Santorin sollte uns auf dem Weg nach Kreta ja lediglich als Zwischenstation dienen, da es um diese Jahreszeit keine direkte Fährverbindung zwischen Náxos und Kreta gab. Erst am darauffolgenden Tag konnten wir ein weiteres Schiff besteigen, um durch die Kretische See ans Ziel unserer Reise zu gelangen. Santorin kannte ich überhaupt nicht, wusste auch nicht um die berauschende Schönheit des Kraterrunds, um schwarze Felsen, die sich gegen die leuchtend blaue See abhoben. Wehmütig tuckerten wir, Gerhard aus Östereich, Amit aus Israel und ich, auf unserer Fähre durch die Ägäis gen Süden, jeder hing seinen eigenen Gedanken nach, Erinnerungen - ganz nah - an den vergangenen Sommer auf Náxos, die vielen lieben Menschen und schönen Begebenheiten, die wir geteilt hatten. Strömender Regen begleitete unsere Grübeleien. Mir war klar, dass das Leben am Strand, so wie wir es im Sommer zelebriert hatten, immer nur einen kleinen Ausbruch darstellen konnte, einen Ausbruch aus dem ernsten Leben, in dem man Geld verdienen musste, um zu leben, und das einfach nicht genug Zeit ließ, sich den schönen Dingen des Lebens zu widmen. Zumindest in Deutschland nicht, wenn man lohnabhängig arbeitete und kein reicher Erbe oder Lottomillionär war. In Griechenland erschien mir alles um soviel leichter. Leute, die sich einfach mal für ein paar Monate aus ihrem "normalen" Leben ausklinkten - no problem. Ich dachte, dass ich es ihnen gerne nachmachen wollte, vielleicht könnte ich auch für viel längere Zeiten in Griechenland leben, ich bräuchte halt Arbeit, um meine bescheidenen Ansprüche zu befriedigen. Wenn das ganze "Drumherum" stimmte, brauchte man zum Leben doch eigentlich gar nicht soo viel Geld... ...so hing ich meinen Gedanken nach, während es draußen finster war und erbärmlich regnete. Santorin war nicht mehr weit. Wir hatten vor, uns in Thíra für diese eine Nacht in einer Jugendherberge einzuquartieren, um tags drauf dann die Nachmittagsfähre nach Irakion zu nehmen. Einzig auf ein Bett mit einer Matratze freute ich mich, nach all den Monaten auf dem Sandboden des Strandes. Durch das schlechte Wetter und die Dunkelheit bekamen wir beim Einlaufen unseres Schiffes in den Hafen von Thíra von der Insel selbst nichts mit. Es goss immer noch wie aus Kübeln. Ein Vehikel brachte uns in den Hauptort, der menschenleer erschien. Gerhard erinnerte sich genau, wo die Jugendherberge zu finden war. Zum Glück war sie noch geöffnet, die allerletzte Nacht für dieses Jahr, wie man uns mitteilte. Das Bett in dem großen Schlafraum war wirklich nicht zu verachten. Ganz ungewohnt, wieder in einem geschlossenen Raum zu schlafen. Und ohne die Befürchtung, wieder vom Regen geweckt zu werden, um dann mitten in der Nacht Zuflucht in einem Rohbau finden zu müssen. Eine heiße Dusche wäre auch nicht schlecht. Leider war das Wasser kalt, also biss ich die Zähne zusammen. Nach all den Monaten am Strand, in denen wir uns mit dem Wasser aus einer Zisterne die Salzkruste von der Haut gewaschen hatten, genoss ich meine erste echte Süßwasserdusche. Mittlerweile hatte der Regen etwas nachgelassen. Wir schlenderten durch den Ort auf der Suche nach einer Taverne. In einer der wenigen geöffneten Lokale genossen wir eine kleine warme Mahlzeit und einen süßen, inseltypischen Wein. So zufrieden kehrten wir in die Jugendherberge zurück, kletterten in unsere warmen Schlafsäcke und ließen uns von der Dunkelheit der Nacht umhüllen. Am darauffolgenden Morgen waren unsere Rucksäcke schnell wieder reisebereit gepackt, die Schlafsäcke zusammen gerollt. Wir wollten in einem Supermarkt eine Kleinigkeit zu Essen erstehen, vielleicht gab es auch irgendwo einen Kaffee. Unerwartetes Sonnenlicht blendete uns, als wir die Jugendherberge verließen. Vom Regen der vergangenen Nacht keine Spur mehr. Oh, die adrett gekalkten Häuserzeilen wirkten hier noch weißer als auf Naxos, viele Kirchen mit knallblau angestrichenen Kuppeldächern. ![]() Für weitergehende Betrachtungen hatte ich keinen Sinn - Frühstückshunger trieb uns ins nächste Geschäft, wo wir Brot, Käse, Tomaten und etwas Obst erstanden. Die Saison war hier eindeutig vorbei, alle Tavernen und Hotels am Calderarand geschlossen. Wir suchten uns eine dieser leerstehenden Terrassen aus, setzen uns auf eine Mauer und ließen bei wohl mundenden Leckerbissen den Ausblick auf uns wirken.
