir uns zuerst die Tickets aus unserer Vorbestellung ab. Zugegeben, billig ist der Spaß dieser Evening Jazz Tour nicht: Senioren (ab 65 Jahren) zahlen zwar 5 USD weniger, doch insgesamt kommt uns der Spaß (ohne Essen) in der Summe auf knapp 100 USD. Doch wie oft werden wir wohl die Möglichkeit haben, einmal auf dem Mississippi River zu fahren?
Ein Schalter am Wartebereich des Anlegers ist schon geöffnet. Ich kann die Tickets bei der netten jungen Frau direkt abholen, weil noch keine anderen Fahrgäste da sind. Auch das Ausflugsschiff liegt bereits vor Anker. Die recht neue City of New Orleans, ein umgebautes Casino-Boot aus Illinois, gehört zur Flotte der New Orleans Steamboat Company und ist ein Schwesterschiff der Natchez, das schon viel länger in Betrieb ist.


Ein Zugang zum Schiff ist noch nicht möglich, alles abgesperrt. Ab 18 Uhr soll das Boarding erfolgen, bis 19 Uhr liegt das Schiff dann noch im Hafen. Die Rundfahrt selbst wird zwei Stunden dauern, zwei Stunden auf dem Mighty River, in denen wir uns unseren Träumen von Abenteuer und Fernweh hingeben können.

Doch bis dahin ist noch Zeit. Wir könnten uns noch ein wenig in der Gegend herumtreiben und durch die Gassen schlendern. Kommt es mir nur so vor, oder sind heute noch mehr arme Gestalten unterwegs? Von ihnen habe ich noch nicht berichtet, doch sie sind uns schon an vielen Stellen begegnet. Manche pennen quer über den Bürgersteig in einer Pfütze, andere fragen nach ein paar Groschen oder Zigaretten. Einer hat einen „Verkaufsstand“ aufgestellt, eine kleine Kiste umgestülpt mit vielleicht gefundenem Kleinkram, in der Mitte ein nagelneues Snickers. Wie traurig, was für ein Leben!
Irgendwie ist ein Spaziergang durch die Gegend nicht wirklich erquicklich, und für den belebten Jackson Square fehlt uns das Interesse. Vielmehr zieht uns die klimatisierte Shopping Mall des Jax an. Hier lässt es sich die nächste Dreiviertelstunde aushalten. Und dann ist es endlich soweit.

Gegenüber dem Jax öffnet sich der überdachte Warte- und Zugangsbereich für unsere Schiffsfahrt. Viele Stühle gibt es hier angesichts der bis zu tausend Passagiere nicht, die auf die City of New Orleans passen. An einem Tisch nehmen wir Platz und harren schon etwas ungeduldig der Dinge, die da kommen. Diese erscheinen in Form einer Dreiergruppe unseres Alters, die fragen, ob sie sich zu uns setzen dürfen. Aber klar doch.
Wo wir denn herkämen, fragt die redselige Frau neben ihren beiden schweigsamen Begleitern. Eine Gemeinsamkeit! Auch sie käme aus Europa, aber sie sei SO OFT in den Staaten, dass sie ihr zweites Zuhause geworden sind. In Florida wäre es SO TOLL.
Was wir denn erlebt hätten, will sie wissen. Doch halt, das ist wieder die Nummer „Ich frage dich etwas, damit ich selbst erzählen kann". Höflichkeitshalber wartet sie noch ab, bis ich unsere Sumpftour erwähnt habe, um sich dann sogleich einzuklinken. Eine Fahrt mit einem Airboat wäre doch super, mal so richtig mit Vollgas durch die Sümpfe zu rasen, etwas Schöneres gäbe es nicht! Ich bin zu träge, um zu widersprechen und lasse sie einfach weiterreden, bis es uns schon fast zu viel wird.
Plötzlich ertönt eine Melodie wie aus einem Leierkasten, die wir während unseres Aufenthaltes in New Orleans schon häufiger vernommen haben. Jetzt sehen wir live, wo genau die Musik herkommt, nämlich aus den Pfeifen, die auf dem oberen Schiffsdeck montiert sind! Es ist eine Kalliope-Orgel die mit Wasserdampf betrieben wird. Eine Frau steht da kerzengerade vor dem Instrument und bedient die Tasten. Ein Gassenhauer nach dem anderen findet in etwas schräger Tonlage den Weg in mein Gehör, sogar Ta pedhiá tu Pireá (Ein Schiff wird kommen), was Alex wegen Piräus jetzt wiederum entzückt. Auch das Repertoire an Walzern scheint unendlich. Doch die Töne klingen immer schräger, wie von einem schlecht gestimmten Instrument. Irgendwann ist es dann vorbei.
Mittlerweile ist der Wartebereich schon pickepacke voll, und die Hoffnung steigt, endlich an Bord zu können. Etwa zwanzig Minuten vor dem Boarding können wir uns schon mal anstellen, doch weiter geht erst mal nichts. Nach einer langen Geduldsprobe wird die Warteschlange ohne einen für uns erkennbaren Sinn geteilt und später wieder zusammengeführt. Zögerlich geht es jetzt voran.
In einem extra ausgewiesenen Bereich vor dem Schiff können sich die Passagiere, einer nach dem anderen, professionell ablichten lassen. Wir sind auf jeden Fall nicht auf ein teures Foto (30 USD) erpicht. Das war ja in Graceland genauso: Dort wurden einfach ungefragt Fotos gemacht. Eine Erklärung, was mit den nicht abgeholten Bildern geschieht, erhielt man nicht. Datenschutz? - Kein Thema. Heute sind wir auf jeden Fall gewappnet und überspringen diesen Teil.

