Sívas, Kamilári, Kommós und Mátala


Sívas in mehreren Etappen
Heute wird der erste Tag sein, an dem es gleich heißer wird, weil der starke Wind nachgelassen hat. So beschließen wir, keine schweißtreibenden Aktivitäten zu entfalten, sondern den frühen Vormittag in Sívas zu verbringen und uns das Treiben auf der nun anders gestalteten Platía ein wenig anzuschauen.
In einem Kafenío, oben, vor Kopf, in Richtung Kircheneingang, lassen wir uns nieder. Ehemals von uns „die Notaufnahme“ genannt, weil die Beleuchtung immer so gleißend grell und ungemütlich war, hat sich das Lokal in einem neueren Look immer noch gehalten.
Eine junge Frau bringt uns zwei Frappé in den Außenbereich, direkt neben der Eingangstür. Auf der anderen Seite sitzt ein älterer Herr, der unseren Gruß erwidert und uns danach mit wohlwollender Neugier beäugt. Von hier aus können wir die Veränderungen der letzten Jahre in Augenschein nehmen und den Geschehnissen auf dem Platz zuschauen. Einige Alte machen genau dasselbe und sitzen dazu im Schatten direkt in den Tavernenbereichen.

Als wir im späteren Verlauf unseres Urlaubs eine Freundin aus Sivas treffen, werde ich im Laufe des Gesprächs gefragt, wie ich die Platía heute, nach all den Jahren, wahrnehme. Ich überlege lange und sage, dass mich vieles an früher erinnert (insbesondere die Stimmung am Vormittag), aber einiges auch ganz anders ist. Sie meint nur: „Ta DENDRA mas!!!“ Ja natürlich, die schönen, hohen, alten Bäume, die dem Platz sein charakteristisches Aussehen verliehen und täglich viele Besucher aus der Umgebung zu einem Plausch in ihrem Schatten einluden. Sie sind seit einigen Jahren weg. Irgendein Offizieller hatte ihre Fällung angeordnet, trotz der Proteste vieler Dorfbewohner. Dass dieser Umstand in unserer Unterhaltung sogar heute noch Widerhall findet, bestärkt mich in meiner Wahrnehmung von früher, dass die Platía ein lauschiges Plätzchen für alle war, ein sehr besonderer Ort, insbesondere zu frühabendlichen Vólta-Zeiten.
Stattdessen hat man ein paar junge Zierbäumchen in Reih und Glied gepflanzt, immerhin ein wenig Grün zwischen zahlreichen Tischen und Stühlen. Überdachte Tavernen bestimmen nun den ersten Eindruck, drängen sich ins Blickfeld, wobei eine (die von Sofia an der Ecke) zurzeit geschlossen ist und eine leere Fläche hinterlassen hat.


Ein weiteres Kafenío ist seit meinem letzten längeren Aufenthalt noch dazugekommen, mitten zwischen den Tavernen-Eingängen. Scheint ganz nett zu sein.
An der Ecke, dort wo früher ein Pantopolío, dann später eine Taverne (Pinás, Minás – Gott hab ihn selig) war, befindet sich heute ein Immobilienbüro. Ich wundere mich, dass es überhaupt noch Immobilien zu kaufen gibt; irgendwie scheint doch jeder Quadratzentimeter verschachert worden zu sein. Vielleicht werden diese jetzt schon wieder weiterverkauft?
Stelios‘ uriges Kafenío mit den vielen Ikonen drinnen, das schon lange von seinem Sohn Kostas geführt wird, hat auch stets Besucher: Touris und Dorfbewohner, die allerdings fein säuberlich getrennt voneinander sitzen, so wie damals in Janis‘ und Katinas Kafenio. Gegenüber ein weiteres, kleines Kafenío; das Café Europa gibt es nun auch schon sehr lange, ebenso wie die Taverne Sigelákis mit ihren Leckereien; diese Lokale befinden sich jedoch nicht direkt auf der Platía, sondern angrenzend, in einer lauschigen Ecke. Irgendwo ein Schild, das auf Deutsch Fahrradtouren anpreist. Die Metzgerei in der Kurve existiert auch noch, ebenso wie der große Minimarkt. Für das leibliche Wohl und eine gewisse Infrastruktur ist also gesorgt.