Erst jetzt nahm ich die Dimension wahr, in der wir uns befanden. Das hier - das war der schiere, pure Luxus, das war Wahnsinn im Quadrat. Flirrendes Licht, das den Verstand benebelte, eine Blautönung des Meeres, die sich so satt gegen die dunkle Gesteinswelt abhob, wie ich es noch nirgendwo sonst gesehen hatte. Weiße Häuser auf schwarzem Vulkanuntergrund. Da vorne, das musste die „neue“ Insel Néa Kaméni sein. Diese unvergleichlichen Farben. Blendend. Überirdisch. Die Stadt zur Rechten und zur Linken am Kraterrand, Kuben schutzsuchend und verwinkelt ineinander gebaut. Es war atemberaubend. Die berauschenden visuellen Eindrücke ließen mich das Frühstücken vergessen. Beides – Essen und Schauen – das war nicht zu bewerkstelligen. Darüber freuten sich die Hunde, die uns schon seit einer Weile begleiteten und auf den einen oder anderen Happen gehofft hatten. Ich konnte dieses Blendende nicht mehr ertragen und wandte mich ab, spielte mit den Hunden. Nach einiger Zeit begaben wir uns zur Haltestelle an einen Platz, von wo uns ein Bus zum Fährhafen bringen sollte. Wir hatten noch Zeit und ließen uns dort auf einem Mäuerchen nieder. Amit spielte sein Instrument, die Congatrommel. Griechen aus den umliegenden Häusern betraten neugierig den Platz, um zu sehen, woher die Klänge kamen und wer da spielte. Unsere Begleithunde hatten sich um uns herum verteilt. Gegenüber ein älteres Paar auf einer Steinstufe sitzend und ebenfalls auf den Bus wartend. Die Zeit stand still. Harmonie und Frieden in ägäischem Licht, begleitet von sanften Rhythmen. ![]() Unser Bus brachte uns in allerletzter Minute hinunter zum Hafen, wo die Fähre bereits zum Ablegen bereit war. Eines Tages wollte ich hierher zurückkommen, um diesen Märchentraum des flirrenden Lichts wieder zu erleben. Thíra in seiner weißen Pracht thronte dort hoch oben am Kraterrand, die Gesteinsschichten geologischer Epochen in der darunter liegenden Felswand ablesbar. Langsam entfernte sich unsere Fähre aus dem Vulkanrund und gelangten in offenere Gewässer. Die Überfahrt nach Kreta dauerte einige Stunden. Nun, bei Tageslicht und Sonnenschein konnten wir uns an Deck bewegen und frische Seeluft schnuppern. Náxos und Santorin lagen hinter uns. Kreta war schon greifbar nah. Spannung breitete sich aus. Schließlich liefen wir in den Hafen von Iráklion ein, einer Stadt, die ich so groß nicht erwartet hatte. Alles, was mir von nun an begegnen sollte, war neu für mich, denn ich hatte mich auf einen Aufenthalt auf Kreta nicht vorbereiten können. Den Entschluss hatte ich ja recht kurzfristig auf Náxos getroffen. Ich wollte hier ein paar Wochen arbeiten, mir die Insel ein wenig anschauen, um dann wieder nach Deutschland zu reisen. Doch es sollte alles ganz anders kommen. |