Auf diese Tour habe ich mich schon sehr gefreut, da der Hinweg fast durchweg am Fuße des Ida entlang führt und famose Ausblicke in ein weites Tal verspricht. Wie schon bei unserem Trip nach Zarós lassen wir Timbáki und Kókkinos Pírgos flugs hinter uns, biegen vor Agia Gálini rechts ab, nehmen aber dieses Mal an der Straßengabelung den Abzweig nach links. Kleine Ortschaften wie Apodoúlou, Níthiavris oder Kouroútes, die wir durchqueren, vermitteln den Eindruck von Abgeschiedenheit. Fast kein anderes Fahrzeug begegnet uns weit und breit. Ruhe und Stille erfahren wir auch bei einer Rast mit einem Wahnsinns-Blick in das weite, liebliche Amári-Tal. ![]() Mir fehlen die Worte, mit denen ich die Schönheit dieses Teils von Kreta realistisch beschreiben könnte. Natürlich sind es auch die kretische Musik und die vielen intensiven Erinnerungen über die Jahrzehnte, die bei unserem diesjährigen Aufenthalt auf mich hereinströmen, doch allein die unglaublich majestätische Landschaft und die weiten Blicke lassen mich vor Ehrfurcht beinahe niederknien. Sanfte gewellte Hügel, wenige kleinere Olivenfelder, grüne Sträucher und Bäume durchziehen abwechselnd die Talsohle, eingegrenzt vom Kédros im Osten und dem hoch aufragenden Ida-Gebirge im Westen. ![]() ![]() Der Psiloritis, grau, mit seinen großen, leuchtenden Schneefeldern, scheint uns immer wieder den Weg zu weisen. Je höher wir uns entlang des Ida bewegen, desto weniger sichtbar sind die weißen Flecken, da uns davor gelegene weitere Bergkuppen die Sicht versperren. Doch immer wieder blitzen sie zwischen den Hügeln auf, als wollten sie uns sagen: „Hier entlang, hier findet ihr mich, zuverlässig wie seit jeher.“ ![]() So gelangen wir schließlich in das größte Dorf auf der Strecke, den Ort Fourfourás. Da wir sowieso vorhaben, irgendwo Wasser zu kaufen, suchen wir einen Halteplatz an der langgezogenen Dorfstraße und legen eine Pause ein. Genau hier geraten wir in die Vorbereitungen eines Prógamos (einer Vorhochzeit). Sie wird eine Woche bis zur eigentlichen Hochzeit in Iráklio dauern und ab heute starten. Dieses Fest ist auch insbesondere für diejenigen, die nicht zum Hochzeitsort kommen werden. Die Vorbereitungen für den Prógamos laufen bereits auf vollen Touren. Tische und Bänke werden laut klappernd dicht aneinandergereiht aufgebaut – es sieht so aus, als ob das gesamte Dorf eingeladen ist. Einige der langen Tischreihen sind schon mit Essgeschirr bestückt und mit einer durchsichtigen Plastikplane sorgfältig abgedeckt. Am Straßenrand steht ein Kühlwagen, in dem etliche geschlachtete Tiere auf den Grill warten. Immer mehr Pickups mit weiterem Mobiliar kommen an, geschäftig rattert und scheppert es überall. ![]() Um für den Einkauf unserer Wasserflaschen nicht lange in diesem eifrigen Treiben herum zu suchen, zwängen wir uns durch die enge Pforte einer Abfüllstation für Anapsiktiká (nichtalkoholische Getränke). Die Verkäuferin oder Eigentümerin will uns im Überschwang unbedingt zwei Flaschen Limonade aus eigener Produktion schenken, doch uns als Zuckervermeider sind die Getränke zu süß. Am Ende nehmen wir langweiligen Touris zwei Flaschen Soda mit, Psilorítis-Wasser, ebenfalls aus eigener Abfüllung. Es handelt sich tatsächlich um Rülpswasser erster Güte, erinnert vom Kohlendioxidgehalt sehr an die früheren Produkte. Ein winziger Schluck genügt schon, um die Reflexe außer Kontrolle geraten zu lassen. Während ich noch zu einem kleinen Palaver in der Station verbleibe, läuft Alex ein wenig herum und wird von einer Paréa, die es sich schon reichlich gut gehen lässt, spontan zum Essen eingeladen. Mitten drin in all dem Gewusel brutzelt es nämlich schon verführerisch. Der höflichen Einladung würden wir gerne nachkommen, doch wir möchten uns hier nicht aufdrängen. Ach, wie freundlich, offen und nett die Leute spontan hier sind! ![]() Mit freundlicher Genehmigung zur Veröffentlichung - Yammas! Zurück im Auto und bereit für die Abfahrt kommt die Frau aus der Abfüllstation und reicht uns ein Hochzeitsbrot durch das Seitenfenster, das „ganz ehrlich nur ganz wenig süß ist“. Und herrlich duftend, noch warm, göttlich schmeckend. Wer kann da schon „Nein“ sagen? Hoch soll das Brautpaar leben! Von Fourfourás könnte man den Psilorítis auf einem Teil des E-4-Weges erwandern. Doch die Einheimischen kennen ihre eigenen Pfade hinauf, wie man uns lachend mitteilt. Mehrere führen nach oben, man fährt mit dem Auto, soweit es geht – und nimmt auf jeden Fall einen Grill mit. Ja, mit dem Auto fahren, nicht so viel zu Fuß gehen, weil zu anstrengend. Beschwingt durch diese netten Begegnungen setzen auch wir Autofahrer unseren Weg durch diese von Gott geküsste Landschaft in nördlicher Richtung fort. ![]() Eine halbe Stunde später biegen wir in den weit ausladenden Parkplatz des Klosters Arkádi ein, einem der bedeutendsten Wahrzeichen griechischer/kretischer Geschichte im Kampf gegen die osmanischen Besatzer. Wo, wenn nicht hier, wurde die Losung „Freiheit oder Tod“ im Befreiungskampf in die Tat umgesetzt. Nach 250jähriger Besatzung wurde im Jahr 1866 die Revolution gegen die Osmanischen Herrscher ausgerufen. Dabei kam es in der Nacht vom 7. auf den 8. November zur Belagerung und des Angriffs auf das Kloster Arkadi. Da ein Sieg der kretischen Widerstandskämpfer aufgrund zahlmäßiger Unterlegenheit nicht zu erreichen war, entschieden sich die Verantwortlichen, es nicht in Kauf zu nehmen, den angreifenden Feindestruppen in die Hände zu fallen und sich stattdessen zusammen mit den knapp tausend Menschen, unter ihnen viele Frauen und Kinder, die zu der Zeit im Kloster weilten, in die Luft zu sprengen. Alex kennt diese Geschichte natürlich, war jedoch noch niemals hier, und so freut es mich besonders, ihn mit diesem unverhofften Abstecher überraschen zu können.