Es ist richtig was los, auf der Platía am Morgen. Einheimische kommen mit ihren Pick-Ups an, erzählen ein wenig, kaufen irgendwas, trinken einen Kafedáki, und brettern wieder los, ihren Tagesgeschäften entgegen.
So auch ein alter Bekannter, den ich schon ultralange nicht mehr gesehen habe. Seine schon damals recht betagte Oma war früher einmal für eine Weile meine Vermieterin, die Hauptstraße hoch, ortsauswärts in Richtung Mátala, linkerhand. Noch immer habe ich die monatliche Mietzahlung in Erinnerung, die jedes Mal mehrere Stunden bei Süßem und Ellinikó in der guten Stube in Anspruch nahm, wobei sie mir jedes Mal einschärfte, dass ich auch die Stromrechnung bezahlen müsse, wenn sie kommt. Der Rest der jeweiligen Unterhaltung ging dann weitestgehend an mir vorbei, weil ich nichts von dem verstand, was sie mir erzählte. Die Entrichtung der Stromrechnung war ihr jedoch so wichtig, dass sie häufig sehr früh morgens zu meinen Spíti kam, in dem ich gerade vor ganz kurzer Zeit erst das Bett aufgesucht hatte. Bumm, bumm, bumm, donnerte sie mit ihrem Stock gegen die hölzerne Eingangstür und schrie meinen Namen ohrenbetäubend laut durch die Gasse. Oh, wie ich sie manchmal zum Mond wünschte, doch ich öffnete jedes Mal total verpennt, und bestätigte ihr jedes Mal, dass ich die verdammte Rechnung bezahlen würde.
Nur einmal, da wurde es mir zu viel. Wieder stellte sich sie auf den Treppenabsatz vor der Tür, knallte ihren Stock dagegen und schrie meinen Namen. Ich sprang aus dem Bett, öffnete mit einem Schlag die Tür, sie komplett verwirrt ob meiner Schnelligkeit, schnappte sie mir, wirbelte sie dreimal herum (sie war eine sehr zierliche Person), schrie ihr genauso laut ins Ohr, DASS ICH DIE RECHNUNG BEZAHLEN WÜRDE!, setzte sie wieder ab, ließ sie an Ort und Stelle stehen, ging postwendend wieder ins Haus und schloss nachdrücklich die Tür. Diese Karussellfahrt hatte gesessen, und fortan hatten wir bezüglich der Zahlung der Stromrechnung in spe ein stillschweigendes Einverständnis.
Als die intergalaktisch hohe Stromrechnung dann kam, wurde mir klar, warum so viel Wert darauf gelegt worden war, dass ich sie bezahlte. Nie im Leben hatte ich selbst diesen Stromverbrauch gehabt; noch nicht mal ein Kühlschrank stand in der Küche, geschweige denn gab es andere elektrische Geräte. Lediglich zwei Funseln erleuchteten meinen Palast, und abends war ich selten zu Hause. Ein versuchter Protest bei der Stromgesellschaft brachte nichts. Nun gut, ich bezahlte. Frieden auf Erden, so war es halt damals.
Diese Geschichte ging mir noch mal schmunzelnd durch den Kopf und noch so manch andere, als Manólis da so vor mir steht. Was für ein nettes Wiedersehen. Leider hat er nicht viel Zeit, aber beide freuen wir uns und rekapitulieren, dass es schon 31 Jahre! her ist, dass ich bei ihnen gewohnt habe. Pósso pernáei o kairós!
Als Manólis wieder abgefahren ist, hören wir schon von weitem einen der Händler, die in ganz Griechenland seit ewigen Zeiten mit dem Pick-Up von Dorf zu Dorf fahren und irgendwelche Waren verkaufen. Dazu werden die Bewohner mit dem Megaphon entweder live oder per Bandansage lautstark informiert, was es heute Gutes gibt. So auch dieser Mann, der sich offensichtlich schon auf die Platía gefreut hat. Noch einmal brüllt er sein Angebot ins Mikro, FRESKA PSARIA!!! (frische Fische), bevor er mit einem lauten „Opa!“ vergnügt lachend aus dem Auto springt. Sofort kommt Leben in die Besucher der Platía, die morgendliche Lethargie ist gewichen. Endlich was los, das von dem alltäglichen routinierten Einerlei ein wenig ablenkt.
Für uns heißt es nach einer Weile Abschied zu nehmen von dem doch merkwürdig vertrauten Zusammenspiel auf der Platía, nach all den Jahren. Endlich habe ich das Gefühl, mit all den Veränderungen und Begebenheiten Einklang gefunden zu haben. Schön war es, vertraut und doch wieder fremd, zahlreiche Erinnerungen weckend. Wir kommen sicher einmal wieder, auch zu dieser Tageszeit.

