"And in the beginning was love. Love made a sphere: all things grew within it; the sphere then encompassed beginnings and endings, beginning and end. Love had a compass whose whirling dance traced out a sphere of love in the void: in the center thereof rose a fountain." (aus: Robert Lax, Circus of the Sun) Es war ein zufällig in der Wochenendbeilage der SZ entdeckter Artikel anlässlich des 80. Geburtstags des Dichters, der mich auf diesen großen alten Mann aufmerksam machte. Einen Mann, der Anfang oder spätestens gegen Mitte der Neunzigerjahre, als ich erstmals Patmos besuchte, sogar schon einmal mein Tischgefährte gewesen war, einer von uns beiden hatte sich freundlich um Erlaubnis fragend an diesen randlichen Tisch dazugesetzt, da draußen vor seiner Stammtaverne in der Parallelgasse zur Uferpromenade, weil sonst nichts mehr frei war. Lax sah dann einfach zu und sinnierte und erzählte ein klein bisschen. Ich wusste damals überhaupt nicht, um wen es sich da handelte. Es sollte einige Jahre dauern, bis es mich eines Mais, 1998, erneut in die nördlichen Dodekánissa, den Dodekanes, verschlug. Gegen 3 Uhr morgens entstieg ich der Fähre von Rhodos her und wurde von einem noch wartenden Zimmervermieter mitten im hinteren, flachen Ortsteil von Skála einquartiert. Tags darauf ein entschlossener Versuch, den inzwischen Verehrten, den ich nun von einigen seiner „Journals“ (Tagebücher) und z. T. extrem minimalistischen Gedichtbändchen und von dem herrlichen Büchlein 21 pages her kannte, persönlich kennenzulernen. Man schleicht die weißen Gassen des nördlichen Ortsteils hoch, auf Stufenwegen, fragt sich durch. Eine resolute ältere Frau gibt bereitwillig Auskunft. Ja, ein „Jéros“, ein Greis, berühmter Dichter, den viele besuchten, hier gleich gegenüber wohne er, in dem kubischen Häuschen mit Stufen und der Katze davor. Ich solle nur klopfen, einfach hingehen, kein Problem! Für mich eine fast zu aufdringliche Forderung. Ich bin aufgeregt, habe Bedenken. Aber ich klopfe dann doch, angetrieben von der fast physisch spürbaren Erwartungshaltung der mit Argusaugen und dennoch großer Selbstverständlichkeit zuschauenden Dorfbewohnerin, und ein sehr einfach gekleideter alter bärtiger Mann mit friedvoller Ausstrahlung und aufmerksamen, leuchtenden Augen öffnet und bittet mich herein. Ich rechtfertige mein Eindringen damit, dass ich einige seiner Werke sehr schätze, er bittet mich, Entschuldigungen wegen des kleinen Chaos im Zimmer und auf dem Tisch murmelnd, doch auf dem Sofa Platz zu nehmen. Ein Glas Wasser? Ja, gerne. Die Konversation auf Englisch. Als ich mich als Münchner zu erkennen gebe, krieg ich gleich eine Adresse, des Cine Nomad in der Aventinstraße nahe dem Deutschen Patentamt, wo zwei Filmemacher wohnten, die kürzlich einen Film über ihn gedreht hätten und die gute Freunde seien. Er, Robert Lax, habe auch einige Wochen in München verbracht und „so ziemlich alles“ auf Band gesprochen, was er je gedichtet habe ((eine Übertreibung, das meiste ist noch unerschlossen)). Einer der beiden Filmer habe seinen Kindern echt biblische Namen gegeben, Noah z. B. Später sollte mir der andere persönlich eine Kopie des Videos vorbeibringen. Im BR–Shop im Rundfunkhaus kaufe ich zudem eine Kassette mit CDs, derselben Videokassette (inzwischen nach GB verschenkt) und einem Buch über den Dichter und einige seiner Freunde. Leider nur eine Art Kurzfassung der großartigen dreiteiligen Hörfunkserie über Lax, von der ich nur zwei Teile mitgeschnitten habe. Bei