Einer der unzähligen Wasserläufe und Seen im Atchafayala Basin ist der Lake Martin.
Der in den 1950er Jahren fertiggestellte Stausee liegt ganz in der Nähe der Interstate 10, zwischen Breaux Bridge und Lafayette.
Unser Hotel haben wir daher in Henderson bei Breaux Bridge gewählt. Es befindet sich direkt neben der I-10, an einem Verkehrskreisel, nur 15 Auto-Minuten vom See entfernt. Schalldichte Fenster nach außen werden später für eine entsprechende Nachtruhe sorgen und eine Tankstelle mit kleinem Laden und mindestens ein Restaurant nebenan für eine ausreichende Infrastruktur. Wir hätten sicherlich idyllischer oder städtischer wohnen können, in Lafayette zum Beispiel. Diese Ziele liegen jedoch etwas weiter vom See entfernt, was An- und Abfahrt für den kurzen Aufenthalt erheblich verlängern würde. Stattdessen brauchen wir morgen von unserem Hotel aus nur den direkten Weg zurück über die I-10 zu nehmen, denn auch dann haben wir wieder volles Programm. Das ausgewählte Hotel ist also für unsere Zwecke perfekt, wenn auch weder pittoresk noch romantisch gelegen. Idylle versprechen wir uns jedoch von unserer gebuchten Tour über den Lake Martin. Dieser Bootsausflug durch einen winzigen Ausschnitt der Sümpfe Louisianas soll einer der Höhepunkte unserer Südstaatenreise werden. Deshalb hatten wir im Vorfeld auch lange hin und her überlegt, ob wir nicht lieber eine der in der Nähe von New Orleans angebotenen Touren machen sollten, weil wir dort sowieso ein paar Tage bleiben werden. Unsere Entscheidung gegen New Orleans und für den Umweg zum Lake Martin hatte gleich vier Gründe (hier alle aus meiner persönlichen Sicht und ohne Anspruch auf Allgemeingültigkeit wiedergegeben): - Zum Teil ist die An- bzw. Abreise vom Stadtzentrum von New Orleans in die Sumpfgebiete nur individuell möglich, und ohne Auto (das wir bei unserer Ankunft in New Orleans abgeben wollen) eher umständlich bzw. mit dem Taxi teuer. Ich habe zum Zeitpunkt der Buchung nur einen Anbieter gefunden, der die Gäste abholt und wieder zurückbringt. - Eines der gut besuchten Gebiete nördlich von New Orleans, in denen eine solche Tour angeboten wird, erstreckt sich an den Ufern entlang des Old Pearl River. Um dorthin zu kommen, nimmt die Fahrt über den Fluss nach einigen Gäste-Bewertungen schon fast die Hälfte der Tour ein. Sicherlich hat der Fluss auch seine Reize, doch wir möchten ja in die Sümpfe. - Weiterhin hat sich der Eindruck bei uns verfestigt, dass dort neben einfachen Booten nicht wenige der ultralauten, propellergetriebenen Airboats unterwegs sind, die dem Fahrgast zwar ein tolles Geschwindigkeitserlebnis, aber sicherlich kein Naturfeeling vermitteln, weil die Tiere in der Nähe bei dem ohrenbetäubenden Lärm Reißaus nehmen. Auch Gäste anderer Boote in der Nähe sind davon genauso beeinträchtigt. - Die Tiere, die in den Sümpfen leben, sind aber die Hauptattraktion einer solchen Tour. Und damit der Kunde zufrieden ist, werden sie wieder angelockt. Dazu spießen die Guides klebrig-süße Marshmallows auf einen Stock, bis Alligatoren, Wildschweine, Waschbären und andere Tiere nah an die Boote kommen, um einen Happen zu erwischen und die Kundschaft zu begeistern. Egal bei welchem Anbieter ich mich umschaute, überall war einer der Punkte in den Bewertungen enthalten, die schwerwiegend genug waren, um Abstand zu nehmen. Alternativ dazu werden auch im Atchafalaya Baisin, zwischen Baton Rouge und Lafayette, Sumpftouren angeboten. Bei einigen Anbietern waren die Touren während unseres knappen Zeitfensters schon ausgebucht. Meine Wahl fiel auf die Cajun Country Swamp Tours am Lake Martin, einer unter mehreren Anbietern dort. Der Ausflug sollte in einem umgebauten Crawfish Skiff (Boot zum Fangen von Flusskrebsen) stattfinden, das aufgrund seiner flachen Form tief in den Sumpf eindringen kann. Auch wird auf das Anlocken