Bei einem weiteren Aufenthalt in Sivas besuchen wir Jánis und Katína, die beiden Lieben aus dem damaligen Kafenío, das sie schon seit langem aufgegeben haben. Beide sind nun etwas betagt, Jánis mittlerweile über 90 Jahre alt. Wir freuen uns riesig über unser Wiedersehen.
Mitgebrachte Geschenke werden übergeben und bewundert, dafür erhalten wir – was so nicht beabsichtigt war – Geschenke zurück, und später bei einem weiteren Besuch zum Abschied noch Oliven und Öl zum Mitnehmen nach Deutschland. „Es ist nicht viel“, meint Katina und schaut mich offen an, „aber es kommt von Herzen.“ Mit feuchten Augen verabschieden wir uns. Mögen sie ewig gesund und zufrieden leben!


Kurzbesuch in Kamilári
Irgendwie müssen wir, wenn wir von Kalamáki kommen, ja immer auch durch Kamilári. Entweder biegen wir an der Gabelung schon am Ortseingang links ab auf die Route durch die Felder nach Timbáki, oder fahren geradeaus und dann mit Schwung um die Kurve den steilen Berg hoch, bis zum Friedhof, und dann nach rechts, in Richtung Sívas – Mátala.
Auf dem Rückweg von Sívas möchte ich heute noch nach Mentóchi, einem kleinen Ortsteil von Kamilári, fahren und nachschauen, was aus der Pension Pelekános geworden ist. Wir biegen dazu nicht schon am Friedhof ab, sondern fahren in den Ort hinein, überqueren die Platía, um schließlich an deren Ende wieder nach rechts abzubiegen, vorbei an der (mittlerweile leider geschlossenenen) Taverne Mílonas, und dort wieder rechts den kurvigen Hang bergab.
Direkt hinter der Taverne schaue ich erwartungsvoll auf einen kleinen Platz, wo das traditionelle Häuschen eines ehemaligen Arbeitskollegen (Olivenernte) stand, das er mit seiner Familie bewohnte. Das sah immer so gemütlich aus. Das Dreirad vor der Tür geparkt, mit dem er uns früh morgens in Mentóchi abholte, wir hopp hinauf auf die klapprige Ladefläche, und dann hoch hinauf den Berg nach Agia Triáda, um die Bäume abzuernten.
Kamilári hat schon früh entdeckt, wie gut man mit touristischen Einrichtungen Geld verdienen kann. Bei jedem Besuch des Dorfes habe ich das Gefühl, dass noch mehr Unterkünfte entstanden sind, vielleicht täuscht das aber auch. Was ich jetzt völlig unerwartet erblicke, ist anstelle der gemütlichen Häuschen eine „Luxusresidenz“ mit klobigen Steinkästen! Ich kann es nicht fassen!
Überhaupt fällt uns auf, dass man jetzt allerorten auf „Luxus“ setzt. Früher war alles „very good“, dessen Steigerung zu „special“ wurde zunächst vom beliebten „traditional“ abgelöst, danach änderte man die Zusatzbezeichnungen (mit dem Trend gehend) in „ecological“. Das alles hat nun offensichtlich ein „Luxus“-Boom abgelöst, denn so ein Präfix bedeutet noch mehr Geld. Einfache Unterkünfte wurden durch „Villen“ ersetzt. Und in Kamilári gibt es jetzt noch die Steigerung davon, eine luxuriöse „Residenz“.
Warum braucht man in einem kleinen Dorf bitte solch protzige Unterkünfte? Dazu noch mit, weil wasserverschlingend, völlig umweltfeindlichen Pools, und zwar für jede einzelne dieser „Luxus“-Suiten einen extra. Schon seit langem werden diese jedoch auch von anderen Unterkünften angeboten. In meinen Augen eine absolute Wasserverschwendung, auch wenn das Meer nicht gerade um die Ecke ist. Nachhaltigkeit? Nie gehört!
Was macht den Unterschied zwischen einer „Luxusresidenz" im Vergleich zu einem „normalen“ Studio aus? Sind Luxusunterkünfte als einzige an ein geheimes Kanalisationsnetz angeschlossen, oder muss man auch hier sein Klopapier in den Eimer stopfen? Vielleicht ist der Eimer ja mit Edelsteinen besetzt? Oder geht es um die Inneneinrichtung, die nun im nichtssagenden, unpersönlichen beige-grau daherkommt? Wie sieht es hinter der Fassade aus? Und schließlich: Was macht ein solches „Luxus“-Monstrum mit den Einwohnern des Ortes?
Später erfahre ich von einer Bekannten, die selbst zwei erstklassig ausgestattete Studios zu moderaten Preisen vermietet, dass man in Unterkünften mit dem Zusatz „Luxus“ von schwindelerregenden Preisen spricht, 200 Euro und mehr werden pro Nacht veranschlagt. „Aber wofür?“ fragt sie. Nun ja, wer es zahlt, dem ist dann auch nicht mehr zu helfen.
Der kleine Platz mit den schönen Häuschen ist für immer weg, und ich bin sehr traurig. Nur die Erinnerung ist das, was bleibt. War es wirklich nötig, das kleine Dorf mit dieser weiteren, völlig unpassenden Bausünde zu verunstalten?
Nicht, dass wir selbst nicht auch auf Bequemlichkeit verzichten wollen, doch gerade die persönlichen Begegnungen und die gelebte Gastfreundschaft der privaten Vermieter, die wir auch bei unserem jetzigen Aufenthalt in reichlicher Form genießen dürfen, finden wir so liebenswert. Sind es nicht die persönlichen Begegnungen, die eine Reise ausmachen, die in Erinnerung bleiben?

