New Orleans
Streifzug durch das French Quarter


Der erste Tag in New Orleans mit einem Vorhaben, das wieder mehr Bewegung verspricht. Kein Auto mehr, dafür unterwegs auf Schusters Rappen. Und dafür brauchen wir unbedingt ein gutes Frühstück. Im Hotel wird überhaupt nichts zum Essen angeboten. Doch direkt neben dem Foyer und durch einen Seitengang mit dem Hotel direkt verbunden, gibt es ein Café, das morgens früh öffnet und viele Leckereien im Angebot hat. Obwohl ich sonst versuche, Zuckerzeug zu vermeiden, so habe ich mich auf der bisherigen Reise in Ermangelung eines Angebotes, das meinen Geschmack treffen würde, damit arrangiert. Im Laufe unseres Aufenthaltes in New Orleans werde ich mich an unglaublich leckeren Blaubeer-Muffins laben, groß, gelber Teig, locker gebacken, frisch und sehr schmackhaft. Mit selbst gebrautem Kaffee und einer dieser Süßigkeiten kann der Tag auf unserem Balkon gut beginnen.
Das morgendliche Treiben direkt unter uns auf der schmalen Toulouse Street, die als Einbahnstraße zur Bourbon Street führt, begleitet uns bei jedem unserer ausgedehnten Balkonaufenthalte. Vorbei die Zeit, als man jeden Tag neu organisieren musste. Stattdessen können wir nach über drei Wochen unserer bisherigen USA-Reise, mit vielen verschiedenen Erlebnissen in unterschiedlichen Landesteilen, die Tage relaxter angehen. So ein Balkon hat dafür schon seine Vorzüge.

In den Städten Nashville und Memphis sind wir eher musikalischen Spuren gefolgt, doch New Orleans möchten wir etwas umfassender kennenlernen. Die Vorbereitung war gar nicht so leicht, denn bei meiner Internetrecherche sind mir gleich zu Beginn Warnungen ins Auge gesprungen: Bestimmte Stadtteile seien aufgrund hoher Kriminalität besser zu meiden, und nach Einbruch der Dunkelheit sollte man in einem sicheren Viertel sein. Das French Quarter, am Scheitelpunkt einer Mäanderschleife des Mississippi gelegen, das Touristenviertel schlechthin, gehört auf jeden Fall zu den „sicheren“ Vierteln. Ich weiß ja nicht, ob diese Warnungen nicht ein wenig übertrieben sind, möchte es jedoch nicht darauf ankommen lassen. Im French Quarter wird es auf jeden Fall genug zu sehen geben, bis wir ein erstes Gefühl für die Stadt bekommen haben.


Katrina – ein bleibendes Ereignis
Wenn wir bei unserer Reise durch die Südstaaten, entlang des Mississippi und insbesondere durch das Atchafayala Becken etwas erfahren haben, dann sind es die Herausforderungen, mit denen man sich in weiten Teilen dieses Gebietes immer wieder mit drohenden Hochwasserereignissen von verschiedenen Seiten auseinandersetzen muss: einmal durch den Mississippi, wenn er aus verschiedenen Gründen Hochwasser führt, andererseits durch Zyklone, die vom Golf von Mexiko kommend große Regenmengen mit sich bringen und das Meer gegen die Küste peitschen.

Katrina, ein Sturm der höchsten Kategorie 5, hatte im August 2005 ganze Teile der Stadt zerstört und bis heute entvölkert. Bei denen, die den Hurrikan Katrina miterlebt haben, gibt es ein Davor und ein Danach, wie in anderen Ländern vielleicht ein Krieg als einschneidendes Erlebnis die Erinnerungen voneinander trennt. Der Taxifahrer, mit dem wir gestern vom Flughafen kamen, meinte auf meine spontane Frage nach der Einwohnerzahl eindringlich: Vor Katrina waren es knapp 500.000, nach dem Sturm weniger als die Hälfte, heute sind es immerhin wieder um die 380.000. Das bedeutet, dass die Bevölkerung dauerhaft um 25% zurückgegangen ist.
Es waren nicht nur die Wassermengen, die aus den mit 200 Stundenkilometern tobenden Wolkenwirbeln herabregneten, als der Sturm die Stadt direkt traf. Auch nicht die Fluten, die sich durch die schlammigen Schleifen des aufgewühlten Flusses wälzten, denn dort hielten die Deiche stand. Es waren die Brüche im Damm des Lake Pontchartrain, die das Wasser des direkt nördlich angrenzenden Sees in die tiefer liegende Stadt stürzen ließen, sodass etwa 80 Prozent ihrer Fläche überschwemmt wurde. (Weitere Details sind auf der Wikipedia-Seite zum Hurrikan Katrina zusammengefasst.)