der Tiere verzichtet, was mir äußerst wichtig ist. Stattdessen nähert man sich im Boot selbst „auf einen respektvollen Abstand“ an die Tiere an, immer noch nah genug, um gute Fotos zu machen. Es ist also eine Frage der Perspektive: Wir kommen als Besucher in den Sumpf und passen uns dort an; wir erwarten nicht, dass die Tiere zu unseren Bedingungen zu uns kommen. Pro Person bezahlten wir bei der Buchung für die geführte Tour 25 USD zzgl. Steuern. Eine öko-freundliche, nicht kommerzielle Fahrt (im Sinne von: es gibt vor Ort keine Werbung, kein Geschäft, nur die Anlegestelle) würde uns am Nachmittag, kurz vor 17 Uhr, erwarten. Gegen 16.30 Uhr sollen wir da sein. Nach einem unfreiwilligen Umweg gelingt uns das auf den letzten Drücker, und dann geht es schnell. Etwa zehn weitere Fahrgäste, die meisten aus Bordeaux in Frankreich, trudeln innerhalb kurzer Zeit ein. Es sind keine Handygucker und keine eifrigen Schwätzer, sondern einfach, so wie wir, Neugierige, die sich auf Erlebnisse in einer uns weitestgehend unbekannten Naturlandschaft freuen, die unser Guide vor uns entfalten wird. Und weit und breit weder eine andere Ausflugsgesellschaft noch röhrende Airboats. Allein darüber freue ich mich schon sehr. Das Boot, das gerade die Gäste der vorherigen Tour entlassen hat, liegt schon am Anleger bereit. Auf gepolsterten Drehstühlen können wir im Boot Platz nehmen, die beiden ganz vorne sind noch frei. ![]() Unser Guide, Shawn Guchereau, in der Nähe des Lake Martin aufgewachsen, freundlich, humorvoll und ein eher leiser Vertreter, wartet noch ein wenig auf zwei fehlende Personen, die aber nicht auftauchen. Ein paar Minuten später starten wir daher vom winzigen Anleger aus. Wie häufig bei künstlich angelegten Gewässern kann man Lake Martin inmitten einer ihn umgebenden Sumpflandschaft nicht von einem natürlich entstandenen See unterscheiden. ![]() Zwar bekommen wir im Bug des Bootes sehr angenehmen Fahrtwind ab, dafür aber wenig vom Vortrag des Guides, der ganz hinten steht und den Motor bedient. Ab und an schaltet er diesen auch aus, und so hören wir nur die Geräusche des Sumpfes und seine leise Stimme, die kleine Geschichten rund um den See und seine tierischen Bewohner erzählt. Vor uns sehen wir plötzlich eine Schlange hoch aufgerichtet mit hektischen Bewegungen durch das Wasser pflügen, doch Shawn erklärt uns lachend, dass dies ein Vogel ist, dessen Körper unter der Wasseroberfläche schwimmt, und nur Hals und Kopf aus dem Wasser hervor schauen lässt; genau das hat ihm wohl auch seinen Namen Schlangenhalsvogel eingebracht. Wenn man genau hinschaut, sieht man am Ende „der Schlange“ auch einen Schnabel. ![]() Wer sich das Gefieder so nass gemacht hat, muss auch zusehen, dass es wieder trocknet. ![]() Weiter geht es zur benachbarten Uferlinie. Bei der Einfahrt in den Sumpfzypressenwald wähnt man sich in einer anderen Welt. Augenblicklich verstummen die Gespräche an Bord, so beeindruckend ist dieses Gefühl. ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() Große Wasservögel stehen auf Inselchen im See oder sitzen auf Bäumen und Baumstümpfen, fliegen aber jedes Mal weg, sobald wir bei unserer langsamen Annäherung eine unsichtbare Grenze überschritten haben. Sie mit meiner schwerfälligen Kamera zu fotografieren, ist fast nicht möglich, zu ähnlich sehen sich die Sumpflandschaft und ihr verschwommener Spiegel im Wasser. ![]() Während ich mich noch mit der Technik meiner Kamera herumplage, haben wir gewendet und fahren wieder zurück zur Anlegestelle, da die beiden Nachzügler nun doch angekommen sind und schnell aufgelesen werden. Natürlich sind wir alle auf die erste Sichtung eines Alligators oder kurz Gators (so heißen sie hier) gespannt, denn der See ist voll von ihnen. Doch eine Weile soll es noch dauern. Sobald sie das Boot hören, machen sie sich aus dem Staub, oder