Immerhin schaffen es alle, rechtzeitig an Bord zu kommen und sich ein Plätzchen zu suchen. Eine enge Stuhlreihe ist rundum entlang der Reling aufgestellt. Wir haben einen Platz draußen auf dem zweitobersten Deck gefunden, ganz vorne, mit toller Sicht. Die Spannung steigt. Immer mehr Besucher kommen noch an Bord, doch es ist beileibe nicht komplett voll. So ist es angenehm. Das Dreigestirn von vorhin ist ebenfalls nicht in Sicht. Ich glaube, die haben die Fahrt mit Essen im Innenbereich gebucht. Weitere Europäer erkenne ich ebenfalls nicht. Es sind vor allem amerikanische Landsleute, die sich ebenso wie wir auf die Fahrt freuen.


Die Temperaturen gehen nun langsam zurück, sodass der Aufenthalt im Außenbereich sehr angenehm geworden ist. Pünktlich um 19 Uhr legen wir unter lautem Horn-Getute endlich ab, hinaus auf den Big River. Etwa zeitgleich beginnt auch die Liveband zu spielen. Sie befinden sich zwar im Innenbereich, doch die Musik ist gut zu hören, nicht zu laut und sehr angenehm, genau das Richtige für die Abendtour. Mit hüpfenden Herzen wird uns bewusst: Hey, wir fahren auf dem Mississippi!


Das freudige Erwachen von Abenteuerlust und Romantik allein bei der Erwähnung des Namens „Mississippi“, ein Gedanke, dessen realistische Umsetzung so weit weg war, eine Traumvorstellung - endlich wird sie wahr. Wir haben es wirklich geschafft, ebenso, wie die gesamte bisherige, schon knapp vier Wochen andauernde Reise! Dessen bewusst sitzen wir einfach nur glücklich unter meiner wärmenden Riesen-Stola zusammen und schauen hinaus auf das Wasser, als wir langsam flussabwärts fahren.
Rechts der Anleger mit den modernen Schnellfähren. Die Linie verbindet das Ende der Canal Street mit Algiers Point. Falls die Ausflugsfahrt über den Mississippi nicht geklappt hätte, wäre dies eine weitere Option gewesen, einmal auf dem Fluss zu fahren, wenn auch nur für eine kurze Überquerung.


Der Mississippi hat es mir wirklich angetan und meine Fantasie im Vorfeld unserer Reise beflügelt. Bei der Reiseplanung hatte ich mir sogar einen Besuch des Mündungsgebietes des Mississippi River im Golf von Mexiko ausgemalt. Wie mächtig muss eines der größten Flussdeltas der Erde anmuten. Wie könnten wir dieses riesige Feuchtgebiet erfassen? Allein vom French Quarter, im Herzen von New Orleans, bis nach Venice sind es 120 Kilometer; ab hier verästelt sich der breite, schlammige Hauptarm noch weiter, sodass wahrscheinlich noch etliche unzugängliche Meilen hinzukommen.
Außerdem scheint das Gebiet stark von der Öl-, Gas- und Schifffahrtsindustrie genutzt zu werden. Auch die kommerzielle Fischerei hat einen starken Anteil an der Wirtschaft des Flussdeltas.
Pilot Town, dessen Häuser wie in Venedig auf Pfählen gebaut wurden, hätten wir besuchen können. Doch dazu kommen wir leider zu spät. Vor Katrina wäre es möglich gewesen; danach gab es Pilot Town nicht mehr.
Zu einem Besuch in dieser Region hätten wir auch unbedingt ein Auto gebraucht, um die lange Hin- und Rückfahrt zu bewältigen, denn Ausflugsfahrten habe ich im Internet keine gefunden. Dass wir von einer Fahrt ins Flussdelta abgesehen haben, macht aber nichts. Viel zu kompliziert und langatmig wäre sie bei den wenigen Tagen gewesen, die wir in New Orleans waren. Mit den Besichtigungen in der Stadt war alles gut, wie wir es geplant haben.