Der Sturm traf insbesondere die Stadtteile, in denen die vom Leben weniger Begünstigten wohnten. Jesmyn Ward beschreibt in ihrem vorzüglichen Roman „Vor dem Sturm“ (auch wenn dieser nicht zwangsläufig in New Orleans spielt) den aufziehenden und hereinbrechenden Hurrikan als Sinnbild für die Unausweichlichkeit auftretender Ereignisse im Leben ihrer benachteiligten Protagonisten. (Jesmyn Ward, s. Literaturliste)
Starke Tropenstürme treten jedes Jahr weiterhin auf, durch den Klimawandel bedingt in der Zukunft eventuell sogar noch häufiger und intensiver. Dennoch gehen die Menschen, die erst Monate nach Katrina zurückkehren konnten, all dem zum Trotz heute einfach wieder ihren täglichen Geschäften nach, versuchen, den zurückgekehrten Tourismus für ihre Einkünfte zu nutzen, machen ihr Ding. Was unausweichlich ist, wird es auch in der Zukunft bleiben.
Auch wenn die Auswirkungen von Katrina heute für uns als Touristen nach knapp zwanzig Jahren nicht mehr sichtbar sind, so sollte man doch wissen, dass diese Katastrophe bis heute nachwirkt. Es gibt immer noch Stadtviertel, die bisher nicht mehr aufgebaut worden sind. Vielleicht war dieser Sturm tatsächlich ein Jahrhundert- oder gar Jahrtausendsturm. Doch die Gefahr, dass sich solche Zerstörungen, ausgelöst durch einen Hurrikan, wiederholen, ist durchaus gegeben, denn wer hier wohnt, lebt zwischen Juni und November eines jeden Jahres in der ständigen Gefahr auftretender Wirbelstürme und ungebändigter Wassermassen. Die Lage der Stadt unter dem Meeresspiegel ist neben dem großen, wasserreichen Lake Pontchartrain besonders ungünstig. Jährlich sinkt New Orleans tiefer in das Marschland, auf dem es gebaut wurde, so wie Venedig langsam in seiner Lagune untergeht.
Vielleicht ist ausgerechnet das einer der Gründe, warum man sich genau diametral dazu verhält. Die Leute sind bekannt dafür, das Leben kräftig zu feiern, so zumindest das Klischee. Ein Ausdruck dieser großen Lebensfreude ist Mardi Gras, der ausgelassene, bunte Karneval. Auch als Tourist denkt man bei New Orleans nicht in erster Linie an Naturkatastrophen, sondern an Häuser mit schmiedeeisernen Balkongeländern, gutes Essen, Cajun- und kreolische Lebensart, Jazz und den Mississippi River in einer romantischen Form.



Streifzug durch das French Quarter
New Orleans, oder NOLA, wie die Stadt abgekürzt genannt wird, wurde im Jahr 1718 als Handelspunkt von dem Franko-Kanadier Jean-Baptiste le Moyne de Bienville als La Nouvelle-Orléans an der Stelle des French Quarters gegründet. Es ist der älteste Teil der Stadt. Schon Jahrhunderte davor bestanden in diesem Gebiet Handelsrouten der ursprünglichen Bewohner am Mississippi, wie den Choctaw.
Die strategisch als günstig eingeschätzte Lage der neuen Siedlung sollte vor allem dem Handel und der Verschiffung von Gütern, die auf den Plantagen im Hinterland erwirtschaftet wurden, also Indigo, Zucker und Baumwolle, dienen. Ebenso gab es New Orleans einen großen Sklavenmarkt, wo Menschen aus Afrika in Schiffen ankamen und den Plantagenbesitzern von Dutzenden von Händlern angepriesen wurden.
1762 fiel die Stadt bis zum Jahr 1800 unter spanische Verwaltung. Bei zwei großen Bränden, in den Jahren 1788 und 1794, wurden im Vieux Carré über 1000 Gebäude zerstört. Der folgende Wiederaufbau der Häuser im heutigen French Quarter trägt also entgegen seinem Namen hauptsächlich Züge der spanischen Architektur, die damals durch den Zuzug von Immigranten aus Spanien noch begünstigt wurde.