Weitem besser als die schon sehr beeindruckenden CDs mit den vom Dichter selbst vorgetragenen Werken, da mit interessanten Kommentaren, richtig spannend, noch dazu für den GR–Liebhaber. Ich schwärme von einigen Stellen im Opus des Dichters, auch von einem extrem verknappten Gedicht, das doch so gut die Inselstimmung einfängt, den braunen Kreis des Landes, den blauen des Meeres, die Geräusche der Blätter, des Windes, der See, Licht und Schatten und die Schreie von Ziegen und Vögeln, die die Stille stets nur kurz durchdringen, und das mit der klar erkennbaren alten Metapher der Insel, EINER Insel, EINES Meeres als Sinnbild des Alleinseins jedes Einzelnen im großen, unbekannten Universum wie ein endgültig aussetzender Herzschlag endet: ...... island – – island ––– ONE island ––– ONE sea [ßiiiiiiiiiiiii, und damit Schluss]. Sogleich begibt sich Lax in das Hinterzimmer, von dem ich nur ein vollbepacktes Bücherregal sehe, und nimmt ein neu erschienenes Bändchen aus dem pendo–Verlag vom Regal. Er ist überrascht, dass ich selber eine Art Widmung schreibe, in meiner Aufgeregtheit, malt aber, typisch für ihn, mit Filzstift – für mich hat er Gelb ausgesucht – seinen berühmtem dicken "dot" auf die Seite gegenüber dem Innentitel, plus seiner Unterschrift und plus einem japanisch aussehenden Schriftzeichen oder Ornament, dieses mit schwarzem Filzstift, herrlich geschwungen und von geübter Hand ausgeführt. Heute ist mir klar geworden, dass ich kaum jemals eine schöner, feinsinniger und gekonnter gestaltete Seite gesehen habe als die von dem Dichter aus Patmos in dem geschenkten Büchlein für mich händisch aufbereitete. In jeder Hinsicht das richtige Maß, die richtige Platzierung und Schriftgröße, die genau passenden Abstände, Zwischenräume. Wirkt alles so einfach und ist doch so schwer. Ergebnis jahrzehntelanger Übung. Es folgen Ermutigungen, ich solle doch selber schreiben, nach und nach wachse man ins Schreiben hinein. Nur einmal anfangen. Die für ihn wichtigsten Schriftsteller seien ((neben den Mystikern, auch des Ostens)) James Joyce (das verstehe ich!) und Henry Miller – offenbar auch wegen dessen berühmten Griechenlandbuches ((meine Interpretation)). Er habe früher jahrelang im Fischerviertel oberhalb des Hafenbereiches von Póthia, der Hauptstadt von Kálimnos, gelebt, mit Blick auf die Hügelkirche hoch über dem Hafen wie später in Marseille, für ein paar Dollar zwei Häuschen bewohnt, eines zum Leben, das andere zum Arbeiten, zum Tippen auf der Schreibmaschine. Es war spottbillig, damals in den Sechzigerjahren, als er, der einfache, durchgeistigte Mensch und eigentlich Einzelgänger, mit einem Trappistenmönch als bestem (Fern– und früherem Studien–)Freund, er, der bekannte Literatur– und Filmkritiker und Schriftsteller aus New York City, endlich der großen Stadt den Rücken gekehrt habe und sich für die Stille und Ursprünglichkeit einer griechischen Insel gegenüber der türkischen Küste entschied. Nicht ununterbrochen in GR, allerdings. Zwischendurch auch in Frankreich, Spanien (Andalusien) und Italien, in letzterem Land mit einem Wanderzirkus umhergezogen. Einige Kalymnier hätten es als Flucht empfunden, als er, zufällig zu Zeiten der Zypernkrise, die Insel vorübergehend verließ. Robert Lax verweist auf die immer noch täglich mögliche Hubschrauberinvasion der Türken. Die damals permanente Überwachung durch die Polizei – damals herrschten zeitweise die Obristen. Und nun auf Patmos, Holy Patmos, völlig anders als das derb–vitale, von