Wir erreichen auf dem weiteren Weg bergab, über die rechts und links vollkommen zugebaute Straße, schließlich die Pension Pelekános, dort wo mein Abenteuer in Kamilári 1987 begann; diese wundervoll freundliche, offene Unterkunft, wo man von der Staubstraße herkommend in den schattigen Innenhof blicken konnte und hineingebeten wurde, ist heute blickdicht verpackt. Keine Auskunft über ihre jetzige Bestimmung. Im Internet lese ich, dass sie weiterhin als Pension fungiert, nun allerdings mit Pool im Hof. Klar.
Erinnerungen an das ehemalige Drei-Schwestern-Haus, mit Evathía, meiner Freundin, die mir bei meiner vollkommen abgebrannten Ankunft, ohne mich zuvor jemals gesehen zu haben, sehr uneigennützig und zügig half, indem sie mir Unterkunft und Arbeit verschaffte. Zwei Telefonate genügten. Wie gern denke ich an sie und ihre Schwestern zurück, auch an einen späteren Besuch bei ihr, wo wir beide ganz alleine waren, etwas aßen und schließlich in die Kojen krochen zu einer mittäglichen Siesta unter Moskitonetzen, bei offenem Fenster, herrlich kühl in dem alten Gemäuer. Wie schön weich ihre langen Haare waren, die ich einmal bürsten durfte. Ihre Erzählung damals von ihrer persönlichen Wallfahrt in einer Reisegruppe nach Jerusalem, mit dem Schiff über das Mittelmeer. Das war sicher einer der Höhepunkte ihres Lebens, das nicht so leicht war.
Ach Gott, so viele Erinnerungen. Die habe ich ja jedes Mal, wenn ich in dieser Gegend bin, doch dieses Mal ist es anders. Mein Renteneintritt hat mir etwas geschenkt, was während der langen Jahre der Hetze und des zunehmenden Stresses nicht gelang: Zeit, Muße und Offenheit für das, was mir begegnet, und auch Offenheit für die alten Tage mit ihren unzähligen Geschichten, und was sie auslösen. Auch später zu Hause werden sie mich so schnell nicht loslassen. Sie sind doch ein wesentlicher Teil von mir worden. Kreta hat mich damals vieles gelehrt, und ich bin unendlich dankbar dafür, dass ich in einem anderen Land einen anderen Lebensentwurf ausprobieren durfte und trotzdem immer das Gefühl hatte, dass ich als allein reisende Frau hier, in Griechenland, und besonders auf Kreta, nicht unter die Räder kommen würde.