Ab 1800 kam die Stadt kurzzeitig wieder unter französische Regie, bevor die Vereinigten Staaten sie im Jahr 1803 von Napoleon kauften. Im Jahr 1840 war New Orleans mit über 100.000 Einwohnern die drittgrößte Stadt der USA. Technische Erfindungen und die Anbindung der Stadt an das Eisenbahnnetz trugen erheblich zum Wirtschaftswachstum bei. Erst der Bürgerkrieg ab 1861 und auch weitere Faktoren konnten dem Erfolg der blühenden Stadt längerfristig schaden, obwohl sie zwischen 1865 und 1880 Hauptstadt Louisianas war. Als ab Beginn des 20. Jahrhunderts Öl- und Erdgasvorkommen im Golf von Mexiko entdeckt wurden, erlebte die Stadt einen rasanten Wiederaufstieg. Quelle der Informationen: History of New Orleans

Der Hurrikan Katrina zerstörte 2005 zwar größere Teile von New Orleans und Umgebung, verschonte jedoch das alte Stadtzentrum, das historische French Quarter. Es steht noch so, wie Mark Twain es bei seiner Fahrt auf dem Mississippi nach dem Bürgerkrieg beschreibt:

„Die Häuser stehen in Blocks zusammengedrängt, sie sind von strenger Einfachheit, würdevoll, einheitlich in der Bauart mit hier und da einer angenehm wirkenden Abweichung; alle sind außen mit Putz versehen, und fast alle haben lange, von Eisengittern umgebende Veranden (...).“
(Mark Twain, S. 284f, s. Literaturliste)






Insbesondere für die Besichtigung des French Quarters kommen Touristen aus aller Welt nach New Orleans. Das Zentrum des French Quarter, den Jackson Square, eingerahmt von St. Peter, St. Ann, Chartres und Decatur Street, kann man nicht verfehlen, denn schon von weitem erkennt man eine weiße Kirche, die das große parkähnliche Geviert überragt.


In dessen Mitte blickt Andrew Jackson, der siebte Präsident der USA, hoch oben auf seinem steigenden Pferd, mit entrücktem Blick hinüber zum Mississippi. Ein ähnliches Reiterdenkmal des ehemaligen Präsidenten haben wir auf unserer Reise schon auf dem Tennessee State Capitol Hill in Memphis gesehen. Das Standbild an dieser Stelle soll an die siegreiche Schlacht von New Orleans im Jahr 1815 erinnern.


Den Jackson Square gibt es schon, seit französische Forscher ihn 1721 anlegten. Bis 1856 war er auch als Waffenplatz bekannt. Daran erinnern einige wenig fantasievoll aufgestellte Kanonen an verschiedenen Stellen um den Platz.
Blechblasmusik empfängt uns von irgendwoher, als wir über Wege, die sich durch kleine, gepflegte Blumenbeeten hindurchschwingen, zum Denkmal schlendern. Die Urheber der Rhythmen werden wir sicherlich später noch ausfindig machen. Ältere Bäume auf dem Platz spenden zwar ein wenig Schatten, doch es gibt nicht so viele, als dass wir uns unter der heißen Mittagssonne hier weiter aufhalten wollten.


Ganz im Gegenteil dazu hat die schwüle Hitze das Verlangen nach einem kühlen Getränk erheblich steigen lassen. Als wir den umzäunten Platz wieder verlassen, kehren wir daher zunächst in den Außenbereich eines Eckcafés ein, um die Szene mit Malenden, Musikern und den vielen Touristen bei einem erfrischenden Cranberry-Saft auf uns wirken zu lassen.