Alex, der in jungen Jahren zwei Mal mit dem Schiff in der Welt unterwegs war, hat natürlich enormes Interesse am Schiff an sich, insbesondere an der Funktionsweise des Schaufelrades, und macht sich bald auf einen kleinen Erkundungsrundgang, während ich in meinen Gedanken versunken dort sitzen bleibe und die Fahrt bei beschwingter Live-Musik einfach nur genieße, so wie die vielen verschiedenen Menschen um mich herum auch. Eine tolle Stimmung, friedlich und ebenso freudig.






Gerade rechtzeitig kommt Alex wieder zurück, als wir ein großes, graues Handelsschiff erreichen, das linksseitig vor Anker liegt. Von weitem dachte ich aufgrund der Farbe, es sei ein Schiff der Marine. Der Kapitän erläutert bei der Vorbeifahrt ein paar Eckdaten zum Schiff.
Eine große Industrieanlage rückt in der Ferne ins Blickfeld. Nicht wirklich schön, die Gegend, eher funktional. Doch bis dahin kommen wir gar nicht. Ich denke, die Verantwortlichen der Industriefirmen wären auch nicht sonderlich entzückt darüber, wenn jährlich zehntausende von Touristen ihre Anlagen knipsen würden.


So ist es hier am Fluss und so war es wohl auch schon früher. Zunächst wurden Handelsgüter durch Flöße und Treidelkähne verschifft, abgelöst dann von den Dampfschiffen, deren Ära im 19. Jahrhundert ihren Höhepunkt erreichte, deren Bedeutung jedoch nach dem Ende des Bürgerkriegs durch den Bau der Eisenbahn wieder unterging.
Ein berühmter Schriftsteller wurde sogar als Dampfschifffahrtslotse ausgebildet, ein Beruf, der das höchste Ansehen und einen hohen Verdienst einbrachte. Im ersten Teil seines Werks „Leben auf dem Mississippi“ schildert Mark Twain sehr anschaulich die großen Herausforderungen, die der unbefestigte und stets sein Aussehen und die Richtung ändernde Fluss an die Schiffsleute und im Besonderen an die Lotsen stellte.

„Es war offensichtlich, ich musste die Form des Flusses auf jede nur erdenkliche Weise lernen (...), um dann zu wissen, was ich in grauen Nächten tun sollte, wenn er überhaupt keine Form hatte.“ (S. 62/63) „Mit der Zeit wurde die Wasseroberfläche zu einem wunderbaren Buch (...) Keine Menschenhand hat je ein so wunderbares Buch geschrieben, das einen immer wieder bei jeder Lektüre so gefangen nahm, das so gleichbleibend spannend, so funkelnd neu erschienen wäre.“ (Mark Twain, Seite 68, s. Literaturliste)

Die City of New Orleans ist zwar kein Dampfschiff, doch beflügelt diese langsame Fahrt meine Fantasie mit der Vorstellung, wie sich Reisende im 19. Jahrhundert auf dem Fluss fortbewegten. Die Reise von St. Louis bis nach New Orleans dauerte, wenn alles gut ging, zwei bis drei Wochen. Der Mississippi soll zur Hochzeit der Dampfschifffahrt voll von den stampfenden und qualmenden Gefährten gewesen sein.
Die Betrachtung des Flusses vom Schiffsbug aus löst im Zusammenklang mit den Worten Mark Twains nochmal ganz andere Gedanken aus. In dem nicht allzu langen Streckenabschnitt, den wir überwinden, sind die Ufer erforscht, bewirtschaftet und gut beleuchtet; der Fluss eingedämmt und für die Schifffahrt markiert. Stellt man sich nun vor, dass sich die Breite, die Beschaffenheit des Untergrunds, die Entstehung neuer Sandbänke, die Uferregion und alles andere, was die Form des Flusses ausmacht, wie früher immer wieder verändern würde und in pechschwarzer Nacht weder Ufer noch der Fluss selbst beleuchtet wären, kann man verstehen, wie gefährlich das Befahren des Mississippi damals war.
Gerne wären wir den Fluss an den Sümpfen vorbei noch weiter abwärts gefahren, um weitere Eindrücke zu bekommen und um noch intensiver zu erfahren, was den Fluss schon immer und bis heute ausmacht. Denn trotz aller Eindämmung, der Anbringung von Hochwasserschutzanlagen, der ständigen Überwachung neuralgischer Punkte bleibt der mächtige Mississippi mit seinem schlammigen Untergrund ein wildes Monster, das immer wieder losbrechen kann. Doch dorthin fahren wir nicht. Im Gegenteil, die Hinfahrt kommt uns viel zu kurz vor.