besser: sie tauchen ab. Doch irgendwann ist es dann soweit: Der größte Gator im Lake Martin, so erfahren wir, gibt sich die Ehre. ![]() ![]() Es ist, als ob Shawn alle Tiere persönlich kennen würde. Er erzählt über kleine Begebenheiten und macht uns nebenher immer wieder auf verschiedene größere Vögel aufmerksam. Ist hier ein Großer Blaureiher dabei? ![]() ![]() ![]() ![]() Eventuell Kormorane? Sogar ein bewohntes Adlernest gibt es hoch oben im breiten Geäst eines Baumes, mitten im See. ![]() Andere größere Vögel, die auf Baumstümpfen direkt über dem Wasser hocken, fliegen sehr schnell davon, wenn wir uns langsam nähern und ich sie gerade erst durch den Sucher meiner Kamera entdeckt habe. Am Ende gebe ich das Fotografieren auf und konzentriere mich nur noch darauf, mir die Vögel anzuschauen. Mir gefällt es sehr, dass die Annäherung an die Tiere vorsichtig erfolgt und ihnen genügend Sicherheitsabstand lässt. Überhaupt gestaltet sich die Tour als sehr sanft und angenehm ruhig. Immer wieder halten wir an, und der eh schon leise Motor wird abgeschaltet. Ein paar Worte unseres Guides - zur Erbauung oder Belustigung - dann geht es wieder weiter. Die Stimmung an Bord ist ruhig und freudig gespannt auf das, was wir noch zu sehen bekommen. Auf einem abgestorbenen Ast sonnen sich Sumpfschildkröten, denen es egal ist, ob wir in der Nähe sind oder nicht.
![]() ![]() Es ist nicht leicht, die friedlich dahingleitenden urzeitlichen Echsen von abgestorbenen Baumstämmen zu unterscheiden. Schnell verschwinden die Gators gleich wieder unter der Wasseroberfläche. Nur gekräuseltes Wasser deutet darauf hin, dass hier gerade einer durchgeschwommen ist, für meine Fotografier-Künste wieder viel zu schnell abgetaucht. ![]() ![]() Ist das hier ein Gator oder ein Stück Holz? ![]() Dieser Schöne ist zweifellos ein Alligator. ![]() und noch eine Knubbelnase Während unseres fast zweistündigen Ausflugs begegnen uns keine weiteren Gruppen anderer Anbieter, sondern lediglich eine Handvoll Privatleute, die vor sich hin paddeln und die friedliche Spätnachmittags-Stimmung ebenso genießen wie wir. Wir halten uns vorwiegend in den sumpfigen Uferregionen auf. Vorsichtshalber hatte ich mich noch ordentlich mit der DEET-Lotion eingeschmiert, es gibt aber keine Moskitos. Trotz der Chemiedröhnung auf der Haut kommt immer wieder eine Libelle angeflogen, die sich daraus nichts macht, und auf meinem Zeigefinger sitzen bleibt. Es ist ein so zartes, feingliedriges Geschöpf mit anmutig, langen Flügeln, das ich direkt vor meinen Augen bewundern darf. Ich bin beglückt. Auf einem Baumstumpf sehen wir bei der Vorbeifahrt zwei Tiere in friedlicher Koexistenz: eine ausgewachsene Sumpfschildkröte und einen Alligator, die sich zusammen den Liegeplatz teilen und ihre Panzer genüsslich in die Sonne halten. ![]() Alligatoren lassen sich von Krokodilen sehr leicht unterscheiden: Ihre Farbe ist dunkel, ihr Maul ist platt und eher rechteckig, die Zähne liegen bei geschossenem Maul weitestgehend im Kiefer. Aber beide haben Knubbelnasen. ![]() Sieht das vielleicht cool und entspannt aus? Was mich unglaublich fasziniert, sind die Sumpflanzen in allen Grün-Schattierungen. Am eindrucksvollsten finde ich die Sumpfzypressen mit ihrem Schmuck aus Spanish Moss. „Das ist auch eine Pflanze“, erläutert Shawn für alle, die das nicht wussten. Ganz langsam gleiten wir unter dem dichten Gewebe des Spanish-Moss-Gehänges hindurch, damit wir es berühren können. Mein Nachbar hinter mir tippt mir auf die Schulter und zeigt mir einen Zweig mit einigen zarten Blütchen, den er gerade gepflückt hat. ![]() ![]() ![]() Immer wieder ändert sich, je nach Sonnenlichteinfall, die Farbgebung: einmal wirkt die Baumlandschaft grau, dann wieder ganz hell und gelblich-grün, in allen dazwischenliegenden Farbnuancen, die sich im klaren Wasser widerspiegeln. Manchmal