Gerade als wir uns niedergelassen haben, beginnt eine Zweimann-Combo mit dem Aufbau ihrer Musikinstrumente (Schlagzeug, E-Gitarre) und versucht, mit den Tücken ihres Verstärkers klarzukommen. Der Soundcheck zieht sich ewig, während uns der kreischende Gesang der E-Gitarre ungebremst ins Gehör fährt. Immer, wenn man denkt, dass sich die gespielten Töne jetzt ganz gut anhören und man doch mal eine Melodie zu Ende spielen könnte, wird wieder unterbrochen. So wird das nichts. Interessant ist einzig der Sänger und Gitarrist, der mit nacktem Oberkörper und einer goldenen Krone auf der Glatze zwischen dem Equipment herumwuselt. Da sich das mit der Einstellung der Elektronik aber hinzieht und uns die schrägen Pfeiftöne irgendwann nerven, ziehen wir ein Häuschen weiter.
Auf den Bänken, die um den Innenraum des Platzes stehen, hängen etliche Obdachlose herum. Das fällt richtig auf. Teils schlafen sie, teils starren sie einfach nur vor sich hin. An einer anderen Ecke des Platzes, die sich weit genug entfernt vom Elektronikgezerre der Band von eben befindet, hat sich eine Brassband aufgestellt und trötet fröhlich und schwungvoll ihren Sound. Deren Töne sind es, die uns zu Beginn unseres Besuchs hier schon angelockt haben. Es sind vorwiegend Jugendliche mit allen Arten von Blechblasinstrumenten: Zwei Tuben (die machen optisch was daher), Trompeten, Posaunen, Saxophon erkenne ich. Die Musik klingt für meine Ohren hochchaotisch, als ob jeder irgendetwas anderes spielt, aber demselben Rhythmus folgt. Irgendwie passt musikalisch aber doch alles zusammen. Ab und an treten auch Bandmitglieder zu einem Solo vor.
Unter den Arkaden, auf der Kirchenseite, kann man im Schatten herrlich der Brass-Band folgen, die voller Hingabe ein Stück nach dem anderen zelebriert.


Direkt hinter uns befindet sich auch der Eingang zu der auffälligen, weißen Kirche, die den Jackson Square überragt. Das ursprüngliche Gebäude der katholischen St. Louis Cathedral, wurde 1727 fertiggestellt und brannte 1788 ab. 1794 waren die Arbeiten zum Nachfolgebau beendet. Nach und nach wurden Glocke und Kirchturmuhr angebracht und eine Orgel installiert.
Eingerahmt wird St. Louis Cathedral von zwei weiteren Gebäuden aus der spanischen Zeit, die heute als Museen genutzt werden: auf der einen Seite das sogenannte Cabildo, früher Sitz der spanischen Kolonialverwaltung und Rathaus, auf der anderen das Presbytère, einst für kommerzielle Zwecke, danach als Sitz des Obersten Gerichtshofs von Louisiana genutzt. Heute sind in beiden Gebäuden Museen untergebracht.


Im Zentrum des French Quarter reiht sich ein historisches Gebäude an das andere. Dazwischen ein- oder zweigeschossige Wohnhäuser mit den charakteristischen schmiedeeisernen Geländern. Die wenigsten davon sind bepflanzt.


Überall dazwischen und auch in den Gebäuden hat sich natürlich die Tourismusbranche ihr Stück vom Kuchen abgeschnitten. Alles, aber auch alles ist auf Tourismus ausgelegt: Souvenirgeschäfte laden manchmal auch mit ganz netten oder originellen Sachen zum Stöbern ein. Hier werden wir endlich fündig und erstehen ein paar Mitbringsel. Die ältere Verkäuferin trällert beim flugtauglichen Verpacken des Porzellans einen Oldie mit der im Hintergrund laufenden Musik vom Band (Horse with no name). Ich bin glatt versucht mitzusingen.






Auch wenn noch lange nicht Weihnachten ist, kann man sich mit All That Jazz aus New Orleans eindecken, um später den Baum damit zu behängen. Ein gut besuchter Laden mit ausschließlich Weihnachtszubehör.