Das erste Bad in Kommós
Wir verlassen Mentóchi wieder und kurven die Straße zum Friedhof hoch. Ein Bad im Meer steht an, und dafür geht es nach Kommós, wo ich schon ewig nicht mehr war. So lange Zeit ist seit meinem letzten Besuch dort vergangen, dass ich den schmalen Abzweig am Ortseingang von Pitsídia glatt übersehe. Hinter dem Ort gibt es ja noch einen weiteren, über den wir nun in der heißesten Zeit des Tages bergab rollen. Draußen sind es weit über dreißig Grad, im Auto um die vierzig, furchtbar ermattend.
Daher freuen wir uns schon sehr, endlich im Meer zu baden, egal wie kalt es noch sein wird. Das Auto auf dem Parkplatz geparkt (nicht in der riesigen Blechschlange am Straßenrand) raffen wir unser Zeug zusammen und wanken hinunter zum Beach. Die Schirme scheinen alle belegt zu sein, auch die am oberen Ende des Strandes. Was sollen wir also noch lange durch den tiefen, kieseligen, heißen Sand stapfen, alles viel zu anstrengend.
Das Handtuch ausgerollt, weg mit den Klamotten (Badesachen hatten wir schon vorsorglich angezogen) und rein ins Wasser. Die Oberflächentemperatur geht ja, aber einen Meter weiter unterhalb ist es noch bitterkalt. Den Blick auf den mit den Schneefeldern bedeckten Psilorítis gerichtet, erscheint uns das Wasser noch eisiger. Später brutzeln wir unter meinem Riesentuch vor der Sonne Schutz suchend, bis die Klamotten einigermaßen trocken sind, dann aber schnell wieder weg, denn einen Sonnenbrand brauchen wir jetzt nicht.

In Kommós bin ich beinahe einmal unbemerkt ertrunken. In einer Vierer-Paréa sind wir damals an einem sonnigen Tag im Spätherbst zum Strand gefahren. Außer uns war niemand dort. Wir genossen das Spiel mit den hohen Wellen im Wind, die geräuschvoll und recht hoch an den Strand donnerten. Unser Treiben war auf Dauer etwas ermüdend, und so verließen meine drei Gefährten das Wasser, nur ich blieb allein zurück und schwamm etwas weiter hinaus, wo die Wasserbewegungen etwas ruhiger waren, plantschte noch ein wenig herum. Irgendwann hatte auch ich dann genug und wollte wieder an Land. Entsetzt stellte ich fest, dass es mir nicht gelang, mich trotz kräftiger Schwimmzüge dem Ufer zu nähern. Vielmehr hatte ich das Gefühl, immer weiter hinaus getrieben zu werden. Zu meiner Not kam Panik. Meine Rufe wurden von den anderen wegen der laut donnernden Brandung nicht gehört, mein hektisches Gewinke nicht gesehen, da sie bäuchlings mit dem Blick in die in entgegengesetzte Richtung am Strand lagen. Mit großer Anstrengung versuchte ich daraufhin, zum Meeresgrund zu tauchen, wo der Wasserwiderstand etwas geringer ist. Tatsächlich gelang es mir mit letzter Kraft, unter den Wellen hindurch zu schwimmen. Am Ende packte mich dann doch noch einer der Brecher und klatschte mich mit Schmackes auf den Strand. Völlig ausgepumpt musste ich den Schreck erstmal verdauen. Ich hatte meine Lektion gelernt, wie schnell das Leben durch eine Ungeschicklichkeit oder durch Unwissenheit enden kann - und das völlig unbemerkt und auf Nimmerwiedersehen!
Später erhielt ich den Tipp, in solch einem Fall eine Weile parallel zum Ufer zu schwimmen, um aus der Strömung herauszukommen, und dann erst in Richtung Strand. Bis heute bin ich jedoch nie wieder so weit hinaus geschwommen, schon gar nicht alleine und erst recht nicht in Kommós!