verschwimmt im Gegenlicht sogar die Grenze zwischen dem, was über der Wasseroberfläche sichtbar ist und dessen Spiegelung. Dadurch wirkt diese Baumlandschaft verwunschen und märchenhaft, oder besser: archaisch. Schöner und eindrucksvoller könnte ich mir diese Tour nicht vorstellen. Ich glaube, wir alle im Boot sind ein bisschen verzaubert, wie ich den bewundernden Lauten der Mitreisenden entnehme. ![]() Immer wieder begegnen wir Alligatoren, diesen urzeitlichen Wesen, die mal schnell, mal langsam abtauchen, wenn wir ihnen doch zu nahe kommen. Mal erkennen wir nur den Kopf, manchmal die gesamte Silhouette, wunderschöne Tiere in verschiedenen Größen, die irgendwie zahm wirken, aber dennoch Wildtiere sind. Dadurch, dass sie hier nicht gefüttert werden, behalten sie ihre natürliche Scheu, sodass man sich um Gefahren in dem schmalen Boot, so nahe an der Wasseroberfläche, tatsächlich keine Gedanken machen muss. Die Hände würde ich während der Bootsfahrt dennoch nicht im Wasser baumeln lassen. ![]() Im letzten Teil unseres Ausflugs steuert uns Shawn in ein besonderes Areal des Sees, in dem die Wasseroberfläche über und über mit Wasserpflanzen bedeckt ist, ein grüner Teppich, aus dem die knorrigen Stämme der Wasserbäume in die Höhe ragen. Immer wieder stößt das Boot an Hindernisse, die unter der Wasseroberfläche liegen, doch geschickt wird es wieder weggesteuert. ![]() ![]() Das Zusammenspiel von Wasser, Licht, dem üppigen Zypressenbewuchs und den saftigen Sumpfpflanzen als Heimat einer vielfältigen Vogelwelt sowie der Sichtkontakt mit den eleganten Alligatoren erinnern uns insgeheim an unsere Wurzeln. Es ist ein wenig wie beim Spaziergang durch einen unserer europäischen Wälder oder beim Schnorcheln und Eintauchen in eine andere Dimension des Lebens. All diese Begegnungen mit der Natur hinterlassen eine tiefe Befriedigung. Wir haben überhaupt keine Lust zurückzufahren. Ich glaube, den Mitfahrenden geht es ähnlich. Immer wieder gleiten die Blicke auf einen besonders schönen Baum oder eine Schildkröte, die sich auf einem Stamm sonnt. Dort wieder ein kleiner Wasserwirbel, der vermuten lässt, dass gerade eine Knubbelnase abgetaucht ist. Zu toppen ist das hier nicht. ![]() Am Ende bringt uns unser Guide jetzt mit schnellerer Geschwindigkeit quer über den See zurück zur Anlegestelle. Bevor wir aussteigen sehe ich im Augenwinkel einen gerade abtauchenden, größeren, offenbar recht neugierigen Alligator. Sozusagen ein letzter Gruß. Es ist wirklich eine ganz eigene Welt, die wir erleben durften. Die Abgeschiedenheit und der Respekt vor den natürlichen Gegebenheiten, mit denen man die Touren hier organisiert, sind völlig nach unserem Geschmack. Der Anbieter, mit dem wir gefahren sind, ist für Naturliebhaber und -suchende auf jeden Fall sehr empfehlenswert. Den Umweg hierher, abseits unserer Route, haben wir dafür gerne in Kauf genommen. Um nichts in der Welt hätte ich diese Tour verpassen wollen. Sie wird unvergessen bleiben. ![]() Als wir wieder zurück sind und das Auto neben dem Hotel abgestellt haben, verspüren wir nach dem spätnachmittäglichen Abenteuer Lust auf ein ausladend üppiges Abendessen. Dazu wählen wir das neu eröffnete, mexikanische Restaurant gleich nebenan. Südamerikanische Rhythmen erwarten uns schon auf der Terrasse vor dem Eingang. Drinnen ist einiges los. An sehr großen, runden Tischen wird fröhlich getafelt. Wir bekommen einen Tisch mit Sitzbänken am Rand zugewiesen, genau das Richtige. Rib Eye, messerscharfe grüne Peperoni, Enchiladas mit Käse, Reis, Salat, karamellisierte Zwiebeln, Gemüse, Avocadopaste und eine Creme aus dunklen Bohnen - zwei riesige Portionen für uns! Sehr schmackhaft und preiswert im Gegensatz zu den Speisen in anderen Restaurants. Nach den Erlebnissen des heutigen Tages und dem üppigen Essen werden wir schlafen wie die Brote. |