Café du Monde, French Market
Neben den Geschäften gibt es auch Kneipen- und Café-Institutionen, die in jedem Reiseführer vermerkt sind. Dazu gehört auch das dicht bevölkerte Café du Monde, wo man sich keinesfalls die frisch frittierten Beignets (Backwaren, die mit Unmengen von Zucker überhäuft sind) entgehen lassen soll. Unser Quantum an Süßem haben wir für heute jedoch schon in uns hineingeschaufelt.
Im Café der Welt sitzen die Leute dermaßen eng gequetscht, dass man kaum hindurchkommt. Dasselbe auch im Außenbereich, wo noch zusätzlich eine Blechblas-Band musiziert. Vom Café machen wir noch ein verwackeltes Foto, das war es dann.
Mittlerweile hat die Sonne ihren Zenit erreicht, und ich erwäge ernsthaft, mir einen Hut zu kaufen. Doch zunächst stöbern wir noch weiter in den klimatisierten Geschäften an der Decatur Street, die den Jackson Square zur Flussseite hin begrenzt. Bäckereien und Konfiserien bieten ihre Backwaren feil. Man muss innerlich schon sehr gefestigt sein, wenn man hier nicht schwach wird.
Vor der Schaufensterauslage eines Pralinenladens hat Alex dann doch ein wenig länger ausgeharrt, während er sich die ausgestellten Süßigkeiten sehr detailliert und mit wehmütigem Blick anschaute. Aber es hilft ja nichts, noch mehr Zuckriges wäre gar nicht gut. Nun ja, aber gucken ist erlaubt.
Weiter, in nordöstlicher Richtung, befinden sich auch die Gebäude des French Market, der schon Ende des 18. Jahrhunderts ein Handelsplatz für Lebensmittel war. Heute gibt es alles Mögliche zu erwerben, neben frischen Erzeugnissen aus der Region auch Kunsthandwerkliches und vieles andere.
Daraus wird aber nichts, denn wir sind schon jetzt von Hitze und Menschenmengen recht geschlaucht, haben eher das Bedürfnis nach einer Pause. Im Außenbereich, zwischen den Hallen, finden wir dazu ein perfektes schattiges Plätzchen auf einer Bank und ohne Menschengetümmel.


Später tauchen wir wieder in das Gassengewirr der Altstadt ein. Es riecht nach Süßem, modrigem Gemäuer, Abwasser, Duftkerzen, Fäkalien, Kaffee, je nach Standort eine sich stets ändernde Mischung. Mehrere „buddhistische Mönche“ in orangefarbenen Gewändern sind heute unterwegs, um Perlenarmbänder zu verkaufen. Daneben versuchen unglaublich schlechte Einzelmusiker auf der Straße, mit verstimmter Gitarre und einem Gejaule, das durch Mark und Bein geht, ein paar Mäuse zu machen. Schnell suchen wir das Weite.
Schließlich stehen wir wieder auf dem Jackson Square. Jetzt ist es auch hier noch wesentlich voller als zuvor. Busse haben Touristentrauben ausgestopft, die orientierungslos die Wege verstopfen. Die beiden Musiker auf der Ecke haben ihr Verstärker-Problem offensichtlich gelöst und sind jetzt voll im Einsatz. Ihr Publikum lauscht richtig guten, reifen Reggae-Klängen.
Auf der Geraden vor der Kirche hat die Zahl der „Wahrsagerinnen“ drastisch zugenommen, die Tische stehen dicht nebeneinander. An einer Straßenecke hängt ein Maler wie ein Schluck Wasser in der Kurve; auch seine Dreadlocks hängen, nämlich tief hinab auf sein Bild. Während des schöpferischen Akts ist der Künstler offensichtlich in einen narkotischen Tiefschlaf gefallen.
Vor der Kirche hat sich an der Stelle, wo vorher die Brassband musizierte, ein Peitschenknaller den Platz angeeignet. Er ist ein „Four Times Champion“, wie er über Headset verkündet. Neugierig hört die Menge zu, als er von der Gefährlichkeit seines Tuns berichtet. Doch niemand bräuchte sich zu fürchten, er habe den Raum vor sich unter Kontrolle. Als die Spannung ihren Höhepunkt erreicht, knallt die Peitsche ein paar Mal auf den Boden, yeah! In die Pappkiste daneben kann man für die Darbietung ein paar Dollar werfen.
Es ist ein wenig wie auf einem Jahrmarkt, auf dem Kuriositäten feilgeboten werden, doch die Menschenmasse setzt uns in der immer weiter steigenden Hitze ganz schön zu. Die 30-Grad-Marke dürfte längst überschritten sein. Auch eine lähmende Schwüle hat sich allmählich breit gemacht. Beides nimmt uns die Lust zu weiteren Exkursionen am heutigen Tag. Für den Besuch der Stadt haben wir ja ein paar Tage eingeplant, sodass wir nicht hetzen müssen. Für heute ist es damit gut. Auf dem Rückweg zum Hotel wollen wir noch ein Stück direkt am Fluss entlang gehen.


Riverfront
Anziehungspunkt für uns ist immer der breite, große, majestätische Fluss. Wie könnte man sich dem vielfältig Besungenen auch entziehen? Uns begeistert schon die schiere Ausdehnung seines Bettes, in dem er sich vor unseren Augen ausgebreitet hat und getragen dem Meer entgegenfließt.