Nach der Kehrtwende unseres Ausflugsschiffes verharren wir zunächst vor Ort, in der Nähe des Ufers, auf der linken Flussseite. Und vor uns, im warmen Licht, liegt in Blickrichtung das Herz von New Orleans. Ein unvergleichlicher Augenblick.




Als wir wieder in den Sonnenuntergang starten, überholen uns gleich mehrere dicke Frachtschiffe, die es etwas eiliger haben. Alex‘ Herz schlägt augenblicklich noch höher, während er mir von den Schiffen auf hoher See erzählt, mit denen er den Erdball umrundet hat, und von dem Tropensturm, in den sie geraten sind. Dagegen nimmt sich die Fahrt auf dem Fluss in der heutigen Zeit mit moderner Technik ziemlich unspektakulär aus.




Obwohl Mark Twain, wie er selbst schrieb, bei seiner Lotsenausbildung jegliches Gefühl für Romantik zugunsten eines eher technischen Verständnisses für den Fluss verlor, waren die Sonnenuntergänge dennoch immer wieder etwas Besonderes. Und so liest es sich, wenn Mark Twain davon schwärmt:

„Ein breites Stück des Stromes hatte sich in Blut verwandelt, zur Mitte hin ging das Rot strahlend in Gold über, durch das ein einsamer Baumstamm, schwarz, scharf umrissen, angetrieben kam; (...)“
(Mark Twain, S. 69, s. Literaturliste)


Für mich als Romantikerin bleibt die Erinnerung an die leuchtende Stadt im Sonnenuntergang, dem wir auf dem Rückweg entgegengleiten, das funkelnde Farbenspiel auf der Wasseroberfläche und die nun laue, angenehme Nachtluft. Ein friedliches und warmes Gefühl hat sich breit gemacht, angenehm geräuscharm, weg von dem Getöse der Altstadt. Der Duft des Flusses, die Geräusche des gleichmäßig dahinstampfenden Schiffes und die abendliche Atmosphäre wecken ein wenig Fernweh für die Zeiten, die noch kommen werden, denn noch sind wir ja in der Ferne und von zu Hause recht weit weg.
Doch alle schönen Dinge haben irgendwann ein Ende, so auch unsere Fahrt flussabwärts über den breiten, majestätischen und erhabenen Mississippi. In dem irisierenden Licht des flammenden Sonnenuntergangs haben wir innerhalb der zwei Stunden Fahrt ein Gefühl für den Fluss bekommen, für seine ländliche Umgebung und die teils extensive industrielle Nutzung flussabwärts, in Richtung River Delta.
Unser letzter Tag in New Orleans ist nach einer kurzen Dämmerung der Nacht gewichen. Vor uns liegt nun die strahlend erleuchtete Stadt.

„Den großartigsten Anblick während unserer ganzen Mississippi-Fahrt erhielten wir, als sich unser Schleppdampfer New Orleans näherte. Es war die geschwungene Wasserfront der ‚Crescent City‘, der ‚Halbmondstadt‘, erstrahlend im blendendweißen Glanz von fünf Meilen elektrischer Lampen. Ein überwältigender und wunderschöner Anblick.“
(Mark Twain, S. 322f, s. Literaturliste)


Nachdem die City of New Orleans wieder angelegt hat, lassen wir uns bis zum Verlassen des Schiffes noch etwas Zeit. Viele andere stehen so wie wir an der Reling und genießen ebenfalls den Nachhall des Ausflugs, um diesen schönen Augenblick noch etwas länger festzuhalten.
Noch einmal werfen wir einen Blick auf das Schiff von außen, bevor es dann etwas zügiger in Richtung French Quarter geht, wo wir noch ein letztes Mal der kreolischen Küche frönen wollen. Eigenartigerweise schließen die Restaurants ja immer schon recht früh.