Mátala am späten Nachmittag
Zum Abschluss unserer heutigen Erkundung wollen wir uns anschauen, was in Mátala abgeht.
Die Straße ab Pitsídia, die schon seit Längerem mit zwei gigantischen Kreiseln und einem Fußgängerstreifen versehen ist, hat im Bereich der Felsen nichts von ihren Schlaglöchern eingebüßt. Früher mit dem Moped war es wichtig, jedes Einzelne zu kennen. Heute sind noch ein paar dazugekommen. Wir fahren daher lieber mal vorsichtig und langsam, haben auch einen Tramper mit dabei.
Noch ist die Zeit der unzähligen Busse, die täglich Scharen von Reisegruppen ankarren, nicht gekommen, nur einen entdecken wir. Dafür ist der Seitenstreifen am Ortseingang auf einer unglaublichen Länge mit PKWs zugeparkt, der Parkplatz am Strand sowieso. Dennoch erwischen wir genau dort zufällig doch noch eine Lücke. Und dann schlendern wir durch die Gassen.
Auf den ersten Blick hat sich nicht viel geändert. Es herrscht jetzt am Spätnachmittag ein gemütliches Flair, ohne Stress, ohne Lautstärke, ohne viele Passanten. Die vielen Autoparker sind dann doch wohl eher Strandgänger, vielleicht auch aus den Luxus-Unterkünften der Dörfer, denen der Pool nicht ausreicht und denen die Steinplatten in Kalamáki widerstreben. Ich muss gestehen, in Mátala war ich schon oft am Strand, jedoch noch nie baden. Weiß nicht, warum. Auch dieser Aufenthalt wird daran nichts ändern.
Nur wenige Touris klettern in den Höhlen herum. Während unseres zweiwöchigen Aufenthaltes ist dort tatsächlich ein junger Mann abgestürzt und zu Tode gekommen. Die Presse hat darüber berichtet. Also heißt es aufzupassen, wo man hintritt.

Bei unserem Spaziergang durch den Ort kommen Erinnerungen an meine Zeit als Schmuck- und Hairwrap-Verkäuferin auf. Spíros, dessen frühere Odyssee-Bar auf den hinteren Klippen damals wie mein zweites Zuhause war, kommt ganz zufällig und schwarz gekleidet um die Ecke. Sein sonst so breites „Welcome-Home“-Lachen ist zumindest für heute verschwunden. Ich erfahre vom Tod eines netten Menschen, den wir beide kannten. Wie traurig. Solche Mitteilungen sollte ich während unseres Aufenthaltes und dem Besuch bei Bekannten noch häufiger erhalten. „Die Einschläge kommen näher“, sagt man flapsig. Aber wenn sie dann mit zunehmendem Alter tatsächlich realistisch werden, ist das alles nicht mehr so lustig. Auch wenn man hört, unter welchen Umständen die Bekannten gestorben sind. Wir verabschieden uns und schlendern etwas bedrückt weiter durch den Ort.

Das ehemalige Wohnhaus von Georgios, dem 2012 verstorbenen und weltberühmten Fischer mit der roten Blume im Haar, dem Erfinder des Spruchs über die Sinnhaftigkeit des jetzigen Erlebens und der Gewissheit darüber, dass das Morgen nicht stattfinden wird, den er jedes Jahr in frischen Farben an die Kaimauer gepinselt hat und der jetzt von anderen immer wieder erneuert wird, ist wie eine Art Museum zurechtgemacht. Oder wurde eine Taverne daraus? Ich kann mich nicht richtig erinnern... Sein Konterfei schaut dem Passanten von einem Poster entgegen.
Einmal, vor vielen Jahren, hatte ich zusammen mit ein paar im Herbst übrig gebliebenen Touristen die Ehre, einen Abend in seinen Räumlichkeiten zu verbringen. Alles war vollgestopft mit Fischereizubehör, Netze lagen auf dem Fußboden zum Trocknen und Flicken. Wir tranken sehr viel Raki gegen die Kälte draußen, und freuten uns über die herzliche Wärme drinnen. Georgios erzählte uns stundenlang seine Geschichten über Joni Mitchell, „my friend Cat Stevens“ und andere berühmte Stars, die den Weg damals nach Mátala gefunden hatten. Vor einem rustikalen Abspielgerät türmten sich Cassetten mit der Musik der Spätsechziger. Ein unvergesslicher Abend war das. Er lebte in diesen Geschichten, als wären sie gerade eben erst passiert. Und er selbst wird durch sie in unserer Erinnerung auch weiterleben.