Uns mag es nicht so wichtig sein, doch um ihn zu kontrollieren und zu lenken, hat man ihm zu beiden Seiten einen Damm gebaut. Gegenüber dem Jackson Square hat man von der Dammkrone aus einen tollen Blick auf Kirche und Platz in der einen Richtung und auf Algiers Point, das mit einer Fähre erreicht werden kann, auf der anderen Flussseite. Auch das imposante Gebäude der ehemaligen Jackson Brauerei steht seit 1890 in der Nähe. Bier wurde darin bis 1974 gebraut. Heute ist es ein Einkaufszentrum, das unter der Biersorte Jax firmiert.


Die Riverfront ist für einen Erholungs- und Freizeitaufenthalt wie gemacht. In einem Aquarium, in Parks und Geschäften können sich Alt und Jung ihren Lieblingsaktivitäten hingeben. Hier ankern auch die Touristenboote für Ausflüge über den Mississippi. Da wir diesbezüglich auch noch aktiv werden wollen, erkunden wir die kleine Anlegestelle. Das erste Dampfschiff, das jemals den Mississippi befahren hat, legte im Jahr 1812 am Ende seiner Fahrt auch schon an dieser Stelle an. Im Moment ist allerdings nichts los, nur eines der Schaufelradschiffe wartet auf seine Besucher für die nächste Ausflugsfahrt.


Zusätzlich zur drückend-heißen Schwüle hat sich nun auch der Himmel zugezogen, Grund genug für uns, nicht mehr lange herumzubummeln, sondern auf direktem Weg wieder ins Hotel zurückzugehen. Dort angekommen fängt es auch gleich zu regnen an. Alles sieht zunächst nach einem kurzen Guss aus, doch schon öffnen sich die Schleusen und Wassermassen stürzen herab. Bald ist die Straße unterhalb unseres Balkons überflutet. Das Wasser schwappt über die Bürgersteige und es erinnert mich ein wenig an Aqua Alta in Venedig, wo man mit bangem Blick versuchte abzuschätzen, ob das stetig steigende Hochwasser nicht doch noch ins Erdgeschoss des Hotels neben dem Markusplatz laufen würde.




Das Spektakel des unablässigen Regens schauen wir uns von unserem Balkon aus an. Unsere Nachbarn aus Michigan haben denselben Entschluss gefasst. Heute ist ihr Hochzeitstag und sie lassen es seit dem Morgen schon ordentlich krachen. Verschiedene Alkoholsorten haben ihren Zielort gefunden, die Stimmung ist großartig. Immer wieder ruft der männliche Part hocherfreut dem Regenwetter „I love it!“ entgegen und breitet enthusiastisch beide Arme aus. Während einer kurzen Pause der Euphorie werden wir darüber aufgeklärt, dass es in Michigan unglaublich viele Pilze gibt, an zehn Monaten im Jahr könne man ernten! Das wusste ich gar nicht.
Irgendwann hört der Regen wieder auf und ein kräftiger Regenbogen überspannt unser Blickfeld. Unser Nachbar „LOVES IT“, ja, auch dieses Naturschauspiel liebt der begeisterungsfähige Mann. Wir auch!

Für den Abend wollen wir endlich ein Cajun-Restaurant aufsuchen. Auf meiner Wunschliste stehen Crawfish, Flusskrebse, eine örtliche Delikatesse. Gleich neben unserem Hotel, an der Ecke Conti/Bourbon Street, soll es ein solches Restaurant geben. Also, nichts wie hin.
Das Lokal ist kein Restaurant, sondern eine schräge Mischung aus Spielhalle und Schnellimbiss, mit Ballonlampen über dem Tresen, einer großen buddhistischen Figur in der Ecke, Kühlschränken und drei wackeligen Tischen. Wem das Bargeld ausgegangen ist, kann an einer ATM-Maschine etwas ziehen.
Ein netter Mensch hinter dem Tresen informiert uns ausführlich über das vielfältige Essensangebot. Meine Wahl fällt auf Crawfish- und Shrimp-Etouffée mit Reis, Alex wünscht sich irgendwas mit Beef, Nudeln und hart gekochten Eiern. Nach der Bestellung nehmen wir an einem der drei Tische Platz. Alex‘ Gesicht mit von Anfang an skeptischem Blick wird noch viel, viel länger, als unser Essen serviert wird. Zünftig, neben einer Rolle Küchenpapier, erhalten wir jeder einen hohen, in Plastik verpackten Pappbecher mit unserem Essen, woran auch das Plastikbesteck befestigt ist. Huch!