Uns fällt auf, dass die Straßen hier im Hafen nicht so beschriftet sind, wie in unserem Hotelviertel. Dort hat man nämlich die Straßenschilder in den Kreuzungsbereichen unübersehbar direkt auf den Bürgersteigen angebracht. Hier im Hafengelände hat man sich nicht einmal die Mühe gemacht, die Straßen auf irgendeine einfache Weise auszuschildern. Man könnte sich glatt verlaufen, wenn man den Weg gerade mal nicht im Kopf hat. Das sollte man als Tourist aber sicherlich vermeiden. Zum Glück kennen wir die Richtung.
Im Gegensatz zur strahlenden Bourbon Street bietet sich in den Straßenzügen in Flussnähe ein Eindruck von Verwahrlosung. Auf den Bürgersteigen stapelt sich der Müll. Es riecht auch nicht gut. Einige Gestalten liegen bewusstlos herum. An manchen Ecken begegnen uns Typen, die vor uns plötzlich aus einem Hauseingang treten und uns merkwürdig beäugen. Vielleicht bilde ich mir das aber auch nur ein. Allein wollte ich hier im Dunkeln auf jeden Fall nicht unterwegs sein.
Schließlich biegen wir ab in die Chartre und eilen quer zur Iberville Street, nach rechts. Bei der Annäherung an das vibrierende Zentrum des French Quarter sind die Straßennamen auf den Gehwegen wieder vorhanden. Das flaue Gefühl weicht sogleich. Kurzzeitig mag ich sogar die lärmenden Menschen, die mir ein Gefühl von Sicherheit geben. Zwischen Bourbon und Dauphine befindet sich dann das Fischlokal vom gestrigen Abend, dessen Küche etwas länger geöffnet hat.




Am Ende unseres fünftägigen Aufenthaltes bleibt mir persönlich zu sagen, dass New Orleans für uns eine Stadt mit Licht und Schatten ist.
Der Schatten, der sich über unseren Aufenthalt gelegt hat, sei zuerst genannt, weil er täglich so unabwendbar präsent war. Es war der infernalische Lärm der Bourbon Street, das Rumgebrülle abends und nachts im gesamten Viertel und die pausenlos kreischenden Maschinen der aufgemotzten Vehikel sowie die schnellen, dumpfen, nervtötenden Rap-Beats allerorten. Auch die teilweise bis zur Besinnungslosigkeit besoffenen Partygäste, die sich aufgrund von Enthemmung sehr rücksichtlos gebärdeten, fanden wir recht unangenehm.
Ich finde es schade, dass wir abends trotz ausgiebiger Suche keine ruhigeren Kneipen im Viertel gefunden haben. Für uns Ältere ist das hier nichts. Wenn wir dem Krawall abends zumindest einmal hätten irgendwie entkommen können, wären wir zufrieden gewesen. Doch so bleibt der Eindruck, dass das Angebot im Viertel wirklich ausschließlich auf junge Leute ausgerichtet ist.

Trotz dieser für uns recht störenden Begleiterscheinungen hat uns der Aufenthalt in New Orleans auch sehr inspiriert: tagsüber der Bummel durch die Altstadt mit ihrer reizvollen Architektur und der spannenden Geschichte; das quirlige Leben in den Geschäftsstraßen; dagegen der ruhige Louis-Armstrong-Park in der Nähe unseres Hotels und unser Ausflug zum City Park mit Museum und Skulpturen-Park.
Und schließlich die drei Highlights: unser Hotel mit Balkon und allen Annehmlichkeiten, bis dahin eine der besten Unterkünfte auf unserer Reise; die fantastische Südstaatenküche mit kreolischem Einschlag – unglaublich schmackhaft und frisch. Das positive Fazit rundet die Schifffahrt auf dem Mississippi ab, die das Herz für einen unglaublich schönen Moment geöffnet hat: die Mondsichel über und die funkelnden Lichter der Stadt vor uns; Frachter, die uns passieren, unterwegs zu einem fernen Ziel, in dieser lauen Maiennacht. Dieser Moment des Glücks versöhnt mich in all seiner Intensität mit den als negativ empfundenen Gegebenheiten in New Orleans.



Nach Boston