fischerlich–bäuerlichem Leben strotzende Kálimnos. ((Eine Atmosphäre, die man heute noch in Póthia erlebt.)) Nun in einem der spirituellen Zentren der griechischen Orthodoxie (und damit auch des gesamten Christentums), eigentlich dem wichtigsten nach der Mönchsrepublik Athos, mit Blick vom Häuschen aus hinüber auf das Johanneskloster, die Festung über der Chora. Deshalb habe er diesen Wohnsitz gewählt. Wir sprechen über einiges mehr, über Inseln und das Meer, ihre Bedeutung, ihren Sinn. Ich darf mir auch die kleine Küche ansehen, den Abwasch, der herumliegt und ganz schnell gespült ist, das im Korridor vor dem Wohn- und Schlafzimmer (in einem!) an die Wand gepinnte Zirkusplakat, eine Erinnerung an vergangene, gern genossene Tage. Vorschlag eines Briefwechsels, zu dem es auch kommt – in größeren Abständen. Aber R. L. entschuldigt sich gleich hinsichtlich größerer Verzögerungen bei der Beantwortung von Briefen wegen der vielen brieflichen Verpflichtungen allen möglichen Leuten und häufig langjährigen guten Freunden in aller Welt gegenüber. Völlig benommen, eingenommen von dieser starken Persönlichkeit mit ihrer schon damals etwas zer– und gebrechlichen Konstitution, verabschiede ich mich und torkele, der Welt enthoben, die Stufen und Gassenwege Richtung Hafen hinab. Finde mich nach 20 Minuten an einem entlegenen kleinen Strand beim nordwestlichen Ortsende hinter zwei Pensionen wieder. Beschließe dann, einem lieben Menschen von meinem Glück mitzuteilen, zu Hause anzurufen. Tags darauf bringe ich Kassetten hinauf, Klassik für den JAZZ-Liebhaber – wie ich mir später in Erinnerung rufe. Aber die „Dritte“ und die „Vierte“ von Schumann sind auch nicht schlecht, eine davon mit einer geradezu mystischen längeren Passage, noch dazu von dem Zen–Anhänger Celibidache interpretiert. Wieder tags darauf, meinen großen, rot–blauen Rucksack umgeschnallt, auf das Tragflächenboot, oder war es damals die Nissos Kálimnos, die damals auch noch auf Ikaría anlegte?, nach Foúrni wartend – da nähert er sich noch einmal, der Dichter. Ein irres Bild: Große, hagere Gestalt mit langem Umhang, faltenreiches, ausgezehrtes Gesicht mit Rauschebart, auf einen Stock gestützt schon mühsam daherkommend, auf dem Haupt eine hochgetürmte, eher rechteckig drapierte Mütze, die ihn noch größer macht und ihm das Aussehen eines innerasiatischen Weisen oder Mönches aus ganz fernen Zeiten gibt. Geht routinemäßig bis zu dem Kiosk, wo ich warte. Macht eine abfällige Bemerkung über den „Peripterás“, den Kioskbesitzer. Sieht die vielfältigen Schatten der Blätter des Baumes unweit des Kiosks und kehrt zu mir zurück, um mir noch etwas mit auf den Weg zu geben: Bei der letzten Sonnenfinsternis habe sich das Naturereignis tausendfach, durch die Zwischenräume der Blätter fallend, auf dem Boden widergespiegelt. Geht daraufhin ruhig davon. Ich entschwebe kurze Zeit später und habe eines meiner beeindruckendsten Landschaftserlebnisse in Hellas, die Annäherung an den Foúrni–Archipel zwischen vorgelagerten Inselchen von Süden her, die Hauptinseln Thímena und Foúrni wie ein großer Krebs mit beißbereiten Scheren. Der Eindruck von Karibik ohne Palmen. Eine Engstelle, dann die großartige, weite Bucht und Ikarías lang gestreckte Steilwand gleich gegenüber, ostwärts der Riesengipfel des Kérkis auf Samos, der bald hinter den Hängen entschwindet. Tage später Agathoníssi und schließlich Lipsí, kurz Kálimnos, abschließend zurück ins ferne Rhodos. Copyright puchheim = Martin PUC, September 2003, August 2006 |