Bei unserem weiteren Bummel sehen wir die Straßenmalerei des letztjährigen Festivals. Irgendwie sagt mir das alles nichts, hat es auch noch nie. Da kommen Leute, die sich als Hippies verstehen oder sich kurzfristig als solche verkleiden und sich entsprechend verhalten, um dann wieder abzureisen in ein ganz anderes Leben. Das ist nichts meins, was aber keine Rolle spielt. Die Musikaufführungen würde ich mir dennoch gerne mal ansehen.
Zu meiner Freude gibt es den Buchladen noch, wo ich schon etliches Lesematerial erstanden habe. Daneben das „Kafenion“ (früher „Coffee-Shop“), ein lauschiges Café zum Abhängen und Touri-Watching bei chilliger Mucke. Auch das Zafíria nebenan dient demselben Zweck. Die Geschäfte sind zu dieser Uhrzeit weitestgehend leer. Das Angebot auf der Basarstraße und der parallel verlaufenden sind in etwa gleich geblieben: Textilien, Olivenholzgeschnitztes, Schmuck und andere Gegenstände für den geneigten Touristen. Auch die Bäckerei gibt es noch.
Am Eingang zum Basar ein kurzes Innehalten und Gedanken an die wirklich famose Grillbude von Nássos, in der zu jeder Zeit eine Ramba-Zamba-Stimmung herrschte und wo man das weltbeste Souvláki herbekam. Ach ja, in dem einen Winter vor 31 Jahren bin ich mit Bekannten morgens von Pitsídia aus zum Angeln nach Mátala gegangen. Wir fingen zwar nichts, hatten aber viel Spaß dort, bei den Felsen. Und zum Schluss trabten wir zum einzig geöffneten Laden, eben Nássos, und gönnten uns was sehr Leckeres und Reichhaltiges zu Essen nebst ein paar Bieren. Ker, wat waren dat Zeiten!
Irgendwie suche ich immer noch das (jetzt veränderte oder nicht mehr existierende) Lokal, irgendwo in der Nähe des Parkplatzes am Ortseingang/Strand, einen „Lumpensammler“, wo sich buchstäblich alle, die des Nachts in Mátala arbeiteten, zum Ausklang (also ab drei oder vier Uhr morgens) einfanden, die Tische zusammenschoben und dann ein sehr stärkendes Mahl zu sich nahmen. Es war ein noch junges Paar, irgendwo aus der Welt, das die Kochkunst exzellent beherrschte, und uns kräftigende Suppen und Eintöpfe, oder auch deftige Fleischgerichte servierte, sodass sich der Weg nach Hause angenehm müde und satt gestaltete. Die Stimmung war immer Bombe: fröhlich, ausgelassen, manchmal etwas betrunken. Man erzählte sich die lustigen oder originellen Begebenheiten des Tages. Wie gerne bin ich damals mitgegangen, es war meine Welt in jenem Sommer: jung, ausgelassen, und ich war bekannt und respektiert als (zunächst) einzige Hairwrapperin in Mátala. Tja, so war das damals.
Viele Gedanken stürzen auf mich ein, während wir durch die Gassen bummeln, bin guter Stimmung und freue mich über diesen Besuch hier. Schließlich tauche ich wieder auf aus meinen Gedanken, denn der Abend naht, und wir möchten zurück nach Kalamáki.

Abends nehmen wir auf Empfehlung dann bei Dioghénis auf der Platía in Kalamáki zum Essen Platz. Die in Alu-Folie gegarte Kartoffel mit Salz und Olivenöl als Willkommensgruß mundet sehr gut. Danach lassen wir es uns bei weiterem Grillgut gutgehen, werden von den sehr netten Wirtsleuten zuvorkommend bedient. Als wir mit dem Essen gerade fertig sind, kommt ein Junge mit einer kleinen Kiste vorbei, auf der einige Basilikumsträucher in kleinen Plastiktöpfen zum Verkauf stehen. Alex verwickelt ihn in ein Gespräch. 11 Jahre ist er alt und kommt vom Festland. Er geht in die 2. Klasse, zurzeit seien aber Ferien (?!). Ob wir einen Strauch für 3 Euro kaufen möchten, oder gleich 2 für preiswerte 5 Euro? Wir erstehen einen, und Alex gibt ihm einen Euro Trinkgeld, was den Jungen weiter dazu verleitet, uns doch lieber 2 Sträucher für 5 Euro anzupreisen. Das sei viel billiger. Auch eine andere Paréa möchte ihm die 3 Euro wohlmeinend zugutekommen lassen, jedoch ohne den Strauch mitzunehmen. Das wiederum ist gegen die Würde des jungen Mannes. Die bekommen den Strauch, ob sie wollen oder nicht. Basta! In Gedanken: „Du hast 3 Euro gegeben, also kriegst du einen Strauch. Ich bettele nicht, ich verkaufe!“

Ausflug nach Záros