Romantisches Dinner für zwei

Um die Enttäuschung zu überwinden, hilft nur eins: auspacken und essen. Vielleicht überzeugt ja die Qualität der Speisen. Tatsächlich schmeckt es absolut vorzüglich! Das Gulasch ist jeweils sehr reichhaltig, der Reis körnig, alles schön gar und unglaublich schmackhaft, würzig und frisch. Ich könnte mich glatt reinknien. Alex‘ Skepsis ist nach den ersten Bissen ebenfalls einem genussvollen Blick gewichen. Bis wir die Portionen verdrückt haben, ist die gute Stimmung wieder hergestellt. Erst später verstehe ich, dass diese To-Go-Variante in den Bechern das Essen richtig lange heiß hält und für den eiligen Besucher, der auf dem Weg zwischen den Kneipen eine Stärkung braucht, die perfekte Lösung ist. Wer ein richtiges Restaurant sucht, wird aber auch fündig. Esstempel gibt es rund um die Bourbon Street genug.
Das Flusskrebs-Shrimp-Gulasch war in diesem Laden mit allem Drum und Dran so lecker, dass ich gelobe, für die verbliebenen Tage unseres Aufenthaltes in New Orleans nur noch Restaurants mit kreolischem und Cajun-Essen zu besuchen. So etwas bekommt man nicht alle Tage. Insgesamt haben wir für beide Gerichte auch nur 36 USD gezahlt.

Draußen – es ist mittlerweile schon später Abend - ist es immer noch subtropisch schwül bei weiterhin um die 30 Grad. Der Regen hat überhaupt keine Abkühlung gebracht, sondern die Stadt in einen dampfenden Kessel verwandelt. Gerade ein paar Meter weiter spielt eine mehrköpfige Coverband in einem Lokal, und wir beschließen spontan, uns das mal anzusehen. Diese Band spielt auf Tip (Blecheimer an der Bühne), also ohne Eintritt. Nicht lange dauert es, als ich Alex meine Handtasche überwerfe und mich auf die Tanzfläche stürze, wo bei bester Stimmung nur wir Mädels zum - ich gestehe - Abba-Song Dancing Queen tanzen. Sofort werde ich in den Kreis aufgenommen. Wie lange ist das her? Augenscheinlich genießen alle die gute Stimmung, die Mädels auf der Fläche, und die Boys drum herum, so wie früher.
In der darauf folgenden Tanzpause kann ich der Band mal richtig zuhören. Zwei richtig gute Sängerinnen mit tollen Stimmen und Bühnenerfahrung wissen, wie man dem Publikum einheizt. Proud Mary zelebrieren sie mit einem sich steigernden Tempo bis die Leute in einem wilden Pogo auf der Tanzfläche herumspringen. Aber auch die Begleitband hat es richtig drauf und macht einen Superbetrieb. Irgendwann ertönt dann auf Wunsch Whitney Houstons I wanna dance with somebody, und schon sind wir Frauen wieder solo dabei. Es wird natürlich mitgesungen und dabei an die wunderschöne und ausdrucksstarke Frau mit der Wahnsinnstimme gedacht. Ach Frau, was hättest du die Welt noch verzaubern können!
Mit diesem Song endet dann auch das Live-Konzert der Band. Bei einer Abschiedsumarmung wünschen wir uns gegenseitig noch einen schönen weiteren Abend, ein Lächeln und dann trennen sich unsere Wege wieder.
Mit der guten Stimmung flanieren auch wir noch einmal über den schrägen Wahnsinn der Bourbon Street, heute Abend mit dem besonderen Auftritt eines weiteren als „buddhistischer Mönch“ verkleideten Perlenarmbandverkäufers, verschiedenen „Wahrsagerinnen“, die wie schon am Jackson Square hinter Tischchen auf Kundschaft warten, einer Frau in einem knallbunten Federkostüm inklusive entsprechendem Kopfschmuck und zweier Mädchen mit je einer dieser hässlichen weißen Schlangen um den Hals. Das reicht dann auch für heute.


New Orleans - Louis Armstrong Park,
Van Gogh Immersive