Um zum Inneren des Klosters zu gelangen, müssen wir den riesigen Parkplatz überqueren. Kaum auszudenken, wie sich die Menschenmassen stapeln, wenn der Platz zugeparkt ist. Heute jedoch sind nur wenige Besucher vor Ort. ![]() ![]() Durch den Bogeneingang in der äußeren Mauer schaut man direkt auf das gegenüberliegende Portal der zentral gelegenen Kirche, die wir zunächst besichtigen. Ihre schlichte Einrichtung besteht vorwiegend aus hölzernem Mobiliar. ![]() ![]() Entlang der Mauer, die das Klostergeviert umgrenzt, können auch weitere Räumlichkeiten des früheren Lebens hier besichtigt werden, wie z.B. das Refektorium. Nebenan befinden sich Gegenstände und Werkzeuge zur Ansicht, begleitet von Bildern, die ihren Gebrauch zeigen. Schließlich gelangen wir in das Pulvermagazin mit dem weggesprengten Dach, an deren einem Ende ein Altar mit einer bildhaften Darstellung der Menschen mit dem Abt im Vordergrund, einem Pulverfass und einer Laterne sowie einer Hinweistafel in griechischer Sprache an der Wand. ![]() Im oberen Stockwerk des Klostergebäudes lassen weitere Bilder und gestiftete Ausstellungsgegenstände den Besucher weiter in die Vergangenheit eintauchen. Nach der Besichtigung gönnen wir uns im Außenbereich eine kurze Verschnaufpause, um das Gesehene wirken zu lassen. ![]() Eine schon tiefer stehende Sonne wirft bereits lange Schatten der Säulen und grün umrankten Holzverstrebungen auf den Boden des Innenhofes der Klosteranlage, als wir uns auf den Heimweg machen. Dieser wird uns nicht mehr entlang des Psilorítis, sondern auf der anderen Seite des Amari-Tals, entlang der östlichen Ausläufer des Kédros zurückführen. Im schönen warmen Sonnenlicht können wir gegenüber die Orte erkennen, die wir auf der Hinfahrt durchquert haben, allen voran das große Dorf Fourfourás. ![]() ![]() Unser Weg führt über Klisídi, Thrónos, Amári, Vrísses, Drigiés, Ano Méros (ein Kato scheint es nicht zu geben), Hordáki, Orné und Néa Kría Vríssi zurück zur Hauptstraße, oberhalb von Agia Galíni. Eine ziemliche Gurkerei aber mit weiteren Blicken ins Amari-Tal, so grün, majestätisch, landschaftlich ereignisreich. Ich kann nicht genug davon bekommen. Ein wundervoller Ausflug in die ergreifende kretische Landschaft neigt sich leider dem Ende zu. Am Abend sind wir zum Namenstag unserer Zimmerwirtin Eleni zum Grillen eingeladen. Koteletts gibt es, Bataten aus dem Ofen, geschmorte Zucchini, Chórta und andere Leckereien, begleitet durch ungezwungenes Geplauder im Kreise der sehr netten Wirtsfamilie. Auf mein ausgiebiges Lob an die Köchinnen folgt unter behaglichem Schmatzen meine nicht ganz ernst gemeinte Frage, ob es eigentlich irgendetwas aus der kretischen Natur gibt, das NICHT gesund ist? Man antwortet mir mit einem entschiedenen und keinen Widerspruch duldenden OOOCHI! Und dann wird alles aufgezählt, was gesund ist: die Kräuter, Oliven, das Öl, die Meeresfrüchte usw. Einer der Enkel, der zu Besuch gekommen ist und ebenfalls Namenstag hat (es ist auch Kóstas-Tag), besucht die 5. Klasse und man gibt an, dass er gut in Mathe ist. Alex stellt ihm schnell eine rasend schnell vorgetragene Rechenaufgabe, die wahrscheinlich jedes griechische Kind im Laufe seiner Schulzeit x-mal gestellt bekommt: „Wieviel ist (3 x 11) + (3 x 12) + (3 x 15) + 11 + 7 + 8 + 17?“ Als Kind hat man sich die Antwort irgendwann mal ausgerechnet und antwortet dann, wie aus der Pistole geschossen: 157! Die Antwort dieses Jungen lautet jedoch: „Was fragst du mich? Frag‘ Pythágoras!“ Ein schlaues Kerlchen mit flottem Mundwerk! Der Tag wird am Ende noch mit einem ordentlichen Platzregen abgerundet, doch da liegen wir bereits mit vollem Bauch in der Koje, glücklich über den so schönen Tag. |